Meine Damen und Herren! Ich eröffnet die 36. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Medienvertreter sehr herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Zur Großen Anfrage der Fraktion der FDP über „Tarifstreik bei der BVG“ Drucksache 16/1610 ist im 14. Oktober 2008 die schriftliche Antwort des Senats Drucksache 16/1821 eingegangen.
1. Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Linksfraktion und der Fraktion der Grünen zum Thema: „Finanzmarkt in der Krise und ihre Auswirkungen auf Berlin“,
2. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Werden nach den Parkplätzen auch die Autos verboten? Die Beschränkung der Innenstadtparkplätze ist wirtschafts-, verkehrs- und bürgerfeindlich!“.
Die Fraktion der FDP hat im Ältestenrat ihr Thema zurückgezogen und sich dem Thema der übrigen Fraktionen angeschlossen.
Am Dienstag hat mich ein Schreiben des Herrn Regierenden Bürgermeisters Wowereit mit der Ankündigung erreicht, eine Erklärung entsprechend Artikel 49 Abs. 3 der Verfassung von Berlin zum geplanten Finanzmarktstabilisierungsgesetz abgeben zu wollen. Diese Erklärung wird erfolgen, sobald der Regierende Bürgermeister von den Gesprächen im Bundeskanzleramt zurück ist und im Abgeordnetenhaus eintrifft. Das wird aller Voraussicht nach gegen 17.30 Uhr der Fall sein.
Die Fraktionen haben sich einvernehmlich darauf verständigt, die Aktualität ihres Antrags auf Durchführung einer Aktuellen Stunde, die nachher mit dem Regierenden Bürgermeister abgewickelt wird, zu begründen. Zur Begründung der Aktualität rufe ich nun für die Fraktion der SPD Herrn Kollegen Zackenfels auf. – Bitte schön, Herr Zackenfels, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Begründung könnte ganz einfach lauten: Es gibt kein aktuelleres Thema. Es ist, finde ich, ein Zeichen von Reife und Verantwortungsbewusstsein, dass sich unser Haus heute über alle Fraktionen hinweg offenbar auf das Thema Finanzmarktkrise einigen konnte.
Solange der Immobilienwerteverfall in den USA allein Kern der Krise war und einige schlecht wirtschaftende Landesbanken wie die SachsenLB oder Bundesinstitute wie die KfW betroffen waren, konnte man sich der Illusion hingeben, der Kelch zöge an uns vorüber. Mit dem von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück nun vorgelegten Finanzmarktstabilisierungsgesetz steht die von Klaus Wowereit geführte Landesregierung vor einer folgenschweren Entscheidung. Formal – ich betone ausdrücklich: formal – bedarf es wohl unserer Zustimmung hier nicht, aber dass die Länder, letztendlich auch wir so mir nichts dir nichts ins Obligo gehen müssen, ohne Mitsprache bei der Abwicklung und Kontrolle der Gelder zu haben, haben im Übrigen die bayerische CSU und auch noch ganz andere Angela Merkel vorgeworfen.
Wir in der SPD-Fraktion begrüßen daher umso mehr, dass der Regierende Bürgermeister diese Krise zum Anlass nimmt, uns hier in Form einer Regierungserklärung direkt nach seinen Gesprächen mit der Bundesspitze den aktuellen Stand der Verhandlungen und die Position Berlins darzustellen.
Die Tragweite der Entscheidung erfordert in der Tat Antworten auf Fragen wie: Welchen finanziellen Risiken wird Berlin in den kommenden Jahren ausgesetzt sein? Können wir – und wenn, wie – verhindern, dass wir, die wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und die letzten Jahre unsere Bücher sehr erfolgreich von faulen Geschäften sauber gehalten haben, jetzt für die miesen Geschäfte der baden-württembergischen und nordrhein-westfälischen Landesbanken bürgen müssen? Und ganz im Zentrum natürlich die Frage: Wie signalisieren wir hier den Menschen in Berlin, dass wir da sind und verantwortungsvoll, aber nicht oberflächlich, schnell, aber nicht unbedacht mit den Folgen der Krise umgehen?
Peer Steinbrück hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Zeit der Millionengehälter, der Boni, der Abfindungen ohne Gegenleistungen ist vorbei.
Auch die Strukturen der Finanzmärkte weltweit und in unserem Land bedürfen endlich einer Regulierung.
Mehr denn je misst sich an diesen beiden Seiten der gleichen Medaille – Stabilisierung des Geldflusses einerseits und Lehren aus dem Finanzwahnsinn andererseits –, wie weit Politik und Staat Glaubwürdigkeit verteidigen, vielleicht sogar hier zurückgewinnen können.
Ich bin mir sicher, dass die hoffentlich nachdenkliche und präzise Debatte einer solchen Aktuellen Stunde wie die, die jetzt ansteht, den Berlinerinnen und Berlinern die Antworten ihrer Volksvertreter geben wird, auf die sie ein Recht haben. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Herr Zackenfels! – Für die CDU-Fraktion spricht nunmehr Herr Goetze. – Bitte schön, Herr Goetze, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, seit mehreren Wochen wird über nichts anderes mehr gesprochen als über die globale Finanzkrise mit ihren gewaltigen Herausforderungen, die schnelles und entschiedenes Handeln auf allen Ebenen fordert. Deswegen werden wir uns heute unter zwei Tagesordnungspunkten damit beschäftigen. Das Abgeordnetenhaus von Berlin wird den Versuch unternehmen, einen vergleichbaren, wenn auch kleinen Beitrag zur Bewältigung dieser Finanzmarktkrise zu schaffen.
Banken und Fondsgesellschaften haben in den vergangenen Jahren Deregulierung und Freiheit eingefordert, aber sie sind mit dieser Freiheit nicht so umgegangen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Durch die Entwicklung immer neuer Finanzprodukte sind Risiken bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und neu verpackt worden, aber diese Risiken sind dadurch nicht verschwunden, sondern nur schlechter nachvollziehbar geworden. Das Prinzip, dass mit hohen Renditen und hohen Risiken auch die Gefahr von Verlusten verbunden ist, wurde durch dieses Versteckspiel durchbrochen. Viele von uns sind auch angesichts hoher Renditeversprechungen darauf hereingefallen.
In den vergangenen Tagen haben uns viele Leute darauf angesprochen, ob ihr Geld noch sicher sei und was die Politik und jeder einzeln für sich genommen jetzt tun könne. Meine Antwort war immer: Durch das verantwortungsvolle Handeln der Bundesregierung, die die Sichteinlagen und die Sparguthaben der Menschen abgesichert hat, ist ein gefährlicher Prozess des Vertrauensverlusts gestoppt worden.
Die Bundeskanzlerin hat es mit ihren Worten zusammengefasst: Vertrauen ist die Währung, in der bezahlt wird. Die Menschen, die einer Bank ihr gespartes Geld anvertrauen, müssen davon überzeugt sein, dass dieses Geld in guten Händen ist. Darum geht es jetzt: Vertrauen und Sicherheit schaffen.
Ein solches Sanierungs- beziehungsweise Konsolidierungspaket ist nicht nur notwendig, sondern alternativlos. Wir müssen der Finanzkrise unter den Rahmenbedingungen unserer höchsten wirtschaftlichen Errungenschaft begegnen, der sozialen Marktwirtschaft. Es geht darum zu verhindern, dass die Schieflage auf den Finanzmärkten massiv auf unsere Realwirtschaft durchschlägt, dass Arbeitsplätze verloren gehen und eine ausgeprägte Rezession um sich greift. Wir müssen die Gefahr reduzieren, dass den Unternehmen durch einen Mangel an Krediten Ver
trauen entzogen wird, dadurch das Finanzsystem, das wir hier in der Bundesrepublik haben, Schaden leidet und insgesamt unsere Wirtschaft ohne solche Hilfen, wie sie die Bundesregierung derzeit vornehmen will, den Bach runtergeht.
Deswegen stehen für uns auch die Hilfsaktionen für einzelne Banken nicht im Vordergrund. Das mag notwendig sein, um Kollapssituationen zu reduzieren. Für uns steht eine Hilfe im Vordergrund, die letztlich auch in der mittelständischen Wirtschaft ankommt, dass Investitionen weiter getätigt werden, die häufig durch Kredite finanziert werden, dass kurzfristige Betriebsmittelkredite weiter gewährt werden und dass deswegen Firmen nicht unnötigerweise in Konkurse gezwungen werden. Das ist die Hauptaufgabe, darum geht es, und deswegen müssen die Banken sich untereinander wieder Geld leihen und den Unternehmen Geld leihen.
Wichtig ist auch, dass wir daraus Schlussfolgerungen für die Kontrollmechanismen ziehen. Eine derartige Deregulierung der Märkte, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, muss ein Ende haben. Sinnvolle Regulierungen müssen eingeführt werden, verbunden mit den notwendigen Kontrollen.
Wir haben allerdings hier in Berlin auch eine Situation, die wir heute im Rahmen der Aktuellen Stunde erörtern wollen. Wir fragen den Regierenden Bürgermeister, wie sich die rot-rote Koalition in dieser Krise verhält. Herr Wowereit hat heute die Gelegenheit, zur Vertrauensbildung beizutragen und deutlich zu machen, dass die Solidarität unter den Bundesländern keine Einbahnstraße ist. Rot-Rot fordert seit Monaten Entschuldungshilfen für Berlin in der Föderalismuskommission II ein. Auf der anderen Seite macht Berlin Vorbehalte bei der gemeinsamen Handlung und der gemeinsamen Krisenbewältigung der Bundesländer zusammen mit der Bundesregierung. Das kann so nicht sein! Solidarität ist keine Einbahnstraße. Hier muss Herr Wowereit an beiden Strängen ziehen.
Ja! – Zweitens wollen wir wissen, mit welchen Maßnahmen dieser Senat der strukturschwachen Berliner Wirtschaft hilft. Der IHK-Chef hat in einem Interview erklärt, man müsse mehr Verständnis für die Wirtschaft haben. Wir wollen wissen, wie der Regierende Bürgermeister sich auf den Ernstfall einer konjunkturellen Schlechterentwicklung in der Stadt vorbereitet hat.
Drittens wollen wir auch noch wissen, wie Herr Sarrazin diese Probleme in seinem Haushalt abbildet. Das Herbstgutachten hat gezeigt, dass mit weniger Steuereinnahmen zu rechnen ist und dass das optimistische Bild, das Herr Sarrazin in seinem Haushaltsplanentwurf und in der mittelfristigen Finanzplanung gezeichnet hat, nicht mehr realistisch ist. Wir erwarten, dass ein Nachtragshaushalt vorgelegt wird, in dem eine realistische Einschätzung gegeben und den Berlinerinnen und Berlinern auch gesagt wird, wo gespart werden muss und welche Schlussfolgerungen für den Berliner Landeshaushalt aus der schlechter werdenden wirtschaftlichen Situation zu ziehen sind. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Für die Linksfraktion hat nunmehr der Kollege Wechselberg das Wort. – Bitte schön, Herr Wechselberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einem Desaster historischen Ausmaßes endet in diesen Wochen die Epoche des spekulativen Finanzmarktkapitalismus und erschüttert das bestehende Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten. Die schwerste Krise der internationalen Finanz- und Wirtschaftsmärkte seit 1931 bedroht Wohlfahrt und Arbeitsplätze zahlloser Menschen weltweit. Es sind in diesem monumentalen Systemversagen die von skrupelloser Gier getriebenen kapitalistischen Finanzmärkte und ihr aktueller Fall ins Bodenlose,
die die Menschen und die Politik voller Sorgen, Wut und berechtigter Ängste in die Zukunft blicken lassen, auch uns auf der bescheidenen Bühne der Berliner Politik.
Bundestag und Bundesrat stehen vor der Entscheidung, über die Risikoabschirmung des Finanzkapitalismus, und natürlich haben auch wir als Linke, die wir wohl manches früher und klarer gesehen haben als andere,
die große Hoffnung, dass sich dessen Crash vermeiden lässt. Wir hoffen, dass es gelingt in der jetzt begonnenen internationalen Kraftanstrengung, den Kollaps der Banken und der Wirtschaft aufzuhalten – mit Tausenden Milliarden Euro und Dollars an Garantien und Bürgschaften aus den öffentlichen Kassen, mit Verstaatlichungen und mit massiven Eingriffen in die Finanzmärkte, allein in der Bundesrepublik mit rund 500 Milliarden Euro. Das findet prinzipiell unsere Zustimmung, weil es das kleinere Übel ist und wohl nur so verhindert werden kann, dass sich der Krise der Finanzmärkte ein Zusammenbruch der Realwirtschaft anschließt.
Wir kritisieren zugleich gemeinsam mit den Fraktionen von SPD und Grünen im Bundestag, dass die Verwendung der Rettungsmilliarden und die an sie geknüpften Bedingungen undemokratisch erfolgen und allein, jenseits parlamentarischer Beteiligung und Kontrolle, im Ermessen des Bundesfinanzministers und des Bundeskabinetts stehen sollen. Bevölkerung, Bundesländer und Bundestag, die derartig umfassend und bis weit in die Zukunft hinein in eine Hunderte Milliarden Euro schwere Haftung genommen werden sollen, haben zweifellos das Recht, über die Verwendung dieser Mittel und deren Kontrolle mitzuentscheiden und ihrerseits festzulegen, welche Auflagen Banken und Manager erfüllen müssen, um dieses öffentliche Geld erhalten zu können.
Die jetzigen Regelungen jedenfalls sind inakzeptabel und bedürfen dringend der Veränderung, auch noch in den wenigen Stunden, die jetzt noch für eine Einigung über das Paket zur Verfügung stehen. Wir brauchen darüber hinaus faire Bedingungen für die finanzielle Beteiligung der Länder. Wir erinnern daran, wie Berlin allein die Lasten des Berliner Bankenskandals bewältigen musste – überhaupt eine interessante Parallele im Kleinen – und wie wir mit unseren Altschulden von rund 58 Milliarden Euro in Karlsruhe im Regen stehen gelassen wurden. Wenn jetzt unsere gesamtstaatliche Verantwortung als Bundesland eingefordert wird – der wir uns nicht entziehen –, muss wenigstens eine angemessene Berücksichtigung unserer finanziellen Leistungsfähigkeit erfolgen, und diese ist objektiv gering.