Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

beispielsweise auf das Niveau einer niedersächsischen Kleinstadt,

[Mieke Senftleben (FDP): Das verlangt ja auch keiner!]

um es dann mühsam wieder – ohne Bundesmittel – aufzupäppeln und wiederherzustellen. Rot-Rot hat sich entschieden, in Bildung zu investieren. Das ist Politik mit Zukunft, das ist rot-rote Politik.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Mieke Senftleben (FDP): Echt?]

Ich finde es angemessen, wenn eine Landesregierung selbstbewusst für die Interessen dieser Stadt eintritt.

[Ramona Pop (Grüne): Selbstgerecht!]

Berlin will nicht nur Hauptstadt genannt werden, sondern auch Hauptstadt sein. Die Stadt bekennt sich zu dieser Rolle, aber sie darf auch zu Recht darauf verweisen, dass die übrige Republik das stärker anerkennen soll. Dass es

mit der Hauptstadtklausel im Grundgesetz nicht getan ist, haben wir in den letzten Wochen und Monaten erfahren. Hier muss Klarheit im Sinne der Hauptstadtrolle, auch verbunden mit den Mehrausgaben, die Berlin für die Bundeshauptstadt trägt, hineinkommen. Alle hier vertretenen Fraktionen wissen, dass mit dem Bonn-BerlinGesetz entschieden worden ist, dass der größere Teil der Arbeitsplätze in den Ministerien in Bonn bleibt. Während heute noch 9 300 Beschäftigte in Bonn arbeiten, sind es in Berlin 8 400. Es ist an der Zeit, diesen Anachronismus zu beenden. Berlin braucht ein Hauptstadtgesetz. Als Linksfraktion werden wir dafür werben.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Verhandlungen zum Hochschulpakt – es geht um 90 000 zusätzliche Studienplätze bundesweit – haben einen Vorgeschmack auf die künftigen Auseinandersetzungen im neuen deutschen Wettbewerbsföderalismus gegeben. Es ging um die gerechtere Verteilung der Lasten. Jene Länder, die in der Vergangenheit – ich nenne BadenWürttemberg und Bayern – Studienplätze abgebaut haben, sollen nun in erheblichem Umfang diesen Aufbau mit Bundesmitteln finanziell unterstützt bekommen, während Berlin, das einen anderen Weg gegangen ist und immer noch eine strukturelle Überlast von 35 000 Studienplätzen für andere Bundesländer trägt, leer ausgehen sollte. Es ist dem scheidenden Wissenschaftssenator Thomas Flierl nach mühsamen Verhandlungen gelungen, die besondere Situation Berlin im Hochschulpakt zu verankern. Nun erhält Berlin 4 % der Mittel des gesamten Bundes, das sind 22,6 Millionen €. Damit wird es möglich, von 2007 bis 2010 18 500 Studienanfängerplätze bereitzustellen. Nehmen wir zusätzlich Landesmittel in die Hand, wie es der Bund und die anderen Länder wollen, könnten es 19 500 Plätze sein.

[Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Auch die Forderungen Berlins nach Übernahme der vollständigen Trägerschaft der Staatsoper unter den Linden durch den Bund sind berechtigt, gleichwohl aber schwer durchzusetzen. Es ist ein Konstruktionsfehler des Einigungsvertrages, die ehemals preußischen, in der DDR zentral geleiteten Kulturinstitutionen auf das Land und nicht auf Bund-Länder-Konstruktionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu übertragen. Im Rahmen der Debatte über ein Hauptstadtgesetz sollte diese Frage erneut diskutiert und möglichst bald entschieden werden. So selbstverständlich und notwendig die Zeichen dieser Koalition waren, keine Landesmittel für die Sanierung der Staatsoper einzustellen, so sehr müssen wir weiter daran arbeiten, die Sanierung der Staatsoper sicherzustellen, Bund und private Geldgeber weiterhin einladen, mitzutun.

[Alice Ströver (Grüne): Das haben die schon erklärt, nur Sie nicht!]

Berlin ist auch weiter in der Pflicht, sorgsam mit seinen Finanzen umzugehen. Bei der Opposition ist von dieser Gesamtverantwortung wenig zu spüren. In der ersten Sitzung dieser Legislaturperiode hat Frau Eichstädt-Bohlig uns noch einmal ihre Vorschläge präsentiert; die reichen

von der Touristen- oder Kurtaxe bis hin zum radikal angekündigten Personalabbau im öffentlichen Dienst mit dem Ziel, noch einmal 400 Millionen € einzusparen. Diese Forderung weist eine gewisse Unkenntnis über den Solidarpakt und die Notwendigkeit der Verhandlungen bei dessen Auslaufen aus, aber ich finde diese Aussage politisch trotzdem sehr spannend. Viele hier im Saal können sich noch gut daran erinnern, welchen wichtigen Beitrag die Beschäftigten im öffentlichen Dienst dafür geleistet haben, dass Berlin finanziell wieder auf die Beine kommt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir drohen den Beschäftigten nicht. Wir werden uns dafür einsetzen, dass sie perspektivisch wieder mehr Geld bekommen können und es gleichzeitig Beschäftigungssicherung und einen Einstellungskorridor gibt. Es ist möglich, wenn man klug und vorausschauend verhandelt, dies mit einem relevanten Sparbeitrag zu verbinden. Das ist ein wichtiges Signal an die Beschäftigten, aber auch an die sogenannte Generation Praktikum.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zurufe von Thomas Birk (Grüne) und Volker Ratzmann (Grüne)]

Herr Lindner! Von Ihnen hat man heute noch gar nichts gehört.

[Heiterkeit]

Doch in den letzten Tagen haben Sie uns vor Sturm gewarnt, machen aber in der Stadt seit Jahren nur dicke Backen und ein bisschen Wind. Auch hier die gleiche Leier: Landesunternehmen verkaufen. Doch was, bitte, ist daran visionär, wenn eine Stadt ihren gesamten öffentlichen Wohnungsbestand veräußert? – Gemessen am Berliner Schuldenberg ein Tropfen auf den heißen Stein. Was bringt es den Mietern, wenn wie in anderen Metropolen Deutschlands die Mieten dann steigen, das Wohnen teurer wird?

[Volker Ratzmann (Grüne): In Berlin wird’s nicht teurer!]

Sollen wir dann zurückkaufen, weil wir merken, dass wir keine sozialen Steuerungsmöglichkeiten mehr haben? – Ich glaube, vorausschauende Politik sieht anders aus.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Deshalb hat sich Rot-Rot entschieden, Berlins Wohnungsbaugesellschaften nicht zu verkaufen, sondern zu sanieren. Wir haben bewiesen, dass Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge – BSR, BVG oder Vivantes – nicht privatisiert werden müssen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Finanzsenator Sarrazin hat Anfang der Woche den Bericht über die Berliner Landesunternehmen vorgelegt. Dort werden zunehmend schwarze Zahlen geschrieben. Das werden wir fortsetzen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Rot-Rot setzt auf die Kraft des sozialen Zusammenhalts, auf das Potenzial, das durch Integration, Chancen- und Bildungsgerechtigkeit entfaltet werden kann. Dafür haben wir Ideen. Die können Sie, liebe Opposition, ja schlecht finden, weil sie nicht von Ihnen stammen, aber vielleicht

denken Sie auch einmal darüber nach, was z. B. der künftige Bildungs- und Wissenschaftssenator, Jürgen Zöllner, zur Gemeinschaftsschule gesagt hat; aus Rheinland-Pfalz kommend, dort vieles ausprobiert habend, dürfte er aus Ihrer Sicht unverdächtig sein, irgendwelcher DDR-Einheitsschule-Nostalgie nachzuhängen: „Die Gemeinschaftsschule“ – so der künftige Senator – „ist ein Grundansatz, der viele Probleme lösen kann.“ – Ein kluger Satz, ein guter Anfang.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir müssen der Ausgrenzung immer mehr junger Menschen entgegenwirken und der Tatsache Rechnung tragen, dass die Bundesrepublik im internationalen Bildungsvergleich immer mehr abgehängt wird. Die bisherigen Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung lösen das Problem im Grundsatz nicht. Und vielleicht, Herr Mutlu, erinnern Sie Ihre Fraktionsspitze einmal daran, dass die Grünen ursprünglich auch einmal dieser Ansicht waren, und stoßen Sie die Eltern und Lehrer nicht vor den Kopf, die Verbesserungen und Veränderungen in der Schule wollen. Strukturveränderungen passieren nicht über Nacht. Bei diesem Wandel muss die Stadt mitgenommen werden, und sie wird mitgenommen.

Deshalb haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, mit einer Pilotphase den Einstieg in die Gemeinschaftsschule zu beginnen. Ziel ist es, in dieser Legislaturperiode einen Weg zu finden, auf dem sich die integrative Gemeinschaftsschule von der 1. bis zur 10. Klasse bzw. bis zum Abitur zur Regelschule entwickeln kann. Dazu gehört im ersten Schritt, dass Schulen zunächst die Chance erhalten, von innen her durch Kooperation oder im Verbund mit anderen Schulen zu Gemeinschaftsschulen zu werden. Die Ausstattung dieser Schulen aus dem Fördertopf wird keineswegs exklusiv sein. Doch beide Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass diese Schulen bei ihrer Weiterentwicklung, bei diesem Experiment zur Gemeinschaftsschule, unterstützt werden sollen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das ist ein Experiment!]

Ich sage sofort auch etwas zur Hauptschule, wenn Sie sich beruhigen. Die Gemeinschaftsschule wird also ein Experiment sein, das, wenn es erfolgreich ist, auch mit einem Standard übertragbar ist.

[Uwe Goetze (CDU): Zulasten der Kinder!]

Da sollten Sie einmal genauer in die Stadt hineinhören! Es stimmt, das ist ein streitbares Thema. Aber etwas Neues einzuführen ist immer streitbar. Es gibt sehr viele Eltern, Schüler, Lehrer, die sich im Moment melden und sich für dieses Projekt interessieren.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die anderen Schulen vergessen wir im Übrigen nicht. 22 Millionen € für die Pilotphase sind gemessen an der kostenfreien Kita, dem Ersatz von dauerkranken Pädagogen für weitere 20 bis 30 Millionen € und 400 zusätzlichen Referendariatsplätzen eine angemessene Summe. Natürlich werden wir uns Gedanken machen müssen, wie wir unseren Einstieg in der Gemeinschaftsschule mit einer

produktiven Debatte um die Fortexistenz der Hauptschulen verbinden.

[Özcan Mutlu (Grüne): Jetzt fällt euch das ein!]

Denn bei allem Engagement der einzelnen Schule, der Schultyp bietet keine Perspektive.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Es gibt zwischen SPD und Linkspartei aber noch mehr Verabredungen, von denen sich die übrige Bundesrepublik einiges abgucken könnte. 2 500 öffentlich geförderte Arbeitsplätze wird Berlin aus eigener Kraft schaffen – sozialversichert, längerfristig, mit Angeboten, die keine Gefährdung für den ersten Arbeitsmarkt darstellen, sondern für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt von Nutzen sind. Wenn es gelingt, ist das großartig für diese Menschen und ihre Familien, und das nützt Berlin. Stellen Sie sich doch einmal vor, ein Unternehmen würde in dieser Größenordnung Arbeitsplätze schaffen, welche Jubelgesänge das auslösen würde.

[Ramona Pop (Grüne): Aber die sollen doch ferngehalten werden vom Arbeitsmarkt!]

Noch etwas zur Forderung, die Gewerbesteuer in der Stadt auf Potsdamer Niveau zu erhöhen. Wir haben uns bewusst entschieden, diesen Ansiedlungsvorteil nicht zu verschenken. Das wird auch die Kreativwirtschaft zu schätzen wissen. Da hat sich ohne Ihr Zutun, Frau Eichstädt-Bohlig, in den vergangenen 5 Jahren wahnsinnig viel getan, und auf diesem Gebiet wird auch weiter eine Menge passieren, weil dafür in der Stadt die Bedingungen stimmen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Linkspartei wird mit drei Senatsressorts in die nächste Legislaturperiode starten, deren Möglichkeiten und Gestaltungskraft gerade Sie, liebe Kollegen von den Grünen, sehr wohl erahnen.

[Volker Ratzmann (Grüne): Minijobs!]

Wir sind uns bewusst, wie sehr Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zusammengehören und wie wichtig sie für eine soziale Entwicklung in dieser Stadt sind. Das ist auch heute nicht nur eine Frage für die, die in Bioläden einkaufen; auch für die, die es sich nicht leisten können, haben wir zu sorgen – für gesunde Lebensweise, für ein gesundes Leben. Für dieses Ressort ist Katrin Lompscher beste Wahl.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Und weil die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in den kommenden Jahren das A und O in dieser Stadt sein wird, erhält Integrationspolitik in Berlin endlich einen neuen Stellenwert – den Stellenwert, den sie braucht.