Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

Für die Bekämpfung dieses Dammbruchs gibt es keine Patentlösung. Wir müssen an vielen Schrauben drehen und viele Reformen durchsetzen. Reformen gibt es im Übrigen nicht zum Nulltarif, obwohl Geld allein selbstverständlich nichts bewirkt. Bildungsinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen, und diese sind längst überfällig. Das hat uns die Rütli-Schule schmerzlich gezeigt.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS – Dr. Lindner (FDP): Die Klaus-Böger-Schule!]

Das Wort hat nun Frau Kollegin Senftleben. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Herr Senator! Sie sagten gestern im Bundestag, es sei gut, dass jetzt alle über Integration reden. – Wo ist er? – Auch wenn er nicht da ist, so hört er mich vielleicht.

[Zuruf: Er sitzt dort!]

Herr Senator! Mit Verlaub, aber das ist zynisch. Und diese Handbewegung war überflüssig. Was muss in dieser Stadt noch passieren, dass wir nicht nur über Integration reden, sondern auch handeln?

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sie nicken, Herr Felgentreu!

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

[Wansner (CDU): Er schämt sich! – Zuruf: Er sitzt bei seiner Fraktion!]

Vor einigen Monaten ging das Thema Berliner Schule ein zweites Mal durch die Republik: Der Hoover-Schule wurde von den Grünen Diskriminierung vorgeworfen, weil sie die freiwillige Vereinbarung getroffen hatte, auf dem Schulhof Deutsch zu sprechen. Die Grünen haben damit eine absurde und völlig bescheuerte Diskussion angezettelt.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Bescheuert? – Abg. Mutlu (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Wenn ich an die Sendung von Sabine Christiansen denke, in der Frau Claudia Roth den Schülern erklären wollte, dass der von ihnen, von den Eltern und Lehrern gewählte Weg falsch und diskriminierend sei, so kräuseln sich mir heute noch die Nackenhaare.

[Beifall bei der FDP]

Meine Damen und Herren von den Grünen! Damit wurde der Integration ein Bärendienst erwiesen, und das müssen Sie sich hier im Plenum auch einmal sagen lassen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

Nein! Er kann ja gleich eine Kurzintervention machen.

Herr Senator! Da, wo Sie Einfluss auf eine positive Entwicklung hätten nehmen können, haben Sie versagt. Dass es an vielen Hauptschulen gut klappt, haben wir nicht Ihnen oder der Verwaltung zu verdanken. Das ist allein das Verdienst der Pädagogen, der Eltern und der Schüler, die vor Ort eigenverantwortlich Veränderungen herbeigeführt haben, die nachhaltig das Klima der jeweiligen Schule verändert haben. Das will und muss ich betonen.

Aber ich bin nicht bereit – darüber lassen wir nicht mit uns diskutieren –, die Einheitsschule von der 1. bis zur 10. Klasse mit anschließender gymnasialer Oberstufe einzuführen. Das wird es nicht geben. Das ist der alte Traum von Rot-Rot-Grün. Dieser Traum führt zu einem Alptraum. Dieses Experiment werden wir nicht mittragen. Rot-Rot-Grün hat es heute deutlich gesagt: Bis zum Jahr 2011 soll diese Schulform Berlin aufgezwungen werden. Das werden wir den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt klar sagen, denn sie haben am 17. September die Wahl.

[Frau Dr. Tesch (SPD): Nicht schon wieder!]

Nun zum Höhepunkt – der Rütli-Oberschule: Berlin steht jetzt synonym für Scheitern, Gewalt, Rücksichtslosigkeit und miserable Bildungsqualität. Berlin liegt am Ende der PISA-Rangliste. Berlin kann sich nicht herausreden. Ich habe den Eindruck, Sie tun das, Herr Senator. Sie haben gehandelt, nachdem der Worst Case eingetreten ist. Eine Schule kapituliert, und die Öffentlichkeit erfährt es vor Ihnen. Schlimmer kann es nicht kommen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sie haben reagiert, weil die Öffentlichkeit Ihnen im Nacken saß. Sie hätten vorher reagieren müssen. Sie wussten nämlich, dass die Schule Probleme hat. Die Schule wurde nicht gehört, weder von Ihnen noch von den Verantwortlichen im Bezirk und in der Verwaltung. Was haben Sie konkret gemacht? – Ein Schulleiter und zwei Sozialarbeiter wurden hingeschickt, und gestern gab es ein gemeinsames Gespräch mit 27 Hauptschulleitern. Auf einmal ging das alles. Blitzschnell wurden Maßnahmen ergriffen, schnell und unbürokratisch. Prima! Aber Berlin kann sich nicht herausreden und Sie auch nicht, Herr Senator.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP und der CDU]

Denn eines fehlt, nämlich die Reflexion, die Selbstkritik. Das zeigen auch Ihre Reden gestern und heute. Dort heißt es – das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen –:

Wir brauchten in Berlin nicht den Weckruf der Rütli-Schule.

Was brauchen wir denn dann? Wie laut müssen denn die Alarmglocken noch schrillen,

[Dr. Lindner (FDP): Dass dieser bräsige Senator hört!]

dass Sie überhaupt einmal reagieren? Gäbe es ohne Weckruf einen neuen Schulleiter? Gäbe es zwei Sozialarbeiter? Hätte die Runde gestern stattgefunden? – Ein klares Nein! Sie behaupten im „Tagesspiegel“ weiter: „Ich kenne die Zustände.“ Nein, die kennen Sie offensichtlich nicht. Denn es stellt sich die Frage: Warum lassen Sie Funktionsstellen zehn Jahre lang unbesetzt? Warum lassen Sie die stellvertretende Schulleiterstelle über ein halbes Jahr unbesetzt? Das zeigt, dass Sie noch nicht einmal das Einmaleins beherrschen.

[Beifall bei der FDP]

Warum gaukeln Sie der Öffentlichkeit nach wie vor vor, es gäbe keinen Unterrichtsausfall, er sei nur gefühlt? Warum ergreifen Sie nicht endlich die richtigen Maßnahmen, damit die Kinder deutsch sprechen, wenn sie in die Schule kommen?

Und warum haben Sie Ihre Verwaltung immer noch nicht im Griff? Wenn bei dem Brief noch nicht einmal die Dringlichkeit gesehen wird, wenn sich auf den einzuhaltenden Dienstweg berufen wird, dann riecht etwas ganz gewaltig. Ihre Verwaltung verwaltet mehr schlecht als recht. Ihre Verwaltung sollte beraten und nicht verwalten.

Die Hauptschule steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Ich habe meine Zweifel, dass wir vor 25 Jahren begangene Fehler rückgängig machen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass die bayerische Hauptschule besser ist als die Berliner Gesamtschule. Das ist Tatsache, ob es uns passt oder nicht. Wir sollten diese Diskussion führen.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Frau Kollegin Senftleben! – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Zum Antrag der Fraktion der Grünen, Drucksache 15/4390, empfiehlt der Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport mehrheitlich – gegen CDU und FDP – die Annahme mit neuer Überschrift und in neuer Fassung. Wer so gemäß Drucksache 15/4890 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind CDU und FDP. Enthaltungen? – Keine! Dann ist das mehrheitlich angenommen.

Zu den Anträgen der CDU Drucksache 15/4939 und der FDP Drucksache 15/4973 wird jeweils die Überweisung an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport vorgeschlagen, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe als Priorität der Fraktion der CDU auf

lfd. Nr. 4 a:

I. Lesung

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung der Stiftung „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“

Antrag der CDU Drs 15/4943

Ist es nicht Vernebelung von Geschichte, wenn Herr Flierl wertfrei von „Zeitzeugen“ spricht, womit er Täter und Verfolgte in einen Topf wirft, er aber leitende Offiziere der Staatssicherheit der zentralen Untersuchungshaftanstalt des MfS meint, zumal diese Insider mit klarem Auftrag handelten und nicht etwa unbefangene Beobachter waren?

Es braucht ein klares Bekenntnis wie das von Friedbert Pflüger, der sich angesichts des Ereignisses sofort entschloss, die Gedenkstätte Hohenschönhausen zu besuchen, und der wie ich immer wieder erschrocken ist, was unter Verantwortung der SED-Diktatur in den Räumen und Kellern möglich war. Das Aufstellen von Informationstafeln im ehemaligen Sperrgebiet muss ein erster Schritt sein, um dieses Bekenntnis zu treffen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der FDP, Drucksache 15/4943-1, vor.

Für die Beartung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Der Kollege Hoffmann hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion ist dankbar, dass am 4. April 2006 im Berliner Abgeordnetenhaus Zeichen gesetzt wurden. Neben dem Dank an Dr. Knabe für die Ausgestaltung bedanken wir uns auch beim Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, für die klaren Worte gegen die infame Herabwürdigung und tiefe Verletzung der Verfolgten der Stasi-Willkür, das Vergessen, Verharmlosen und Verunglimpfen der von der SEDStaatsführung in unerträglicher Weise verantworteten Tätigkeit der Staatssicherheit mit ihrem System der menschenrechtverletzenden Drangsalierung, Unterdrückung und Denunziation.

[Beifall bei der CDU]

Es ist erschütternd, mit welch frechem Auftreten von ehemaligen Angehörigen des MfS anlässlich einer öffentlichen Veranstaltung am 14. März 2006 in Hohenschönhausen vom Bezirksamt Lichtenberg und vom Kultursenat Geschichtsklitterung betrieben wurde. Gut, dass wir in dieser Woche zumindest deutliche Zeichen in Form von Worten setzen konnten! Denn das Erinnern und vor allem das Aufzeigen von Unrecht unserer jüngsten Geschichte mit erlebter Diktatur ist notwendig, um uns den Wert von Freiheit und Demokratie immer wieder vor Augen zu führen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Doch reichen klare Worte? Ist ein Kultursenator, der auf Grund der Konstruktion des Gesetzes auch noch Stiftungsratsvorsitzender der Gedenkstätte ist und eben nicht couragiert für Gedenken und Aufarbeiten eintritt, um den diffamierenden Angriffen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter zu begegnen, wirklich noch in seinem Amt tragbar?