Vielen Dank, Herr Kollege Nolte! – Für die Fraktion der Grünen hat nun Frau Kollegin Pop das Wort. – Bitte schön!
Herr Steuer! Auch wenn Sie versucht haben, das notdürftig zu bemänteln, es ist doch das Altbekannte, was Sie uns vorschlagen. Die Lösung des Problems Kindesmisshandlung ist bei Ihnen einfach: Ein neues Gesetz muss her. Eine neue Kontrollinstanz muss her. Und schon ist das Problem gelöst.
Richtig ist, dass viel zu häufig Misshandlungen und Vernachlässigungen hinter der Wohnungstür durch alle Behördenraster fallen. Hier muss es die Möglichkeit geben, dass Kinderärzte den Jugendämtern auch melden, wenn Kinder nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen kommen, damit die Jugendämter dort aufsuchend tätig werden und die Familien besuchen. Das ist hier im Hause unstrittig. Wir haben zwei Anträge zum Thema Kinderschutz eingebracht, die umfangreich sind und mehr beinhalten als das, was Sie heute beantragen, aber eben auch diesen Punkt beinhalten. Wenn das landesrechtlich machbar ist, wie der WPD uns bestätigt, dann ist das umso besser. Wir brauchen diese Informationen. Die Jugendämter brauchen diese Informationen, um aufsuchend tätig zu werden, wenn Kinder nicht zu den Untersuchungen erscheinen.
Aber die bessere Kontrolle ist nur die eine Seite der Medaille. Das Wichtigste ist die Prävention. Es darf doch gar nicht erst so weit kommen, dass Kinder misshandelt oder vernachlässigt werden. Deswegen müssen wir viel früher ansetzen. Die bisherigen Hilfesysteme kommen erst zum Zug, wenn bereits etwas Schlimmes geschehen ist. Vernachlässigungen und Misshandlungen kommen jedoch nicht aus heiterem Himmel. Es gibt Warnzeichen, die rechtzeitig erkannt werden können. Das Wichtigste ist, die Familien zu stärken. Und wir brauchen das Früherkennungssystem, um so genannte Risikofamilien früh zu erkennen und ihnen auch früh zu helfen. Viele Großstädte haben das Problem schon erkannt und Präventions
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegen heute erneut zwei Anträge der CDU-Fraktion vor, die sich mit der Problematik des Kinderschutzes befassen. Herr Nolte hat terminlich aufgezählt, wann wir uns das letzte Mal mit Kinderschutzanträgen befasst haben. Meine Damen und Herren von der CDU! Es ist nicht zu übersehen, dass Sie den Kinder- und Jugendschutz zu Ihrem Wahlkampfthema
machen wollen oder bereits gemacht haben. Sie picken sich die Themen einzeln heraus. Ein Thema – Vorsorgeuntersuchungen – ist immer wieder dabei. Sie lösen es aus längst diskutierten Zusammenhängen heraus und verkünden das wahlkampfgerecht als Ihrer Weisheit letzten Schluss, immer wieder! Es dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, dass der Senat auf Antrag der Koali-tionsfraktionen seit vorigem Jahr an der Weiterentwicklung einer Kinderschutzkonzeption arbeitet. Seit vorigem Jahr gibt es eine Arbeitsgruppe auf Landesebene, die mit Vertretern verschiedener Senatsverwaltungen, der Bezirke und der Liga gut aufgestellt ist. Auch Experten werden hinzugezogen. Es dürfte Ihnen auch nicht entgangen sein, dass der Senat mit der Drucksache 15/5016 vor wenigen Tagen einen Zwischenbericht vorgelegt hat, der ein Bündel von Maßnahmen vorschlägt, um ein Netzwerk zu schaffen, das geeignet ist, den Kinderschutz in unserer Stadt zu stärken.
Es dürfte Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, auch nicht entgangen sein, dass sich der Senat vor Monaten einer Bundesratsinitiative der Hansestadt Hamburg angeschlossen hat, in der, anders als von Ihnen vorgeschlagen, nicht auf gesetzliche Pflichtuntersuchungen gedrängt wird, sondern die unter anderem die Frage eines Meldesystems beinhaltet, das Eltern zur Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen auffordert und nachhakt, wenn dies nicht funktioniert. Was Sie heute vorschlagen, ist längst in der Debatte, aber eben nicht als Einzelmaßnahme, sondern eingebettet in ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die ineinander greifen und damit das Kinderschutznetzwerk nicht nur bilden, sondern auch weiterhin stärken werden.
projekte auf den Weg gebracht, wie z. B. das hoch gelobte Düsseldorfer Modell. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es in Berlin leider noch kein System, um präventiv zu arbeiten, um Risikofamilien früh erkennen und ihnen früh helfen zu können. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es in Berlin auch Lücken in der Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden, die mit einem beschriebenen Blatt Papier, Herr Nolte, nicht einfach beseitigt werden können. Daran muss man lange und kontinuierlich arbeiten.
Berlin ist zwar traurige Spitze bei den Kindesmisshandlungen, aber leider langsam beim politischen Handeln. Das ist ein Armutszeugnis, Herr Böger! – Die Jugendämter sind in den letzten Monaten in die Kritik geraten. Sie handelten nicht früh genug. Das sei eine Mentalitätssache, sagt der Senat. Die Jugendämter arbeiteten lieber zusammen mit den Eltern und unternähmen gegen den Willen der Eltern so gut wie gar nichts. Der Senat macht es sich mit dieser pauschalen Schuldzuweisung an die Jugendämter zu einfach.
Schließlich wird bei der Jugendhilfe seit Jahren massiv gekürzt, und zwar in dreistelliger Millionenhöhe. Hilfen werden gekürzt oder auf später verschoben, um Geld zu sparen. So treffen in den Jugendämtern zwei Interessen fatal aufeinander – das der Mitarbeiter, die froh über jeden Antrag sind, der nicht gestellt wird, und das der Eltern, die heilfroh sind, dass keiner mitbekommt, wie groß ihr Elend eigentlich ist. Da ist es richtig, Herr Steuer, über die Personalsituation in Jugendämtern zu reden. Da muss man darüber reden, dass die Umstrukturierungen der letzten Jahre sehr viele Kräfte in den Jugendämtern gebunden haben, die in der Arbeit vor Ort und in den Familien fehlten. In den letzten Jahren sind auch Stellen abgebaut worden. Doch interessanterweise – das muss der Senat erklären – verzeichnet der Leitungsbereich einen ordentlichen Zuwachs von 12 %, während im Sozialdienst ein Rückgang von 20 % zu verzeichnen ist. Darüber werden wir reden müssen. Ich fürchte aber, dass wir angesichts der ellenlangen Liste der unerledigten Vorgänge im Jugendausschuss nicht mehr dazu kommen werden, dies alles zu beraten. Dennoch hoffe ich, dass der Kinderschutz nicht als Wahlkampfthema missbraucht wird. Ebenso hoffe ich, dass sich in Sachen Kinderschutz – trotz Wahlkampf – in den nächsten Monaten politisch noch einiges bewegen lässt. – Danke!
Danke schön, Frau Kollegin Pop! – Für die Linkspartei.PDS hat nunmehr Frau Dr. Barth das Wort. – Bitte schön!
Meine Damen und Herren von der CDU! Nun ist es für uns Parlamentarier an der Zeit, diesen Senatsbericht gründlich zu bewerten und uns mit fachlichen Vorschlägen politisch auseinander zu setzen. Selbstverständlich werden wir das Gutachten des WPD zur Frage, ob es zulässig ist, eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme an kinderärztlichen Untersuchungen einzuführen und den Ärzten eine Meldepflicht vorzuschreiben, in die Prüfung einbeziehen. Ich gehe allerdings davon aus, dass Sie das bereits zur Kenntnis genommen haben und wissen, dass in dem Gutachten schwer wiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen vorgetragen wurden.
Nun zur Meldepflicht: Im bereits erwähnten Senatsbericht wurde aufgezeigt, dass in Berlin eine verhältnismäßig hohe Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen im frühen Kindesalter zu verzeichnen ist. Im Bericht heißt es, dass die im ersten Lebensjahr stattfindenden Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 6 von über 95 % der Eltern wahrgenommen werden. Für die im zweiten Lebensjahr liegende Vorsorgeuntersuchung beträgt die Teilnahme noch circa 90 %. Warum wollen Sie nun, dass alle Eltern zu diesen Untersuchungen eingeladen – wie Sie es formulieren – werden, wenn doch die überwiegende Mehrheit von ihnen bereits Gebrauch macht? – Für uns ist es doch
Kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen als Pflichtuntersuchungen, wie von der CDU gefordert, wiegen uns nicht nur in falscher Sicherheit, sie lassen auch unberücksichtigt, dass Eltern, die ihre Kinder misshandeln, solche Kontrollen umgehen können und die Kinderärzte damit maßlos überfordert sind. Dies hat unlängst die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen von der CDU der Berliner CDU entgegengehalten.
eher notwendig, die Frage anders zu stellen: Wie erreichen wir die Eltern, die für ihre Kinder die Untersuchung besonders auch in höherem Alter nicht oder nicht mehr in Anspruch nehmen? – Sie sind für uns von wesentlich größerer Bedeutung.
Nein! – Auch die Frage, welche Rolle Vorsorgeuntersuchungen generell im System des Kinderschutzes spielen können, muss wohl erörtert werden. – Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir werden den Antrag im Zusammenhang mit dem Senatsbericht im Ausschuss gründlich beraten, und dann werden auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sehen, zu welchem Ergebnis wir kommen.
Nun noch kurz zu Ihrem zweiten Antrag, der in diesem Zusammenhang die Personalausstattung der Jugendämter anspricht: Ja, Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsmodernisierung, die längst überfälligen Strukturveränderungen im Jugendbereich, haben Spuren in den Berliner Jugendämtern hinterlassen. Sie sind auch nicht nur positiv zu bewerten. Entsprechende Schreiben der Verwaltung sind auch mir bekannt, und auch darüber ist ausführlicher und gründlicher zu beraten.
Wir treten dafür ein, dass alle bezirklichen Jugendämter eine vergleichbare Personalausstattung haben, die nicht nur die Zahl der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt, sondern auch soziale und mögliche andere Besonderheiten. Qualitative Aspekte müssen gerade im Hinblick auf die Einführung der Sozialraumorientierung stärker in den Vordergrund rücken. Nur ausreichend vorhandenes, qualifiziertes und motiviertes Personal ist in der Lage, in den Sozialräumen etwas zu bewirken, und das auch im Hinblick auf das Netzwerk Kinderschutz. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung der CDU, alle landesrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht an den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9 teilnehmen, zu diesen Untersuchungen zu bringen, klingt umfassend, ist aber einseitig, weil der Antrag nur auf ärztliche Untersuchungen bezogen ist.
Es geht nicht nur darum, dass alle Kinder an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, sondern es muss auch darum gehen, dass Kindesvernachlässigung und Gewalt an Kindern unterbleiben und wir unseren Kindern das zukommen lassen, was sie dringend brauchen, nämlich unsere Liebe. Kurz gesprochen: Kinder müssen uns wieder
Dies wird an der Geburtenrate deutlich, aber auch an den vielen Fällen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, von 4 000 ist in dieser Stadt die Rede.
Auch werden durch diese Untersuchungen all die Fälle nicht gelöst, in denen Eltern überfordert, Kinder nicht nur zu Opfern bewussten Handelns werden und die Rahmenbedingungen für Kinder schlecht sind. Es muss auch darum gehen, den Kindern die Liebe zukommen zu lassen, die sie befähigt, ihr Leben im Rahmen ihrer Begabungen erfolgreich zu meistern Hierzu gehört nicht nur die Unversehrtheit des Körpers und der Seele, sondern auch die Begabungsentfaltung.
Die im CDU-Antrag enthaltene Forderung zum besseren Ausbau der Rahmenbedingungen der Vorsorgeuntersuchungen lässt auch unberücksichtigt, dass es eine Lücke bei den U-Untersuchungen zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr gibt – Frau Barth hat dies andeutungsweise thematisiert. Dies ist auch Ursache dafür, dass zwar die ersten Vorsorgeuntersuchungen weit gehend in Anspruch genommen werden, später dann aber unterbleiben. Um diese zeitliche Lücke zu vermeiden, aber auch um Erkenntnisse aus der Hirnforschung, dass sich Denken im Alter von vier Jahren maßgeblich entwickelt und damit entscheidend für die weitere Sprachentwicklung ist, zu berücksichtigen, fordern die Liberalen nicht nur die frühe Einschulung mit fünf Jahren im Rahmen einer Startklasse, sondern auch eine Schuleingangsuntersuchung im Alter von vier Jahren, die dann verbindlich wäre. Auf diese Art und Weise könnte eine Verbindlichkeit hergestellt werden, ohne dass es einer Verfassungsänderung bedürfte. Zudem könnte im Unterschied zu den Vorsorgeuntersuchungen der Schwerpunkt auf die Abfrage des Sprach- und Sprechwissens gelegt werden. Damit könnten auch frühzeitig Mängel im Bildungsbereich aufgezeigt werden.
In den Fällen, in denen besondere Entwicklungsdefizite, insbesondere im Bereich des Sprach- und Sprechwissens festgestellt würden, könnten durch verpflichtende Förderung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Begabungsentfaltung gelegt werden. Dies wäre ein wesentlicher Beitrag für eine kinderfreundliche Gesellschaft, was eine Herzensangelegenheit der Liberalen ist.
Die weitere Aufforderung der CDU, die Jugendämter personell nicht ausbluten zu lassen, das heißt, den bereits bestehenden und sich in den nächsten Jahren weiter verstärkenden personellen Unterbesetzungen entgegenzuwirken, greift zu kurz. In Anbetracht der neuen Aufgabenstellung für die bezirklichen Jugendämter, künftig sozialraumorientiert zu arbeiten und sich gemäß dem neuen Leitsatz schwerpunktmäßig auf Aufgaben der Steuerung, Planung einschließlich des fachlichen Controllings zu konzentrieren und die Leistungserbringung eher den freien Trägern zu überlassen, bedarf es einer Überarbeitung der Stellenwirtschaft mit dem Ergebnis einer angemessenen Ausstattung. Die Orientierung an mindestens 750 Stellen erweist sich dabei als nicht sachgerecht, Herr Steuer.
Richtig ist allerdings, dass 18 % aller sozialpädagogischen Fachkräfte in den bezirklichen Jugendämtern zwischen 55 und 65 Jahre alt sind und in den nächsten 5 Jahren aus dem Dienst ausscheiden. Hierauf muss angemessen reagiert werden, indem insbesondere pädagogische Tätigkeiten, die nicht zwingend durch die Jugendämter erbracht werden müssen, auf fachkompetente Träger übertragen werden. – Ich danke Ihnen!
Der Ältestenrat empfiehlt zu beiden Anträgen die Überweisung an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport und zum Antrag Drucksache 15/5029 zusätzlich die Überweisung an den Hauptausschuss. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. – Dann ist dies so beschlossen.
Wir kommen nun zur Verkündung des Abstimmungsergebnisses für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 15/5063:
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, erhält Frau Kollegin Hopfmann nach § 72 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses die Gelegenheit zu einer persönlichen Erklärung zu ihrem Abstimmungsverhalten – mit einer Redezeit von maximal drei Minuten. – Bitte schön!