Protokoll der Sitzung vom 28.04.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 67. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Bevor wir mit dem Tagesgeschäft beginnen, möchte ich daran erinnern, dass sich in wenigen Tagen zum 60. Mal der 8. Mai 1945 jährt, der Tag der Befreiung unseres Landes vom Joch des Nationalsozialismus. An diesem historischen Tag wurde der Zweite Weltkrieg beendet: der mörderische Krieg, der von Berlin ausgegangen war, in Europa Millionen Menschenleben gefordert und ganze Städte und Landstriche in Schutt und Asche gelegt hatte, ein Krieg, der längst nach Berlin zurückgekehrt war und die Stadt in ein Trümmerfeld verwandelt hatte.

Unser Haus wird heute an dieses Datum durch die anschließende Beschlussfassung über den von allen fünf Fraktionen eingebrachten Antrag erinnern und wird daraus die für uns maßgeblichen politischen Aufgaben für die Zukunft formulieren.

Am 8. Mai 1945 ging die verhängnisvollste Epoche unserer Geschichte zu Ende: die Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, des Holocaust und des Überfalls auf die anderen Länder Europas. Eine Zeit, die mehr als 50 Millionen Menschen den Tod und vielen anderen unsägliches Leid gebracht hatte. Die Völker, die sich schließlich der Aggression entgegenstellten, hatten ungezählte Opfer zu beklagen, bevor sie dem nationalsozialistischen Terror ein Ende bereiten konnten.

Der 8. Mai 1945 war ein tiefer historischer Einschnitt, nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte. Er wurde damals von den meisten Deutschen als Tiefpunkt in der Geschichte unseres Volkes empfunden. Doch dieser Tag bedeutete für viele die Rettung in letzter Minute: für Tausende in den Konzentrationslagern und den Zwangsarbeiterlagern des Deutschen Reiches.

Der 8. Mai 1945: das Ende des von Deutschland begonnenen Eroberungs- und Vernichtungskriegs. An diesem Tag wurde erreicht, wofür die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes ihr Leben geopfert hatten: die Befreiung unseres Volkes vom Nationalsozialismus und die Chance, ein neues, ein demokratisches Deutschland aufzubauen.

Bei vielen Menschen in Deutschland dauerte es noch lange, bis sie verstanden, dass der 8. Mai 1945 wirklich ein Tag der Befreiung war. Sie mussten erst einmal erkennen und sich eingestehen, dass dieser Tag untrennbar verbunden ist mit jenem verhängnisvollen 30. Januar 1933, an dem die Nationalsozialisten mit dem Fackelzug durch das Brandenburger Tor ihre so genannte „Machtergreifung“ gefeiert hatten.

Die Monate unmittelbar nach dem Kriegsende waren für die meisten Deutschen von der Sorge um das Überleben geprägt – und das war schwer genug. Dass der 8. Mai 1945 auch ein Tag des Neubeginns war, wurde vielen erst deutlich, als mit Hilfe der Siegermächte der Wiederaufbau begann: im Osten des geteilten Landes langsam, im Westen schneller.

Doch das Land, von dem der Krieg ausgegangen war, Deutschland, war geteilt und blieb es Jahrzehnte hindurch: mit Kaltem Krieg, Mauer und Stacheldraht, OstWest-Konfrontation. Und viele in unserem Land vergaßen – oder verdrängten –, warum das so war: weil einst Millionen Deutsche zu Anhängern, Mitläufern und Mittätern des Nationalsozialismus geworden waren. Weil sich ein Volk mit großer kultureller Tradition von der Zivilisation abgewandt und mit Massenmord und Krieg Unheil und unermessliches Leid über ganz Europa gebracht hat. Dass trotz allem der 8. Mai 1945 dann ein Tag des Neuanfangs werden konnte, ist ein großes Geschenk der Geschichte. Das müssen wir heute Lebenden uns immer wieder bewusst machen.

Wir müssen erkennen, dass der 8. Mai 1945 einer der bedeutendsten Tage des 20. Jahrhunderts war. Erst das Ende des verhängnisvollen Unheils in unserem Land, erst der Tag der Befreiung hat den Weg frei gemacht für die Demokratie in unserem Land, auch wenn es Jahrzehnte dauern sollte, bis wir Deutschen in beiden Teilen unseres Landes gemeinsam in Freiheit und Demokratie leben konnten.

Mit der großen Chance, die wir Deutschen erhalten haben, ist ein großes Maß an Vertrauen verbunden. Wir heute Lebenden sind nicht schuld an der Vergangenheit, aber wir sind verantwortlich für die Gegenwart und für die Zukunft. Was damals geschah, darf sich nie wiederholen. Deshalb muss jeder in unserem Land, ganz besonders jeder junge Mensch, erfahren, woraus damals das Unheil entstand, wie es sich entwickeln konnte und welche verhängnisvollen Folgen es hatte.

Es muss gemeinsame Aufgabe von Elternhaus, Schule und Medien sein – von der Politik sowieso –, über die Vergangenheit zu informieren, einen breiten gesellschaftlichen Dialog in Gang zu setzen und zu erhalten und junge Menschen für diese historischen Zusammenhänge zu interessieren. Ihnen muss klar werden, dass die Gefahren von damals auch die Gefahren von heute sind, wenn auch in anderer Form. Auch heute wieder sind die politischen Betrüger, die Verführer, die Ideologen mit primitiven Patentrezepten in unserem Land unterwegs. Und sie werden immer frecher: Sie beanspruchen jene Rechte, die nur der – von ihnen bekämpfte – Rechtsstaat seinen Bürgern bietet. Sie beanspruchen und erstreiten vor Gericht u. a. das Demonstrationsrecht, um es zu missbrauchen.

Auch den Jahrestag des 8. Mai 1945 wollten die Neonazis dafür missbrauchen, am Brandenburger Tor und am Holocaust-Denkmal aufzumarschieren. Das wäre für alle

Demokraten in unserem Land eine Provokation, und das wollen wir nicht hinnehmen.

Inzwischen ist ihnen die Demonstration an diesem historischen Ort untersagt worden. Am Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni werden die Demokraten der Stadt und viele andere Deutsche am 7. und 8. Mai einen „Tag der Demokratie“ feiern. Parteien, Kirchen, Verbände und Organisationen – und selbstverständlich auch das Abgeordnetenhaus von Berlin – werden dort mit Informationszelten vertreten sein. Wir alle gemeinsam werden der Weltöffentlichkeit, die an diesem Tag wieder auf Berlin schauen wird, durch unsere Anwesenheit zeigen, dass in Berlin kein Platz ist für die Unbelehrbaren, für die Feinde der Freiheit und die Feinde der Demokratie.

Am Brandenburger Tor, wo 1933 die Nationalsozialisten marschierten und am 8. Mai 1945 alles in Trümmern lag, werden sich am 7. und 8. Mai 2005 die freiheitsbewussten und selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger aus Berlin und aus ganz Deutschland zum „Tag der Demokratie“ versammeln. Ich spreche im Namen des ganzen Abgeordnetenhauses, wie es in dem von allen Fraktionen eingebrachten vorliegenden Antrag steht, wenn ich alle Berlinerinnen und Berliner und alle Deutschen aufrufe, an diesem „Tag der Demokratie“ vor dem Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni teilzunehmen. Ich danke Ihnen.

[Allgemeiner Beifall]

Der

Entschließungsantrag

Des Tags der Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft am 8. Mai 1945 gedenken – Erklärung des Abgeordnetenhauses von Berlin zum 60. Jahrestag des 8. Mai 1945

Entschließungsantrag der SPD, der CDU, der PDS, der Grünen und der FDP Drs 15/3915

liegt Ihnen vor. Wer dieser Resolution zum 8. Mai und zur 60. Wiederkehr des Kriegsendes seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das war eine einstimmige Zustimmung des ganzen Hauses. Ich danke Ihnen sehr! – Diese Resolution kann im heutigen Landespressedienst nachgelesen und selbstverständlich im Internet abgerufen werden.

Ich habe heute die große Freude, dem Kollegen Gün

ther Krug zum Geburtstag zu gratulieren. Herzlichen Glückwunsch, lieber Kollege Krug!

[Allgemeiner Beifall]

Alles Gute und Gesundheit! Leider werden Sie nicht den ganzen Tag mit uns verbringen, sondern müssen nachher nach Europa eilen, wie ich das bei Ihnen gewöhnt bin. Ich wünsche Ihnen gleichwohl einen schönen Tag.

[Krug (SPD): Danke schön!]

Dann habe ich auf der Zuschauertribüne Gäste zu begrüßen. Ich darf herzlich eine Delegation des Ausschusses für Verteidigung und Sicherheit im Russischen Föderationsrat unter der Leitung des Vorsitzenden dieses Ausschusses, Herrn Oserow, begrüßen. Herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Es ist uns eine große Freude und eine Ehre, dass Sie aus Anlass des 8. Mai 1945 bei uns sind und uns auch im Abgeordnetenhaus besuchen.

Jetzt komme ich zum Geschäftlichen und damit zur Tagesarbeit.

Die Große Anfrage der Fraktion der CDU über „Rotroter Senat verursacht Telebus-Chaos“, Drucksache 15/3723, wurde inzwischen zur Behandlung an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz überwiesen und ist damit für das Plenum erledigt. Die nachträgliche Zustimmung hierzu stelle ich fest.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen.

1. Antrag der Fraktion der PDS und der SPD zum Thema: „Sportmetropole Berlin – erfolgreich in Spitzen- und Breitensport“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Berliner Gedenkstättenkonzept ‚Deutsche Teilung’ richtig machen – Vorschläge von Kultursenator Flierl gehen an Opfern, Parlament und Öffentlichkeit vorbei“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „60 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus – die Erinnerung wach halten, das Gedenken in Berlin gestalten!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Arbeitsplätze und Investitionen für Berlin statt Wowereits Kulturkampf in den Schulen und Münteferings Klassenkampf gegen Unternehmer!“.

Die Fraktionen PDS und SPD sowie die Grünen und die FDP haben inzwischen ihre Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde zurückgezogen. Ohne mündliche Begründung der Aktualität haben sich die Geschäftsführer der Fraktionen darauf verständigt, unter dem Tagesordnungspunkt 3 als heutige Aktuelle Stunde das Thema der Fraktion der CDU aufzurufen.

Bevor ich mit den Geschäftsordnungssachen fortfahre, möchte ich natürlich auch, weil Girls’ Day ist, alle jüngeren und älteren Girls in unserem Hause begrüßen, vor allen Dingen die Besucherinnen. Herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Es ist schön, dass Sie heute bei uns sind und Politik, Verwaltung, Abgeordnetenhaus und Parteien und Fraktionen schnuppern.

Präsident Momper

Jetzt geht es weiter mit dem Hinweis auf die vorlie

gende Konsensliste und auf das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten. Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunkts kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird jeweils an der entsprechenden Stelle der Tagesordnung entschieden.

Mit Schreiben vom Dienstag teilt der Regierende Bürgermeister mit, dass er ab ca. 18.15 Uhr an einer Besprechung mit dem Bundeskanzler im Bundeskanzleramt teilnehmen wird. Anschließend findet in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz die Vorbesprechung der Ministerpräsidenten zur Bundesratssitzung am morgigen Tag statt. Insoweit ist der Regierende Bürgermeister entschuldigt.

Dann habe ich noch auf den heutigen parlamentarischen Tag im Abgeordnetenhaus des Kompetenznetzes Optische Technologien für Berlin und Brandenburg hinzuweisen. Wenn Sie zwischendurch Zeit und Gelegenheit haben – die Ausstellung ist heute und morgen geöffnet, die Firmen und Institute sind durch Personen, die erläutern können, vertreten; es ist interessant. Heute Abend nach Schluss der Plenarsitzung lädt OpTec BB zu einem Empfang ein. Ich hoffe auf große Teilnahme Ihrerseits. Es ist ein freundlicher Akt uns gegenüber, den sollten wir wahrnehmen, zumal Wissenserwerb nie schaden kann.

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Bevor ich die erste Frage aufrufe, habe ich zwei Vorschläge zur Verbindung von Fragen zu unterbreiten. Die Frage 2 des Kollegen Henkel und die Frage 5 des Abgeordneten Ritzmann befassen sich beide mit der Visaaffäre, die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Frau Dr. Hiller und der Abgeordneten Frau Martins mit der Verkehrssituation am Olympia-Stadion. Gibt es Widerspruch gegen diese Verbindung? – Ich höre keinen Widerspruch. Die Geschäftsführer der Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass bei Nachfragen das Fragerecht zuerst den Fragestellern zusteht, dann können jeweils zwei weitere Nachfragen aus dem Plenum gestellt werden, also insgesamt pro Frage vier Nachfragen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.