Protokoll der Sitzung vom 14.02.2008

Wir haben in den vergangenen Tage mehrfach betont, dass alles, was zur Eskalation in diesem Tarifstreit beitragen könnte, unterbleiben möge. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Akteure der Tarifauseinandersetzungen gehalten sind, einen Weg zu finden, Verhandlungen zu führen. Wir als Koalition sind keine Tarifpartner. Das wäre noch schöner, wenn Herr Ratzmann und Herr Dr. Lindner die Tarifverträge der BVG aushandeln würden.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Dazu, Herr Esser, kann ich nur wiederholen: Wir verteidigen die Tarifautonomie, die verfassungsmäßig verbrieft ist, und wir werden sie nicht antasten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Aber ein paar Worte zur Begleitmusik zu dieser Tarifauseinandersetzung seien mir dann doch erlaubt. Wir finden die Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden in vielerlei Hinsicht nicht angebracht, weil sie zur Eskalation führen. Wir fanden auch die Länge und die Kurzfristigkeit des ersten Warnstreiks zumindest ungewöhnlich und honorieren die Streiktaktik der BVG-Beschäftigten beim gestrigen Warnstreik. Aber ganz und gar unangemessen finde ich die heutigen Äußerungen von BVG-Chef Sturmowski in der „Berliner Zeitung“. Das ist genau der Stil, der die Beschäftigten zur Weißglut bringt. Es ist der Stil, der leider das Klima innerhalb der BVG vergiftet hat, seit langer Zeit, der innerbetriebliche Kommunikation auf allen Ebenen, aber vor allem zwischen der Chefetage und den Beschäftigten zerstört.

Ich kann die Beschäftigten der BVG ja gut verstehen, die sich allein gelassen fühlen – nicht nur von der Chefetage, sondern auch von der politischen Unterstützung, da nehme ich übrigens die Grünen überhaupt nicht heraus –, wenn inzwischen täglich zwei tätliche Angriffe auf Fahrer

erfolgen, wenn in Zeiten zunehmenden Arbeitsdrucks im Produktionsbereich der Umzug der BVG-Zentrale und die schicken neuen Büros offenbar das Hauptthema des Vorstands zu sein scheinen und wenn die Direktionsebene wie durch ein Wunder von 9 auf 14 Direktorenposten angewachsen ist. Das sind Probleme, die muss man lösen. Auch als Eigentümer muss man darauf Einfluss nehmen. Das stelle ich überhaupt nicht infrage. Aber Sie können doch nicht einfach sagen, das alles solle auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.

Was ist eigentlich das Tarifproblem? – Der 2005 von Gewerkschaft, Arbeitgeber und Senat ausgehandelte Tarifvertrag, TV-N genannt, einschließlich der als Eigentümergarantie bezeichneten Verpflichtung des Landes Berlin, war der erste und grundlegende Baustein zur Sicherung des Unternehmens BVG. Nur mit der Ablösung des alten, komplizierten und längst nicht mehr den Anforderungen des modernen Nahverkehrs entsprechenden Tarifvertrags konnte der Abschluss des Verkehrsvertrags ernsthaft ins Auge gefasst werden. Das eine bedingt das andere, und das haben alle gewusst. Das hat auch Herr Bsirske gewusst, der meines Wissens noch Mitglied bei den Grünen ist. Da können Sie gern mal nachfragen, was für ein Motiv er hatte, diesen Vertrag zu unterschreiben.

[Joachim Esser (Grüne): Hat er gut gemacht! Aber Herr Wowereit...]

Der Tarifvertrag und der Verkehrsvertrag sind eine Einheit. Sie bedingen sich gegenseitig. Der europarechtlich zulässige Verkehrsvertrag wäre ohne den TV-N nicht haltbar. Die Zusicherung der Leistungsabnahme durch das Land Berlin und des Kündigungsschutzes beruhen auf dem TV-N. Deshalb wurde dieser Vertrag, der – wie Herr Gaebler richtig sagte – verbunden war mit tatsächlichen Absenkungen der Löhne und Gehälter, unterschrieben.

Aber – auch das muss man sagen – dieser TV-N hat offensichtlich zu Ungerechtigkeiten geführt, als Fortsetzung der Entwicklung in der BT als Tochtergründung, nämlich dazu, dass innerhalb eines Unternehmens für dieselbe Arbeit unterschiedlich gezahlt wird, dass Leute in demselben Unternehmen, mit derselben Arbeit unterschiedliche Arbeitszeiten haben. Das betrifft inzwischen ca. 2 000 Beschäftigte bei der Tochter und bei der BVG. Klar ist, dass das nicht so bleiben kann!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Klar ist auch, dass die anderen Beschäftigten der BVG nicht dauerhaft von Einkommensverbesserungen ausgeschlossen werden können. Aber genau das ist Verhandlungsgegenstand der Tarifverhandlungen.

[Uwe Goetze (CDU): Der Senat hat mit der BVG nichts zu tun! – Zuruf: Ihr wollt doch gar keine Tarifverhandlungen!]

Genau! Sie wollen doch gar keine Tarifverhandlungen führen, sondern Sie wollen entweder Leute entlassen oder Lohndumping anordnen oder was auch immer. Sie sagen

ja nicht genau, was Sie denn eigentlich vorschlagen, wie denn das Problem zu lösen wäre.

Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, gerade in Richtung der Grünen, die immer behaupten, es wäre alles viel günstiger für das Land, wenn alles schön zerschlagen worden wäre und viele Unternehmen zum Zuge kämen: Das Superbeispiel Frankfurt am Main hat inzwischen, belegt durch seriöse Studien, nachgewiesen, dass die sogenannten Transaktionskosten, die Betriebskosten und vor allen Dingen die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Systems weitaus höher sind als vorher. Es hat auf der anderen Seite dazu geführt, dass sich Fahrer im Raum Franfurt am Main entweder einen Zweitjob suchen oder inzwischen bei Hartz IV als Aufstocker gelten. Das ist der Weg, den wir nicht wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir wollen, dass es nicht nur Arbeit durch Arbeitsplatzsicherung gibt, sondern auch gute und bezahlte Arbeit. Deswegen sage ich ganz klar: Tarifvertrag und Verkehrsvertrag sind eine Einheit. Es ist keine Einbahnstraße, es ist eine Einheit.

Wir erwarten schon vom Vorstand – der ist nicht nur der Frühstücksdirektor –, dass er sich der Probleme innerhalb des Unternehmens annimmt, dass er das Betriebsklima verbessert, dass er um Vertrauen innerhalb des Unternehmens wirbt und dass er sich mit pfiffigen Ideen der Aufgabe annimmt, neue Fahrgäste zu akquirieren.

Insofern noch mal: Sehr gehrte Damen und Herren von der Fraktion Die Grünen! Sie treten hier immer als die Retter des Nahverkehrs auf. Sie sind es längst nicht mehr.

[Uwe Goetze (CDU): Totengräber!]

Sie sind diejenigen, die den Nahverkehr zerschlagen wollen. Sie sind diejenigen, die die BVGer eben nicht mit einer Zukunft ausstatten wollen, Sie wollen sie in Unsicherheit stürzen und ihnen auch noch in die Tasche greifen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Matuschek! – Das Wort für eine Kurzintervention hat Frau Eichstädt-Bohlig – bitte!

[Christian Gaebler (SPD): Jetzt kommt endlich mal ein Konzept! – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Jetzt kriegt Esser was hinter die Löffel!]

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussage von Frau Matuschek, die Grünen wollten die

BVG zerschlagen, muss ich entschieden zurückweisen. Das hat weder der Kollege Esser gesagt

[Beifall bei den Grünen]

noch die Kollegin Claudia Hämmerling in der letzten Ausschusssitzung, in der wir über dasselbe Thema geredet haben.

[Christian Gaebler (SPD): Was wollen Sie denn dann?]

Ebenso muss ich Ihre Aussage, Kollege Gaebler, zurückweisen. Sie haben vorhin gesagt, wir seien die Oberprivatisierer!

[Beifall bei den Grünen]

Das haben Sie von uns an keiner Stelle gehört. Sie haben ja leider nicht zugehört, was Herr Esser gesagt hat.

Als Zweites muss ich zur Tarifautonomie etwas richtigstellen. Frau Kollegin Matuschek! Wir achten die Tarifautonomie von Verdi, von den Beschäftigten und von den Gewerkschaften sehr hoch.

[Christian Gaebler (SPD): Ach was!]

Es ist aber ein Unterschied, ob wir über die Tarifautonomie eines Metallunternehmerverbands reden oder über die Tarifverantwortung des Arbeitgebers Land Berlin als Gesellschafter und verantwortlich für die Anstalt öffentlichen Rechts BVG.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Denn wir als Parlamentarier haben nicht nur die Verantwortung – das unterscheidet uns von Ihnen, speziell der Linkspartei – für steigende Gehälter der Beschäftigten, sondern wir haben auch die Verantwortung für ein angemessenes Funktionieren und effizientes Wirtschaften des öffentlichen Unternehmens BVG und des öffentlichen Dienstes, zumal das derzeit wie kommunizierende Röhren zusammenhängt. Deshalb machen Sie es sich viel zu einfach. Das hat Herr Esser in seiner Rede sehr deutlich gesagt

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das haben Sie rausgehört?]

und gefordert, dass Sie endlich eine Antwort darauf finden müssen – jawohl, Herr Kollege Gaebler –, auf das Problem, dass Sie nicht mit dem Verkehrsvertrag 2007, sondern mit dem Tarifvertrag 2005 Sicherheiten gegeben haben, ohne dass Sie wussten, wie Sie die Sanierung der BVG überhaupt auf die Reihe kriegen würden. Insofern ist passiert, was passieren musste: Wowereit konnte sein Wort, das er hier gegeben hat, eben nicht halten, sondern vonseiten des Tarifpartners Verdi werden die Schleusen geöffnet zum ersten Zeitpunkt, wo dies überhaupt möglich ist, nämlich jetzt. Ihr Problem ist, dass Sie darauf keine Antwort haben, während der Kollege Esser sehr genau gesagt hat: Erstens, Sie müssen sich um ein Stufenkonzept mit der schrittweisen Anpassung der Tarife kümmern, insbesondere für die neuen Mitarbeiter. – Doch, das hat er in seiner zweiten Rede als Antwort auf den Kollegen Gaebler gesagt. Als Zweites müssen Sie ein Konzept haben, das die kommunizierenden Röhren in der

Tarifverhandlung mit den BVG-Beschäftigten auf der einen Seite und dem öffentlichen Dienst auf der anderen Seite in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringt. Auf beide Fragen und Thesen haben Sie bis zur Stunde nicht die geringste Antwort gefunden. Das ist Ihr Problem.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Jetzt darf Frau Matuschek antworten. Im Anschluss hat Kollege Gaebler das Wort für eine Kurzintervention.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Eichstädt-Bohlig! Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ist Tarifautonomie im Verständnis der Grünen, dass alle Bediensteten des Landes, des Bundes, die Beschäftigten in den ehemaligen Eigenbetrieben, also jetzigen Landesunternehmungen BVG, BSR und wie sie alle heißen, am besten in einen Tarifvertrag gesteckt werden.

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Das ist doch Quatsch!]

Das heißt, Sie wollen nicht, dass es unterschiedliche Tarifverträge gibt. Das ist offensichtlich das Verständnis. So habe ich Sie jetzt verstanden. Und da muss ich sagen: Das ist Quatsch. Das hat mit Tarifautonomie gar nichts mehr zu tun.

[Beifall bei der Linksfraktion – Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Frau Matuschek, ich weiß, dass Sie klüger sind, als Sie tun!]

Zweitens: Sie sind in der Presse zitiert worden, Frau Eichstädt-Bohlig, dass Sie vom Senat und der Koalition fordern: Aber jetzt bitte nicht wackeln bei den Forderungen der Beschäftigten nach mehr Löhnen und Einkommen. – Das ist offensichtlich auch Ihr Konzept, das Sie hier vorlegen.

[Zuruf von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Das widerspricht übrigens dem, was Sie gerade eben gesagt haben, wo Sie von stufenweisen Konzepten zur Anhebung gesprochen haben. Da muss ich sagen: Ihre Kreativität bei den Grünen geht dahin, dass niemand mehr weiß, was Sie eigentlich wollen.