Protokoll der Sitzung vom 12.01.2006

Gemeinsamkeiten der Anträge konzentriert. Diese

Gemeinsamkeiten heißen: standardisierte Tests und/oder verpflichtende Untersuchungen zur Diagnose von

Entwicklungsstadien, insbesondere im Hinblick auf besondere Begabungen und Hochbegabung, und das alles möglichst früh im Leben eines Kindes.

Ich setze hingegen darauf, dass jedes Kind im Kinder

garten wie in der Schule akzeptiert wird, wie es ist, und auf der Grundlage qualifizierter Diagnostik individuell gefördert wird, ganz gleich, ob es sich um ein Kind mit oder ohne besondere Lernschwierigkeiten, mit oder ohne besondere Begabungen handelt. Tests können ein Instrument der pädagogisch-psychologischen. Diagnostik sein, wenn sie im Dienst pädagogischer Entscheidungen stehen. Bei pädagogischen Entscheidungen kann es zum einen um Auslese und Zuweisung gehen und zum anderen um Entscheidungen, in welchen Bereichen und wer gefördert wird.

Im Ausschuss haben wir zu den vorliegenden Anträ

gen eine Anhörung mit einer ausführlichen Diskussion gehabt. Weil insbesondere die CDU daraus offenbar nicht gelernt hat – jedenfalls drängen die Anträge diesen Schluss auf –, versuche ich es mit Wiederholung aus der Anhörung.

Herr Rost, Professor für pädagogische Psychologie

und Entwicklungspsychologie an der Universität Marburg und Leiter der Begabungsdiagnostischen Beratungsstelle BRAIN in Marburg, leitete eines der größten Forschungsprojekte zur Lebensumwelt hochbegabter und hochleis

tender Jugendlicher. Er stellte dem Ausschuss einige der Forschungsergebnisse vor.

Die Intelligenzentwicklung im Vorschulalter ist außerordentlich plastisch. Wer z.B. mit drei Jahren durchschnittlich intelligent ist, kann mit vier Jahren als besser begabt eingestuft werden und sich mit fünf Jahren wieder zum Durchschnitt hin entwickeln. Erst ab dem Alter von etwa fünf Jahren ist mit Einschränkungen eine gewisse Begabungsstabilität zu beobachten, die eine vorsichtige Prognose über einen Zeitraum von zwei, manchmal drei Jahren erlaubt.

Ausnahmen , z. B. wenn ein 3-Jähriger eine Oper komponiert bestätigen auch hier die Regel.

Eine Hochbegabtendiagnostik bei 4-Jährigen wäre fahrlässig und grenzt an Kaffeesatzleserei.

In ihren Anträgen fordern CDU und FDP diese Kaffeesatzleserei, u.a. deshalb lehnen wir die Anträge ab.

Das ist keine Absage an die Förderung von Hochbe

gabten. Wir teilen aber ausdrücklich die Auffassung von Prof. Rost: Hochbegabte Kinder und Jugendliche werden am besten gefördert, wenn sie in das normale Schulleben integriert werden. Sie sind keine Problemfälle, sondern haben ähnliche Interessen wie ihre Altersgenossen: Sport, Musik, Ausgehen. Sie haben auch nicht überproportional mehr Probleme als ihre Altersgenossen. Das ergab diese über 13 Jahre geführte Langzeitstudie.

Vor allem wegen dieser Erkenntnisse warnt der Pro

fessor vor Förderhysterie und plädiert gleichzeitig für eine qualifizierte Diagnostik. Dafür brauchen nahezu alle Pädagogen dringend Fortbildungsunterstützung bzw. solides Grundwissen in der Ausbildung. Individuelle Förderung eines jeden Kindes oder Jugendlichen bleibt sonst dem Zufall überlassen. Lehrkräfte sind Experten in der Organisation von Lehr- und Lernprozessen und oft auch in der Leistungsdiagnostik. Bei der Diagnostik latenter Kompetenzen wie z. B. Intelligenz sind sie überfordert und brauchen neben Fortbildung auch Fachleute/Fachpsychologen an ihrer Seite.

Im Schulgesetz, das vor fast 2 Jahren in Kraft trat, hat

die Koalition geregelt, und in einem Schreiben an alle Schulen hat der Senator vom 23. Dezember 2004 nochmals ausdrücklich darauf verwiesen:

Seit dem Inkrafttreten des Berliner Schulgesetzes im Februar 2004 haben Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen und hohen kognitiven Fähigkeiten genauso wie solche mit erheblichen Lernschwierigkeiten einen Rechtsanspruch auf besondere Förderung – § 4 Abs. 3, Satz 1 SchulG –. Dies ist bisher einmalig in der Bundesrepublik Deutschland.

Diesen Weg ist der Berliner Gesetzgeber gegangen, nicht nur, um zur Entfaltung der persönlichen Potentiale dieser Schülerinnen und Schüler ihrem Begabungs- und Lernprofil angemessene Förder

bedingungen zu gewährleisten, sondern auch, weil ein rohstoffarmes Land wie Deutschland gesellschaftlich und wirtschaftlich auf die optimale Nutzung seines geistigen Potentials angewiesen ist.

Luisa, 5 Jahre alt, wird von Erziehern, Lehrern und

Schulpsychologen eine Hochbegabung bescheinigt. Sie bedarf dringend der Förderung, die im Kindergarten nicht in ausreichendem Maße geleistet werden kann. Luisa will lernen und nach Überzeugung der Fachleute soll sie in der Schule lernen. Dort können ihre Begabungen am besten entwickelt werden. Aber: Luisa darf nicht eingeschult werden, denn sie ist am 3. April geboren. Eingeschult werden dürfen aber nur die Kinder, die bis zum 31. März geboren worden sind.

Auf Grund starrer gesetzlicher Vorgaben werden Po

tentiale verschleudert, ein Jahr, in dem Luisa möglicherweise die gesamte Eingangsphase absolvieren könnte, ist verloren. Luisa wird mit 6 nicht in die dritte Klasse aufrücken, sie wird mit 6 in die erste Klasse eingeschult.

2. Fall Philipp begleitet seine Eltern zu seiner Schul

anmeldung. Im Elterngespräch stellt die Schulleiterin fest, dass Philipp Verhaltensstörungen zeigt, die auf eine Entwicklungsverzögerung hindeuten. Eine genaue Diagnostik erfolgt nicht. Eine angemessene Förderung Philipps wird in die Hände der Klassenlehrerin gelegt, die neben Philipp 12 weitere Schulanfänger betreut und gleichzeitig 13 Kinder unterrichtet, die sich im zweiten Schuljahr befinden. Auch hier gibt es Kinder mit besonderem Förderbedarf; gleichzeitig muss sie die besonders begabten Kinder mit anspruchsvollen Aufgaben versorgen, um auch sie angemessen zu fördern.

Philipps Schwächen werden nicht von Fachleuten di

agnostiziert, die dann auch die bestmögliche Förderung vornehmen könnten. Zynisch erklärt der Schulsenator, erst mal sollten sich alle Lehrer an dem Kind probieren; nach der 2. Klasse, d. h. nach 3 Jahren – werden dann Spezialisten eingeschaltet. Der Junge wird den Lehrern überlassen, die ihn nach bestem Wissen fördern wollen, aber gleichzeitig 25 anderen Kindern gerecht werden müssen. Philipps Start ins Schulleben ist mit Enttäuschungen verbunden, weil keiner seiner besonderen Problemlage gerecht wird.

Beide Fälle zeigen eines: Eine frühzeitige Diagnostik

findet nicht statt. Nach dem Zufallsprinzip werden Schwächen und besondere Fähigkeiten erkannt. Eine verlässliche Überprüfung gibt es in Berlin nicht und ist auch nicht in der weiteren Schullaufbahn vorgesehen.

Eine Anhörung im Ausschuss brachte für alle die Er

kenntnis, dass wir weder in der Diagnostik noch in der Förderung von Schwachen und Starken die richtigen Voraussetzungen geschaffen haben, um Veränderungen im

Sinne unserer Anträge anzulehnen; trotzdem wurden die Anträge ohne weitere Diskussion in der nächsten Ausschusssitzung von Rot-Rot niedergestimmt.

Das, was von Prof. Rost in der Anhörung als kritik

würdig dargestellt wurde, praktizierte die rote Ideologenfront demonstrativ: Bildungsqualität unserer Kinder richtet sich nach Kassenlage und nicht nach

wissenschaftlichen Erkenntnissen. Damit handelt der rotrote Senat in höchstem Maße unverantwortlich und ungerecht! Aus diesem Grunde fordern wir Sie heute hier im Parlament noch einmal auf, im Sinne unserer Kinder die Anträge zu prüfen!

Wir fordern:

1. Führen Sie verpflichtend für alle Kinder im Alter von

4 Jahren eine Untersuchung U8 durch, bei der der Entwicklungsstand im Allgemeinen und die sprachliche Entwicklung im Besonderen untersucht wird.

2. Verbinden Sie die Einschulungsuntersuchung mit ei

nem diagnostischen Test, der über besondere Begabungen, Entwicklungsrückstände und Sprachkompetenz Auskunft gibt!

3. Lassen Sie eine sonderpädagogische Diagnostik auch

wieder in den Klassenstufen 1 und 2 zu, um alle Kinder möglichst früh optimal zu fördern. Nur so kann ein Höchstmaß an Gerechtigkeit garantiert werden!

4. Schaffen Sie flexible Wege für besonders begabte

Kinder, und lösen Sie die Erlaubnis zur Einschulung vom starren Termin!

Überprüfen Sie in der rot-roten Koalition Ihr Abstimmungsverhalten im Ausschuss, und stimmen Sie unseren Anträgen zu! Dann können wir gemeinsam gerechte Startchancen für die Berliner Kinder erreichen!

Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst lasse ich über den CDU-Antrag zum Schulgesetz, Drucksache 15/2198, abstimmen. Der Fachausschuss empfiehlt – gegen CDU bei Enthaltung der FDP – die Ablehnung. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke! Das ist die CDU. Die Gegenprobe! – Das sind die Regierungsfraktionen und die Grünen. Enthaltungen? – Die FDP! Damit ist dies so abgelehnt.

Wir kommen nun zum CDU-Antrag über Sonderpädagogische Diagnostik, Drucksache 15/4041. Der Fachausschuss empfiehlt – gegen CDU bei Enthaltung der Grünen und der FDP – die Ablehnung. Wer dem CDUAntrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU. Gegenprobe! – Das sind die Regierungsfraktionen. – Enthaltungen? – Das sind die Grünen und die FDP. Damit ist der Antrag so abgelehnt worden.