Torsten Hilse

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der Zwölfte Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, der heute zur Beratung ansteht, ist es wert, wieder die gleiche Aufmerksamkeit und Würdigung zu erfahren wie die vorangegangenen Berichte all die Jahre zuvor auch.
Noch immer wurden im Jahr 2005 bei der Bundesbehörde ca. 80 000 Anträge auf Akteneinsicht gestellt. Aus dieser großen Zahl resultiert eine unvermindert große Nachfrage nach Beratungsleistungen auch beim Berliner Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern. Die Beratungstätigkeit zu Rehabilitierungsfragen und rentenrechtlichen Ansprüchen ehemals Verfolgter des SED-Regimes bilden nach wie vor den Kern der Tätigkeit der Berliner Behörde, aber auch die Forderungen von Verfolgtenverbänden, von Aufarbeitungsinitiativen und die politische Bildungsarbeit genießen bei dem Berliner Landesbeauftragten einen unvermindert hohen Stellenwert.
Angereichert ist der Zwölfte Bericht wie alle anderen Berichte zuvor wieder mit konkreten Beispielen persönlicher Schicksale aus der Zeit der SED-Diktatur. Gefreut habe ich mich, dass in diesem Bericht auch auf die politische Diskriminierung von Schülern, von Kindern, eingegangen wurde, die christlichen Glaubens waren. Viele solche konkreten Fälle könnte ich aus meiner eigenen Schulzeit beisteuern, unterlasse das jetzt allerdings. In den 60er und 70er Jahren war es fast unmöglich, trotz bester Leistungen zum Studium zugelassen zu werden, wenn man nicht der FDJ angehörte oder wenn man konfirmiert war. Diese Benachteiligung hatte oft lebenslange Folgen, die heute kaum noch geheilt werden können. Dies ist im Bericht nachzulesen. Ich empfehle diesen Bericht ohnehin Ihrer Lektüre. Er hilft, in der neu aufflammenden Diskussion sensibel und sachlich zu bleiben.
Das Engagement, mit der die Berliner Landesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes die Dokumentation von Unrecht und die Beratung von Verfolgten betreibt, genießt unseren höchsten Respekt und unseren Dank – wie alle Jahre zuvor.
Nun dürfte man annehmen, dass nach nunmehr 16 Jahren intensiver Aufarbeitung des SED-Unrechts eine Verharmlosung oder gar Rechtfertigung von politischer Verfolgung in unserer Gesellschaft der Boden entzogen sein müsste. Das Gegenteil ist aber leider der Fall.
Die Täter von gestern wittern Morgenluft, ehemalige Opfer werden verhöhnt – so geschehen vor einigen Wochen in den ehemaligen Räumen des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen. Stasi-Offiziere richten Schuldzuweisungen an ehemalige Inhaftierte. Die Justiz der DDR wird nicht nur verharmlost, sie wird glorifiziert. Die fehlende konkrete Erinnerung vieler junger Menschen wird ge
Dass die Arbeit nicht leichter wird, liegt auch auf der Hand. Wir haben das eben in schmerzlichen Diskussionen erfahren, als es etwa um das Aufstellen der Tafeln am
Rand von Hohenschönhausen ging, wo sich wieder einmal alte Stasi-Seilschaften in einer Weise betätigt haben, die uns eher das Gruseln lehrt, als dass wir darauf aufmerksam werden sollten. Aufmerksam werden wir in besonderem Sinn auch schon deshalb, weil wir an der Stelle merken, wie wichtig die Arbeit der Stasi-Unterlagenbehörde ist, die sich nicht nur die Aufgabe gestellt hat, mit Menschen zu arbeiten, sondern auch politische Bildung zu betreiben. Umso wichtiger ist diese Arbeit, weil politische Bildung nicht nur in Schulen, Jugendclubs, Vereinen und Verbänden stattfindet, sondern wir uns alle fragen, an welchen Stellen auch wir diese politische Arbeit leisten können. Das sollten wir uns fragen, weil dies eine Arbeit ist, die uns alle angeht, die jeder zu leisten hat, für den Menschenrechte ein hohes Gut sind.
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der mir schon in den letzten Jahren am Herzen lag, das ist das Rentenrecht. Bis heute werden Menschen bis hinein in die Rente für ihr widerständiges Verhalten zu DDR-Zeiten benachteiligt, ja, man kann sogar sagen: gestraft. Eine Gesellschaft sollte sich schämen, die diejenigen bestraft, die sie in jeder Sonntagsrede besingt, aber im Regen stehen lässt, wenn es ernst wird.
nutzt, um Nostalgie zu verbreiten und das von uns Ostdeutschen überwundene System als das bessere darzustellen. Diese Vorgänge sind unerträglich. Die Krone dieses entfesselten Geschichtsrevisionismus steuert dann ein Ehrenvorsitzender der PDS bei, indem er die Mauertoten in die Verantwortung der Bundesrepublik legt.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Arbeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes eine ganz neue und wachsende Bedeutung.
Der Antrag der CDU, der die Gedenkstätte Hohenschönhausen als Ort der SED-Diktatur durch Informationstafeln gekennzeichnet sehen möchte, stand zur Beratung an. Wir haben gehört, dass er erledigt ist, weil die BVV Hohenschönhausen-Lichtenberg dieses Anliegen unterstützt, das auch unser Anliegen ist.
Nach harter Diskussion! Ich bin dankbar, am Ende ist es egal, wie. Es wird gemacht, und es ist auch nötig. Hier haben alle demokratischen Parteien hinreichend Druck ausgeübt. Er war notwendig, um dieses Ergebnis zu erreichen.
Abschließend erlaube ich mir, Herr Gutzeit, Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern in der Behörde im Namen meiner Fraktion unseren herzlichen Dank für die wichtige und gute Arbeit des vergangenen Jahres auszusprechen. – Vielen Dank, Herr Gutzeit!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag rufen Sie, Herr Hoffmann, die gleiche Diskussion noch einmal auf, die wir vor vierzehn Tagen bereits geführt haben. Ich will sie gern noch einmal führen.
Zunächst rekapituliere ich. – Die Reaktion der Aktuellen Stunde vor vierzehn Tagen, die sich mit diesen Vorgängen auseinander setzte, war parteiübergreifend eindeutig. Das Signal lautete: Wir, die demokratischen Parteien der Stadt, weisen jede Verklärung oder Verharmlosung von Verbrechen des SED-Regimes entschieden zurück.
Unsere Solidarität und Achtung gehört den Opfern des Stasi-Terrors. Dieser Einschätzung sind alle Parteien gefolgt.
Meinen Sie mit dieser schwammigen Verdächtigung, dass Senator Flierl die Arbeit der Stiftung behindern wolle? Oder sind Sie der Auffassung, Senator Flierl stünde nicht hinter der Arbeit der Stiftung? Bei aller berechtigten Kritik, die Senator Flierl im Zusammenhang mit der Lichtenberger Veranstaltung erhalten hat, ist es doch absurd, eine solche Vermutung zu äußern.
Der Senator für Kulturelle Angelegenheiten, der in die Kritik geriet, weil er sich dem Auftreten der StasiOffiziere und ihren Ausführungen nicht entschieden genug entgegenstellte, räumte im Verlauf der Aktuellen Stunde dieses Versagen als Fehler ein.
In diesem Zusammenhang möchte ich an die Veranstaltung erinnern, die vorgestern hier im Haus stattfand. Auf Einladung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses schilderten 19 ehemalige Häftlinge im Rahmen einer Lesung ihre brutalen und menschenverachtenden Erfahrungen während ihrer Inhaftierung. Diese öffentliche Veranstaltung war eine wichtige und beeindruckende Antwort auf die Veranstaltung Mitte März in Lichtenberg, die von Stasi-Offizieren als Podium missbraucht wurde. Alle diese Veranstaltungen und Positionierungen waren wichtig und unverzichtbar: den Opfern gegenüber, aber auch für eine klare Kursbestimmung für die Zukunft.
Mit dem Einbringen Ihres Antrags jedoch, Herr Hoffmann, verleihen Sie der bisher geführten Debatte eine neue Qualität. Mit diesem Antrag ziehen Sie die Auseinandersetzung auf Wahlkampfniveau herab. Das finde ich sehr bedauerlich!
Ich finde, es gibt Dinge, die sollten fernab jedes Wahlkampfgetöses unsere übereinstimmende Würdigung finden. Das Prinzip verletzen Sie!
Wenn Sie glauben, Herr Hoffmann, mit Ihrem Antrag der Stiftung Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen zu helfen, dann täuschen Sie sich. Ich meine, Sie schaden ihr eher. Ich will das auch begründen.
Es ist guter Brauch, die Arbeit von Stiftungen zu würdigen und aufzuwerten, indem die zuständigen Senatsmitglieder in den Stiftungsrat entsandt werden. Wenn Sie an Stelle des Senators für Kulturelle Angelegenheiten ein beliebiges Mitglied der Verwaltung entsenden wollen, ist das ein Signal der Geringschätzung des Stiftungsrats und damit auch der Stiftung.
Offenkundig meinen Sie, dass die zweite Garde auch reiche. Nun weiß ich, dass die gewünschte Gesetzesänderung – und Sie haben es ja auch deutlich gemacht – auf
die Person des Senators Dr. Flierl abgestellt ist. Wollen Sie konkret dieses Stiftungsgesetz und eventuell auch andere ständig ändern, je nachdem, ob Sie die Senatsvertreter gerade sympathisch oder nicht sympathisch finden, ob Sie sich in der Opposition befinden oder nicht?
Das ist Unsinn, und das ist auch unpolitisch.
Die Senatoren haben das Vertrauen der Mehrheit des Parlaments. Dieser politische Rückhalt wird in die Arbeit der Stiftung eingebracht. Diese Verankerung macht Stiftungen stark. So soll es auch bleiben, auch bei der Stiftung Hohenschönhausen.
Überhaupt nicht verstanden habe ich einen Teil Ihrer Begründung gleich am Anfang. Was heißt eigentlich:
Auftretende Interessenkollisionen können dem Zweck der Stiftung zuwiderlaufen.
Es ist nicht nur absurd, es ist auch ein Überspielen. Senator Dr. Flierl hat heute vor vierzehn Tagen eine Fehlreaktion eingeräumt. Ihm jedoch zu unterstellen, er stehe inhaltlich nicht zur Arbeit der Stiftung, ist aberwitzig. Dieser Vorwurf wird offenkundig allein aus parteitaktischen Gründen erhoben.
Wir haben vor vierzehn Tagen darüber gesprochen, wir waren uns alle einig, wir haben alle Positionen gehört, und sie haben uns als Parlament zufrieden gestellt.
Vielleicht sollten Sie künftig noch etwas stärker differenzieren. Es wird in der Politik häufig mit Unterstellungen gearbeitet. Es gibt Unterstellungen, mit denen man leben kann. Es gibt aber auch Unterstellungen, die ehrenrührig sind. In diesem Fall, finde ich, war das eine ehrenrührige Unterstellung, die Sie hier vorgebracht haben.
Meine Bitte im Interesse der Stiftung, deren Arbeit uns gerade vor dem Blick auf die hinter uns liegende Vergangenheit sehr wichtig ist, lautet: Beschädigen Sie die Arbeit der Stiftung nicht mit solchen Anträgen, die durch
)
Ich muss Ihnen sagen: In der PDS ist immer noch ein starker Nährboden für jene. Der Parlamentspräsident und ich als Vorsitzende des Kulturausschusses haben von einem Herrn Klaus P., PDS-Mitglied, einen Brief bekommen, der uns maßregelnd seine Sicht auf die Staatssicherheitsfunktion beibringen wollte, selbst ein hauptamtliches Mitglied der Staatssicherheit. Wenn sich solche Leute heutzutage so dreist an uns wenden, sind wir alle gefordert, dagegen anzugehen und die Aufklärungsarbeit der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen zu unterstützen.
Ich stimme Ihnen zu. Zunächst muss man pragmatisch sagen: Ich habe gehört, dass er noch nie dort war.
(D
Das ist das Eine, und das spricht auch nicht für ihn, weil er damit die Arbeit zu gering schätzt, die diese Stiftung macht. Zweitens: Man darf aus der Arbeit dieses Senators kein Prinzip machen und sagen: Wir geben damit die Verantwortung ab. – Ich bin gegen eine Lex Flierl, und deswegen kann ich Ihrem Schnellschuss in diese Richtung nicht folgen.
sichtig nichts anderes als Wahlkampfgeschrei sind! – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass Konzepte naturgemäß von Regierungs- und Oppositionsfraktionen unterschiedlich bewertet werden, ist nichts Ungewöhnliches. Eine Aktuelle Stunde jedoch mit der Feststellung zu beantragen, das erarbeitete Gedenkstättenkonzept ginge an Opfern, Parlamentariern und der Öffentlichkeit vorbei, ist blanker Unsinn.
Wir haben bereits hierzu eine Anhörung im Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten durchgeführt. Das Konzept ist Gegenstand der heutigen Diskussion und wird einen weiteren breiten gesellschaftlichen Diskurs durchlaufen. Das ist auch gar nicht anders zu erwarten. Offenbar war bei der Formulierung des Themas für die Aktuelle Stunde der Wunsch Vater des Gedankens. Wenn dem so wäre, erhöbe sich die Frage, was der CDU oder Herrn Lehmann-Brauns wichtiger wäre: ein ideologischer Schlagabtausch oder – im Gedenken an die deutsche Teilung – die Erarbeitung einer würdigen Grundlage.
Wenn wir heute feststellen und beklagen, dass nicht mehr bauliche Zeugnisse der Teilung Berlins vorzufinden sind, ist es weder der Koalition noch dem Kultursenator anzurechnen. Es war der Geist der Nachwendezeit, der die Mauer, das Symbol eines totalitären Regimes, so schnell verschwinden sehen wollte, wie sie entstanden war. Ich erinnere mich, dass wir in der 12. Legislaturperiode, im ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlament, die Problematik des Erhalts von Mauerresten seitens der SPD bewegt haben. Bei unserem damaligen Koalitionspartner CDU war die Reaktion eindeutig. Sie lautete, etwas verkürzt:
Die Mauer hat es nicht verdient, als Denkmal in die Geschichte einzugehen.
So viel hierzu, Herr Lehmann-Brauns, wenn wir Geschichte bewegen.
Nun zurück zum vorliegenden Konzept. – Wenn in ihm davon die Rede ist, dass Mauerspechte und der systematische Mauerabbruch das symbolische Material für den Gründungsmythos der neuen deutschen Einheit abgeben, so finde ich das falsch, obwohl ich vieles richtig finde, was darin steht. Es war der Freiheitswille des deutschen Volkes, der den Gründungsmythos der deutschen Einheit lieferte. Der Abriss der Mauer war die Folge und nicht anders herum.
Der Hinweis, dass insbesondere Touristen Zeugnisse der Teilung in der Nähe des Brandenburger Tores suchen, sollte in die weiteren Überlegungen Eingang finden. Aus meiner Sicht wäre zu prüfen, wie an diesem Ort jene Menschen, die auf der Suche nach Zeitzeugnissen der Teilung sind, abgeholt werden können und ihnen räumliche Orientierung vermittelt werden kann.
Wie mit jenen Relikten der Mauer umzugehen ist, die sich dem Betrachter fast heiter präsentieren, ist im vorliegenden Konzept angerissen. Ich meine East-Side-Gallery, den Rest der bemalten Mauer in der Niederkirchnerstraße, auch den Tränenpalast. All diese Orte transportieren derzeit nicht die Tragik, die die Mauer auf die Bewohner Berlins ausstrahlte. Mit einem umfassenden System von Hinweistafeln könnte dieses Defizit behoben werden. Die Gedenkstätte Bernauer Straße selbst, die zum zentralen Ort des Gedenkens ausgestaltet werden sollte, weist auch Defizite auf. Ich kann jetzt in der Kürze der Zeit nicht weiter darauf eingehen, vieles ist auch bereits gesagt worden.
Die meisten Menschen nähern sich einem historischen Zeugnis emotional und weniger intellektuell. Die meisten Menschen wollen angerührt sein. Den Beweis hierfür liefert die sehr fragwürdige Installation vor dem Museum „Haus am Checkpoint Charlie“. Sie ist ein geschichtliches Derivat, erfährt dennoch eine große Resonanz. Aus diesem Grund sollten wir überlegen, ob wir uns nicht überwinden könnten, das museologische und denkmalschützerische Reinheitsgebot, welches das Rekonstruieren von Verschwundenem verbietet, zu durchbrechen. Die Bernauer Straße böte die Möglichkeit, die Mauer in ihrem realen Schrecken nacherlebbarer zu machen.
Abschließend möchte ich an dieser Stelle all jenen privaten Initiativen Dank sagen, die durch ihr Engagement verhindert haben, dass wir heute noch weniger Zeugnisse der Teilung vorfinden.
Stellvertretend für alle nenne ich Herrn Jürgen Litfin, den Bruder des ersten Maueropfers, der durch ein beispiello
Dr. Stölzl
ses Engagement den Wachturm in der Kieler Straße originalgetreu saniert und zu einer Gedenkstätte ausgebaut hat.
Zum Schluss: Ich bin davon überzeugt, dass das Gedenkkonzept ein guter Anfang ist, dem Gedenken an die Teilung Berlins und Deutschlands einen angemessenen und würdigen Raum zu eröffnen. Ein Anfang ist gemacht. Dem Geist der Opfer verpflichtet, sollten wir gemeinsam an diesem Gedenkstättenkonzept weiter arbeiten, so, wie wir heute den Tag begonnen haben, da war dieser Geist zu spüren. Ich hoffe, dass er uns auch weiter so durch die Debatte führt. – Danke schön!
Herr Lehmann-Brauns! Ich stelle zunächst fest, dass Sie dieses Wort okkupiert haben unter dem Vorwand, auf meine Rede einzugehen. Das haben Sie aber nicht getan.
Zu Ihrem finsteren Verdacht, dass allein Herr Senator Flierl, der für Sie irgendwie ein Oberbösewicht zu sein scheint, die Diskussion beherrscht, sage ich Ihnen: Diese Diskussion führt die gesamte Stadt! Diese Diskussion führen alle Fraktionen, führt die Öffentlichkeit. Ihre Sorgen sind unberechtigt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Ich freue mich, dass Sie heute hier sind.
Dem Parlament liegt der Elfte Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vor. Er steht heute zur Besprechung an. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder die andere Abgeordnete meint, dass dieses Thema nach 15 Jahren nun langsam weniger Raum in der öffentlichen Diskussion einnehmen sollte. Eine solche Sichtweise wird sicherlich partiell existieren, vor allem in Anbetracht dessen, dass wir in der heutigen Zeit viele Probleme zu bewältigen haben. Wer sich jedoch in diesen Bericht vertieft, wird erstaunt sein, dass viele Menschen noch 15 Jahre nach der Wende traumatisch von Verfolgung und Haft gezeichnet sind. Diese Reflexion wird sicherlich nicht zu unserer täglichen politischen Arbeit zählen. Darum ist es umso wichtiger, dass uns der Landesbeauftragte wenigstens einmal im Jahr mit diesem Bericht diese Thematik wieder in Erinnerung ruft. Wir sollten ihm dafür danken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Hahn! Diese geschichtliche Reflexion hat mich angerührt, und ich finde, dass es ein wichtiges Thema ist. Dennoch erlaube ich mir, mich an dieser Stelle wundern zu dürfen, dass Sie von all den Anträgen, die heute von Ihrer Fraktion auf die Tagesordnung gekommen sind, diesen mit der ersten Priorität versehen haben. Ich glaube, die aktuelle Problemlast dieser Stadt hat eine andere Front.
Zu dem Antrag möchte ich nichts mehr sagen, Sie haben das sehr gut begründet, sowohl schriftlich als jetzt auch noch einmal hier. Ich teile Ihre historische Bewertung in Bezug darauf, welche Bedeutung diesem Haus aus den Jahren 1946 bis 1957 erwuchs. Es war in dieser Zeit Sitz des SED-Politbüros, und zwar jener Entscheidungsspitze der SED, die unter anderem alle bürgerlichen Parteien gleichgeschaltet hatte. Da allein die SED entschied, wie Regierungshandeln stattzufinden habe, war dieser Ort für 10 Jahre gleichsam die Schaltzentrale aller Macht und allen regierenden Handelns. – Darauf haben Sie verwiesen. – Wie wir wissen, waren es die wüstesten Jahre der Nachkriegszeit im Osten Deutschlands, gekennzeichnet von gnadenloser Verfolgung aller Andersdenkenden, eine Verfolgung, die selbst vor physischer Vernichtung nicht Halt machte. Sie haben das noch einmal in Erinnerung gerufen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erinnern uns: Mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ haben die Demonstranten im Herbst 1989 in Leipzig und in vielen anderen ostdeutschen Städten dargestellt: Ihr, die ihr vorgebt, das Volk zu vertreten, ihr gehört nicht zu uns, ihr vertretet uns nicht, ihr nehmt uns die Zukunft, wir wollen euch nicht mehr. Aus dem „Wir sind das Volk“ wurde später „Wir sind ein Volk“. Mit diesem Ruf erreichte die friedliche Revolution ihre politische Hochzeit. Dies hieß im Grunde nichts anderes als: Wir wollen nicht länger das Staatsvolk der DDR sein, wir wollen auch keine reformierte DDR, wir wollen Teil eines gemeinsamen Deutschlands werden.
Als am 4. November 1989 fast eine Millionen Menschen in Ostberlin demonstrierten und der Protestzug sich nicht der Mauer näherte, war das – so will es mir heute scheinen – ein sehr souveränes Verhalten. An diesem Tag haben die Menschen in der DDR zunächst deutlich machen wollen: Eure Ära – SED, Politbüro, Stasi – erklären wir für beendet. Alle, die an diesem Tag dabei waren, wurden von dem Gefühl getragen, heute beginnt eine neue Zeit, es gibt kein Zurück, wir lassen uns nicht mehr aufhalten.
Mit dieser Entschlossenheit nahmen Tausende Berliner den Versprecher eines Politbüromitgliedes zum Anlass, um den zweiten Schritt zu gehen und die Grenze zu überschreiten, die Deutsche von Deutschen trennte. Die Menschen ließen sich nicht mehr vertrösten und beschwichtigen, sie wollten auch nicht warten, bis alles von staatlicher Seite geregelt sei. Sie wollten einem unsäglichen Zustand ein Ende bereiten und zwar gleich und sofort. Wie es weiterging wissen wir alle. Auf der Bösebrücke in der Bornholmer Straße hielten die Grenzanlagen dem Druck der Menschen nicht mehr stand, es folgte die glücklichste
Braun
Nacht, die wir Deutschen in der Nachkriegsgeschichte erlebt haben.
Und heute, 15 Jahre später? – Der Alltag hat weithin die Erlebnisse des 9. November 1989 überlagert. Die Probleme im Prozess des Zusammenwachsens beider deutscher Teile waren größer, als wir alle dachten. Wir haben Fehler gemacht. Dennoch: In Berlin – glaube ich sagen zu dürfen – sind wir auf einem guten und kontinuierlichen Weg. Und wir sollten nicht vergessen: Nicht alle Schwierigkeiten, die uns heute das Gestalten erschweren, rühren aus der Vereinigung. Die wirtschaftlichen und globalen Rahmenbedingungen, unter denen wir heute handeln, setzen auch anderen Ländern und Kommunen arg zu und sie unter Druck. Gerade weil vieles Gewohnte nicht mehr zu halten sein wird, müssen wir uns der Dinge erinnern, auf die wir stolz sein können. In schwierigen Situationen kann ein Rückblick auf schöne und herausragende Ereignisse Mut machen, kann den schwierigen Alltag relativieren. Dies gilt für persönliche und gesellschaftliche Zustände gleichermaßen. Was wäre heute leichter, besser, problemloser ohne die deutsche Einheit? – Das Gewonnene überwiegt, auch wenn wir es uns in West und Ost nicht immer deutlich machen.
Heute, 15 Jahre später, haben wir aber auch die Verantwortung, jene nicht zu vergessen, die ihr Leben verloren haben, weil sie sich mit der deutschen Teilung nicht abfinden konnten.
Es sollte eines unserer vornehmsten Anliegen sein, ihrer zu gedenken. Sie haben in unserem Volk das Bewusstsein der Unmenschlichkeit einer geteilten Nation wachgehalten. Gedenkorte, an denen an ihr Schicksal erinnert wird, gibt es in Berlin viele. Der Vorwurf, die Stadt oder die rot-rote Koalition vernachlässige die Erinnerung, trifft ins Leere. Wer nach Berlin kommt und Spuren der Teilung sehen möchte, findet sie an vielen Stellen. Ein Spaziergang an der roten Linie, die den Verlauf der Mauer nachzeichnet, lässt jeden geschichtsinteressierten Besucher Orte der Teilung finden – sei es die Mauer in der Niederkirchner Straße, der erhaltene Wachturm der NVA in Moabit, die Brücke in der Bornholmer Straße oder das Mauermuseum in der Bernauer Straße. So mancher Ort des Gedenkens würde vielleicht eine bessere Behandlung verdienen in punkto Pflege und Schutz vor Vandalismus. Denkmäler, wie das am Checkpoint Charlie errichtete, die keinen authentischen Bezug haben, können kein Ersatz sein.
Solche Denkmäler wirken synthetisch, künstlich, sie können allenfalls Zeitgeist befriedigen oder Reize erzeugen, aber keine persönliche Erschütterung auslösen.
Ja, Touristen haben andere Ansprüche, aber die sind nicht immer historisch korrekt. Das hat mehr Eventcharakter. Wir haben in Berlin so viele Zeugnisse, dass wir das nicht nötig haben.
Ich bin froh, dass die Jugend immer weniger in OstWest-Kategorien denkt. Gleichzeitig möchte diese Generation wissen, auf welcher Vergangenheit sie aufbaut. Ich würde mich freuen, wenn es zum Programm jeder Schulklasse gehörte, das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen zu besuchen oder einen Wandertag entlang der ehemaligen Mauer durchzuführen. Hier könnte man ihnen z. B. in der Brehmestraße in Pankow vor Augen führen, wie es war, in einer geteilten Stadt zu leben. An diesem Ort könnte man die Schüler auffordern: Stell dir vor, du wohnst auf dieser Straßenseite, und auf der anderen Seite wohnt dein Klassenkamerad, –
– und du kannst ihn nicht besuchen, weil du keinen Passierschein besitzt. Und beide Seiten dieser Straße liegen in Ostberlin.
Ich komme zum Schluss. – Glaubhaft bleiben wir unserer jungen Generation gegenüber nur, wenn wir ihr vermitteln, dass wir über die deutsche Einheit dankbar sind – trotz aller Klagen über die Schwierigkeiten des Heute. Unglaubhaft wären wir geworden, wenn wir den Tag der deutschen Einheit zu einem beliebigen Gedenktag degradiert hätten. Ich bin froh, dass dies vom Tisch ist und dieser Tag über Generationen die Neugier und hoffentlich auch Freude über unsere jüngere Geschichte weckt. – Ich danke Ihnen!
Heute, am 17. Juni 2004, dem 51. Jahrestag des
Volksaufstands in der DDR, legt die FDP-Fraktion einen Antrag vor, der sich den SED-Opfern aus der Zeit der DDR-Diktatur zuwendet. Die zeitliche Planung der Antragseinbringung mag auf Stilsicherheit verweisen. Ob Sie, Herr Kollege Hahn, mit Ihrem Antrag, „SED-Opfer angemessen entschädigen“, über das bisher hinaus Geleistete eine weitere Perspektive eröffnen, vermag ich jedoch nicht zu erkennen.
Wer die Arbeit des Deutschen Bundestages verfolgt
hat, wird wahrgenommen haben, dass die FDP-Fraktion einen Antrag mit der gleichen Forderung im Januar dieses Jahres in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Kern der von der FDP angeregten Gesetzesinitiative – dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht – war es, denjenigen, die Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen DDR waren, eine monatliche Rente von 500 € zuzuerkennen. Diese Gesetzesinitiative fand keine Mehrheit. Die Argumente, die zu dieser Entscheidung führten, sind im Protokoll nachzulesen. – Darauf komme ich noch zurück.
Ehe ich auf Ihren Antrag eingehe, möchte ich Grund
sätzliches feststellen: All jenen Menschen, die sich in der DDR-Diktatur die Stimme nicht haben nehmen lassen, die sich mutig gegen Unrecht und Unterdrückung gewehrt haben, gilt unsere Hochachtung, in besonderer Weise aber jenen, die ihr Eintreten gegen die Diktatur mit Gefängnis und gesundheitlichen Schäden bezahlt haben. Der Lohn ihres Muts und aufrechten Gangs kommt uns heute allen zugute. Daraus erwächst – neben der Dankbarkeit – auch eine Verpflichtung, nämlich jene, ihnen heute nach bestem Wissen und Gewissen Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Bei allen Bemühungen, dies zu leisten, muss man aber der Ehrlichkeit halber auch feststellen, dass es unmöglich ist, allen Folgen der Diktatur mit einer umfassenden Wiedergutmachung zu begegnen.
Ihr Antrag, Herr Hahn, versucht den Tatbestand zu
vermitteln, dass für SED-Opfer in der Vergangenheit ge
Vizepräsidentin Michels
setzgeberisch und praktisch nichts oder wenig getan wurde. Dass das nicht so ist, wissen Sie, und es zu unterstellen, ist unlauter. Tatsache ist, dass drei Rehabilitierungsgesetze – das strafrechtliche, das verwaltungsrechtliche und das berufliche Rehabilitierungsgesetz – Opfern politischer Verfolgung einen Weg eröffnet, sich vom Makel persönlicher Diskriminierung zu befreien. Die strafrechtliche Rehabilitierung ermöglicht die Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen und begründet Ansprüche auf Kapitalentschädigung für Haftzeiten und Versorgungsleistungen bei haftbedingten Gesundheitsschäden. Das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz regelt die Aufhebung elementar rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen der DDR. Das berufliche Rehabilitierungsgesetz regelt verfolgungsbedingte Eingriffe in Beruf und Ausbildung und deren Auswirkungen bei Nachteilen in der Rentenversicherung. Diese Gesetze entstanden im Zeitraum von 1992 bis 1997. Am 1. Januar 2000 trat das „Zweite Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ in Kraft. Dieses Gesetz sieht weitere Verbesserungen bei der Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häftlinge vor. – Um auf Details einzugehen, ist leider die Zeit zu kurz. – Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Antragsfristen in den drei Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007 verlängert wurden und der Stiftungsfonds der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufgestockt wurde. Es wurde also seit der Wende kontinuierlich an der Verbesserung der Rehabilitierung für in der DDR-Diktatur Verfolgte gearbeitet.
Ihr Ansatz, eine Pauschalentschädigung im Sinne ei
ner Opferpension zu gewähren, ist rechtlich nicht möglich, weil die bundesdeutsche Entschädigungsgesetzgebung für die Verfolgung von Menschen unter der Nazigewaltherrschaft keine rentenrechtlichen Anwartschaften, sondern Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz vorsieht. Eine zusätzliche Pauschalentschädigung würde zu einer Bevorzugung der Opfergruppe aus der jüngeren Geschichte führen. Ihr Antrag würde aber genau diese Ungleichbehandlung herbeiführen, und das hätte rechtlich keinen Bestand.
Sehr geehrter Kollege Hahn! Die Verhältnisse von
DDR-Opfern nachträglich zu verbessern, ist ein Prozess, an dem weitergearbeitet werden muss – so wie in der Vergangenheit geschehen. Anträge, die wider besseren Wissens eingebracht werden, die allenfalls Hoffnungen wecken und enttäuschen müssen, sollten wir uns ersparen. Bei jedem tauglichen Mühen in dieser Sache haben Sie uns jedoch auf Ihrer Seite.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! 40 Jahre kommunistischer Diktatur der DDR stehen nunmehr 11 Jahre Arbeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gegenüber. 40 Jahre Leben in einer Diktatur ist ein halbes Menschenleben, ein ganzes Arbeitsleben aber in jedem Falle. Aus diesem Verhältnis ist ablesbar, wie wichtig die Arbeit der Landesbehörde noch immer ist und vor allem, wie lange sie noch wichtig sein wird.
Dass Berlin vor dem Hintergrund einer dramatischen Haushaltslage an einer Finanzierung dieser Landesbehörde stets festgehalten hat, darauf bin ich stolz.
Es zeigt, dass es anerkannte Werte in unserem Land gibt, die nicht zur Disposition stehen.
Das Begleiten von Opfern aus einer so lange noch nicht vergangenen Diktatur gehört dazu. Über diese grundsätzliche Sichtweise herrscht hier im Haus – davon gehe ich aus – höchstwahrscheinlich Konsens.
Bei der Rehabilitierungsbehörde des Landes Berlin sind im Jahr 2003 allein 1 092 Anträge eingegangen, von denen 556 positiv beschieden worden sind. Da viele Anspruchsberechtigte Schwierigkeiten haben, die verwirrenden und komplizierten Formulare auszufüllen und die Darstellung der Diskriminierung behördengerecht aufzubereiten, finden sie auch hierbei Hilfe und Beratung bei der Behörde des Berliner Landebeauftragten. Neben der individuellen Beratung von Einzelfällen ist seit vielen Jahren die Förderung von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen ein weiterer Schwerpunkt des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR – übrigens nicht der ehemaligen DDR, es gibt schließlich auch keinen ehemaligen Großvater. Wenn sie weg ist, ist sie weg, aber es bleibt die DDR.
Da auch im Zehnten Tätigkeitsbericht wieder sehr konkrete Schicksale dargestellt werden, empfehle ich auch deshalb einen Blick in den Bericht. Die Beispiele verringern die Distanz, die aus Nichtbetroffensein resultiert und schaffen jene Emotionalisierung, die notwendig ist, um an der weiteren Aufarbeitung von Unrecht festzuhalten. Allein das Beispiel einer jungen Frau, die Christin war und trotz bester schulischer Leistungen das Abitur nicht ablegen durfte, zeigt, wie wenig es bedurfte, um als Feind des Systems zu gelten. Dieses vergleichsweise harmlose Schicksal teilten in der Geschichte der DDR Zehntausende. Mit der Verweigerung weitergehender Bil
Konstatieren wir, was im letzten Jahr passiert ist: Die Verlängerung der Antragsfristen für das Erste und Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ist beschlossen worden, also eine deutliche Verbesserung für all diejenigen, die jetzt erst Anträge stellen wollen, und es gab eine leichte Verbesserung des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes, insbesondere vor dem Hintergrund, dass jetzt auch Rehabilitierungszahlungen in Höhe von bestenfalls 20 bis 30 €
für den einzelnen Verfolgten auf der Rentenbescheinigung mehr stehen. Wir können auch konstatieren, dass der Fortbestand der Behörde, zumindest in Berlin, bis zum Jahr 2007 gesichert ist. Das ist ein Erfolg des gesamten Hauses. Die Probleme jedoch bleiben, denn die Behörde wird die Probleme, die in unserer jüngeren deutschen Geschichte entstanden sind, nicht lösen. Sie kann sie höchstens mildern, insbesondere dann, wenn es um ihre soziale Funktion geht. Wenn wir von sozialer Funktion sprechen, geht es in erster Linie um Beratung: rentenrechtliche Beratung, berufsrechtliche Rehabilitierungsberatung, strafrechtliche Rehabilitierungsberatung – im Übrigen auch in Brandenburg.
Wie allerdings ist die konkrete Situation heute? – Das eine sind theoretische Sätze, der Blick jedoch auf die Realität sieht anders aus. In dem Bericht wird wieder auf jenen Bauarbeiter Bezug genommen, den wir bereits häufiger erwähnt haben und der sich exemplarisch hervorragend eignet, um vorzurechnen, wie die Situation der ehemals politisch Verfolgten in der DDR aussieht. Der Bauarbeiter X, der übrigens aus Hennigsdorf stammt und der am 17. Juni 1953 demonstriert hat, hat heute einen rentenrechtlichen Anspruch von 1 022 €. Dafür hat er auch fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Der Bauarbeiter, der gesagt hat: Ich gehe doch nicht zur Stalinallee, sondern bleibe lieber zu Hause, erhält heute 40 € mehr. Das heißt, demjenigen, der gesessen hat, wird das als Strafe angerechnet, er erhält weniger Rente, als wenn er zu Hause geblieben wäre. Hier beginnt der Skandal. Der hauptamtliche Mitarbeiter, der ihn damals verpfiffen hat, der später beim MfS gelandet ist, erhält eine um 110 € höhere Rente als derjenige, der fünf Jahre im Gefängnis gesessen hat.
dungsmöglichkeiten endeten die Benachteiligungen und Schikanen dieser Gruppe von Menschen oft nicht. Wenn wir heute von gebrochenen Lebensläufen sprechen, dann waren es – wie dieses Beispiel zeigt – sehr oft Christen, die darunter zu leiden hatten.
Abschließend sei der Hinweis aus dem Zehnten Tätigkeitsbericht erwähnt, der auf die Übernahme der Rosenholz-Datei durch die Behörde des Bundesbeauftragten hinweist. Da in diesem Datenbestand 6 000 Bürger der alten Bundesrepublik und 20 000 DDR-Bürger erfasst sind, die als IMs und Spione für die Hauptverwaltung Aufklärung tätig waren, bildet diese Datei eine völlig neue Grundlage für die Überprüfung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Landesbeauftragte eine letzte und abschließende Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst.
Das Erscheinungsbild der Verwaltung des Landes Berlin nimmt weniger Schaden, so argumentiert der Landesbeauftragte, wenn das Land diesen Schritt von sich aus geht, anstatt in Folge der Nutzung dieser Datei durch Dritte – Journalisten, Wissenschaftler oder Betroffene – mit Verstrickungen seiner Mitarbeiter in das Spitzelsystem der Staatssicherheit konfrontiert zu werden. Ich meine, diesen Hinweis des Berliner Landesbeauftragten sollten wir aufnehmen und in den Austausch darüber eintreten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Meister! Eine Partei, die erklärt, dass ihr die Existenz dreier eigenständiger Opern in Berlin ungeheuer wichtig ist, aber gleichzeitig diese Stunde nutzt, um das Projekt Reform, mit dem wir in eine Zielgerade einbiegen wollen, zu atomisieren, alles in Frage zu stellen, mit gänzlich neuen Vorstellungen zu kommen, und dies nicht etwa kontinuierlich, sondern heute, der kann ich das nicht abnehmen, dass ihr diese Reform wichtig ist; noch schlimmer, ich nehme Ihnen gar nicht mal mehr ab, dass Sie ernsthaft Partner sind bei der Suche nach einer Lösung, die drei Häuser in Berlin dauerhaft sichert.
Nun noch zu Ihrer Feststellung, die Berliner Kulturlandschaft sei ein „Sammelsurium“, Frau Meister. Ja, die Berliner Kulturlandschaft ist ein Sammelsurium, gewachsen in jüngster Zeit, in Jahrzehnten, in Jahrhunderten; lebendig und virulent, reich und anziehend – ein Organismus, der Neues aufnimmt und Neues entstehen lässt, der über die Stadt hinaus strahlt und das Wahrnehmungsprofil Berlins weit über die Grenzen Deutschlands prägt. Diesem lebendigen und schöpferischen Prozess können Sie keine Systematik überstülpen. Ich sage: Gott sei Dank! Die Formulierung „Sammelsurium“ statt „Systematik“ halte ich für diese Aktuelle Stunde daher auch für etwas unglücklich. Ich nehme an, Frau Meister, Sie wollten dem Senat vorwerfen, er ließe in seiner Arbeit keine Systematik erkennen. Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Der Senat hat in den vergangenen beiden Jahren mit seinem Handeln konzeptionell auf die schwierigen Haushaltsbedingungen reagiert. Der Kulturhaushalt hat sich angemessen an der Haushaltskonsolidierung beteiligt. Dieser schwierige Prozess wurde vom Senat so gesteuert, dass es vielen Betroffenen möglich wurde, sich hierbei konzeptionell einzubringen. Sicher, an keinem Bereich, an keiner Einrichtung ging der Spardruck unbemerkt vorüber. Wir dürfen jedoch feststellen: Die Kulturlandschaft Berlins ist das Markensymbol der Stadt geblieben. Trotz einer weniger komfortablen finanziellen Ausstattung haben nicht alle, aber fast alle Einrichtungen, Häu
Aber wir brauchen besseres Nachdenken. Bleiben wir bei der Oper; sie ist der Mittelpunkt heute. Die Oper ist nicht etwas, was wir durch Profilierung und REFA-Pläne reformieren können, es ist ein einzigartiger ehrwürdiger Ort, wo das Unglaubliche passieren kann, und dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Opern sind Monarchien und Selbsterfahrungsgruppen in einem, und wenn man das zerstört, wenn man das falsch anfasst, dann passiert dort nichts mehr. Ich bitte die Regierungskoalition herzlich, die Philosophie, was da passiert, wenn man die Schachteln anders ineinander steckt, noch einmal sehr genau mit den Künstlern zu prüfen. Dazu gehört auch, dass die Oper nicht unabhängig gesehen werden kann von diesem Berlin, Hauptstadt der Musik in der Welt. Auch die Opern beruhen auf Orchestern plus Drama, und die Orchesterfrage muss gelöst werden. Es ist eine Riesenchance, es ist eine einzigartige Position Berlins in der Welt, diese Zusammenballung von Hochschulen, von Orchestern, von Musiktheatern. Davon haben wir zu wenig gehört.
ser, künstlerische Projekte etc. auch in der Zeit der Finanznot eine Perspektive erhalten. Ein solches Ergebnis ist das Produkt äußerst zäher Arbeit.
Ich komme sofort zum Ende. – Wir können nach zwei Jahren extrem angespannter Haushaltslage feststellen: Noch immer ist die Berliner Kulturlandschaft ein Sammelsurium im besten Sinne des Wortes, ein Reichtum, der sich in Berlin angesammelt und angesiedelt hat, der aus der Stadt gewachsen ist. Ich hoffe, es wird uns gelingen, diesen Reichtum an Kultur in Berlin durch die Zeit zu bringen. Dies wird weiterhin sehr, sehr viel Arbeit kosten. Hieran mitzuwirken fordere ich die Opposition auf. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Hämmerling! Beinahe hätte ich gesagt: Ach, hätten Sie doch geschwiegen! – Aber ich sage: Hätten Sie Ihren Antrag doch begrenzt auf einen einzigen Satz:
Der Bundesnachrichtendienst soll bei der Suche nach einer... entsprechenden Liegenschaft bestmöglich durch das Land Berlin unterstützt werden.
Dieser Satz hätte gereicht. Dieser Satz hätte auch Berlin vor dem Imageschaden bewahrt, den Sie mit Ihrem Antrag bewirken. Sie entfalten nicht nur in Ihrem Antrag ein weltfremdes Szenario, auch jetzt haben Sie noch einmal die Bühne genutzt, um auf eine Planung zu verweisen, die über Jahre hinweg höchstwahrscheinlich nicht zu realisieren wäre. Sie nehmen das in Kauf, sozusagen an dieser Planung festzuhalten, im Elfenbeinturm zu verweilen und die Tagesordnung nicht neu zu schreiben.
Pars pro toto – einer für alle. So müsste das Motto eigentlich heißen. Vor dem Hintergrund, so wie die Diskussion gelaufen ist, war es nur naheliegend und ein Gebot der Stunde, dass der Senat die Verantwortung für dieses Projekt an sich gezogen hat. Sie argumentieren weiter, Frau Hämmerling, in der Mitte Berlins dürfte kein Hochsicherheitsmonolith geschaffen werden. Diese Sorge dürfte gegenstandslos geworden sein. Der kalte Krieg ist lange vorbei, und die Sicherheitsinteressen des BND von heute sind andere als in den 50er Jahren. Inzwischen haben Sie auch zur Kenntnis nehmen können, dass für das Gelände des ehemaligen Stadions ein städtebaulicher Wettbewerb vorgesehen ist. Und ich hoffe,
Eine große Bundesbehörde will nach Berlin ziehen. Was kann Berlin Besseres passieren? – frage ich Sie. Dem Umzugswunsch ging eine Prüfung von 8 möglichen Standorten voraus. Nach Abwägung aller Erfordernisse entscheidet sich der BND wegen der notwendigen Nähe zum Kanzleramt für die Fläche in Mitte. Und nun passiert etwas, was wahrscheinlich nur in Berlin möglich ist. Aus dem Bezirksamt Mitte schallt es laut in die Bundesrepublik Deutschland: Nein, wir wollen den Bundesnachrichtendienst nicht, er stört unsere Kreise. – Diese unüberlegte Reaktion allein ist ein enormer Imageschaden für diese Stadt. Dieses Nein wird außerhalb Berlins sehr viel grundsätzlicher wahrgenommen, als es manchem Bezirksbürgermeister wahrscheinlich klar ist.
Ich glaube hier auch einmal sagen zu müssen – – Frau Hämmerling, Sie machen da Faxen.
Ach, Sie melden sich. Dann fragen Sie etwas!
Ich kenne die Planungen aus der Vergangenheit sehr wohl, Frau Hämmerling. Aber es hilft nichts, sich das Leben und die Situation schön zu reden. Ich behaupte, dass vor dem Hintergrund, dass in Berlin 180 000 Wohnungen leer stehen, Sie in kürzerer Zeit niemanden finden werden, der dort Wohnungen baut. Das ist Realität, Frau Hämmerling. Und dieser Realität müssen Sie sich stellen, auch wenn Sie Ihnen nicht gefällt.
Aber abschließend vielleicht noch mal zu der Diskussion, die in der Stadt geführt wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass es manchmal gut wäre, wenn Bezirkspolitiker das Wohl der gesamten Stadt im Blick hätten. Das wird häufig vergessen.
es mildert Ihre Sorgen ein wenig, dass es auch Vorgaben des Senats hierfür geben wird. Sie konnten heute im „Tagesspiegel“ lesen:
Neben einem transparenten Bauen und der Anlehnung an den vorfindlichen Stil der Umgebung soll auch
das wird Sie freuen, freut mich auch –
an der Renaturierung der Panke festgehalten werden.
Nun möchte ich alle Kritiker dieses Projekts fragen: Was dient der Stadt mehr: an einer Planung festzuhalten, die unter Umständen noch viele Jahre nicht umsetzbar ist, und damit in Kauf zu nehmen, dass diese Gegend tot und trist bleibt; oder aber diese Fläche dem städtischen Leben zurückzugeben? –
4 000 bis 5 000 Arbeitsplätze werden aus dem brachliegenden Areal ein belebtes und quirliges Stadtquartier werden lassen. 4 000 Menschen, die dort zur Arbeit fahren, die täglich dort ein- und ausgehen, werden diese Gegend beleben. Man muss in dieser späten Stunde die Redezeit von 5 Minuten nicht ausnutzen. Meine Bitte ist abschließend nur: Geben Sie Ihren Widerstand auf. Sie helfen Berlin in seiner Außenwahrnehmung. Und vielleicht können Sie sich auch ein bisschen von unserer Freude anstecken lassen, dass für dieses Stück der Stadt wieder eine gute Entwicklung programmiert ist. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ströver! Es ist richtig, wie Sie das in dem Antrag auch formuliert haben, dass Geschichtszeugnisse nationaler Vergangenheit auch einer nationalen Bewahrung und Pflege bedürfen. Gemeinsame deutsche Geschichte ist nicht regional eingrenzbar. Das Erinnern an diese muss für ein Volk zu einer verbindenden Klammer werden. Das gilt auch für historische Orte, die an die dunkelste Geschichte der deutschen Vergangenheit erinnern. Diesem Grundsatz wird wohl niemand widersprechen wollen. Die finanzielle Last, die aus der Bewahrung und Pflege von Gedenkstätten erwächst, ist regional sehr ungleich verteilt. Berlin besitzt als Zentrum zweier Diktaturen unvergleichlich mehr historische Orte jüngster Geschichte als viele andere deutsche Bundesländer. Der nationalen Verantwortung für Geschichte steht eine regional sehr unterschiedliche Belastung bei der Finanzierung entgegen. Daher besitzt Ihr Antrag, Frau Ströver, der die überregionalen Gedenkstätten einem überregionalen Finanzierungsmodell zuführen will, eine nachvollziehbare Logik. Ich hoffe nur, dass jene Länder, die Sie mit ins Boot nehmen wollen, dieser Logik gleichfalls folgen können. Ich glaube, dass für dieses Modell noch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, weil nicht nur Berlin in argen Finanznöten ist, sondern auch NordrheinWestfalen, wo die Belastung bislang gering ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hahn! Ich nahm bis vor kurzem an, dass wir in einer Sache einig seien. Ich darf feststellen, wir sind uns heute temporär, zur Stunde zumindest, in zwei Sachen einig: Wir teilen die Begeisterung für unseren Regierenden Bürgermeister.
Aber immerhin, er hat nach zwei Jahren einen Wunsch geäußert, zwar über die Presse, aber immerhin; wir haben es gelesen, und ich zitiere das, mit Erlaubnis der Präsidentin:
Ich bin dafür, dass er so früh wie möglich abgerissen wird,
es geht um den Palast der Republik –
schon aus städtebaulichen Gesichtspunkten. Zuständig ist der Bund, aber so, wie der Palast jetzt dasteht, ist er ein Schandfleck in der Mitte Berlins. Als Zwischenlösung sollte eine Grünfläche entstehen. Ich hoffe aber auch, dass der Bund eine Lösung für das zu errichtende neue Gebäude findet.
Das hoffen wir auch. Aber zunächst einmal freuen wir uns darüber, dass der Regierende Bürgermeister schon mal einen politischen Wunsch geäußert hat.
Er sitzt doch sonst so gramgebeugt über Problemen wie die Bedrohung aus dem All, die Bedrohung durch Ufos. Nun kommt ein politischer Wunsch, und das verdient doch, beim Wort genommen zu werden. Und genau das wollen wir tun. Und weil es nun die letzte Sitzung vor den Ferien ist, wollen wir ihn auch nicht warten lassen mit seinem Jubiläumswunsch, „Weg mit dem Schandfleck!“, sondern wir möchten, dass das Parlament ihn in seinem Wunsch kraftvoll unterstützt, und das mit einer Entschließung gleich hier, heute Abend, ohne lange Überweisung in den Ausschuss. Denn, wo wir einig sind, da können wir die Einigkeit auch demonstrieren.
Meine Damen und Herren von der Koalition! Sie sorgen sich um das Erscheinungsbild unserer Stadt. Recht so! Die Verwahrlosung droht ja überall. Und genau in der Mitte der Stadt, da haben wir diesen wahren Schandfleck zu beklagen. Und was sind die vielen Worte des Senators Strieder, seine Bemühungen, die Linden wieder in Ordnung zu kriegen, daraus eine touristische Attraktion zu machen, wenn Sie auf diesen Schandfleck, den der Palast der Republik nun einmal darstellt, zuführen? Nein, es kann hier weder Zwischennutzung noch anderes geben. Wir müssen diesen Schandfleck so schnell wie möglich beseitigen, damit die Straße Unter den Linden und das Berliner Zentrum insgesamt wieder an Attraktivität gewinnen.
Und wen immer es nach Zwischennutzungen gelüstet, der hat doch in Berlin jede Menge anderer Gebäude zur Verfügung. Denken Sie nur einmal an das MetropolTheater. Auch hier können kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Nein, das brauchen wir nicht. Es ist allemal besser, diesen Schandfleck abzudecken und provisorisch zu begrünen, als ihn da zu lassen. Ich erinnere hier mal, um wieder ernst zu werden, an das ehemalige Außenministerium der DDR. Da hat der Bund seinerzeit keine Zeit verloren. Er hat diesen zweiten Schandfleck in der Mitte Berlins abreißen lassen. Nun steht da heute eine Ecke der
Schinkelschen Bauakademie – ein Ecke, aber immerhin, und es ist allemal besser als das, was vorher da war.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie unseren Regierenden Bürgermeister, lassen Sie den Mann nicht hängen. Unterstützen Sie ihn mit uns, mit der Opposition. Gemeinsam wollen wir zum Bund gehen und sagen: Beseitigt diesen Schandfleck. Wir helfen und unterstützen den Regierenden Bürgermeister. In dieser Stunde der Einigkeit bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In fünf Tagen jährt sich der Aufstand vom 17. Juni 1953 zum 50. Mal. Ich bin dankbar, dass sich die Mehrheit dieses Hauses entschieden hat, diesem Ereignis die Aktuelle Stunde zu widmen. Bei allen Problemen, die vor uns liegen und die noch zu lösen sind, ist es eine Frage der politischen Kultur, ob wir diesem Jubiläum im Parlament Raum einräumen oder über dieses mit Tagesthemen hinweggehen.
aufgefordert, möglichst schnell für einen verstärkten Schutz von jüdischen Einrichtungen zu sorgen. Um schnell reagieren zu können, haben wir vor dem Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße tonnenschwere Steinquader aufgestellt, da es bei Bombenexplosionen darauf ankommt, Abstand zu gewinnen, um die Druckwellen abfangen zu können. Nur Distanz hilft gegen Druckwellen. Daher musste die Möglichkeit für Lkw, nah an die Fassade des Centrum Judaicum heranzufahren, ausgeschlossen werden. Die Quader wurden deshalb auf die Straße gesetzt, damit Lastwagen nicht an die Fassade herankommen. Die Quader mussten so schwer und so gewaltig sein, dass Lastwagen, die ein Attentat planen, sie nicht einfach überrollen können. Deswegen war es nicht möglich, kurzfristig andere Poller einzusetzen. Die Poller, die wir jetzt planen, bedürfen einer mehrere Meter tiefen Verankerung, um nicht von Lastwagen zur Seite geschoben werden zu können. Der zweite Grund, weshalb das Landeskriminalamt auch der Auffassung war, es sollten solche Quader sein, war, dass die Druckwelle nicht nur durch die Distanz zur Fassade aufgefangen werden sollte, sondern auch durch die Betonquader selbst.
Durch diese Poller entstand eine erhebliche ästhetische Beeinträchtigung und ein erheblicher Eingriff ins Stadtbild. Wir haben in Verbindung mit dem Kollegen Körting, dem Regierenden Bürgermeister und mit der Institution selbst entschieden, dass wir auf diesen passiven Schutz bei der Druckwelle verzichten können, dass die Quader also weggeschafft werden können und wir, wenn wir 3,80 m tiefe Verankerungen für die Poller vornehmen, einen ausreichenden Schutz erzielen können. Diese so tief greifenden Verankerungen bedürfen, wie Sie sich vorstellen können, intensiverer Arbeiten, so dass zunächst, als Provisorium, die Quader vorgesehen sind. Die Anschaffung dieser Quader bedeutet keine Geldverschwendung, Frau Hämmerling, denn sie werden vom Landeskriminalamt in künftigen Gefährdungsfällen immer wieder eingesetzt werden können.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anfang und Ende einer unmenschlichen Ära kennen erste und letzte Opfer. Zwei Namen, zwei Schicksale treten in besonderer Weise aus dem unzähligen Leid heraus, das die Berliner Mauer verursacht hat. Es wurde soeben von meinem Vorredner, Herrn Cramer, erwähnt: Günter Litfin war der Erste, der bei dem Versuch, den demokratischen Teil Berlins zu erreichen, sein Leben lassen musste. Er wurde am 24. August 1961 erschossen. Chris Gueffroy war das letzte Opfer. Der Tod Günter Litfins versetzte die Menschen in Ost und West, sofern sie überhaupt davon erfuhren, in Fassungslosigkeit und Resignation. Die DDR hatte ihr erstes Exempel statuiert und gezeigt, wie sie mit Menschen umzugehen gedachte, die in ihrer Heimat keine Heimat mehr sehen konnten. Dieses nie für möglich Gehaltene sollte bis 1989 noch unzählige Opfer fordern.
Chris Gueffroy war das letzte Opfer. Er wurde in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989 erschossen. Erschossen in einer Zeit, in der die Tage der DDR gezählt waren. Der Tod Chris Gueffroys fiel in die Zeit aufkeimender Hoffnungen, dass sich vor dem Hintergrund von Perestroika und Glasnost auch das DDRRegime nicht länger demokratischen Prozessen widersetzen könnte. Das war die besondere Tragik des Todes von Chris Gueffroy.
Das DDR-Regime hat nicht nur einen Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze eingeführt, es war auch entschlossen, bis zur letzten Minute daran festzuhalten. Wir Sozialdemokraten werden in den folgenden Ausschussberatungen nach einer guten Lösung suchen, wie Chris Gueffroy, dem letzten an der Mauer Erschossenen, würdig und dauerhaft gedacht werden kann. Dies sollte aus meiner Sicht an dem Ort geschehen, wo er starb. Auch alle anderen Opfer sollten uns das Erinnern wert sein, und immer an der Stätte ihres Todes. Die Opfer an der Berliner Mauer werden in die deutsche Geschichte als Tatsache und als Zahl eingehen. Wir Berliner sollten ihre Namen bewahren.