Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die CDU. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. LehmannBrauns. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel, die Straßenszene, das Bild von Ernst Ludwig Kirchner, ist das wichtigste Gemälde des Berliner Brücke-Museums gewesen. Wer es materiell wissen will: Sein Wert wird auf ca. 25 Millionen € geschätzt. Fast drei Jahre lang hat der Senator, abgeschottet von der Fachwelt, abgeschottet von kunstwissenschaftlichen Forschern, darüber gebrütet, wie er, unbeobachtet von der Öffentlichkeit, das Bild an die Anspruchstellerin zurückgeben könnte.
Herr Kollege Brauer, das ist nicht nur meine Auffassung, wie Sie wissen, sondern auch die Auffassung des Kollegen Hilse von der SPD-Fraktion im Kulturausschuss.
Insoweit sind wir voll einig. In der Tat, das Bild ist weg. Das Brücke-Museum ist das wichtigste Stück seiner Sammlung los. Betrachtet man Rechtslage und Fakten, dann bleibt nur eine Frage offen, Herr Senator: Haben Sie aus Verbohrtheit oder aus Hilflosigkeit so gehandelt?
Auch das ist kein Wahlkampfvokabular, das ich hier bringe, sondern das Verhalten des Senators wird in der Fachöffentlichkeit – ich darf das mal zitieren – als Kapitulation, als leichtfertig, fahrlässig, respektlos, angreifbar oder unhaltbar bezeichnet. Kommen wir also nicht mit Wahlkampfargumenten. Wir als Parlament wären ein zahnloser Papiertiger, wenn wir hierüber einfach zur Sache übergehen würden.
Zur Sach- und Rechtslage: Erstens. Unstreitig ist der Restitutionsanspruch der Erben schon vor Jahren verfallen. Dies festzustellen, bedurfte es nicht der Hinzuziehung eines gefälligen Advokaten seitens der Senatsverwaltung. Berlin hatte juristisch eine starke Position gegenüber der Anspruchstellerin.
Es hätte sich auch kein Streit erhoben, hätte der Senat im Bewusstsein dieser Argumente in einer fairen Abwägung mit der Anspruchstellerin eine für das Land Berlin verträgliche Lösung gefunden. Aber es schlicht wegzugeben, das sprach der Sach- und Rechtslage Hohn. Angemessen wäre es gewesen, einen für beide Seiten erträglichen Kompromiss zu finden und die Öffentlichkeit einzubeziehen, statt sich von den amerikanischen Anwälten über den Tisch ziehen zu lassen. Nichts drängte den Senat, außer den materiellen Interessen der Anwälte und Christie’s, zu einer schnellen Entscheidung.
Eine fast böswillige und kontraproduktive Rolle hat auch der Regierende Bürgermeister gespielt. Statt sich wenigstens heute zum Fürsprecher und Werber einer angemessenen Lösung zu machen – immerhin steht er der Lottostiftung vor –, hat er kategorisch erklären lassen, dass er nicht daran denke, sich weiter um dieses Bild zu scheren.
Wir haben uns der Washingtoner Erklärung von 1998 angeschlossen, welche besagt, dass eine Beweislastumkehr stattzufinden hat. Das heißt, wir – die Nachfahren der Täter – müssen beweisen, dass ein Verkauf ohne Druck und mit angemessener Bezahlung erfolgt ist. Für derartige Fälle gelten eindeutige Kriterien, wie sie auch für Deutschland in der so genannten Handreichung zusammengefasst sind. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt weiter, ein verfolgungsbedingter Entzug von Besitz liege auch dann vor, wenn die Veräußerung nur
mittelbar durch die NS-Herrschaft bedingt war, auch wenn der Verkauf aus dem Ausland erfolgte. Die Familie Hess musste vor den Nazis ins Ausland fliehen und wurde 1961 vom Entschädigungsamt Berlin als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. 1936 verkaufte Frau Hess das Kirchner-Bild für 3 000 Reichsmark an IG-FarbenVorstandsmitglied und Kunstsammler Karl Hagemann, nachdem – laut eidesstattlicher Aussage – die Familie von der Gestapo unter Druck gesetzt wurde. Die eidesstattliche Aussage ist von Frau Thekla Hess.
Das Verhalten des Senators war nicht nur hilflos, sondern auch verbohrt und arrogant. So weigerte er sich, Recherchen von Fachleuten über die Geschichte des Bildes entgegenzunehmen und den Sachverständigenausschuss für Kulturgüter einzubeziehen, um wenigstens zu erreichen, dass das Bild in Deutschland bleiben konnte. Er hat auf eigene Faust gehandelt, in Gutsherrenart, als ob es sein Privateigentum wäre. Nicht einmal der Kultursenator ist von ihm informiert worden,
Was hat der Senator erreicht? – Ich komme zum Schluss. – Die amerikanischen Anwälte werden eine Menge Dollars an diesem Geschäft verdienen. Das Auktionshaus Christie’s wird einen großen Schnitt machen. Der Rest bleibt der Anspruchstellerin, und Berlin geht leer aus. – Ihre Genossenschaft wird dem Missbilligungsantrag nicht zustimmen, aber eines muss Ihnen, Herr Senator, bewusst sein: Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Ihre Kompetenz haben Sie endgültig verloren. – Vielen Dank!
[Beifall bei der CDU – Liebich (Linkspartei.PDS): Das Vertrauen der CDU, aber das hatte er noch nie!]
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion um das Kirchner-Bild drehte sich in den letzten Wochen zum großen Teil darum: Sind die Erben überhaupt anspruchsberechtigt? – Ich persönlich fühle mich nicht in der Lage – und ich will es auch nicht – zu beurteilen, wie viel Leid und Druck die Menschen ausgesetzt waren oder wie wir das bemessen wollen. Tatsache ist – und davor können wir uns nicht wegducken –, dass uns unsere Vergangenheit immer wieder einholt und das Nazi-Regime schuld ist, dass uns diese Fragen immer wieder beschäftigen, weil durch dieses Regime – neben allen anderen Gräueltaten – brutal Kunstsammlungen geraubt und Menschen damit unter Druck gesetzt worden sind.
Über eine erfolgte Bezahlung gibt es keinen Beleg. Vielleicht wurde auch bezahlt und der Betrag als Reichsfluchtsteuer wieder eingezogen. Solange wir nicht beweisen können, dass dieses Bild 1936 freiwillig verkauft und angemessen bezahlt wurde, bleibt die moralische Verpflichtung, und wir müssen dieses Bild zurückgeben, weil es uns nicht gehört.
Ich bin froh, dass wir keine Sondersitzung des Kulturausschusses anberaumt haben, denn die Ausführungen der Kritiker, die sich unisono vom Verkauf überrascht zeigten, brachten außer Mutmaßungen und absurden Vergleichen keine neuen Erkenntnisse zutage und belegten nicht, dass die Verkäufe freiwillig stattgefunden hatten. Zweifel oder Indizien reichen nicht, um eine Rückgabe auszuschließen.
Dass solche Verhandlungen – wie jetzt zur Restitution dieses Bildes – nicht öffentlich geführt werden können, ist völlig klar. Allerdings wäre Transparenz zum Schluss doch nötig gewesen. Das Bild hätte man vielleicht noch einmal prominent in der Stadt ausstellen können. Vielleicht hätten wir auch eine Welle bürgerschaftlichen Engagements in Gang setzen können.
Das ist nicht geschehen. Das ist bedauerlich. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass wir dieses Bild bei dieser Beweislage zurückgeben mussten.
Das rechtfertigt auf keinen Fall diesen Missbilligungsantrag. Herr Lehmann-Brauns! Es macht umso deutlicher, dass Sie diesen Fall – vielleicht nicht Sie persönlich – als Wahlkampfschaumschlägerei benutzen wollen. Ich kann Sie davor nur warnen. Sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Ich bin entsetzt über die Impertinenz, mit der versucht wird, die Verfolgungsgeschichte dieser Familie zu relativieren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand, Frau Lange – ich nehme das für mich ausdrücklich in Anspruch –, relativiert die Verfolgungsgeschichte der Familie Hess. Dies ist ein unfaires Argument, wenn man einen Sachverhalt aufklären will.
Und hier ist ein Vorwurf, den ich Ihnen nicht ersparen kann, Herr Senator: Dieser Gegenbeweis hätte auch von Seiten der Verwaltung zu erbringen versucht werden müssen. Dazu muss man wissen, dass das Gemälde beim Verkauf in der Schweiz war, dazu ist nicht ausreichend
geprüft worden, dass der Kaufpreis geflossen ist. Ich habe heute erfahren, dass die Familie Hess zum Beispiel ein Konto in der Schweiz hatte und darauf die Einkünfte aus den Verkäufen geflossen sein können Es sind nicht die Gremien und Kommissionen befragt worden, und deswegen ist zu früh entschieden worden. Wir kommen nicht umhin, die Handreichung irgendwann zu überarbeiten. Wir müssen sie überprüfen. Es gibt mehrere Gremien, die helfen können.
Im Fall des Kirchner-Gemäldes kann sich der Kunstmarkt jetzt freuen: Die Auktionshäuser spüren die Ware auf. Werke wandern in die Auktionen und treiben die Preise in die Höhe. Das ist bitter, und insofern hat Herr Flierl meines Erachtens leichtfertig und im vorauseilenden Gehorsam gehandelt. Es wäre gut gewesen und Berlin hätte gut daran getan, alles zu tun, um Sponsoren zu finden, um die Stiftungen zu befragen, um das bürgerschaftliche Engagement herauf zu beschwören dieses Bild dann für einen angemessenen und fairen Preis in Berlin zu halten.
Senator Flierl hat uns mit seinem Verhalten um die Chance gebracht, eines der wichtigsten Gemälde aus einem Landesmuseum in Berlin zu behalten. Er hat vor uns verheimlicht – damit meine ich das Berliner Parlament, die Öffentlichkeit, die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt, die Museumsbesucher und die Gäste Berlins –, dass dieses wichtige Bild aus Berlin weg muss. Nun ist es schon längst von der Firma Christie’s nach New York gebracht worden. Es ist ein kulturpolitisches Versagen, diesen Alleingang in dieser Form gemacht zu haben. Es zeugt von einem krassen Demokratiedefizit, zumindest gegenüber diesem Parlament.
Sie hatten dazu kein Recht, Herr Senator! Das Bild wurde 1980 für ungefähr 950 000 € erworben, übrigens mit öffentlichem Geld, für das die Berliner Museen zwei Jahre lang auf ihren eigenen Ankaufsetat verzichtet hatten. Wo der ehemalige Kaufpreis jetzt übrigens geblieben ist, den Christie’s dem Land Berlin zurückgegeben hat, fragt man sich auch; wahrscheinlich in der Landeskasse. Es wird den Museen noch nicht einmal zurückgegeben.
Doch, es ist da. Das wurde uns am Montag im Kulturausschuss gesagt, aber wir wissen nicht, wo es bisher gelandet ist. Für das Brücke-Museum, einem Kleinod der Berliner Landesmuseen, hat der Senator seine Fürsorgepflicht nachhaltig verletzt.
Ich stelle mich nicht hin wie Frau Lange und sage, die eine oder die andere Haltung ist die richtige, aber in der Konsequenz der Auffassung des Senators heißt das: Jeder so genannte kollektiv Verfolgte, der nach den „NaziKriterien“ 1933 Jude in Deutschland war, der Eigentum hatte, egal, ob in Deutschland oder außerhalb Deutschlands, und der dieses Eigentum 1945 nicht mehr hatte, hat automatisch ein Rückführungsrecht. Das ist die Konsequenz dessen, was Sie sagen.
Wenn man das zur Grundlage nimmt, Herr Senator, dann hätte es keiner Washingtoner Konferenz bedurft. Dann hätte es auch keiner Handreichung bedurft, weil das dann heißt, es braucht überhaupt nichts geprüft zu werden, alles geht automatisch zurück.
Für mich ist eines klar. Die Handreichung, die der Bund mit Ländern und Kommunen ausgearbeitet hat, erzwingt den Gegenbeweis.