Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

[Beifall bei der FDP – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Steuererhöhung!]

Da kommt die Antwort. – Bitte, Frau Breitenbach!

Herr Lehmann! Das wiederum ist Geschmacksache, wie man die Formulierung Ihrer Anfrage bewertet. Ich finde viele Fragen zynisch. Da werden viele Sachen behauptet, die nicht haltbar sind, wenn Sie beispielsweise behaupten – die Senatorin verwies bereits darauf –, das Drei-EuroKulturticket wird von den Geringverdienenden finanziert. Wissen Sie, wie hoch Opern bezuschusst werden? Wissen Sie, dass in erster Linie Gutverdienende Opern besuchen und darüber bezuschusst werden?

Aber Sie sagen: Nein, die Langzeitarbeitslosen, diejenigen, die das Drei-Euro-Kulturticket haben, werden bezuschusst, und zwar von den Geringverdienenden. Damit, Herr Lehmann, machen Sie eine Neiddebatte auf. Es geht nicht darum, Probleme nicht zu benennen. Aber ich wende mich dagegen, dass Sie Transferleistungsbeziehenden unterstellen, sie würden in der sozialen Hängematte liegen und sich ein schönes Leben machen.

Ich habe Ihnen die Lösung gesagt, was die Geringverdienenden angeht. Da gibt es nur eine Lösung, und die heißt: gesetzlicher Mindestlohn, damit alle in einer ökonomische Unabhängigkeit und von ihrer Arbeit leben können.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Pop.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Frau Breitenbach! Wenn man sich Ihre Rede anhört, so ist sie mindestens genauso spalterisch wie die Große Anfrage der FDP, und Sie schaffen ganz neue Gerechtigkeitsprobleme mit dem ÖBS, die Sie zuvor gar nicht hatten.

Erklärungsbedürftig bleibt für mich, warum für 2 000 Menschen ein viel besser ausgestatteter Beschäftigungssektor vorhanden sein soll als für Zehntausende andere, die weiterhin in Ein-Euro-Jobs sitzen. Das ist erklärungsbedürftig. Sie regieren hier, und das ist ein Gerechtigkeitsproblem, das Sie sich selbst ans Bein gebunden haben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Ich hatte mich auch gewundert, dass die FDP mit der Überschrift der Großen Anfrage das Soziale entdeckt, und fragte mich, ob die „Berliner Zeitung“ Unrecht hat, die vor zwei Tagen noch schrieb, die Berliner FDP sei insbesondere „privatiserungstrunken“ und „oberschichtsaffin“. Deswegen muss man sich etwas genauer anschauen, was die Große Anfrage eigentlich bezweckt.

Ich finde, auf den ersten Blick ist es sinnvoll, sich anzuschauen und zusammenzutragen, mit welchen Maßnahmen der Staat über Transferleistungen hinaus Unterstützung gewährt. Denn ich finde – ich hoffe, dass wir uns darin einig sind –, dass die angebliche Studie von letzter Woche, die Furore gemacht hat, wonach der Lebensunterhalt auch mit 150 Euro zu bestreiten sei – ich bin froh, dass sich Senator Sarrazin dem nicht angeschlossen hat – nicht als tolerabel angesehen wird. Zum Leben braucht man mehr als nur etwas Essen vom Discounter.

[Beifall bei den Grünen]

Frau Pop! Es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Nein! Ich lasse keine Zwischenfragen zu. – Ich finde, es sollte selbstverständlich sein, dass auch Menschen mit wenig Geld am normalen Leben teilhaben können – mit Telefon, Bus fahren und gelegentlichen Kino- oder Theaterbesuchen. Ich hoffe, dass wir uns darin einig sind.

Um Menschen, die vom Existenzminimum leben – was Arbeit, aber auch Transferleistung sein kann –, das zu ermöglichen, gibt es Sozialtickets beim ÖPNV, es gibt eine Befreiung von der Zuzahlung zu GEZ, es gibt die Befreiung von der Zuzahlung bei Arzneimitteln und, und, und. Es gibt viele Maßnahmen.

Die FDP versucht mit dieser Großen Anfrage – recht ungeschickt –, eine an sich richtige Debatte anzustoßen. Wir haben die Diskussion zum Thema Sozialpass mit Ihnen schon geführt. Die zentrale Frage ist, ist es richtig, dass nur Menschen, die Transferleistungen beziehen, Erleichterungen und Ermäßigungen angeboten bekommen. Das ist durchaus eine berechtigte Frage. Wie viele Debatten haben wir hier im Haus zu Mindestlöhnen, zu „Armut trotz Arbeit“ und, und, und geführt! Eine Vielzahl von Menschen, die arbeiten und dennoch am Rand des Existenzminimums leben müssen, erhalten diese Ermäßigungen nicht. In Berlin sind es – zur Erinnerung – 360 000 Menschen, die weniger als 900 Euro netto verdienen. Das ist das Ergebnis rot-roter Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Prekäre Beschäftigung, und kein Ende in Sicht! Ich finde es ist eine berechtigte Frage, warum der Wachschützer, der bei der Berliner BIM arbeitet, 5,80 Euro die Stunde verdient – weniger als im ÖBS, Frau Breitenbach! –, warum er den gesamten Preis für die Umweltkarte bei der BVG, die Schulbücher für sein Kind selbst bezahlen muss, weil die Lehrmittelfreiheit für ihn nicht gilt und warum er keinen vergünstigten Theaterbesuch zugestanden bekommt.

[Elke Breitenbach (Linksfraktion) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Diese Frage ist berechtigt!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Frau Pop! Es gibt noch einmal den Wunsch einer Zwischenfrage von Frau Breitenbach. Gestatten Sie sie?

Nein, immer noch nicht! – Auf Bundesebene machen Sie viel und mächtig Wirbel um den Mindestlohn. Ich teile diese Forderung, aber dort, wo Sie in Verantwortung stehen, findet ein Anstieg prekärer Beschäftigung statt, das Durchschnittseinkommen der Hauptstadt – weltweit wohl einmalig! – liegt unter dem Landesdurchschnitt. Diese Armut ist alles andere als sexy, meine Damen und Herren von Rot-Rot!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Sie setzen auf McJobs, anstelle mit mehr Qualifizierung für die Erwerbslosen bessere und besser bezahlte Jobs zu schaffen. Sie bieten einen Sozialpass an, aber nur für

Transferleistungsempfänger und nicht für Geringverdiener. Da sind Sie spalterisch, diesen Widerspruch müssen Sie erklären!

[Beifall bei den Grünen]

Kurz zur FDP: Freundlich interpretiert wollten Sie all diese wichtigen Fragen aufwerfen, aber ich finde, dass die Tonlage Ihrer Großen Anfrage leider eine Neiddebatte anzettelt. Sie versuchen, sich ein wenig an den sogenannten kleinen Mann heranzuschmeißen und enden dann, Herr Lehmann, in einer billigen Polemik.

[Na, na! von der FDP]

Sie haben offensichtlich zwar erkannt, dass der platte Neoliberalismus des Herrn Lindner mindestens genauso radikal und polemisch ist, wie der von Herrn Lafontaine auf der anderen Seite. Das hält Sie konstant unter 8 Prozent und macht Sie auf Dauer regierungsunfähig. Suchen Sie weiter nach dem sozialen Fähnlein, das ist die richtige Richtung! Aber das hier war noch nicht der Weisheit letzter Schluss.

[Beifall bei den Grünen]

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Frau Abgeordnete Breitenbach. – Bitte schön!

Frau Pop! Ich möchte zwei Punkte aufgreifen. Sie beantworten leider meine Frage nicht, wenn Sie sagen, es sei ungerecht, dass es mit dem ÖBS bislang nur 2 000 Stellen gibt. Sie wissen, dass es mehr sind! Aber wir beide wissen, dass die ÖBS-Stellen nicht reichen, um die Arbeitslosigkeit in der Stadt komplett abbauen zu können. Das hat etwas mit den Bundesprogrammen, die wir kofinanzieren, zu tun, das wissen Sie doch auch!

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Herr Esser, mit Ihnen rede ich nicht, sondern mit Frau Pop! Sie kann allein antworten. – Mich interessiert, Frau Pop: Ist es für Sie sozial gerecht, wenn alle in staatlichen Arbeitsmaßnahmen Befindlichen mies bezahlt werden? Warum sagen Sie immer, die einen verdienen 900 Euro, die anderen 1 300 Euro, und das sei sozial ungerecht? Ist es nicht viel besser, dafür zu kämpfen und zu zeigen, dass es möglich ist, dass Menschen existenzsichernde Arbeitsplätze haben?

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Das ist meine Frage an Sie, die sie leider nie beantworten.

Was den Wachschutz angeht, Frau Pop, wissen wir auch beide: Es gibt tarifvertragliche Regelungen. Ich kann es bedauern, dass diese Tarifverträge so schlecht sind, das werden die Gewerkschaften auch tun, aber ich kann es nicht ändern. Deshalb benötigen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Ich kann da immer wieder nur das Gleiche sagen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das Wort zur Erwiderung hat Frau Kollegin Pop. – Bitte!

Wissen Sie, Frau Breitenbach, Sie müssen hier Fragen beantworten! Es ist immer die ewige gleiche Leier, die Sie uns erzählen: Sie können nichts dafür, denn die Bundesprogramme, die Jobcenter, die Haushaltslage, der Finanzsenator, das EU-Gericht... Wer auch immer ist schuld daran, dass Ihrer „tolle“ Politik nicht funktioniert!

[Uwe Doering (Linksfraktion): Die Grünen wissen immer alles besser!]

Deswegen backen Sie sich ein kleines Projekt, damit Sie sich wohlfühlen können, so 2 000 Stellen, die ideal sind, so wie Sie sich das vorstellen. Ich finde das auch ideal, aber nicht für 2 000 Menschen, sondern für sehr viele mehr. Daran arbeiten Sie nicht, weil ja angeblich immer die anderen schuld sind.

[Martina Michels (Linksfraktion): Natürlich! – Uwe Doering (Linksfraktion): Wer hat denn Hartz IV eingeführt?]

Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie mit 120 Millionen Euro nur 7 000 Jobs fördern. Wenn Sie so viel Geld in die Hand nehmen, müssen mehr Menschen davon profitieren. Da akzeptiere ich die Antwort nicht: Das ist meine Insel der Glückseligkeit, damit kann ich nachts gut schlafen und der Rest, daran ist eben der Bund, der Finanzsenator oder wer auch immer schuld, dass es nicht besser wird. – Diese Gerechtigkeitsfrage ist Ihre allein, und die müssen Sie beantworten.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit besprochen.

Ich komme nun zu

lfd. Nr. 5: