Eine nachhaltige Entwicklung strebt neben der gerechten Verteilung der Ressourcen für heutige und künftige Generationen weltweit hohe ökologische, ökonomische und sozial-kulturelle Standards in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit an. (nach Enko 2001: S. 75).
Erstens beschränkt sich eine nachhaltige Entwicklung nicht auf die Verstärkung der Umweltpolitik, sondern sie umfasst alle Politikbereiche einer sozialökologischen Demokratie (Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Bau- und Wohnungspolitik, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik). Sie alle werden unter dem Aspekt der Zukunftsfähigkeit gestaltet.
Zweitens wird deutlich, dass eine nachhaltige Entwicklung nicht eine freudlose Gesellschaft in einer wie auch immer gearteten Öko-Diktatur anstrebt, sondern eine Gesellschaft, in der die Freiheit und Lebensqualität für alle Menschen und Generationen gesichert wird.
Drittens: Eine Abwägung zwischen den ökologischen, ökonomischen und sozial-kulturellen Zielen, wie sie in der sog. Drei-Säulen-Theorie verfolgt wird, kann nur innerhalb ökologischer Leitplanken, einer Fahrrinne (UBA 2002: 3) bzw. der Naturschranken (Deutscher Bundestag 2002/07: 35) erfolgen.
In der vorliegenden Agenda wird dies als Zieldreieck der Nachhaltigkeit in den Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit bezeichnet. Die Schaffung und gerechte Verteilung von Gütern ist von jeder Generation neu zu entscheiden. Die Veränderung des Klimas, Zerstörung der Ozonschicht, Vergiftung der Böden, ausgestorbene Arten usw. würden aber diese Freiheit unzulässig einschränken, da sie nicht in akzeptablen Zeitspannen rückgängig gemacht werden können.
Das Bundesumweltministerium formulierte daher bereits 1998 in seinem Entwurf eines umweltpolitischen Schwerpunktprogramms:
Dabei kommt der ökologischen Dimension - und damit auch der Umweltpolitik - eine Schlüsselrolle zu, denn die natürlichen Lebensgrundlagen begrenzen die Umsetzungsmöglichkeiten anderer Ziele (Umwelt als limitierender Faktor). Die natürlichen Voraussetzungen des Lebens auf der Erde sind nicht verhandelbar." (BMU 1998/04: 10).
Diese Definition und ihre Konsequenzen beruhen auf zwei ethischen Grundentscheidungen, die die Grundlagen für die künftige Politik des Landes Berlin darstellen:
(1) Keine Generation darf ihre Bedürfnisse auf Kosten künftiger Generationen befriedigen. Jede Generation hat somit die Verpflichtung, künftigen Generationen eine intakte Natur und ein gleiches Maß an Ressourcen zu hinterlassen.
(2) Diese Verantwortung für Gleichheit der Lebenschancen aller Generationen gilt auch innerhalb einer Generation und weltweit.
(2) Eigene Schutzrechte für die Natur (Umweltschutz nicht nur für den Menschen, sondern auch um der Natur selbst willen oder aus dem Vorsorgeprinzip abgeleitet);
(4) Gewährleistung der Prinzipien einer sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie (inkl. Partizipation der Menschen an wichtigen Entscheidungsprozessen).
Die zunehmend globalisierte Welt ist von dem Widerspruch geprägt, dass die Probleme der Menschheit zunehmen und gleichzeitig die Steuerungspotentiale der Nationalstaaten abnehmen. Zu den größten Problemen zählen: Unterentwicklung, Armut und Hunger, instabiles Finanz- und Währungssystem, Übernutzung der natürlichen Ressourcen und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese Probleme können nur durch eine „Rückkehr der Politik“ gelöst werden. Die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger müssen mit Hilfe von politisch-rechtlichen Instrumenten die Rahmenbedingungen für Bürger und Unternehmen überall dort ändern, wo es ohne diese Rahmensetzung zu einem Marktversagen und zu Fehlentwicklungen kommt. Hierdurch soll eine aktive und freie Entwicklung aller Gesellschaftsmitglieder heutiger und künftiger Generationen ermöglicht und die Dominanz einzelner Gruppen verhindert werden.
Ebenso wichtig wie diese aktive Rolle der Politik ist das Engagement der Bürger in Organisationen und Initiativen. Ohne engagierte Selbsthilfe und Partizipation werden die staatlichen Institutionen überfordert. Deshalb will die vorliegende Agenda einen Beitrag für eine neue Partizipationskultur zwischen den Agendaakteuren aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft leisten. Besondere Beachtung verdient die Arbeit der Bezirke, NGOs, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es wird empfohlen, ihre Erfahrungen und Werte in die weitere Agendaarbeit einfließen zu lassen. Der Senat wird gebeten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Ziele der Berliner Agenda 21 in den bezirklichen lokalen Agenda 21-Prozessen berücksichtigt werden.
Auf nationaler Ebene beschreibt die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes als Ziel eine Balance zwischen den Bedürfnissen der heutigen Generation und den Lebensperspektiven künftiger Generationen. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2002 führt vier Koordinaten für die Bundespolitik an:
(3) Sozialer Zusammenhalt (wirtschaftlicher Strukturwandel, bürgerschaftliches Engagement, keine Spaltung der Gesellschaft)
(4) Internationale Verantwortung (Entwicklungszusammenarbeit, globaler Umweltschutz, fairer Handel).
Bereits 2001 hat die Europäische Union eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet, die gegenwärtig planmäßig fortgeschrieben wird. Schwerpunkte sind Klimaänderungen, Verkehr, Gesundheit und natürliche Ressourcen. Berlin sieht sich durch diese nationale und europäische Strategie in seiner Agenda 21 gestützt. Daneben baut Berlin auf der Arbeit der Bezirke auf, die zum Teil eigene Lokale Agenden 21 aufgestellt haben. Durch deren Umsetzung und durch die Unterstützung der gesamtstädtischen Agenda 21 tragen die bezirklichen Initiativen erheblich zur nachhaltigen Entwicklung Berlins bei. Zahlreiche Verknüpfungen zwischen gesamtstädtischem Prozess und Agendaprozessen in den Bezirken bestehen direkt über Personen, Verbände, Initiativen und Projekte.
In Berlin dominiert die prekäre Finanzlage die politischen Diskussionen. Das Abgeordnetenhaus weiß daher, dass zusätzliche öffentliche Mittel bis zur Konsolidierung des Landeshaushaltes nur dort eingesetzt werden können, wo sie im Sinne einer Investition langfristig zu einer Stärkung/Verbesserung des Landeshaushaltes führen (z.B. Bildungs- oder Wärmeschutzinvestitionen). Der globale Agendaprozess hat aber auch gezeigt, dass viele Strategieansätze zu einer nachhaltigen Entwicklung ohne zusätzliche Geldmittel umsetzbar sind und gesellschaftliche Kosten senken. Viele Lösungsansätze für die nachhaltige Zukunft Berlins beruhen auf dem freiwilligen Engagement der Bürger/innen, das die Politik weiter fördern muss. Hierzu sind die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen, z.B. Kooperation mit dem Quartiersmanagement, Räume in den Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen usw. Nur wenn wir die langfristige Perspektive Berlins im Auge haben, vermeiden wir Fehlentwicklungen (und immense Folgekosten!) und kommen zu sinnvollen Kriterien, wie und wo gespart werden muss. Dann kann die Bevölkerung diesen Prozess unterstützen.
Die Agenda verfolgt ein Ziel- und Indikatorensystem, das in (ökologische, ökonomische, sozial-kulturelle) Qualitäts- und Handlungsziele gegliedert ist. Hierbei werden diese Begriffe wie folgt definiert (nach Enko 2001: 86, vgl. auch die Arbeiten des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU) zum Berliner Nachhaltigkeitsindex B
Qualitätsziele sollen für spezielle Aufgabenfelder definieren, welcher Zustand langfristig als nachhaltig angesehen wird.
Die daraus abgeleiteten Handlungsziele sind quantifizierbare Zwischenziele, die Schritte zur Realisierung der Qualitätsziele bestimmen.
Die Indikatoren sollen als messbare Kenngrößen der Erfolgskontrolle dienen. Sie sollen die Fort- bzw. Rückschritte anhand von Soll-Ist-Vergleichen möglichst auf der Grundlage vorhandener Daten überprüfbar machen. In der vorliegenden Agenda werden die Handlungsziele als Indikatoren verwendet und, entsprechend dem Verfahren des Umweltbundesamtes (UBA) zur Errechnung des Deutschen Umweltindex (DUX), jeweils die Zielerreichungsgrade (Ist-Soll-Vergleich) errechnet. Hierdurch kann am Ende ein gemeinsamer Index für den Grad der Nachhaltigkeit angegeben werden, wie es das UfU mit seinem B-NAX vorgestellt hat.
Die Handlungsziele der Agenda beziehen sich, wenn nicht anders ausgewiesen, auf das Jahr 2030. Diese Perspektive ermöglicht es, ambitionierte Ziele zu verfolgen, wie sie eine nachhaltige Entwicklung benötigt. Gleichwohl erscheint sie noch so zeitnah, dass sich alle politisch Verantwortlichen herausgefordert fühlen müssen, umgehend mit der Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen zu beginnen. Der Senat soll mindestens in fünfjährigen Abständen über Erfolge, Hemmnisse und die geplanten Maßnahmen berichten.
Die vorliegende Agenda beruht auf dem Entwurf des Agendaforums vom März 2004. Das Abgeordnetenhaus zollt der geleisteten Arbeit höchste Anerkennung. Dennoch hat das Abgeordnetenhaus in Verantwortung gegenüber der gesamten Bevölkerung der Stadt überall dort Änderungen herbei geführt, wo es die Ziele des Agendaforums nicht teilt oder ihnen in der vorgesehenen Zeit keinerlei Realisierungschance einräumt.
Z.B. wurden die vorgeschlagenen Leitprojekte des Agendaforums nur in die Anlage aufgenommen, da das Abgeordnetenhaus sie nicht bewerten wollte. Allerdings fordert das Abgeordnetenhaus den Senat auf, einzelne Projekte, nach Maßgabe der Haushaltslage, zu fördern (vgl. Abschnitt C: Empfehlungen und Anhang D).
Als Querschnittsaufgaben wurden die Themenbereiche Geschlechtergerechtigkeit und globale Verantwortung identifiziert. Sie wirken, neben den drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung, in alle Handlungsfelder hinein und müssen dort stärker als bisher verankert werden. Von Vorschlägen, weitere Felder wie z.B. Bildung oder Partizipation als Querschnittsaufgaben anzusehen, wurde Abstand genommen, da sonst die Gefahr besteht, die arbeitsteiligen Strukturen unserer Gesellschaft zu überfordern und die Umsetzung der Maßnahmen zu erschweren. Für diese einzelnen Bereiche wurden Handlungsfelder ausgewählt, siehe unten „Ausgewählte Handlungsfelder“.
Die Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit wird bisher überwiegend als reines Frauenthema wahrgenommen und insbesondere durch Quotenregelungen und Frauenförderprogramme abgedeckt. Eine erfolgreiche Umsetzung erfordert aber, dass sowohl Frauen als auch Männer sich an diesem Prozess beteiligen und diesen auch als ihrer beider Nutzen verstehen. Stärker als bisher müssen Frauen ihre eigenen Vorstellungen und Kompetenzen in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung einbringen (können). Voraussetzung für die Umsetzung gleichstellungspolitischer Belange ist eine umfassende Sensibilisierung aller Akteurinnen und Akteure.
Die Agenda sieht Geschlechtergerechtigkeit als eine Querschnittsaufgabe für alle Handlungsfelder an. Sie zielt auf die Veränderung von Geschlechterrollenstereotypen, einen Wandel von Werten und Vorstellungen sowie den Abbau von Vorurteilen und Ungerechtigkeiten. Damit steht die Geschlechtergerechtigkeit in der Bedeutung des Gender-Mainstreamings, das sich nicht allein in Quotenregelungen und der in Artikel 3 (2) im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung erschöpft, sondern vielmehr die besonderen Lebensumstände und Sichtweisen von Männern und Frauen einbindet.
Im Sinne eines Qualitätsziels fordert die Agenda für Frauen und Männer gleichberechtigte attraktive Entwicklungsperspektiven und Chancen. Sie will eine gleichberechtigte Partizipation von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen und eine gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungen auf allen Ebenen. Frauen und Männer tragen gemeinsam Verantwortung für die nachhaltige Gestaltung von Lebens- und Politikbereichen wie Gesundheit, Mobilität, Wohn- und Arbeitswelt, Versorgungsarbeit und Ressourcenschutz. Es ist für Frauen gleichermaßen selbstverständlich, in Führungspositionen zu arbeiten wie für Männer, sich um die Kindererziehung und den Haushalt zu kümmern.
Handlungsziele und Maßnahmen finden sich in den Handlungsfeldern. Hierbei geht die Integration von Geschlechtergerechtigkeit und die Umsetzung des GenderMainstreaming im Rahmen der Agenda 21 für eine nachhaltige Entwicklung im Land Berlin über die bisherigen Maßnahmen der Frauenförderung hinaus. Sie baut auf diesen auf und ergänzt sie mit neuen Ansätzen. Dort, wo der Gender-Mainstreaming-Prozess nicht ausreichend schnell verläuft und weiterhin Ungleichheiten bestehen, wird weiter von dem Instrument der Frauenförderung Gebrauch gemacht. Mit dem Abbau des Haushaltsnotstandes wird das Land stetig die Bereitstellung von bedarfsgerechter Versorgungsinfrastruktur zur Entlastung von Familien- und Versorgungsarbeit ausweiten.
Die wechselseitige internationale Abhängigkeit der Länder hat in Rio de Janeiro 1992 zu der Einsicht ge
führt, dass alle Menschen und Akteursgruppen von der lokalen bis zur globalen Ebene in der Verantwortung für die zukunftsfähige Entwicklung der Menschheit stehen. Zwar sind die Potentiale einer Kommune und eines Landes nicht ausreichend, um auf die globalen Rahmenbedingungen Einfluss zunehmen, das heißt aber nicht, dass sich Bürgergesellschaft und Politik zurücklehnen können. Vielmehr müssen auch in Zukunft alle Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden, um den Bürgern der Stadt zu verdeutlichen, dass die Menschheit nur eine Erde hat, auf der wir nur dann dauerhaft friedlich miteinander leben können, wenn die immer größer werdende Verteilungsungerechtigkeit allmählich verringert wird. Daher müssen auch alle politischen Entscheidungen darauf überprüft werden, welchen Einfluss sie auf die globale Entwicklung nehmen würden, wenn alle Kommunen und Länder sich so verhalten. (Kategorischer Imperativ der Nachhaltigkeit: „Handle stets so, dass Deine Handlungen von allen Kommunen umgesetzt werden könnten, ohne dass die globale Zukunftsfähigkeit in Frage gestellt wird.“)