Es geht in den kommenden Monaten, wenn sich der Nebel gelichtet hat, um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass sich ein derartiges Desaster strukturell nicht wiederholen kann. Wie kann endlich eine umfassende und effektive Regulation der Finanzmärkte erreicht werden? Wie wird sichergestellt, dass die Nutznießer des Systems, die über Jahre profitiert und Milliarden an privatem Reichtum gescheffelt haben, während nun die Verluste vergesellschaftet werden sollen, angemessen zur Kasse gebeten und an den Kosten des Desasters umfassend beteiligt werden?
Wir brauchen dafür eine Steuer- und Abgabenpolitik, die weit gerechter ist als die bestehende, und wir brauchen eine gezielte Belastung der Besserverdienenden.
Wie soll man in dieser Krise eigentlich noch vor einer zu Recht empörten Bevölkerung rechtfertigen, die die Zeche für die Spekulanten zahlen soll, dass es keine angemessene Erbschaftsteuer gibt, keine angemessene Vermögen- steuer und Vermögensabgabe und keine Einkommensteuer- und Unternehmenssteuersätze, die Unternehmen, Besserverdienende und Vermögende angemessen belasten?
Wir erwarten endlich die Thematisierung der Einnahmeseite unseres Staates und auf Vermögen und Besserverdienende zielende Vorschläge und politische Initiativen, die diese zur Kasse bitten, gerade auch aus dem rot-roten Berlin! Das erzwingt diese Krise, und das erzwingt die berechtigte Wut der Bevölkerung.
Danke schön, Herr Kollege! – Für die Grünen hat nunmehr der Kollege Esser das Wort. – Bitte schön, Herr Esser!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen im Augenblick noch nicht, ob sich auch Berlin mit Verpflichtungen von bis zu 7 Milliarden Euro an dem Rettungspaket der Bundesregierung beteiligen muss. Aber unabhängig davon dürfte uns allen bewusst sein, dass die deutsche Politik in Bund und Ländern vor der folgenschwersten finanziellen Entscheidung ihrer Geschichte steht. Ich nehme an, Sie alle spüren – genau wie ich – das bedrückende moralische Dilemma, das mit dieser Entscheidung verbunden ist. Weil niemand sonst mehr handlungsfähig ist, ist es zur Aufgabe der Politik und des Staats geworden, einen Zusammenbruch des Kreditsystems zu verhindern und die damit verbundenen verheerenden Folgen für die produzierenden Unternehmen, ihre Beschäftigten und die gesamte Bevölkerung abzuwenden. Zögern und Zuwarten darf man da nicht. Die falsche Politik der 1930erJahre dürfte uns allen eine Warnung sein. So weit ist die staatliche Rettungsaktion tatsächlich ohne Alternative.
Aber: Mit dem Finanzsystem rettet man unausweichlich – und das ist das moralische Dilemma – auch die Spitzbuben in Nadelstreifen, die den Schaden angerichtet haben.
Die Menschen fragen uns deshalb zu Recht: Warum nehmt ihr diejenigen, die das Desaster in erster Linie verursacht haben, nicht stärker in die Mithaftung?
Der Regierende Bürgermeister Wowereit antwortet dann, wie heute morgen zu lesen ist, leichthin: Hier werden keine Geschenke an die Banken verteilt. – Wenn man das Rettungspaket der Bundesregierung aber genauer liest – was leider kaum einer tut –, kommt man zu einem ganz anderen Schluss: Das Gesetz lässt es ausdrücklich zu, unnötige Geschenke zu verteilen.
Es handelt sich um ein finanzpolitisches Ermächtigungsgesetz, das der Regierung drei Instrumente für mögliche Maßnahmen zur Verfügung stellt: erstens Eigenkapitalzuführung, zweitens Kreditgarantien, drittens Aufkauf fauler Kredite und Investments. Nur bei der „Rekapitalisierung“ genannten Verstaatlichungsvariante in § 6 wird von den Banken zwingend eine Gegenleistung verlangt. Eigenkapital gibt es in der Tat nur gegen die Übertragung von Geschäftsanteilen an den Staat. Aber weder für die Kreditgarantien nach § 7 und – schlimmer noch – selbst für den Aufkauf von Problemkrediten und Investments nach § 8 ist irgendeine Gegenleistung der Banken, ihrer Eigentümer oder Manager zwingend vorgeschrieben. Es ist in das Belieben der Bundesregierung gestellt,
welche Mittel sie vorzugsweise ergreift und welche nicht, und ob Gegenleistungen verlangt werden, ist zukünftigen Rechtsverordnungen der Regierung überlassen. Das, Herr Lindner – wegen Ihres Zwischenrufs vorhin –, ist der Grund, warum ich gesagt habe, es sei ein Ermächtigungsgesetz für die Regierung. Die Parlamente haben hier nichts in der Hand.
Dann sage ich Ihnen noch dazu: So groß ist das Vertrauen von uns Grünen in eine Regierung aus CDU und SPD nicht, dass wir ihr diesen Blankoscheck ausstellen wollen.
Um unsere Unterstützung zu bekommen, Herr Zackenfels, muss das Paket eine klare politische Richtung bekommen. Wir unterstützen den Weg, den Banken gegen Abgabe von Geschäftsanteilen Kapital zuzuführen. Wir lehnen es aber ab, Kredite und Investments ohne jede Gegenleistung aufzukaufen oder zu garantieren.
Aufgabe der Politik ist es definitiv nicht, alle Finanzmarktakteure und ihre Vermögen auf Kosten der Steuerzahler herauszuhauen. Davon sind inzwischen selbst die USA abgekommen, und Großbritannien hat diesen Weg zu Recht nie beschritten.
Die gigantische Hilfsaktion der Allgemeinheit ist nur gerechtfertigt, wenn sie zugleich wenigstens eine erste Antwort auf die tiefergehende Frage enthält: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben? – In einer Gesellschaft, in der nachhaltig gewirtschaftet wird – ökologisch, sozial, finanziell und ökonomisch – oder weiter in einer Welt, die von Kurzfristdenken, besinnungslosem Profitstreben und verantwortungslosem Schuldenmachen beherrscht wird und in der ein Bankenvorstand im Jahr 200 Mal so viel verdient wie ein Lehrer? Ich bin gespannt, ob die Debatte heute Abend auf der Höhe der Zeit und der aufgeworfenen Fragen geführt wird. – Danke!
Danke schön, Herr Kollege Esser! – Für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Meyer das Wort. – Bitte schön, Herr Meyer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen noch einmal kurz auf die Ursachen der Finanzmarktkrise eingehen. Wir sind uns doch hier alle im Klaren darüber, dass der Kern des Problems in den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden ist,
dass dort durch staatliches Handeln, durch eine verantwortungslose Zins- und Geldpolitik und letztlich durch eine verantwortungslose Kreditvergabe in der Masse
Die Krise, die von den USA nach Europa gekommen ist, die Krise, die wir jetzt zu besprechen haben, ist eine Vertrauenskrise zwischen den Banken. Es ist keine Vertrauenskrise zwischen Kunden und Banken, sondern das Problem, das wir haben und dessentwegen wir über ein Stabilitätspaket reden müssen, ist, dass sich Banken untereinander kein Geld mehr leihen und wir ein Liquiditätsproblem haben.
Dazu kommt, dass in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich in den letzten Jahren die Bankenaufsicht,
die die bereits regulierten Märkte kontrollieren sollte, versagt hat. Wir müssen auch darüber reden, dass das Nebeneinander von BaFin und Bundesbank in der Form nicht mehr Bestand haben kann.
Im Interesse des Landes wird sich die FDP auf Bundesebene und sicherlich auch hier im Abgeordnetenhaus nicht gegen dieses Rettungspaket stellen. Wir sind sicherlich, was die Kritik an einzelnen Punkten angeht, durchaus bei Ihnen, Herr Esser, und bei Ihnen, Herr Zackenfels! Es kann nicht sein, dass die Länder in die Mithaftung genommen werden, wenn die Entscheidungskompetenz einzig und allein auf der Bundesebene verbleibt. Das geht nicht.
Herr Wechselberg! Es geht nicht, dass Sie die momentane Krise zu einer Art Pauschalkritik an der sozialen Marktwirtschaft nutzen wollen.
Das funktioniert nicht. Sie haben selbst die Bankgesellschaft als Beispiel genannt. Wir haben nicht nur in der DDR, sondern in den letzten zehn, fünfzehn Jahren hier in der Bundesrepublik genug Beispiele dafür gehabt, dass der Staat als Banker versagt.
In Berlin tragen wir immer noch an den Folgen. Wir sehen es in Sachsen, wir sehen es bei der WestLB, wir sehen es in Baden-Württemberg.