Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

b) Antrag

Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen als Ort der SED-Diktatur und Willkür des Staatssicherheitsdienstes der DDR durch Informationstafeln kennzeichnen

Antrag der CDU Drs 15/5037

Vor der Aussprache weise ich darauf hin, dass der Antrag der CDU durch den entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung auf Anregung der Antragssteller als erledigt angesehen werden kann. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch.

Für die Besprechung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. – Es beginnt die SPD. Herr Kollege Hilse hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der Zwölfte Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, der heute zur Beratung ansteht, ist es wert, wieder die gleiche Aufmerksamkeit und Würdigung zu erfahren wie die vorangegangenen Berichte all die Jahre zuvor auch.

[Frau Ströver (Grüne): Vielleicht sogar mehr?]

Noch immer wurden im Jahr 2005 bei der Bundesbehörde ca. 80 000 Anträge auf Akteneinsicht gestellt. Aus dieser großen Zahl resultiert eine unvermindert große Nachfrage nach Beratungsleistungen auch beim Berliner Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern. Die Beratungstätigkeit zu Rehabilitierungsfragen und rentenrechtlichen Ansprüchen ehemals Verfolgter des SED-Regimes bilden nach wie vor den Kern der Tätigkeit der Berliner Behörde, aber auch die Forderungen von Verfolgtenverbänden, von Aufarbeitungsinitiativen und die politische Bildungsarbeit genießen bei dem Berliner Landesbeauftragten einen unvermindert hohen Stellenwert.

Angereichert ist der Zwölfte Bericht wie alle anderen Berichte zuvor wieder mit konkreten Beispielen persönlicher Schicksale aus der Zeit der SED-Diktatur. Gefreut habe ich mich, dass in diesem Bericht auch auf die politische Diskriminierung von Schülern, von Kindern, eingegangen wurde, die christlichen Glaubens waren. Viele solche konkreten Fälle könnte ich aus meiner eigenen Schulzeit beisteuern, unterlasse das jetzt allerdings. In den 60er und 70er Jahren war es fast unmöglich, trotz bester Leistungen zum Studium zugelassen zu werden, wenn man nicht der FDJ angehörte oder wenn man konfirmiert war. Diese Benachteiligung hatte oft lebenslange Folgen, die heute kaum noch geheilt werden können. Dies ist im Bericht nachzulesen. Ich empfehle diesen Bericht ohnehin Ihrer Lektüre. Er hilft, in der neu aufflammenden Diskussion sensibel und sachlich zu bleiben.

Das Engagement, mit der die Berliner Landesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes die Dokumentation von Unrecht und die Beratung von Verfolgten betreibt, genießt unseren höchsten Respekt und unseren Dank – wie alle Jahre zuvor.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Beifall des Abg. Hahn (FDP)]

Nun dürfte man annehmen, dass nach nunmehr 16 Jahren intensiver Aufarbeitung des SED-Unrechts eine Verharmlosung oder gar Rechtfertigung von politischer Verfolgung in unserer Gesellschaft der Boden entzogen sein müsste. Das Gegenteil ist aber leider der Fall.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Die Täter von gestern wittern Morgenluft, ehemalige Opfer werden verhöhnt – so geschehen vor einigen Wochen in den ehemaligen Räumen des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen. Stasi-Offiziere richten Schuldzuweisungen an ehemalige Inhaftierte. Die Justiz der DDR wird nicht nur verharmlost, sie wird glorifiziert. Die fehlende konkrete Erinnerung vieler junger Menschen wird ge

Dass die Arbeit nicht leichter wird, liegt auch auf der Hand. Wir haben das eben in schmerzlichen Diskussionen erfahren, als es etwa um das Aufstellen der Tafeln am

Rand von Hohenschönhausen ging, wo sich wieder einmal alte Stasi-Seilschaften in einer Weise betätigt haben, die uns eher das Gruseln lehrt, als dass wir darauf aufmerksam werden sollten. Aufmerksam werden wir in besonderem Sinn auch schon deshalb, weil wir an der Stelle merken, wie wichtig die Arbeit der Stasi-Unterlagenbehörde ist, die sich nicht nur die Aufgabe gestellt hat, mit Menschen zu arbeiten, sondern auch politische Bildung zu betreiben. Umso wichtiger ist diese Arbeit, weil politische Bildung nicht nur in Schulen, Jugendclubs, Vereinen und Verbänden stattfindet, sondern wir uns alle fragen, an welchen Stellen auch wir diese politische Arbeit leisten können. Das sollten wir uns fragen, weil dies eine Arbeit ist, die uns alle angeht, die jeder zu leisten hat, für den Menschenrechte ein hohes Gut sind.

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der mir schon in den letzten Jahren am Herzen lag, das ist das Rentenrecht. Bis heute werden Menschen bis hinein in die Rente für ihr widerständiges Verhalten zu DDR-Zeiten benachteiligt, ja, man kann sogar sagen: gestraft. Eine Gesellschaft sollte sich schämen, die diejenigen bestraft, die sie in jeder Sonntagsrede besingt, aber im Regen stehen lässt, wenn es ernst wird.

nutzt, um Nostalgie zu verbreiten und das von uns Ostdeutschen überwundene System als das bessere darzustellen. Diese Vorgänge sind unerträglich. Die Krone dieses entfesselten Geschichtsrevisionismus steuert dann ein Ehrenvorsitzender der PDS bei, indem er die Mauertoten in die Verantwortung der Bundesrepublik legt.

[Frau Senftleben (FDP): Unmöglich!]

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Arbeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes eine ganz neue und wachsende Bedeutung.

Der Antrag der CDU, der die Gedenkstätte Hohenschönhausen als Ort der SED-Diktatur durch Informationstafeln gekennzeichnet sehen möchte, stand zur Beratung an. Wir haben gehört, dass er erledigt ist, weil die BVV Hohenschönhausen-Lichtenberg dieses Anliegen unterstützt, das auch unser Anliegen ist.

[Hoffmann (CDU): Nach harter Diskussion!]

Nach harter Diskussion! Ich bin dankbar, am Ende ist es egal, wie. Es wird gemacht, und es ist auch nötig. Hier haben alle demokratischen Parteien hinreichend Druck ausgeübt. Er war notwendig, um dieses Ergebnis zu erreichen.

Abschließend erlaube ich mir, Herr Gutzeit, Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern in der Behörde im Namen meiner Fraktion unseren herzlichen Dank für die wichtige und gute Arbeit des vergangenen Jahres auszusprechen. – Vielen Dank, Herr Gutzeit!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank, Herr Kollege Hilse! Sie haben vorweggenommen – es ist unserer Aufmerksamkeit entgangen –, dass Herr Gutzeit hier bei uns Platz genommen hat. Wir begrüßen ihn herzlich und freuen uns, dass er der Diskussion zuhört. – Jetzt kommt die Fraktion der CDU. Der Kollege Apelt hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst will ich auch die Gelegenheit nutzen, all denen zu danken, die nicht nur diesen Bericht verfasst haben, sondern auch in der Behörde des Landesbeauftragten seit vielen Jahren arbeiten und eine sehr gute Arbeit für uns alle machen.

[Allgemeiner Beifall]

Wir alle wissen, dass es keine leichte Arbeit ist, weil es nicht nur um die Arbeit mit Akten geht, sondern um Menschen und deren Schicksale. Ich weiß nicht, wer das von uns könnte: täglich die vielen Geschichten des Leids, der Demütigungen im Büro, in der Haft, der Bespitzelung zu hören. Ich sage offen, ich könnte dies nicht. Deshalb noch einmal mein Dank an diejenigen, die sich das über Jahre anhören.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Hahn (FDP)]

Die Haltung unserer Fraktion ist eindeutig: Wir brauchen dringend eine Regelung – eine möglichst unkomplizierte, einfache, verständliche und die Zivilcourage anerkennende Regelung. Es ist eine Regelung, die wir immer angestrebt haben, die der Bericht einmal wieder empfiehlt. Es geht um die Ehrenpensionen. Ich weiß, die Mehrheit dieses Hauses hat das abgelehnt und sich damit nicht mit Ruhm bekleckert. Aber vielleicht sollten wir noch einmal einen Anlauf wagen. Eine Ehrenrente spart einerseits Verwaltungsaufwand, andererseits das unsägliche Klagen der ehemaligen Opfer, wenn es um ihre Rechte geht. Diese Demütigungen – einige sind in dem Bericht umfänglich beschrieben – sollten wir den Antragstellern ersparen.

Im Klartext: Ich möchte noch einmal der Hoffnung Ausdruck geben, dass auch eine neue Bundesregierung sich dieses Themas annimmt. Jetzt haben wir auch eine neue Chance. Im Koalitionsvertrag steht schon einiges Positives. Ich möchte und werde auch diese Bundesregierung wie alle anderen Bundesregierungen davor daran messen, wie sie sich zu diesem Thema verhält. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir alle das machen würden. Sie können sicher sein, ich werde auch dann lautstark klagen, so wie ich es immer versprochen habe, wenn nicht endlich eine angemessene Würdigung des widerständigen Verhaltens und der Zivilcourage Realität wird. – Danke schön!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Apelt! – Wir fahren fort. Für die Linkspartei.PDS erhält das Wort die Frau Kollegin Seelig. – Bitte schön!

Ich würde mich aber ausdrücklich mit einer Regelung anfreunden können, wie sie hier vorgeschlagen ist, bei besonderen Einzelfällen eine Prüfung weiterhin zu ermög

lichen, denn Opfer, Journalisten und Historiker dürfen Akten weiterhin einsehen. Damit sind auch Namen im öffentlichen Raum. Selbst im Sinne des Betroffenen kann eine anlassbezogene Überprüfung sinnvoll sein.

Lassen Sie mich zum Schluss etwas zur Aufgabe der politischen Bildung sagen. Ich finde, sie muss mehr und mehr in den Mittelpunkt der Arbeit des Landesbeauftragten rücken. Sie war in all den Jahren schon ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt, aber mit der Abnahme der Verfolgungsfälle, die naturgemäß kommt, können möglicherweise Kapazitäten verlagert werden. Die Vorfälle in den vergangenen Monaten, wo ehemalige hochrangige StasiMitarbeiter öffentlich und massiv Unwahrheiten verbreiteten und Opfer verhöhnten, haben gezeigt, dass es kein Ende der Debatte zur Geschichte der DDR und zum MfS gibt. Dagegen helfen aber nicht Redeverbote oder gar Strafgesetze, sondern es geht um Aufklärung und die Kenntnis der Zusammenhänge. Da ich glaube, dass der Landesbeauftragte das ähnlich sieht, möchte ich ihn ermutigen, an dieser Stelle weiterzumachen, und sage ihm da unsere Unterstützung zu. – Vielen Dank für die geleistete Arbeit!

Ich kann es ganz kurz machen, Frau Seelig, nur um es richtig zu stellen, weil Sie sagten, das Land habe keine Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Das Land hätte schon Möglichkeiten gehabt. Wir haben eine Bundesratsinitiative zur Ehrenpension gestartet. Die ist aber von Ihnen abgelehnt worden. Den Vorwurf müssen Sie sich jetzt schon gefallen lassen: An den Stellen, wo wir es hätten machen können, wurde es nicht gemacht. Vielleicht wird es ja zukünftig besser. – Danke!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neulich am Rande einer Veranstaltung traf ich den Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit, Herrn Martin Gutzeit, und hatte gerade seinen 12. Tätigkeitsbericht erhalten und auch überflogen. Ich sagte: Was soll ich denn diesmal reden, es steht ja fast dasselbe darin wie in den letzten Jahren? – Aber das Problem ist die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen. Herr Gutzeit antwortete, und zwar zu Recht: Das kommt daher, weil die Probleme immer noch dieselben sind. – Es gibt die Rehabilitierungsgesetze, aber die Ausgestaltung hat immer Probleme mit sich gebracht. Es wäre schon dringend notwendig, da Veränderungen herbeizuführen. Wenn man bedenkt, dass ein Teil der Verfolgten inzwischen schon ein Alter erreicht hat, wo die zu überwindenden bürokratischen Hürden immer schwerer zu meistern sind, dann sind die Hilfestellungen des Landesbeauftragten und seiner Mitarbeiter nicht hoch genug einzuschätzen.

Besonders schwierig finde ich bei jeder Diskussion über die jeweiligen Tätigkeitsberichte, dass das Land so gut wie gar keine Spielräume hat und wir immer nur an die Bundesregierung jeder Couleur appellieren können. Vielleicht gelingt es jetzt der CDU – Herr Apelt hat das angedeutet –, das, was sie immer in den Jahren ihrer Opposition im Bund gefordert hat, ausreichende Klarstellung und Besserstellung von allen Verfolgtengruppen, umzusetzen. Deshalb finde ich es sinnvoll, Herr Gutzeit, dass Sie an die Sozialstadträte geschrieben haben, um die vor Hartz IV durch die Sozialsenatorin umgesetzte Regelung, dass es informierte Sachbearbeiter als Ansprechpartner für die Betroffenen gibt, wieder in geeigneter Form zu ermöglichen, obwohl sich die Strukturen nach Hartz IV verändert haben. Es kann und soll nicht sein, dass in den Sozialämtern nun niemand das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz kennt.

Aktuell allerdings ist in diesem Jahr die Debatte um die Perspektive des Stasi-Unterlagengesetzes. Bis auf die Diskussion darum liegt allerdings auch kein Referentenentwurf vor, so dass offenbar keine Partei im Bundestag bisher eine Stellungnahme erarbeiten konnte. – Es wird eine Neuaufstellung der Birthler-Behörde geben müssen. Wenn ich richtig informiert bin, sieht das auch Frau Birthler so. Was auf keinen Fall dabei auf der Strecke bleiben darf, ist die weitere Aufarbeitung der Strukturen und der Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit durch Historiker und Journalisten. Bekanntermaßen läuft die in den §§ 20 und 21 des Gesetzes von 1961 festgelegte Frist zur Überprüfung von Abgeordneten und Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf eine frühere Stasi-Tätigkeit Ende dieses Jahres aus. Das ist dem rechtsstaatlichen Verjährungsgedanken und dem Verhältnismäßigkeitsgebot geschuldet. Das ist auch richtig.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin Seelig! – Bevor wir fortfahren, bekommt der Kollege Apelt das Wort für eine Kurzintervention. – Bitte schön!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Apelt! – Und nun die Grünen; das Wort hat die Frau Hämmerling. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder gibt es die Drucksache mit dem sperrigen Namen „Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“. Und alle Jahre wieder nehmen wir mit Unbehagen zur Kenntnis, wie mühsam sich die Opfer des Stasi-Terrors ihre Rechte auf berufliche Rehabilitation oder auf bescheidene Rentenansprüche erkämpfen müssen. Die Opfer sind häufig traumatisiert, auf sich allein gestellt, und ihre Aussagen werden angezweifelt. Oft ist der Stasi-Beauftragte mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die einzige Stelle, die unterstützen und beraten kann. Dafür danken wir ihnen an dieser Stelle ganz herzlich.

[Beifall bei den Grünen]

Und noch eines: Es gibt ein Gerechtigkeitsdefizit zwischen Stasi-Tätern und -Opfern. Wenn der Staat die Kraft aufbringen muss, Stasi-Kadern Staatsrenten zu zahlen, dann steht auch den ehemaligen politischen Häftlingen eine einkommensunabhängige Ehrenrente zu. Deshalb empfehlen wir diesem Berliner Senat, eine entsprechende Bundesratsinitiative Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens zu unterstützen.

Ganz anders sieht es aus bei den Tätern von damals. Sechzehneinhalb Jahre nach der Wende treten die alten Stasi-Kumpane mit einem neuen Selbstbewusstsein auf. Sie sind in Vereinen straff organisiert, genauso wie früher; nur tragen sie jetzt unverfängliche Namen wie „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e. V.“ oder „Sozialverein zum Schutz sozialer Rechte“. Mehr als 25 000 alte Funktionäre sind in einem dieser Vereine organisiert. Sie betreiben organisierte Geschichtsklitterung, sie wollen die kritische Aufarbeitung verhindern, sie verhöhnen Stasi-Opfer, und sie versuchen, Menschen einzuschüchtern. Sie haben ihre vollen Rentenbezüge für die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter durchgesetzt.