Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

In dieser Stadt sind alle Grundschulen ausgebaut oder im Prozess des Ausbaus als Ganztagsgrundschulen begriffen. Auch das ist eine absolut richtige Maßnahme. Dieser Senat hat den Ausbau von Ganztagsgrundschulen in jenen Regionen konzentriert, die wir soziale Brennpunktgebiete nennen, weil dort die Kinder längere Zeit Chancen haben, gemeinsam zu lernen und zu leben. Dies wird auch Ergebnisse und Früchte tragen. Davon bin ich fest überzeugt.

Wir haben für die Schulen, in der mehr als 40 % Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache sind, die Situation systematisch verbessert. „Nichtdeutscher Herkunftssprache“ heißt der technische Ausdruck, er ist kompliziert, aber er umschreibt die Situation wenigstens richtig, weil es nicht um Ausländer oder Inländer geht, sondern um Kinder, deren Elternhaus kaum Interesse an Bildung hat, kaum Bücher und kaum Interesse hat – um bildungsferne Schichten –, und dann handelt es sich noch um Kinder, in deren Elternhaus nicht Deutsch gesprochen wird. Ich wäre ein Tor, wenn ich leugnen würde, dass man dort mehr machen kann oder dass es einzelne Verbesserungsvorschläge gibt. Ich halte fest: Dieser Senat hat nicht vier Jahre lang geschlafen, sondern hat in den vergangenen Jahren die Fundamente unserer Bildungspolitik richtig und wegweisend geändert.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Dr. Lindner (FDP): Vier Jahre geschlafen, das ist genau der Punkt! Eine Schlafmütze sind Sie! - Doering (Linkspartei.PDS): Der Bildungsexperte Dr. Lindner!]

Was die Frage betrifft, ob man denn kein Konzept für die Hauptschule habe: Nun verstehe ich, dass Leute, die hier heute zum ersten Mal zur Bildung geredet haben, sagen, dass kein Konzept vorliege. Das ist nicht das Problem derjenigen, die Bildungspolitik gestalten, sondern derjenigen, die davon kaum eine Ahnung haben.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist doch alles bloß Geschwätz! Schauen Sie sich

Zur Gewalt – die erste Regel ist: Hinschauen und nicht wegschauen. – Das bedeutet dann auch, dass junge Leute Konsequenzen spüren müssen, dass sie lernen müssen, dass man sich an Regeln hält. Für alle erfolgreichen Schulen gilt: Diesen Schulen ist es gelungen, sich in einem gemeinsamen Prozess ein Regelwerk zu geben; nicht eine Hausordnung von oben zu übernehmen, sondern gemeinsam in der Schule ein Regelwerk zu diskutieren und zu sagen: Wir wollen Respekt vor den Lehrern. Wir wollen, dass die Lehrerinnen und Lehrer Respekt vor uns haben, und wir wollen, dass es an unserer Schule keine Gewalt gibt. Das sind drei Grundprinzipien, die in ganz vielen Schulen umgesetzt sind, und die sind übrigens auch erfolgreich in der Bekämpfung von Gewalt.

Aber es gibt keine Königswege. Hier haben manche eben einige Schulen benannt, die besonders gut sind – das ist wahr. Aber ich weiß eben auch, dass es an diesen Schulen zu Gewaltvorfällen kommt, die wir früher überhaupt nicht bedacht haben. Ich will damit sagen, wir sollten uns abgewöhnen zu glauben, man könne diese Erscheinung mit einem einfachen Hebelumlegen abschaffen. Das kann man nicht. Wir stehen vor einem großen gesellschaftlichen Problem, und es ist alle Anstrengungen wert, gemeinsam daran zu arbeiten, um Gewalt einzudämmen.

doch die PISA-Studie, die Zustände an der Rütli-Schule usw. an!]

Es gibt – nicht erst seit vorgestern, sondern schon seit Jahren – ein klares Konzept für die Hauptschulen, das z. B. erstens die Einrichtung eines Netzwerks, einer Verbindung von Hauptschulen zur Wirtschaft umfasst. Ich begrüße das außerordentlich.

[Zuruf der Frau Abb. Senftleben (FDP)]

Ich bedanke mich bei vielen Unternehmen, die nicht nur allgemein über Probleme in Schulen reden, sondern ganz konkret jungen Hauptschülern einen Praxisplatz in ihren Unternehmen anbieten, damit sie verschiedene Realitäten kennen lernen, damit sie wissen, was wichtig ist und einen Eindruck bekommen, wofür sie eigentlich lernen. Das sind vernünftige Schritte, um Hauptschulen zu vernetzen und Schülerinnen und Schülern eine Perspektive zu geben.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir haben, weil wir um die Probleme mit Schülerinnen und Schülern wissen, weiter begonnen, die Hauptschulen systematisch im Stadtquartier zu vernetzen, die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt voranzubringen und sicherzustellen, dass verschiedene Stellen gemeinsam an der Erziehung – ich sage das so schlicht – von Jugendlichen arbeiten.

Es ist in der Tat so, dies muss man einfach bekennen, es ist keine Schuld des Senats, sondern eine gesellschaftliche Realität: Es ist wahr, dass viele, zu viele Elternhäuser sich von der Erziehung ihrer Kinder verabschiedet haben. Das ist bitter und eine traurige Feststellung. Es ist aber eben leider Realität, nicht überall, aber an zu vielen Orten. Dies ist keine ausschließliche Angelegenheit nach dem Schema Ausländer – Inländer, das ist falsch. Es gibt leider eben auch sehr viele Eltern, die nichts mit Einwanderung zu tun haben, die ihre Kinder systematisch vernachlässigen. Das hat vielfältige Ursachen. Die liegen auch darin, dass wir in dieser Stadt in den letzten Jahren erhebliche Arbeitsmarktprobleme haben, viele Menschen keinen Arbeitsplatz bekommen, und sich manche – vielleicht zu viele – aus welchen Gründen auch immer, an Zahlungen gewöhnt haben und deshalb ihre Pflichten vernachlässigen.

Doch wird diesen Eltern schon längst geholfen. Was heute von den Zeitungen geforderte wird: Elternschule, Angebote ist keine Konzeption, sondern auch eine Realität des Netzwerks Hauptschulen. Man muss es nur einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Auch das gibt es eben längst, wobei wir in diesen Tagen um Eltern werben können, Eltern Angebote machen können, von Mütterkursen bis Elternkursen und vieles andere mehr, wir können aber nach unserer Rechtslage nicht Eltern zu etwas verpflichten – ich bin auch dagegen, Stimmungen zu machen, die vielleicht Stimmen bringen, aber kein Problem lösen, nach dem Motto: Ich entziehe Eltern die Sozialhilfe. Das geht eben nicht. Sozialhilfe ist Hilfe zum Lebensunterhalt. Einen solchen Unfug soll man nicht in die Welt setzen.

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen – Beifall der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Dazu gehört übrigens auch – ich wiederhole mich –, dass man Regeln akzeptiert. Ich bin sehr zufrieden, dass 12 Schülerinnen und Schüler, die kürzlich in einer Boulevardzeitung mit Bild abgebildet waren und mit ihren Straftaten geprahlt haben, durch Mithilfe der Polizei und der Schule identifiziert wurden und dass fünf von denen von der Polizei festgenommen wurden. Das finde ich richtig und gut.

[Beifall bei der SPD]

Jeder muss wissen in diesem Land: Wer sich hinstellt und noch prahlt mit Gewalt, der kriegt keine Belobigung, sondern dort, wo das möglich ist, wird konsequent reagiert. Ich hoffe sehr, dass man dann auch zu Konsequenzen für diese Schülerinnen und Schüler kommt.

Abschließend will ich auf eine Psychologin, die bei mir im Hause arbeitet, hinweisen.

[Dr. Lindner (FDP): Für Sie?]

Wir haben Psychologen für Schulen, um bei diesen Gewaltvorfällen zu helfen. Die Psychologin, die für die schulpsychologische Beratung in Berlin-Mitte zuständig ist und auch für Gewalt- und Krisenintervention, beschreibt in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“sehr genau, wie es gehen kann, aber sie sagt eben auch, wie groß die Schwierigkeiten sind. – Ich sage: Es ist notwendig, sich in den Schulen Regeln zu geben. Es ist auch notwendig, sich an die Regeln zu halten. Und es ist auch notwendig, Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen: Wenn man sich nicht an Regeln hält, wird das nicht belohnt, sondern

da sind andere Maßnahmen notwendig, und davon ist schon Erhebliches in unserem Land eingeleitet worden. Ich sage Ihnen, das werden die Menschen nicht goutieren, wenn Sie immer wieder mit denselben alten Sachen aus

der Mottenkiste kommen. Sie wollen nichts als Ressentiments schüren, wenn Ihr Mister Goldpflüger das ganz schwere Geschütz von Null-Toleranz und Abschiebung junger Menschen hervorholt, die hier geboren sind und für die wir in Verantwortung stehen.

Auch die Medien haben in der Rütlischulsache eine zum Teil verheerende Rolle gespielt. Deshalb will ich aber ganz bewusst an dieser Stelle in Bezug auf Stoibers abenteuerlichen Vorschlag, Kindern die Normalschule zu verweigern, den „Tagesspiegel“ zitieren:

In der Zeit, wo wir in der rot-roten Koalition in der Verantwortung stehen, haben wir – das ist heute schon mehrfach angesprochen worden – vieles auf den Weg gebracht, das ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es sind langsame Mühlen, gerade in der Bildungs- und Gesellschaftspolitik. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Es wird also immer um eine Weichenstellung gehen, auf die man dann aufbauen kann.

es muss sanktioniert werden. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten, übrigens auch in einer Pädagogik, die in der einen oder anderen Weise die Auseinandersetzung mit den Schülern suchen muss. Das ist nicht einfach.

Ich habe gestern in der Konferenz mit den Hauptschulleiterinnen und Hauptschulleitern eine sehr gute und intensive Aussprache geführt, übrigens weit entfernt von den Vorwürfen und der Polemik, die es hier gibt – weit entfernt davon. Es wurde übrigens auch nicht, wie ich es gelesen habe, gesagt, wir wollen jetzt umgehend die Schulform ändern, dann sind die Probleme gelöst. Vielmehr gab es sehr konkrete Forderungen. Ich trete dafür ein, Hilfestellungen zu geben.

[Frau Senftleben (FDP): Ja natürlich!]

Es ist auch richtig, dass wir dann in einem Prozess versuchen, Frau Kollegin Klotz, Schulen zusammenzuführen. Das geht aber nur, wenn die Kollegien gemeinsam dazu bereit sind, wenn im Wohnumfeld im Bezirk die Bereitschaft besteht, so dass wir eben andere Schulen bekommen und die Hauptschulen entlasten, indem auch eine andere Schülerschaft gemeinsam in der Schule ist.

Ich ziehe für mich den Schlussstrich und sage:

[Dr. Lindner (FDP): Alles ist gut!]

Wir haben in der Bildungspolitik viele richtige Schritte getan. Wir sind im Prozess von Integration, was das Aufbauen von neuen Schritten betrifft, gut vorangekommen. Wir brauchen jetzt nicht Hektik, wir brauchen auch nicht Polemik, sondern wir brauchen eine klare Fortsetzung dieses pädagogischen Kurses. Darum werbe ich. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Wir kommen zur zweiten Rederunde. Es beginnt die Linkspartei.PDS. Frau Kollegin Seelig hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon recht unglaublich, wie auf den Rücken von Kindern und Jugendlichen ein vorgezogener Wahlkampf ausgetragen wird

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

von Ihrer Seite da rechts. Das fängt mit dem Gerede über massive Kriminalität an. Ich habe keinerlei Auflistung von Fällen von Kriminalität, die an dieser Schule stattgefunden haben, sondern es gibt dort ganz offensichtlich massive Disziplinverstöße. Und da ist noch ein gewisser Unterschied. Und da kann man in einem Rechtsstaat nicht problemlos ohne jede Rechtsgrundlage nach der Polizei rufen,

[Henkel (CDU): Hat doch Böger gemacht!]

Der CSU-Chef ist ein schlechter Landesvater. Es ist anstößig, wenn ein Ministerpräsident das, wofür er selbst einzustehen hat, in eine Bringschuld von Sechsjährigen umdefiniert. Die Schulpflicht ist in Deutschland Recht jedes Kindes. Das Grundgesetz sagt: Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. Auf den müssen Kinder sich verlassen können, wenn Eltern versagen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Kinder gehen in Kitas, die Bildungseinrichtungen sind, mit verpflichtenden Deutschkursen, das letzte Kitajahr wird in Zukunft kostenfrei für die Eltern sein. Die Kinder werden früher eingeschult, was jetzt überall gefordert wird. Sie lernen die ersten zwei Jahre jahrgangsübergreifend, um Defizite ausgleichen zu können. Sie bekommen ein gemeinsames Fach, wo sie sich über ihre unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Werte austauschen können.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Und sie lernen immerhin sechs Jahre gemeinsam, bevor sie aussortiert werden in Berlin.

Ich will mich jetzt nicht vordergründig in die Schulstrukturdebatte einbringen. Aber wer landet denn dann in der Hauptschule? Kinder von Akademikern, aus dem Mittelstand? – Nein, es sind die, die schon die schwierigsten Startbedingungen hatten, Kinder aus bildungsfernen, sozial schwachen Elternhäusern und Kinder mit Migrationshintergrund. Und genau die Kinder mit Migrationshintergrund sind dabei keine Extrakategorie, sondern sie gehören eben zu den sozial Ausgegrenzten, die von der immer weiter klaffenden Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land besonders betroffen sind.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Sie wissen sehr wohl, wenn sie sich auf der Hauptschule wiederfinden, dass sie damit keine Ausbildung, keinen

Berlin ist bei den PISA-Ergebnissen unter den Letzten. Was Sie heute vorstellen, ist eine Bilanz des Aktionismus. Viele Dinge wurden schnell angeschoben, ohne grundlegend etwas zu ändern. Geändert an den strukturellen Problemen der Stadt haben Sie herzlich wenig. Wenn Sie die Zugereisten zeihen, sie dürften nicht urteilen, dann muss ich sagen, dass ich in den Kitas und Schulen meiner Kinder viel höre von Leuten, die über Schulsenatoren sprechen, die im Seniorenalter sind und inzwischen vielleicht eher die Großelternprobleme kennen, die überhaupt kein Verständnis dafür haben, warum Vorklassen abgeschafft wurden, warum Bildungsqualität in der Stadt immer mehr in die Ecke gedrängt und nicht vorangebracht wird.

Job finden werden, für die sich, wenn sie Glück haben, ein paar engagierte Lehrerinnen und Lehrer finden, für die unser Bildungswesen nicht wenig Geld ausgegeben hat, aber sie finden nicht mehr Interesse. Das Integrationskonzept „Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken“ setzt genau da an. Nicht der Migrationshintergrund ist der Grund, sondern Armut und Ausgegrenztheit sind es, die Menschen stigmatisieren. Integration bedeutet auch für die Mehrheitsgesellschaft ein radikales Umdenken. Es ist ein Prozess, der beide Seiten betrifft.

Wir können in einem Bundesland nicht die Folgen neoliberaler Politikrezepte der Bundesregierung beseitigen, sondern wir müssen mit den Mitteln, die wir haben, die Weichenstellungen ändern. Dabei gibt es keine Patentrezepte. Für die frühkindliche Sprachförderung haben wir die Voraussetzung geschaffen. Die gilt es weiterzuentwickeln. Die Einbindung der Eltern in Zusammenarbeit mit den Migrationsvereinen muss gestärkt werden. Die Öffnung der Schulen in den Kiezen bindet Akteure und auch Betriebe ein. Um die Ausbildungssituation zu verbessern, wird der Übergang zwischen Schule und Beruf durch Praktika und Berufswegeplaner erleichtert. Die Integrationskurse werden besser mit Angeboten der beruflichen Eingliederung verzahnt. Das ist eine Reihe von Maßnahmen, die nicht so furchtbar neu ist. Auch die Situation an der Rütli-Schule ist nicht furchtbar neu, wenn man sich mit der Situation von Hauptschulen befasst. Skandalisierung und Stigmatisierung und eine CDU, die in alte Mottenkisten greift und Angst schürt, sind am wenigsten hilfreich, sondern wir müssen das umsetzen, was wir als richtig erkannt haben.

[Niedergesäß (CDU): Machen Sie doch mal!]