Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Doering! Sie sagten eben zum Ende Ihrer Rede, dass der Senat beschlossen habe, weitere Variantenprüfungen vornehmen zu lassen. Damit könnten wir ja leben, wenn Sie uns auch freundlicherweise sagen würden, wann die denn abgeschlossen sein sollen. Denn auf eins hat die Kollegin Paus zu Recht hingewiesen: Wir werden seit letztem Sommer, was die Terminierung angeht, immer in die Zukunft weitervertröstet. Wenn ich auf die Legislatur zurückblicke, dann hatten wir in den unterschiedlichsten Ausschüssen Anhörungen, Besprechungen, Einzelanträge, die sich entweder direkt mit dem ICC, mit dem Kongressstandort, mit dem Messegelände beschäftigt haben, ohne dass wir aber jemals eine Vorlage vom Senat mit seiner Position bekommen haben. Genau das fordern wir ein, mehr gar nicht. Wir wollen eine Vorlage haben, auf deren Grundlage wir dann weiter eine Meinungsbildung betreiben können.

Ich will an eins erinnern, warum es aus meiner Sicht so dringend geboten erscheint, dass man sich die Veränderungen etwas über Berlin hinausgehend, aber auch in Berlin anschaut. Sie alle wissen, wir haben in Berlin neue Kongresshotels, die wir sehr begrüßen. Wir wissen, dass diese Kongresshotels – so wurde es auch dargestellt – sich in einem Wettbewerbsvorteil mit einem etwas in die Jahre gekommenen älteren ICC befinden. Es werden neue Kapazitäten hinzukommen. Wir haben national einen Verdrängungswettbewerb im Messegeschäft, der jetzt schon – seit einigen Jahren läuft das schon so – dazu geführt hat, dass Messen verlagert werden. Manches Mal, heißt es, spielt dabei auch Geld als Anreizmodell eine Rolle. Wir wissen, dass 2007 die Stuttgarter Messe neu eröffnet wird, eine topp ausgestattete moderne Messe mit wahrscheinlich sehr viel Kapital im Hintergrund.

Deswegen ist es notwendig, um die Diskussion konstruktiv weiterzuführen, dass wir eine Positionsvorlage vom Senat bekommen – möglichst zeitnah. Dazu ist eine Marktanalyse notwendig, auf Berlin bezogen, und eine Konzeptvorlage. Erst dann, wenn dieses Konzept vorliegt, macht es aus unserer Sicht Sinn, auch über das ICC und die Deutschlandhalle neu zu befinden, wenn wir die Kapazitäten wissen. Aber noch mal: Sie sind am Zuge, Sie sind gefordert. So habe ich den Antrag der CDU verstanden: als einen konstruktiven Beitrag, eine belastbare Entscheidungsfindung möglichst zeitnah herbeizuführen. Und das unterstützen wir. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung federführend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie empfohlen, wozu ich keinen Widerspruch höre. Dann ist dies so beschlossen.

Die lfd. Nrn. 5 bis 8 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Lfd. Nr. 9:

I. Lesung

Es ist richtig, dass im letzten Jahr die Zahl der Fahrgäste der BVG um 1 % gestiegen ist. Aber damit liegt Berlin deutlich unter dem, was Hamburg, Frankfurt und München leisten. In München ist der Zuwachs bei Bus und Bahn bei 4,5 %, und das, obwohl es dort keinen Tourismusboom gibt. Zusätzliche Fahrgäste hat die BVG also nicht wegen, Frau Matuschek, sondern trotz der Verkehrspolitik des Senats, und das ist ein Armutszeugnis.

Der Senat hat einen weiteren Holzweg beschritten, den er mal erläutern muss. Er hat die BVG-Tochter BT gegründet, um wettbewerbsfähig zu werden. Die Beschäftigten haben da 30 % weniger verdient als bei der BVG. Und dann hat die BVG den Busfahrern sogar 100 000 € gezahlt, damit sie zur BT wechseln. Herr Wowereit hat im letzten Jahr den Tarifabschluss abgefeiert, weil die BVGMitarbeiter und -Mitarbeiterinnen – das ist auch respektabel – auf Geld verzichtet haben. Aber der Preis war hoch: Kündigungsschutz bis 2020 und Anhebung der BT-Tarife fast auf BVG-Niveau. Damit ist die Wettbewerbsfähigkeit wieder futsch. Sie haben uns außerdem im vergangenen Jahr verschwiegen, dass die Vereinbarung auf Gehaltsverzicht nur bis 2008 gilt. Was ist denn dann? Streik, höhere Fahrpreise? Wie wird das kompensiert?

Vorgestern ist die Umsetzung der Tarifvereinbarung mit der BT an weiteren Forderungen der Gewerkschaft gescheitert. Das müsste selbst dem Letzten die Augen öffnen, dass die Fahrgäste am Ende die Verlierer dieses Vertrags sind, der vor der Bundestagsabwahl, der Bundestagswahl mit der heißen Nadel gestrickt wurde.

Gesetz zur Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes Berlin

Antrag der CDU Drs 15/4654

Ich eröffne die I. Lesung. Die antragstellende Fraktion der CDU hatte noch einen Beratungsvorbehalt, der nun aufgehoben wurde. Daher gibt es keine Beratung mehr. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Die Großen Anfragen unter den lfd. Nrn. 10 bis 12 stehen bereits als vertagt auf der Konsensliste.

Damit kommen wir zur

lfd. Nr. 13:

Große Anfrage

Klarheit schaffen über Risiken und Fahrpreiserhöhungen der BVG – jetzt und nicht erst nach der Wahl!

Große Anfrage der Grünen Drs 15/4611

Auf Wunsch des Senats war diese Große Anfrage in unserer letzten Sitzung vertagt worden. Für die Begründung der Großen Anfrage erteile ich nunmehr mit einer Redezeit von bis zu fünf Minuten Frau Hämmerling von den Grünen das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die BVG ist immer noch 30 % teurer als andere Nahverkehrsunternehmen, und sie ist mit mehr als 1 Milliarde € verschuldet, obwohl sie in jedem Jahr 600 Millionen € Landeszuschüsse bekommt. Die BVG hat zwar einen respektablen und drastischen Personalabbau geleistet, aber sie hat auch die Angebote und Leistungen gestrichen, und sie dreht kontinuierlich an der Preisschraube. Diese Verkehrspolitik ist sozial- und umweltpolitisch kontraproduktiv.

[Beifall bei den Grünen]

Sie grenzt Menschen mit wenig Geld aus, und sie schwächt den öffentlichen Personennahverkehr.

Spitze ist die BVG vor allem bei den Preisen. Das ist unsozial, wenn ausgerechnet unter Rot-Rot bundesweit die höchsten Preise bei den Umwelttickets, bei den Monatstickets, bei den Jahrestickets und bei den Kinderfahrkarten angeboten werden. Das ist eine Politik, die unsozial ist, und das muss geändert werden.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Gaebler! Das, was Sie vorhin zum Besten gaben, lässt mich nicht hoffen, dass sich das Ganze in Zukunft ändert. Sie verwiesen darauf, dass Sie die Zuschüsse des Landes Berlin an die BVG seit der Wende halbiert haben. Und an der Stelle sage ich: Donnerwetter, tolle Leistung! – Aber im gleichen Zeitraum sind die Preise im gleichen Umfang angestiegen. Wenn das Ihre Politik ist, dann machen Sie den öffentlichen Personennahverkehr

kaputt. Das heißt dann nämlich, dass das Einzelticket in 10 Jahren 4 € kostet. Das wollen wir nicht.

[Beifall bei den Grünen]

[Stadtkewitz (CDU): Abwahl war richtig!]

Ja, das war richtig! Das war eine freudsche Fehlleistung. – Wir wollen wissen: Wer bezahlt die Mehrkosten dieses Tarifvertrags? Die Fahrgäste, die Steuerzahlerinnen und -zahler, oder packt die BVG dieses Defizit einfach auf das Defizit, das sie ohnehin hat, auf ihren Schuldenberg von 1 Milliarde €? Wir wollen ferner wissen, welche Pläne mit der BVG verfolgt werden sollen und wie sich der Tarifvertrag und die von Ihnen geplante Direktvergabe mit dem EU-Wettbewerbsrecht vertragen. Haben Sie vielleicht vor, noch vor der Wahl einen neuen Unternehmensvertrag abzuschließen – notfalls auch gegen das EURecht? Wenn Sie die BVG per Direktvergabe beauftragen wollen: Wofür schaffen Sie dann eine neue Behörde für Vergabeverfahren und für Netz- und Angebotsplanung? Soll die BVG weiter planen und bestimmen, was wir dann am Ende bezahlen müssen? – Das funktioniert nicht. – Drohen uns 2008 noch drastischere Fahrpreiserhöhungen, weil dann die Tarifvereinbarungen auf Gehaltsverzicht auslaufen? Welches Druckmittel hat der Senat überhaupt bei Tarifverhandlungen nach 2008 bei den Beschäftigungsgarantien, die Sie bis 2020 gegeben haben?

Sehen Sie sich die DB AG an! Sie ist ein Parallelfall, ein Unternehmen im öffentlichen Nahverkehr, das hoch

Vor dem Hintergrund des aktuellen und des aktuell geltenden EU-Rechts natürlich unter Berücksichtigung des aktuellen Entwurfs des Verordnungsvorschlags aus der Europäischen Union wird diese Erklärung des Senats selbstverständlich durch weitere Vereinbarungen und durch die Vereinbarung über den Umfang und die Qualität der Leistung ergänzt und dann ausgefüllt werden. Die künftige Verkehrsleistung wird also im Einklang mit den geltenden und zukünftigen Vorgaben des europäischen Rechts im Rahmen eines Verkehrsvertrags bei der BVG bestellt werden.

verschuldet ist und immer weniger Verkehrsleistung bringt, weil der Mut fehlte, das Unternehmen in den Wettbewerb zu führen. Jetzt bestätigt das Bahngutachten, dass die Trennung von Netz und Betrieb die einzige Chance zur Stärkung des Schienenverkehrs ist.

[Zuruf der Frau Abg. Matuschek (Linkspartei.PDS)]

So ist das auch bei der BVG, Frau Matuschek! Aber Sie stecken den Kopf in den Sand und wursteln weiter wie bisher.

[Beifall bei den Grünen]

Die Zeche zahlen am Ende die Fahrgäste.

Wir akzeptieren das nicht! Wir wollen vor der Wahl wissen, welche Weichen Sie stellen wollen. Hören Sie auf damit, so wie die große Koalition die Dinge schön zu reden! Schenken Sie uns und vor allem den Fahrgästen reinen Wein ein, oder geben Sie zu, dass Sie ratlos und handlungsunfähig sind!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Hämmerling! – Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat nun Frau Senatorin Junge-Reyer das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Hämmerling! Ich hätte nicht gedacht, dass wir heute erleben, dass die BVG und insbesondere das Verhältnis des Landes Berlin zur BVG auf diese Weise in Frage gestellt wird. Ich will Ihnen deshalb deutlich sagen – lassen Sie mich ein paar Vorbemerkungen machen –, dass die BVG ein Berliner Markenzeichen ist. Sie organisiert seit fast 80 Jahren einen erheblichen Teil des öffentlichen Personennahverkehrs, und Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind erheblich daran beteiligt, dass Berlin über einen öffentlichen Personennahverkehr verfügt, der international einen ausgezeichneten Ruf hat. – Das zu Beginn.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir wollen – das will der Senat ausdrücklich – langfristig die Partnerschaft Berlins mit der BVG sichern; das wollen wir auch unter den geänderten Rahmenbedingungen der Europäischen Union. Öffentlicher Personennahverkehr benötigt Kontinuität und Perspektive. Nur dann, wenn sich die Menschen in ihrer täglichen Mobilität darauf verlassen können, ein solches System zur Verfügung zu haben, können wir sicher sein, dass in Zukunft immer mehr Menschen den öffentlichen Personennahverkehr in Anspruch nehmen werden. Auch ökonomisch ist es sinnvoll, funktionierende und leistungsfähige Verkehrsträger nicht ohne Not solchen unternehmerischen Überlegungen auszuliefern und sie in Frage zu stellen. – Das ist im Übrigen nicht nur eine Diskussion in Berlin, sondern in allen großen Städten.

Zweitens sage ich ausdrücklich: Voraussetzung für Kontinuität ist die Bereitschaft für Veränderung – auch

und selbstverständlich bei den Verkehrsträgern in dieser Stadt. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass der Prozess der Veränderung – auch mit dem Sanierungsvertrag – begonnen worden ist. Das führte dazu, dass sich – das ist notwendig für die Fahrgäste der BVG und letztlich auch für den Unterhalt und die Zukunft des Unternehmens sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das Land Berlin zu einer solchen Partnerschaft mit der BVG bekennt.

Ich will, wenn ich Ihre Fragen im Einzelnen beantworte, Sie zunächst darauf verweisen, dass der Senat im Juni 2005 die Eckpunkte einer Einigung über den Tarifvertrag und die Anwendungsvereinbarung sowie die Eigentümererklärung des Landes Berlin zur Kenntnis genommen hat. Darin garantieren wir den Fortbestand der BVG als integriertes öffentliches Personennahverkehrsunternehmen, das in unserem Eigentum steht, und zwar bis zum 31. August 2020.

Ich will noch einen weiteren Eckpunkt ausdrücklich erwähnen: Die BVG wird bis dahin durch das Land Berlin mit 100 % des jeweiligen Leistungsumfangs beauftragt.