Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

ben öffentlich auf Missstände hingewiesen, sie haben die Gewalt unter Schülern und die Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer beschrieben. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Stelle eines Schulleiters seit einigen Monaten nur kommissarisch besetzt war und dass es an Sozialarbeitern mit Migrationshintergrund fehlte. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Lehrer mit Bedacht gehandelt haben, die Öffentlichkeit als Mittel gesucht haben, um ihre Schule zu retten.

Kein Zweifel, die Politik ist gefordert, sie muss handeln, und sie hat die Pflicht, über Ursachen und mögliche Fehler nachzudenken. Das mit dem Nachdenken scheint leider nicht sehr populär zu sein. Ich bin sehr verwundert, mit welcher Deutungssicherheit Vertreter der Opposition knapp zwei Minuten, nachdem die ersten Meldungen über die Zustände an der Rütli-Schule über den Ticker liefen, schon eine ganz feste Meinung dazu hatten.

[Mutlu (Grüne): Ja, weil sie die Probleme, im Gegensatz zu Ihnen, kannten!]

Erstens ist – natürlich – der Senat schuld, zweitens ist die Integration gescheitert, drittens müssen sofort andere Seiten aufgezogen werden. In Bayern hat man schon immer gewusst, dass man Migrantenkinder am besten vom normalen Unterricht fernhält – wenn es mit der Integration Probleme gibt, versuchen wir es doch mal mit Separation.

[Wansner (CDU): Sie erzählen einen Quatsch!]

In Berlin wusste Herr Pflüger auch schon sehr zeitig, dass man diese Schüler notfalls wegschicken muss. All diese Besserwisser, Durchblicker und Vereinfacher erweisen der Schule und den Lehrern an den Hauptschulen dieser Stadt einen Bärendienst, ja mehr noch, mir drängt sich der Verdacht auf, sie hätten mit der Rütli-Schule endlich einen Anlass gefunden, um ihre ebenso falschen wie rückwärtsgewandten Ideen populär zu machen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Frau Senftleben (FDP): Das darf ja wohl nicht wahr sein!]

Nein, darauf können Sie sich verlassen, wir werden niemanden wegschieben und wegschicken, nur weil er Ihrem Bild vom deutschen Einheitsschüler nicht entspricht. In Berlin ist die Schule für die Kinder da – egal an welchem Punkt der Entwicklung sie sich befinden – und nicht die Schule stellt Eintrittskriterien und die Kinder müssen diesen erst genügen, um überhaupt das Recht auf Bildung wahrnehmen zu können.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass diese Jugendlichen vor 7, 8 oder 10 Jahren in die Schule gekommen sind. Rot-Rot hat in dieser Stadt nicht regiert,

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

da gab es keine Sprachtests, und es gab auch noch keine Sprachförderung von bis zu 15 Stunden wöchentlich vor Eintritt in die Schule. Dass die Kitas Bildungseinrichtungen sind, war auch noch kein Grundsatz.

[Zuruf des Abg. Goetze (CDU)]

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

[Henkel (CDU): Wo denn?]

Inzwischen – und das finde ich erfreulich – ist wieder mehr Sachlichkeit in die öffentliche Debatte eingezogen. Der Rütli-Schule wurden mit ersten Maßnahmen wie der Einsetzung eines Schulleiters und mit Sozialarbeitern geholfen. In vielen Medien finden sich beeindruckende Beiträge über lobenswerte Schulen. Herr Zimmer! Wir haben gemeinsam in Nord-Neukölln eine solche Schule besucht, die von Klasse 1 bis 13 Schüler, die auch eine schwierige Klientel darstellen und die zum Teil eine Haupt- oder Realschulempfehlung haben, diese in einem nicht unerheblichen Umfang bis zum Abitur führen. Wir haben gesehen, dass es sehr wohl engagierte Eltern gibt, dass es die Möglichkeit der Unterstützung von Wirtschaft und Kiez und der Zusammenarbeit mit der Schule gibt. Die Medien haben – aus unserer Sicht berechtigt – in den vergangenen Tagen Kritik an der Schulbürokratie geäußert.

Fast scheint es, dass mit mehr Lehrern und mehr Mitteln alle Probleme zu lösen sind. Wir sind da anderer Meinung. Schon morgen können Probleme an anderen Schulen zutage treten, denn das Problem der Hauptschule bleibt, egal wie viel wir in diesen Schultyp investieren. Es ist schon heute so, dass wir mehr Geld und Personal in die Hauptschule geben als in die Realschulen, die Gymnasien oder die Grundschulen. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung bleibt die Hauptschule die Restschule in einem dreigliedrigen Schulsystem, und das spüren die Schülerinnen und Schüler, wenn sie nach der 6. Klasse auf eine solche Schule gehen müssen. Sie sehen sich als gescheitert und zunehmend chancenlos auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt an. Es kommt nicht von ungefähr, wenn im vergangenen Jahr nicht ein einziger Abgänger der Rütli-Schule einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten hat. Es ist an der Zeit, dieser Stigmatisierung etwas entgegenzusetzen. Es ist an der Zeit, das dreigliedrige Schulsystem zu überwinden.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Das ist die einzige Weisheit: Ihr werft sie alle zusammen!]

Das darf nicht einfach heißen, dass eine neue Restschule geschaffen werden soll. Berlin kann beweisen, dass es allemal so schlau ist wie erfolgreiche Bildungsländer Skandinaviens. Setzen wir all das, was wir Gutes für die Grundschule verabredet haben und nun schon umsetzen, für eine integrative Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse an, dann würde jeder Schüler ohne Stigma und freier von seiner sozialen und soziokulturellen Herkunft bestmöglich und individuell gefördert. Das wäre die

beste Integrationsmaßnahme. Dafür wollen wir in der Stadt werben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge habe ich gelernt: Zum Einen hat die CDU endlich ihr Wahlkampfthema gefunden. Zum Anderen waren es die vielen Alt-68er in den libanesischen Familien in Neukölln, die dort die Kinder vor Regeln verschont und antiautoritär erzogen haben. Da haben Sie ja ihre Schuldigen, das haben Sie uns jetzt erklärt, Herr Zimmer.

Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass die Debatte der letzten Tage sowohl in Berlin als auch in ganz Deutschland zu einem Aufbruch in der Bildungspolitik führen würde. Ein wenig hat sich diese Hoffnung relativiert. Wenn es aber so wäre, hätte sich der Brief der Lehrerinnen und Lehrer aus Neukölln wahrlich gelohnt. Dafür, dass sie sich trotz Maulkorberlass und drohender Disziplinarmaßnahmen getraut haben, gebührt ihnen unser Respekt.

Auch in wirtschaftsnahen – das wird Sie interessieren, obwohl Sie es schon wissen sollten – Stiftungen und Verbänden, von Bertelsmann über Mc Kinsey bis zur Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände, gilt die Struktur des Schulsystems nicht mehr als Tabuthema.

[Frau Senftleben (FDP): Aber sie setzen auf Verantwortung!]

Voraussetzungen für weitergehende Veränderung hat Rot-Rot mit der beschriebenen Grundschulreform selbst geschaffen.

[Dr. Lindner (FDP): Die Abschaffung der Vorklassen!]

Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr eingeschult werden, von der Grundschulreform nach der sechsten Klasse profitieren und in einer integrativen Schule mit- und voneinander lernen können. Diese Schule soll nach skandinavischem Vorbild ausgestattet sein und individuell fördern.

Die zurückgehenden Schülerzahlen eröffnen an einer integrativen Schule die Möglichkeit, eine Ausstattung nicht nur mit ausreichenden Lehrern, sondern auch mit Sozialpädagogen, Psychologen, Bildungswegberatern, Lehramtsstudierenden und auch mit medizinischem Personal zu realisieren. Es soll eine Ausstattung sein, die eine erfolgreiche individuelle Förderung ermöglicht. Wenn wir die Mittel, die wir derzeit in unserem Schulsystem ausgeben, an Bord behalten, aber anders ausgeben, haben wir die Chance, eine Schule zu schaffen, die Leistung und soziale Kompetenz gleichermaßen herausbildet und eine Schule zu schaffen, die sogar Spaß macht, obwohl sie eine ernste Sache ist.

Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner sind wir uns in dieser Zielstellung einig.

[Wansner (CDU): Das ist eine Bedrohung!]

Die Geschwindigkeit der Umsetzung ist allerdings erkennbar unterschiedlich. Senator Böger hat ein gutes Arbeitsprogramm für die Hauptschule vorgelegt. Das ist sicher notwendig, um in der gegenwärtigen Situation diesen Schultyp zu unterstützen, damit – aus unserer Sicht freiwillig – auch wieder über Schulfusionen nachgedacht werden kann. Wir wollen aber weiter gehen. Wir stehen mit dieser Forderung nicht allein. Viele Leiterinnen und Leiter von Hauptschulen – auch das konnten Sie in den vergangenen Tagen nachlesen – fordern, das dreigliedrige Schulsystem zu überdenken und den Schultyp Hauptschule aufzulösen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Bluhm! – Jetzt kommt die Fraktion der Grünen an die Reihe. Frau Dr. Klotz hat das Wort. – Bitte schön!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS]

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Schäbig haben sich hier wirklich manche Medienvertreter verhalten, denen die Gewaltszenen offenbar nicht krass genug sein konnten und die offenbar Geld und Steine verteilt haben. Das ist verantwortungslose Brandstifterei zum Schaden der Jugendlichen und einer demokratischen Presse unwürdig.

[Beifall bei den Grünen, der SPD, der Linkspartei.PDS und der FDP]

Bezugnehmend auf Ihre gestrige Rede im Bundestag, Herr Böger, sage ich: Sie sind nicht individuell und ganz allein zuständig für 30 Jahre fehlende Integrationspolitik sowie für eine insgesamt verstaubte Bildungspolitik in dieser Bundesrepublik. Verantwortlich sind Sie aber sehr wohl für eine Schulaufsicht, die Sie nicht informiert und den Notruf einer Brennpunktschule nicht weiterleitet. Das ist so, als würde der Landesbranddirektor aus der Zeitung erfahren, dass der Gasspeicher explodiert. Das kann doch nicht richtig sein, Herr Böger!

[Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Da hat mich auch nicht beruhigt, dass Sie heute in der Fragestunde erklärten: „Mein Haus wusste Bescheid.“

Es hat auch etwas mit Ihnen zu tun, Herr Böger, dass sich Rektoren und Lehrer in Berlin lange nicht getraut haben, den Mund aufzumachen, weil Sanktionen drohten. Wie sollen aber Lehrerinnen und Lehrer demokratische Regeln an ihre Schüler vermitteln, wenn sie selbst in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt werden und einem autori

Meine Damen und Herren, allein in den Schulen werden wir weder die Defizite einer jahrelang fehlenden Integrationspolitik und auch nicht die Konsequenzen aus Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit auffangen können. Gewalt an den Schulen ist kein ethnisches Problem. Es ist davor zu warnen, alle Probleme der Hauptschulen mit hohem Anteil an Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft zu erklären. Falsch wäre es allerdings, die Augen davor zu verschließen, dass es eine Gruppe von Migranten gibt, die sich zunehmend auf religiöse und kulturelle Werte zurückzieht, die in Kontrast zu den Regeln des Zusammenlebens in einer modernen europäischen Großstadt steht. In Kontrast zu Toleranz, Selbstbestimmung – auch sexueller Selbstbestimmung – oder in Kontrast zur Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. Das können wir nicht zulassen. Es fragt sich allerdings, welche Antworten wir auf diese Probleme haben.

tären Führungsstil ausgesetzt sind, der die Probleme nicht löst, sondern deckelt, Herr Böger?

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Es ist ein Skandal, wenn es stimmt, was der Rektor der Heinrich-von-Stephan Schule, die vor zwei Jahren ebenfalls um Hilfe gebeten hat, vor zwei Tagen in der „Abendschau“ erzählt hat:

Die Schulaufsicht hat gesagt, wir sollen machen was wir wollen. Hauptsache, wir sind nicht negativ in der Presse.

Das ist doch dasselbe, was wir an Eltern kritisieren, die zu ihren Kindern sagen:

Was du in der Schule tust, ist uns völlig egal, Hauptsache du lässt dich dabei nicht erwischen, und wir bekommen keinen Ärger.

Verantwortlich sind Sie, Herr Senator, mit Ihrem rotroten Senat auch dafür, dass es die Hauptschule als stigmatisierte Restschule immer noch gibt. Ihre Abschaffung als kurzfristigen Aktionismus zu bezeichnen, wie es Frau Dr. Tesch gesagt hat, verkennt, dass es seit 20 Jahren die Forderung nach der Abschaffung dieser Schule gibt, weil sie für die Kinder nicht gut ist. Das ist doch kein Aktionismus. Es ist immer noch extrem schwierig, Sozialarbeiter/-innen, Künstler/-innen, nicht pädagogisches Personal anderer Berufe, aber auch informelle Autoritäten wie beispielsweise Sportler in die Schulen zu bekommen. Es ist natürlich gut, dass jetzt Sozialarbeiter an dieser Schule tätig sind, die Arabisch oder Türkisch sprechen und als Kulturdolmetscher fungieren. Warum ist das aber jetzt erst der Fall, Herr Böger? – Sie haben die Dinge jahrelang laufen lassen. Das müssen Sie sich von uns schon einmal vorwerfen lassen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für meine Fraktion sage ich aber auch, dass eine Änderung der Schulstrukturen allein – darauf hat Frau Bluhm verwiesen – das Problem nicht lösen wird.