Protokoll der Sitzung vom 09.03.2006

genau das, was dem Nahverkehr in Berlin nicht passieren darf.

Noch einmal zu Ihrem ach so gelobten Modell in Frankfurt, Herr Eßer. Wissen Sie, was der größte Schildbürgerstreich dieser „tollen“ Nahverkehrsorganisation war, die Sie immerzu loben? – Aus Qualitätsgründen sollten alle Busse und Bahnen eine neue Farbe bekommen, nicht die alteingesessene lila-petrol oder wie es heißt subaruvistablue, sondern rot-weiß. Da wurde in Frankfurt monatelang in allen Gremien, die dazu etwas zu sagen haben oder nicht, darüber gestritten, ob es etwas ist, was die Qualität befördert, weil der Fahrgast weiß, er fährt in einem rot-weißen Bus oder einer rot-weißen Straßenbahn, und sonst ändert sich nichts, oder ist das etwas, was man wirklich nicht braucht? Aber diese „wunderbare“ Nahverkehrsorganisation, genannt „Traffic“, meinte, das sei das Qualitätsmerkmal, das man unbedingt durchsetzen müsse. Der ganze Spuk endete durch ein Machtwort der Oberbürgermeisterin. So etwas wollen wir hier in Berlin nicht haben!

Das eigentliche Problem, das habe ich vorhin schon einmal gesagt, ist die Trennung von Fahrplanerstellung und Dienstplanung.

[Zuruf der Frau Abg. Hämmerling (Grüne)]

Denn nur, wenn man das zusammenlässt, kann man auch effiziente Planung unternehmerischer Art und mit wirtschaftlichen Qualitätskriterien durchführen. Wenn man das aufsplittet, hat man eine Unmenge Koordinationsbedarf, hat man ständig neue Nachjustierungsnotwendigkeiten, auch Kosten, die sonst nirgends auftauchen, aber dann plötzlich auf dem Tisch liegen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Effizienz, die im Unternehmen BVG da ist, mit entsprechender Abstimmung dessen, was ein ausgewogenes Nahverkehrsangebot auch unter Berücksichtigung der schwächeren Verkehrsteilnehmer und sozialstadträumlicher Belange leisten kann.

Frau Kollegin! Die drei Minuten sind um.

Ich bin beim letzten Satz. – Das wollen wir bei der BVG belassen und nicht irgendeinen neuen Akteur da „herumwursteln“ lassen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Der Herr Kollege Eßer repliziert natürlich und hat das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Matuschek! Das war wieder eine Bewerbungsrede, dass Sie den Stuhl im Parlament besser aufgeben und statt dessen ein Büro bei der BVG beziehen sollten.

[Heiterkeit]

[Brauer (Linkspartei.PDS): Was?]

Dieses werde ich hier – und darüber können Sie sich so lange aufregen, wie Sie wollen – immer wieder anmahnen, dass die BVG dort Fortschritte macht, weil das gut für die Kunden ist, nicht, Herr Gaebler? Denn in der schönen Dreifaltigkeit von Lohn, Preis und Profit fällt der Profit flach. Insofern sind Lohn und Preis unmittelbar kurzgeschlossen. Das sehe ich auch als Gewerkschaftler so, der ich sogar höhere Beiträge in die Kasse meines Parteifreundes Bsirske bei Verdi bezahle als Sie, Herr Gaebler. Aber mir ist schon bewusst, dass die soziale Verantwortung beides betrifft. Durch hohe Fahrpreise exorbitant hohe Löhne zu bezahlen ist nicht die soziale Haltung. Da ist in der BVG noch einiges zu tun.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Eßer! – Jetzt folgt die FDP-Fraktion. Das Wort hat der Herr Kollege von Lüdeke. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache 15/4710 über die Organisation des ÖPNV in Berlin ist in der Tat – Herr Eßer hat es

samkeit!

sondern auch die Macht der Zahlen. Weil Ihnen dieses Problem zwar bekannt aber lästig ist, wundert es nicht, dass in der Vorlage das Kapitel über die finanziellen Rahmenbedingungen des ÖPNV nur aus gut drei Zeilen und einem kleinen mageren Tabellchen besteht, das nichts über die finanziellen Rahmenbedingungen des Berliner ÖPNV aussagt. Daher erlaube ich mir, zu den finanziellen Rahmenbedingungen des Berliner ÖPNV noch einige ergänzende Zahlen zu nennen: Im Jahre 2010 wird der Schuldenstand Berlins voraussichtlich bei 75 Milliarden € liegen, im Jahre 2015 98 Milliarden € betragen. Die jährlichen Zinsausgaben liegen dann bei 3,5 bis 4,4 Milliarden €. Bis zum Jahr 2010 wird der Berlinanteil an den Regionalisierungsmitteln des Bundes voraussichtlich um ca. 180 Millionen € gekürzt – der Kollege Kaczmarek hatte vorhin bereits darauf hingewiesen, das haben Sie in Ihrer Vorlage leider nicht berücksichtigt. Das haben Sie überhaupt noch nicht berücksichtigt, und ich bin gespannt, wie Sie mit diesem Problem klarkommen.

Die BVG ist inzwischen mit einer Milliarde € verschuldet, nennenswerte Veräußerungsreserven hat sie nur noch in Form ihres Wohnungsbestandes. Die BVG hat einen Wasserkopf, der ca. 20 % des Gesamtpersonalbestandes ausmacht. Wegen der aktuellen Tarifeinigung benötigt sie allerdings wieder Fahrpersonal, für das wiederum das Geld fehlt. In ihrer Not denkt sie jetzt über die Stilllegung von Netzteilen nach, und Herr Sarrazin fordert – eine gute Forderung übrigens –: Verwaltung in den Fahrdienst. – Dies sind Beispiele für die wirklichen Rahmenbedingungen des Berliner ÖPNV – es ist klar, wer in Zukunft im Berliner ÖPNV mitfährt, nämlich der Pleitegeier. Allerdings noch nicht in diesem Jahr und bestimmt nicht vor der Abgeordnetenhauswahl, aber danach kommt der Offenbarungseid so sicher wie das Amen in der Kirche. – Ich danke für Ihre Aufmerk

gerade gesagt – ein Schlüsseldokument unseres Hauses in dieser Legislaturperiode. Es beinhaltet die Grundausrichtung des Berliner ÖPNV bis zum Jahr 2020. Mit diesem Dokument wird aber nicht nur die Berliner Nahverkehrspolitik für diesen Zeitraum umrissen, nein, es werden damit auch indirekt die entsprechenden haushalterischen Weichenstellungen vorgenommen. Nebenbei geht es hier um Milliardenbeträge, über die wir reden.

Das Ziel der Nahverkehrspolitik des rot-roten Senats wird in diesem Dokument klar. Das BVG-Monopol soll für die Zeit ab 2008 vertraglich fixiert werden. Darum geht es im Wesentlichen. Ich gehe davon aus, dass die rechtlich maximal zulässige Vertragslaufzeit von 15 Jahren ausgeschöpft wird, das heißt, der Verkehrsvertrag bis zum Jahr 2023 laufen soll. Die Novellierung der EGVerordnung 1191/69 wird dies aller Voraussicht nach gestatten. Aber nicht alles, was zulässig ist, ist sinnvoll. Da muss ich sagen: Monopole und Monopolverträge sind auf keinen Fall sinnvoll.

[Beifall bei der FDP]

Marktwirtschaft lebt vom Wettbewerb, und dies gilt besonders auch für den ÖPNV.

[Klemm (Linkspartei.PDS): Bravo!]

Wer den ÖPNV dem Wettbewerb entziehen will, dem kann man schon vorher sagen, wird draufzahlen. Dies haben andere schon längst erkannt z. B. Kopenhagen. Wir haben unlängst über ein Gutachten gesprochen, das wir haben erstellen lassen. – Nebenbei: Das wollten übrigens alle möglichen Leute haben. Und es hat allseits viel Lob bekommen. – Die Kopenhagener haben es schon längst erkannt und haben den ÖPNV marktwirtschaftlich reformiert und infolgedessen die Kosten um ca. 15 % gesenkt. Gleichzeitig wurde das Angebot spürbar verbessert – Gewinner der Reform waren die Steuerzahler und die Nahverkehrskunden.

Wer hat im Vorfeld groß lamentiert? – Die Gewerkschaften und einige Verkehrsunternehmen, die ihr Monopol gefährdet sahen. Damit sind wir beim Kern des Problems, nämlich der Frage: Cui bono, wem nützt es? – Die Vorlage des Senats ist nichts anderes als ein Kniefall vor der Gewerkschaft Verdi und den Beschäftigten der BVG.

[Beifall bei der FDP]

Die Belange der Steuerzahler und Nahverkehrskunden stellen Senat und SPD-PDS-Koalition hinten an. Es ist das gleiche Muster wie z. B. bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen, die uns ja auch noch eine ganze Weile beschäftigen werden. Die teilweise bankrotten Staatsunternehmen werden konserviert, damit eine bestimmte Klientel bei Laune gehalten wird.

[Doering (Linkspartei.PDS): Ja, genau, Verdi!]

Aber, meine Damen und Herren von Senat und Koalition, Sie haben nicht nur uns zum Gegner,

[Doering (Linkspartei.PDS): Sie sind ein Gegner?]

Danke schön, Herr Kollege von Lüdeke! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Vorlage an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr sowie an den Hauptausschuss. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion der CDU den Tagesordnungspunkt 41 unter

lfd. Nr. 4 c:

a) Entschließungsantrag

Einrichtung eines Berliner Landesjugendparlamentes

Antrag der CDU Drs 15/4774

haus ins Gespräch kommen wollen.

Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, echte Regeln der parlamentarischen Demokratie zu vermitteln. Wir wollen kein weiteres Jugendprojekt, kein kurzfristiges Engagement, nichts Unverbindliches und schon gar keine undemokratischen Prozesse initiieren. Wir wollen ausschließen, was zu einer Instrumentalisierung dieses Parlaments durch einseitige politische Gruppen führen könnte.

Deshalb wollen wir eine echte Wahl, die allerdings auch finanzierbar und organisierbar ist. Wir schlagen vor, dass jeder Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren die Vertreter seines Bezirks im jeweiligen Rathaus wählen kann. So ist sichergestellt, dass jeder nur eine Stimme hat. Anders als bei einer richtigen Wahl soll aber nicht an einem Tag gewählt werden, sondern in einem Zeitraum – Jugendliche sind so, dass sie sich darauf einstellen können müssen. So geben wir einen Zeitraum zur Verfügung, in dem jeder in das Rathaus seines Bezirkes gehen kann, um dort seine Stimme abzugeben. Dabei bleibt diese Wahl absolut demokratisch. Gleichzeitig schaffen wir bei den gewählten Vertretern das Bewusstsein, dass sie Verantwortung tragen gegenüber denjenigen, die sie gewählt haben und gegenüber ihrem Bezirk. Das ist eine andere Struktur als jene, die wir derzeit bei den bezirklichen Jugendparlamenten haben, die dazu beiträgt – so hoffen wir jedenfalls –, dass dieses Parlament auch über einen längeren Zeitraum stabil arbeiten wird.

b) Antrag

Projekt Juniorwahl zur Abgeordnetenhauswahl 2006 unterstützen

Antrag der CDU Drs 15/4775

Für die Beratungen steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt Herr Kollege Steuer für die Fraktion der CDU. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen heute die Einrichtung eines Landesjugendparlaments für Berlin und die Teilnahme Berlins an dem Projekt „Juniorwahl 2006“. Warum? – Wir wollen die Jugendlichen dieser Stadt dafür begeistern, sich aktiv in die Meinungsbildungsprozesse einzubringen.

[Frau Senftleben (FDP): So nicht!]

Es ist gut, wenn Jugendliche – auch ohne aktives oder passives Wahlrecht zu haben – ihre Meinung einbringen. Es ist gut, wenn Jugendliche möglichst früh durch eigene positive Erfahrung die Strukturen der parlamentarischen Demokratie erfahren können. In Deutschland, Frau Senftleben, gibt es über 300 solcher Jugendparlamente, auf ganz unterschiedlichen Ebenen – auf Landesebene, Regionalebene, Stadtebene –, und daran hat auch Ihre Partei aktiv mitgewirkt.

[Frau Senftleben (FDP): Ich weiß!]

In Berlin gibt es in einigen Bezirken bereits Jugendparlamente. Das sind allerdings zu wenige, die zudem nicht immer über einen längeren Zeitraum hinaus arbeitsfähig sind.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Seit der Tagung des Jugendforums im Abgeordnetenhaus im Dezember habe ich in den letzten Monaten in einer Arbeitsgruppe mitgearbeitet, die sich genau mit diesem Konzept eines Berliner Landesjugendparlaments beschäftigt hat – übrigens als einziger Abgeordneter des Abgeordnetenhauses!