Protokoll der Sitzung vom 12.01.2006

Danke schön, Frau Kollegin Simon! – Die Redeliste schließt mit der FDP. Der Kollege Lehmann hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In den kommenden Jahren werden 50 % der Berlinerinnen und Berliner als ältere Menschen gelten. Das ist ein dramatischer Prozess und ein dramatischer Wandel unserer Bevölkerungsstruktur. Wir bekennen uns deshalb zu einem Landesseniorengesetz, welches gerade diesem immensen Wandel Rechnung tragen muss, gerade weil wir bisher kein Bundesgesetz haben.

Es ist auch kein Wunder, dass die meisten Parteien meines Wissens mittlerweile eine Seniorensektion aufgebaut haben. Auch im Abgeordnetenhaus wurde in den letzten Monaten häufig über dieses Thema diskutiert. Vereine und Verbände in der Stadt machen durch Informationskampagnen oder durch die meines Erachtens sinnvolle Berliner Seniorenwoche intensiv auf diese Probleme aufmerksam.

erste Land, das so etwas schaffen würde. Über diesen Umweg der Länder wird vielleicht die Frage nach einem Bundesseniorenmitwirkungsgesetz erneut aufgeworfen – mit Verweis auf Österreich, eine andere Bundesrepublik, in dem ein solches Seniorengesetz seit 1998 wirkt.

Heute liegt uns ein Entwurf der CDU vor, und ich finde diesen Entwurf ausgesprochen diskussionswürdig. Er ist praktisch eine Kombination aus den Vorstellungen des Landesseniorenbeirats, die ich eben schon zitierte, und der 1:1-Übernahme der Funktion eines Landesseniorenbeauftragten aus dem Landesgleichberechtigungsgesetz für Behinderte mit

[Schmidt (FDP): Kam auch von uns!]

dessen gesamten Aufgaben, die in diesem Gesetz beschrieben werden. – Herr Schmidt, Ihr Einwurf, dieses Gesetz sei von Ihnen, ist richtig. Es stammt aus der 13. Legislaturperiode, aber Sie erinnern sich vielleicht: mit der Zustimmung aller Fraktionen und insofern auch mit der Zustimmung zu dieser Institution. Aber eine 1:1Übertragung sollte man sich nicht so einfach machen. Die Rolle und Bedeutung dieser zusätzlich von Ihnen vorgeschlagenen Institution ist diskussionswürdig, und das werden wir im Ausschuss entsprechend tun.

Eines möchte ich an dieser Stelle schon sagen, Herr Schmidt: Bei dem Aufgabenkatalog, den Sie dem Landesseniorenbeauftragten zuweisen, von dem ich nicht weiß, ob überhaupt ein Mensch in der Lage wäre, ihn bei einem 24-Stunden-Dienst halbwegs befriedigend abarbeiten zu können, ist eines klar: Ehrenamtlich lässt sich so etwas nicht machen, wie Sie es in der Begründung anbieten.

[Gram (CDU): Herr Schmidt macht das!]

Ich wundere mich darüber, dass Sie in Ihrem eigentlichen Gesetzeswerk nicht die Hauptamtlichkeit für eine solche Institution gefordert haben. Aber wie gesagt: Darüber sollte man reden.

Meine Kollegin von der SPD hat schon gesagt, dass uns die Gremiengröße gewaltig erscheint, und ich glaube, dass sie damit handlungsunfähig werden, wenn sie so aufgebläht werden, wie es in diesem Entwurf steht. Ich habe auch einige Fragezeichen in Bezug auf die vorgesehenen Kompetenzen gegenüber der zuständigen Senatsverwaltung anzumelden.

Ich möchte an dieser Stelle an uns alle appellieren – weil wir gemeinsam ein solches Gesetz wollen –, es möglichst gemeinsam und in einem breiten Konsens zu diskutieren und zu verabschieden, weil ich glaube, dass ein solches Gesetz, mit einem hohen Konsens ausgestattet, für die Perspektive eine gute Ausgangsbasis ist.

Ich möchte mit einem Lob an die Fraktion der CDU schließen, was vielleicht in Vorwahlkampfzeiten eher ungewöhnlich ist: Ich finde, dass sich die Berliner CDU positiv und wohltuend von der Bundes-CDU absetzt. Die Bundes-CDU betreibt nach wie vor in einem unvorstellbaren Maß Altersdiskriminierung – mittelbar oder unmit

telbar – und hat Figuren wie einem Herrn Mißfelder, der seit einiger Zeit im Bundestag sitzt, nicht das Handwerk gelegt, sondern im Gegenteil, ihn zu einem neuen Nachwuchsstar der CDU aufgebaut, trotz dessen altersdiskriminierenden Äußerungen, die er auch öffentlich machte. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich glaube, dass der Begriff „Senioren“ oder „ältere Menschen“ mit dem medizinischen Fortschritt relativiert werden muss. Wenn heute jedes zweite neugeborene Mädchen eine Lebenserwartung von ungefähr 100 Jahren hat, ist der Passus in dem CDU-Gesetzentwurf, wonach Menschen ab dem 60. Lebensjahr zu den älteren Menschen zählen, nicht schlüssig. Aber darüber kann man reden. Ich glaube, dass es vielen so gekennzeichneten Menschen gar nicht recht sein kann. Wie auch? – Wenn wir das Rentenalter demnächst auf 67 Jahre hinaufschrauben, ist dieser Passus obsolet. Ich möchte also nicht von Senioren sprechen, sondern schlichtweg von etwas älteren Menschen, die zum großen Teil aktiv sind und an unserem gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und müssen. Das ist auch mein Ansatzpunkt.

Ein Landesseniorengesetz muss einerseits die Interessen und Belange von älteren Menschen wahren, darf allerdings nicht überproportional die Sonderstellung herausarbeiten. Das wäre nämlich in umgekehrter Form eine Diskriminierung. Dagegen wehren sich auch viele Betroffene. Ältere Menschen sind ein voller Bestandteil unserer Gesellschaft und keine exotischen Mitläufer.

Was macht jetzt die CDU? – Darüber müssen wir diskutieren, das ist mein Kritikpunkt. Die CDU hat nun erst einmal alle Forderungen des Landesseniorenbeirats übernommen, also die Maximalforderungen schlechthin.

[Schmidt (CDU): Nicht ganz!]

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadt Berlin hat in kaum einem anderen Bereich ein so ausgeprägtes Wachstumspotential wie in der Kulturwirtschaft. Die Stadt identifiziert sich nach außen wie nach innen durch eine außergewöhnliche Vielfalt und Qualität kultureller Angebote und Unternehmungen. Sie zeichnet sich damit gegenüber allen anderen Städten Deutschlands auch als europäische und als Weltmetropole ab, und nicht zuletzt hat die Enquetekommission unseres Hauses in ihrem Abschlussbericht gerade dieses Wachstumspotential Kulturwirtschaft benannt.

Sie macht es sich aber dadurch etwas zu einfach, denn in der Politik werden Maximalforderungen niemals mehrheitsfähig, Herr Schmidt. Das lernt man schon im Ortsverband, und das wissen Sie auch.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Das sagt sogar die FDP!]

So kann es z. B. nicht sein, dass der Landesbeauftragte das uneingeschränkte Recht erhält, vertrauliche Vorlagen in jedem Fall einzusehen. Dies würde einer Entmachtung jeder Exekutive gleichkommen. Ebenfalls darf der Seniorenbeirat nicht immer Stellungnahmen von der Senatsverwaltung einfordern. Wenn jede gesellschaftliche Gruppierung dies könnte, wäre sämtliche Verwaltungsarbeit bald lahm gelegt.

Angesichts der desaströsen finanziellen Lage des Landes und der Bezirke können wir die jeweiligen Geschäftsstellen – wenn überhaupt – nur partiell unterstützen. Auf keinen Fall aber darf so ein Passus im Gesetzestext stehen. Dies gilt auch für die Arbeit des Landesbeirats generell. Die zuständige Senatsverwaltung dürfte sich hierfür herzlich bedanken. Deshalb auch hier eine Bemerkung an die Unternehmerinnen und Unternehmer unseres Landes – das wird Sie in diesem Zusammenhang vielleicht wundern –: Es wird den Unternehmen in den nächsten Jahren schwer fallen, geeignet Arbeitskräfte einzustellen. Deshalb halte ich den Jugendwahn für töricht und obsolet. Ich appelliere an uns alle, vorausschauend zu handeln und verstärkt ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit all ihren Erfahrungen, aber auch mit der gewissen positiven Lässigkeit einzustellen.

Ich fasse zusammen: Es reicht nicht aus, einfach abzuschreiben. Das angeregte Mitwirkungsrecht bei gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Regelungen ist ein übermäßiges Recht gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppierungen. Es würde die älteren Menschen in Gegensatz zu allen anderen stellen und ihnen daher eher schaden. Wir brauchen Gesetze, die die Generationen miteinander versöhnen und nicht spalten. Die angestrebte Finanzierung ist angesichts der Haushaltslage und der sozialen Kürzungen, die viele Verbände und Vereine gegenwärtig hinnehmen müssen, dem Bürger nicht zu vermitteln. Das Landesseniorengesetz darf sich daher nur auf Rahmenbedingungen konzentrieren. Es darf nicht der Exekutive vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hat, sonst macht die CDU denselben Fehler wie beim Antidiskriminierungsgesetz, und das hat die Union schließlich auch abgelehnt.

Lebenslanges Lernen und Eigenverantwortung muss auch für viele ältere Menschen gelten, die gesund sind. Der demographische Faktor zwingt uns dazu; auch dies muss in ein Gesetz hinein. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Überweisungen hatten Sie bereits bestätigt, und ich schließe den Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion der Linkspartei.PDS

lfd. Nr. 4 b:

Beschlussempfehlung

a) Einen Kulturwirtschaftsbericht für Berlin!

b) Kulturpolitik – Berlin muss auf seine Stärken setzen – creative industries gezielt fördern

Beschlussempfehlung Kult Drs 15/4561 a) Antrag der FDP Drs 15/2876 b) Antrag der CDU Drs 15/3728

in Verbindung mit

lfd. Nr. 59:

Antrag

Dem Kulturwirtschaftsbericht konkrete Initiativen folgen lassen!

Antrag der Grünen Drs 15/4612

Für die Beratungen stehen den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Linkspartei.PDS, Frau Hiller hat das Wort. – Bitte schön!

Seit langem wird auch in Berlin Kulturwirtschaft als Wirtschaftsfaktor begriffen, und das in großen Maßstäben, die durchaus beeindrucken und die sich entwickeln. So leben z. B. 22 % der in die Künstlerkasse einzahlenden Künstler in Berlin, das ist jeder fünfte Künstler Deutschlands. Es gibt natürlich noch Künstler, die nicht einzahlen und auch hier leben. Das sind insgesamt mehr als 90 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Über 18 000 zumeist kleine und mittelständische Unternehmen erwirtschaften einen Umsatz von mehr als 8 Milliarden € in Berlin und erreichen damit einen Anteil von rund 11 % des Bruttoinlandsprodukts der Stadt. Das sind beeindruckende Zahlen, die wir uns immer wieder verdeutlichen müssen, um dieses Potential für die Stadt zu nutzen und wirken zu lassen. Wenn selbst die Bundeskanzlerin in ihrer Antrittsrede darauf verweist, dass Kultur nicht Subventionierung, sondern Investition ist, so sollten wir gerade in unserer Stadt dieses auch stärker betonen und nutzen.

Dass sich der rot-rote Senat diesem Thema stellte und einen aussagekräftigen Kulturwirtschaftsbericht erarbeitet

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass sich die PDS-Fraktion dem Thema Kulturwirtschaft angenommen hat und es auf die Prioritätenliste gesetzt hat, obgleich die Anträge, um die es hier geht, keine PDSAnträge und auch keine SPD-Anträge sind, sondern ursprünglich von der CDU, von der FDP und von den Grünen kamen. Aber es ist nicht schlecht, wenn man dazu lernt.

hat, ist lobens- und dankenswert. Es muss nach den langen Jahren des Nebeneinanderreagierens von Wirtschafts- und Kulturverwaltung hervorgehoben werden. Endlich wird in dieser Legislaturperiode dieses Thema aufgegriffen und, was noch wichtiger ist, in die öffentliche Diskussion gebracht. Die unterschiedlichen Bereiche, die erfasst werden, beschäftigen sich mit dem erwerbswirtschaftlichen Sektor. Dazu zählen die Presse und der Buchmarkt, die Film- und Fernsehwirtschaft, der Kunstmarkt, die ITEntwicklung, natürlich die Musikwirtschaft, Werbung und Design, Architektur und kulturelles Erbe sowie nicht zuletzt die darstellende Kunst. Berlin profitiert dabei vom Neben- und Miteinander von Szenekultur und traditioneller Kultur, von Kulturerbe, Kunst, Medien und multikulturellen Einflüssen. Diese besondere Mischung führt zu einer Ausnahmestellung in Deutschland, vergleichbare Parallelen bieten aus meiner Sicht London und New York. Das eigentlich Wichtige ist aber nicht das Vorliegen des Berichts – dieser muss selbstverständlich fortgeschrieben und weiterentwickelt werden. Bedeutsam für die weitere Entwicklung der Kulturwirtschaft wird es sein, welche Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen werden, wie die Erkenntnisse des Berichts genutzt werden, wie mit dem Bericht weitergearbeitet wird und wie er weiterentwickelt wird. Die hierzu durchgeführten vielfältigen Diskussionen und Konferenzen innerhalb und außerhalb unseres Hauses waren sehr aufschlussreich und zielführend. Ich verweise darauf, dass sich allein drei Ausschüsse mit insgesamt vier Anhörungen mit dem Bericht beschäftigt haben.

Selbstverständlich gibt es Entwicklungen, die beispielgebend genannt werden sollen: Ich denke an die Zusammenarbeit mit Universitäten, Fach- und Hochschulen, aber auch mit Berufsbildungszentren wie dem LetteVerein. Diese Zusammenarbeit ist kreativ, sie umfasst verschiedene Branchen der Kulturwirtschaft, befördert junge neue Ideen und setzt sie in der Wirtschaft um. Ein gutes Beispiel ist dabei sicher die Zusammenarbeit mit der FHTW, Frau Prof. Hinz, die gemeinsam mit dem internationalen Designzentrum kleine und mittelständische Unternehmen berät – ein Projekt, das vom Wirtschaftssenat mit 0,5 Millionen € aus EFRE-Mitteln gefördert wird und beispielgebend auch für andere Bereiche sein sollte. Ein weiteres Beispiel ist der Bau der Schauhalle in Oberschöneweide. Dieser private Galeriestandort entsteht aus dem Umbau einer AEG-Halle und einem Neubau, initiiert und getragen durch ein Berliner Rechtsanwaltsbüro – also privat –, unterstützt durch die Wirtschaftsverwaltung. Das Ziel dabei ist, einen Verkaufsort von internationaler Bedeutung in Berlin zu errichten. Ich hoffe, dass dieses gelingen wird.

Frau Kollegin! Ihre Zeit ist zu Ende!

Ich möchte nur noch kurz auf die heute in den Medien dargestellte Aufnahme Berlins in das Netzwerk „Kreative Städte“ in der Unesco verweisen, was sicher auch ein Zeichen dafür ist,

dass Berlin auf dem richtigen Weg ist. Der gemeinsam von uns getragene Antrag aller Fraktionen weist darauf hin, dass wir alle die Wertigkeit der Kulturwirtschaft erkannt haben und daran arbeiten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Hiller! – Es folgt die CDU, das Wort hat Herr Kollege Apelt – an seinem Geburtstag, dennoch bleibt die Redezeit wie vereinbart.

Umso besser, dass offensichtlich auch auf der linken Seite des Hauses die Überzeugung wächst, dass die Kulturwirtschaft ein Wachstumsmotor für die Stadt und die Region ist. Noch besser wäre es, wenn sich die betroffenen Senatsverwaltungen diese Einsicht zu eigen machten. Kultur und Kunst sind nämlich nicht nur Aushängeschild der Stadt, sie sind nicht nur Magnete für den Tourismus und haben einen bildungs- und kulturpolitischen Auftrag, sondern sie haben auch eine wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt.