Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Nun habe ich eine freudige Pflicht zu erfüllen. Wir feiern heute den 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel. Es ist mir eine Freude und für uns alle eine Ehre, den Botschafter des Staates Israel, Herrn Yoram Ben-Zeev, und den Gesandten Herrn Mor sowie Frau Ben-Zeev auf der Tribüne begrüßen zu können. – Herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus, Herr Botschafter!
Heute vor 63 Jahren, am 8. Mai 1945, war der Tag der Befreiung unseres Landes von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Hitler-Deutschland hatte Europa und die Welt mit einem furchtbaren Krieg überzogen, der über 50 Millionen Opfer kostete und eine Spur der Verwüstung durch Europa zog.
Der von den Deutschen verübte Massenmord an sechs Millionen Juden hat unbeschreibliches Leid über das jüdische Volk, über Europa und die Welt gebracht. Die Shoah erfüllte uns Deutsche mit Scham. Wir verneigen uns vor den Opfern, wir verneigen uns vor den Überlebenden und vor all denen, die ihnen geholfen haben, dass sie überleben konnten. Der Zivilisationsbruch durch die Shoah ist beispiellos.
Deutschland und Israel sind und bleiben – und zwar für immer – auf besondere Weise durch die Erinnerung an die Shoah verbunden. Deshalb ist und bleibt die Freundschaft und die Unterstützung des jüdischen Staates Teil der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. In der historischen Verantwortung Deutschland gründet sich eine besondere Verpflichtung gegenüber der Zukunft Israels.
Der Gründungstag des Staates Israel ist auch für uns Deutsche ein Tag der Freude. Wir gratulieren Ihnen, Herr Botschafter, zum Staatsfeiertag.
Das jüdische Volk war gerade dem unendlichen Leid der Shoah entronnen, als es am 8. Mai 1948 sein eigenes Staatswesen, den Staat Israel, gründete. Von Anfang an musste dieser Staat um seinen Bestand und sein Überleben kämpfen. Wir verneigen uns vor dem unbeugsamen Willen und der Kraft, mit der das jüdische Volk seine Existenz und Identität als altes Volk in einem jungen Staat bewahrt und weiter gefestigt hat. Mit tiefem Respekt nehmen wir zur Kenntnis, dass Israel trotz aller äußerlichen Gefährdungen von Beginn an ein stabiler demokratischer Rechtsstaat mit einer freien und offenen Gesellschaft ist.
Wir alle registrieren mit Freude die engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die zwischen dem Staat Israel und den Staaten der Europäischen Gemeinschaft bestehen. Israel und Europa sind durch gemeinsame Werte, gemeinsame Herausforderungen und gemeinsame Interessen verbunden. Gerade wegen dieser inneren Verbundenheit verdient Israel die besondere Solidarität der Europäischen Union, wenn es um eine sichere und den Menschenrechten verpflichtete Form des Zusammenlebens mit seinen Nachbarn ringt.
Die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber Israel wiegen noch schwerer. Auch heute ist die Schande nicht getilgt, die mit der Shoah auf uns lastet. Diese Schande wird sich auch nicht tilgen lassen. In Deutschland wurden Menschen umgebracht, die mitten unter uns gelebt haben, die unsere Nachbarn waren, die ihr Lebensglück mit uns zusammen finden wollten. Zur Schande tritt die Widersinnigkeit: Viele deutsche Juden waren herausragende Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, viele auch Träger einer reichen Geisteskultur, die uns alle geschmückt hat. Unendliches Leid ist durch unsere Hand über die Juden in Europa gekommen.
Unsere besondere deutsche Verpflichtung gegenüber den in unserer Mitte lebenden Juden und gegenüber dem Staat Israel bleibt deshalb im Inneren: dafür zu sorgen, dass sich Antisemitismus und rechtsradikale Gewalt nie wieder in Deutschland ausbreiten können.
Und für die Außenpolitik gilt es, Solidarität mit dem Staat Israel zu halten in seinem Willen, als in der ganzen Welt geachteter Staat in gesicherten Grenzen zu leben und als freiheitliches und sicheres Gemeinwesen des jüdischen Volkes zu bestehen. Wir unterstützen den hoffnungsvollen Prozess friedliche Beziehungen zwischen den verschiedenen Staaten des Nahen Ostens zu entwickeln. Das nutzt Israel, und das nutzt den arabischen und den sonstigen Staaten in der Region.
Wir können heute sagen, dass die deutsch-israelischen Beziehungen vertrauensvoll und freundschaftlich sind. Das ist angesichts der historischen Katastrophe, die von Deutschland ausging, mutigen Menschen in Israel zu verdanken, die den Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Wir werden das niemals als Selbstverständlichkeit empfinden. Wer hätte vor 60 Jahren ernsthaft daran geglaubt, dass Deutschland und Israel noch zu Lebzeiten der Holocaust-Überlebenden zu Verbündeten würden? Wie viel Kraft steckt doch in einem Volk, das nach allem dazu fähig ist! Wir sind Israel und den Israelis dafür dankbar.
Die Greueltaten der Nationalsozialisten, die Opfer verpflichten uns auch mit aller Entschiedenheit gegen Rassismus und Antisemitismus im eigenen Land vorzugehen und nichts unversucht zu lassen, um die Feinde unserer Demokratie und unserer gemeinsamen Werteordnung zu bekämpfen. Was damals geschah, darf sich nie wiederholen!
Es ist beschämend, dass auch heute noch jüdische Einrichtungen in Deutschland durch die Polizei geschützt werden müssen. Es erfüllt uns mit Scham, dass jüdische Friedhöfe und Einrichtungen geschändet wurden! Wir sollten uns mit der legalen Existenz neonazistischer Organisationen nicht abfinden. Wir müssen immer wieder nach innen und nach außen deutlich machen: Wir dulden keine neuen braunen Ideologen, die unseren Rechtsstaat missbrauchen und ausnutzen.
Heute lebt in Berlin wieder eine große jüdische Gemeinschaft. Wir freuen uns darüber, und wir sind dankbar, dass viele jüdische Menschen so viel Vertrauen in die deutsche Gesellschaft setzen. Diesem Vertrauen wollen wir gerecht werden. Darum werden wir uns bemühen.
Herr Botschafter des Staates Israel: Nochmals herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus von Berlin! Dem Staat und den Bürgerinnen und Bürgern Israels wünschen wir zum Staatsfeiertag eine friedliche Zukunft in gesicherten Grenzen! – Ich danke Ihnen!
Nun gehen wir an die Arbeit! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Lehren aus der Geschichte ziehen: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus effektiv entgegenwirken“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Rot-rote ‚Rumeierei’ beim EU-Vertrag beenden – ein Machtwort von Wowereit zur Zustimmung Berlins ist längst überfällig“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Bald Rote Laterne? – Der Aufschwung am Arbeitsmarkt geht an Berlin vorbei“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „60 Jahre Staat Israel – und wie ist die Situation der jüdischen Gemeinschaft in Berlin?“.
Wie mir mitgeteilt wird, haben sich die Fraktionen inzwischen auf das Thema der Regierungsfraktionen verständigt. Die anderen beantragten Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste hinweisen. Eine Dringlichkeitsliste gibt es für unsere heutige Sitzung nicht.
Für die heutige Sitzung lagen dem Ältestenrat folgende Entschuldigungen von Senatsmitgliedern vor: Senator Dr. Sarrazin wird ganztägig abwesend sein, um an der Jahreskonferenz der Finanzminister teilzunehmen, und der Regierende Bürgermeister wird ab 19.30 Uhr abwesend sein, um am Festakt zum 60. Gründungstag des Staates Israel teilzunehmen.
Sodann habe ich die Freude, Herrn Jan Gerd BeckerSchwering, den neuen Geschäftsführer der Fraktion der FDP, der ab 15. Mai seine Tätigkeit aufnehmen wird, aber heute schon anwesend ist, herzlich zu begrüßen. – Auf eine gute Zusammenarbeit, alles Gute und viel Erfolg, Herr Schwering!
Wir haben die Klasse 15.04 des Oberstufenzentrums Handel II aus Berlin-Marzahn zu Gast. – Herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus, schön, dass Sie da sind und unseren Beratungen beiwohnen!
Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat Herr Kollege Stefan Zackenfels von der Fraktion der SPD zum Thema
1. Wie beurteilt der Senat Bestrebungen von CDU und Wirtschaftsverbänden, den Koch/Steinbrück-Kompromiss für eine verfassungsgemäße Reform der Erbschaftsteuer infrage zu stellen?
Danke schön, Herr Kollege Zackenfels! – Für die Finanzverwaltung antwortet Herr Staatssekretär Teichert. – Bitte schön, Herr Teichert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Zackenfels! Der Senat unterstützt die Bemühungen um die Reform der Erbschaftsteuer nachdrücklich und teilt die Auffassung des Bundestages, dass an der Erbschaftssteuer aus Gründen der Steuergerechtigkeit festzuhalten ist. Weil das Aufkommen nach der Verfassung den Ländern zusteht, haben wir als armes Bundesland natürlich ein besonderes Interesse daran. Der gefundene Kompromiss für diese Reform wurde von uns im Bundesrat mitgetragen, wenn auch unter Bauchschmer
zen, weil bestimmte Regelungen zur Verschonung – insbesondere von Betriebsvermögen – an die Grenze dessen gehen, was wir tragen können. Wir haben daher überhaupt kein Verständnis dafür, dass Teile der Unionsfraktion im Bundestag von dem gefundenen Kompromiss abrücken und damit die Reform insgesamt in Frage stellen wollen.
Hier wird opportunistisch jene Haltung unterstützt, wie wir sie auch bei verschiedenen Wirtschaftsverbänden erleben müssen. Die Ausnahmen für Unternehmen sollen so weit getrieben werden, dass sie nicht nur das Aufkommen gefährlich niedrig halten, sondern auch die Neuregelung wieder an die Grenze der Verfassungsmäßigkeit rücken.
Das Bundesverfassungsgericht hat klare Grundsätze dafür aufgestellt, wie die Erbschaftsteuer zu gestalten ist, damit ihre Erhebung der Verfassung entspricht. Es muss sichergestellt werden, dass der tatsächliche Verkehrswert von Vermögen zu Grunde gelegt wird. Dann dürfen – aus Gründen des Gemeinwohls – bestimmte Vermögenstatbestände verschont werden. Eine Neuregelung in diesem Sinne muss bis zum 31. Dezember getroffen werden, sonst fällt die Erbschaftssteuer ab dem kommenden Jahr weg.
Unsere Anforderungen an die Reform sind klar: einheitliche Bewertung aller Vermögensarten und ein deutlich steigendes Aufkommen durch höhere Steuern auf große Erbschaften. Zugleich sollen durchschnittliche Erbschaften weiterhin steuerfrei bleiben und Betriebsübergaben erleichtert werden, ohne dass auf angemessene Steuerzahlungen verzichtet wird. Eingetragene Lebensgemeinschaften wollen wir gleichstellen.
Die Senatsverwaltung für Finanzen und der Finanzsenator haben bei der Erarbeitung der Reform eine aktive Rolle gespielt – ob in den Arbeitsgruppen der Finanzministerkonferenz oder in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bundesminister Steinbrück und Ministerpräsident Koch. Das Ergebnis – der Gesetzentwurf der Bundesregierung – ist ein politischer Kompromiss. Er stellt Betriebsvermögen sehr weitgehend von der Erbschaftsteuer frei, bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Vertretbaren. Dies lässt sich durch die Verpflichtung zum Erhalt von Arbeitsplätzen rechtfertigen. Für noch weitergehende Freistellungen gälte dies nicht. Es ist dringend zu hoffen, dass die CDU sich zu dem von ihr mit ausgehandelten Weg bekennt. Wer jetzt den sorgfältig verhandelten Kompromiss in Frage stellt, nimmt es entweder in Kauf oder er legt es sogar darauf an, dass die Steuer im Endergebnis wegfällt, dass vererbte Vermögen gar nicht mehr versteuert werden und dass in die Länderkassen ein entsprechendes Loch gerissen wird. Dies ist, um es deutlich zu sagen, verantwortungslos.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Zackenfels: Der Haushalt des Landes Berlin für das Jahr 2009 sieht Einnahmen aus
der Erbschaftsteuer von rund 190 Millionen € vor, die bei Wegfall der Steuer Ende 2008 zu einem großen Teil entfallen würden, weil – vergleichbar mit der Vermögensteuer – nur noch mit Nachlaufeffekten aus den vorangegangenen Veranschlagungszeiträumen zu rechnen ist.