Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Demirbüken-Wegner.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 2004 hat die CDU-Fraktion darum gekämpft, dass die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder wieder zur Pflicht gemacht werden.

[Zuruf von Dr. Margrit Barth (Linksfraktion)]

Verfassungsrechtliche Bedenken überwogen jedoch bei den anderen Fraktionen, deshalb ist der Versuch der Koalition, die Vorsorgeuntersuchung über ein zentrales Einladungswesen verpflichtend zu gestalten, an sich zu begrüßen. – Na, Frau Dr. Barth, sind Sie verwundert, dass wir es begrüßen? Erst zuhören, nicht? – Trotzdem werden wir dem vorliegenden Gesetz aus unterschiedlichen Gründen nicht zustimmen. Auf einige möchte ich näher eingehen.

Das zentrale Einladungssystem gehört nach unserer Meinung in das Gesundheitsdienstgesetz. Es zum Mittelpunkt eines umfassenden Schutzgesetzes zu machen, ist uns zu kurz gegriffen – dazu gehört mehr. So sind die frühen Hilfen, die bereits vor der Geburt ansetzen müssen, nicht ausreichend, ebenso die inhaltlichen Ausführungen zum Netzwerk Kinderschutz. Wir stimmen deshalb mit dem Deutschen Kinderschutzbund überein, der bereits bei der Anhörung kritisierte, ich zitiere:

Dass Prävention und frühe Hilfen Garanten für den Schutz von Kindern sein können, ist bekannt.

Im vorliegenden Gesetz finden sich diese Begriffe zwar wieder, sie werden aber weder in der inhaltlichen noch ihrer finanziellen Ausgestaltung näher erläutert.

Der nächste Kritikpunkt, den wir mit vielen Fachleuten teilen, steht damit in engem Zusammenhang, und das ist das Fehlen jeglicher personeller und fachlicher Mindeststandards. Wie wichtig solche Mindeststandards als Grundlage für die Arbeit der Gesundheits- und Jugendämter sind, zeigt die Entwicklung der Ersthausbesuche unter Rot-Rot. Lichtenberg schafft beispielsweise – wegen Personalnot – nur 65 Prozent, Tempelhof-Schöneberg nur 60 Prozent, Neukölln gerade mal 50 Prozent. Wie kann das Netzwerk Kinderschutz unter diesen Bedingungen wirklich tragfähig und vergleichbar in allen Bezirken ausgestaltet werden?

Ebenfalls kritisch sehen wir auch den neu eingeführten § 11, in dem versucht wird, einen Teil der Verantwortung auf Berufsgeheimnisträger nach § 203 des Strafgesetzbuchs abzuwälzen. Auch der kürzlich dazu abgegebene Hinweis der Senatorin, dass man diesen Paragrafen bewusst aus dem Entwurf des Kinderschutzgesetzes des Bundes übernommen habe, macht es nicht besser – ist doch gerade auch dieser Punkt in die Kritik des Bundesrates geraten.

Die vielen Änderungsanträge der Koalition zu einer Regierungsvorlage zeigen, wie handwerklich schlecht dieses Gesetz gemacht wurde. Selbst im Änderungsparagrafen vom 16. November sind zwei Paragrafen des Ursprungsantrags einfach verloren gegangen. Es handelt sich um die §§ 12 und 13 alt, Rechtsverordnung und Ausführungsvorschriften. Ich finde es ganz unerheblich, ob man diese einfach nur vergessen oder gänzlich darauf verzichtet hat – letzteres würde bedeuten, dass die Menschen, die in der Praxis dieses Gesetz umsetzen müssen, noch mehr als bisher im Nebel stochern müssen.

Die CDU-Fraktion ist der Ansicht, dass dieses Gesetz nicht tauglich ist, als ein wirklich wirksames Instrument für einen nachhaltigen Kinderschutz in Berlin dienen zu können.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat Herr Dr. Albers das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl sich der Einzelplan 11 im Verhältnis zum Gesamthaushalt eher bescheiden ausnimmt, kommt diesem Einzelplan wesentliche Bedeutung für die Sicherung der Daseinsfürsorge und damit für die Lebensqualität der Menschen in dieser Stadt zu.

Stefanie Winde

Die Ausgaben steigen im Verhältnis zu den Ausgaben in 2009 um weitere 30 Millionen Euro auf 284 Millionen Euro im Jahr 2010 und auf 289 Millionen Euro im Jahr 2011. Das ist ein deutlicher Aufwuchs, auch wenn wir uns für die sensiblen und wichtigen Felder Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz sicher mehr hätten vorstellen können. Die Bedingungen sind zur Zeit nicht so, so viel vorweg.

Ein wesentlicher Posten in diesem Einzelhaushalt bleiben die Ausgaben für unsere Krankenhäuser, und deshalb die bittere Botschaft zuerst: 2010 und 2011 werden keine Mittel für neue Krankenhausprojekte eingestellt werden können. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag festgehalten, dass das Land Berlin auch künftig seiner Verantwortung für die Finanzierung der Krankenhausinvestitionen gerecht wird – wir stehen dazu.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir wissen, der Investitionsbedarf der Krankenhäuser ist nach wie vor hoch, auch wenn 2009 über den Nachtragshaushalt mehr als 90 Millionen Euro zusätzlich an Krankenhausinvestitionen realisiert werden konnten. Nach wie vor geben wir jährlich rund 33 Millionen Euro für die Rückzahlung von Krediten aus, mit denen in den 1990erJahren Krankenhausinvestitionen auf Pump getätigt wurden – oppositionelle Beckmesserei ist deshalb hier nicht angebracht. Wir werden das Problem der Investitionen in Zukunft grundsätzlich angehen müssen – da bleibt Handlungs- und Entscheidungsbedarf.

Diese Koalition bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Miteinander von öffentlichen, frei gemeinnützigen, kirchlichen und privaten Krankenhausträgern. Unabhängig davon wird die Koalition am Erhalt der öffentlichen Trägerschaft von Charité und Vivantes festhalten.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ratschläge, man möge privates Kapital in unsere öffentlichen Krankenhäuser holen oder diese gar ganz oder in Teilen privatisieren, sind wenig hilfreich – Kollege Müller hat dazu heute morgen schon klare Worte gefunden.

Der private Geldgeber holt sich sein Geld auf dem Kapitalmarkt. Die Kosten für Zins, Tilgung und für die erwartete Rendite werden auf die Krankenhäuser abgewälzt und sind zusätzlich aus der Patientenversorgung zu erwirtschaften. Die Krankenkassenbeiträge der Menschen und die Fallpauschalen, mit denen die Kassen die Versorgung im Krankheitsfall vergüten, beinhalten nirgendwo eine Marge für Zins, Tilgung oder Gewinnerwartungen. Uns helfen auch keine Planspiele, im Südwesten Krankenhausbetten zu schließen. Das löst kein Investitionsproblem. Wir brauchen diese Betten allesamt. Wir sind mit dem Verhältnis von 55 Betten auf 10 000 Einwohner, einer Auslastung von über 82 Prozent und einer Verweildauer von rund acht Tagen am unteren Ende der Skala angelangt. Wir brauchen eher mehr Betten in dieser Stadt, nicht weniger. Wer sie an dem einen Ende schließt, muss sie am anderen Ende für mehr Geld mit höheren Investitionen wieder aufmachen.

Nächstes Thema: Integrierter Gesundheitsvertrag. Dieser wird fortgeführt und nicht abgesenkt. Davon profitieren alle IGV-Projekte.

[Thomas Birk (Grüne): Nicht alle!]

Wir werden die Aufgaben des Integrierten Gesundheitsvertrages nicht ausschreiben. Wir haben die Mittel für den IGV stabilisiert und mit einem Fünfjahresvertrag für Planungssicherheit gesorgt. Wir haben zusätzliche Ausgaben ermöglicht, durch die auch neue Aufgaben schwerpunktmäßig gefördert werden können. Auch die notwendigen zusätzlichen Stellen für den Kinderschutz sind im Haushalt abgesichert. Frau Winde hat es gesagt: 1,1 Millionen Euro stehen für die 24 Stellen zur Verfügung, und noch einmal klar und deutlich, Frau Demirbüken-Wegner, weil es immer wieder falsch dargestellt wird: Sinn unseres Kinderschutzgesetzes ist die Erhöhung der Teilnahmerate an den Vorsorgeuntersuchungen zunächst bis zur U 9, nicht mehr und nicht weniger,

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

eine weitere Masche im Netzwerk Kinderschutz. Dieses Gesetz verhindert nicht Kindesmisshandlungen und Kindesmissbrauch. Das sind nicht die Erwartungen, die wir mit dieser Regelung verbinden. Dazu braucht es zusätzliche und andere Regelungen. Dazu braucht es in der Tat Aufklärung und Prävention. Dazu braucht es das Netzwerk Kinderschutz, an dem wir deshalb intensiv weiterarbeiten.

Unser Gesetz nimmt die Behörden in die Verbindlichkeit, durch gezielte Aufklärung und Information die Akzeptanz für diese sinnvollen Untersuchungen zu erhöhen. Ich habe es im Ausschuss gesagt: Wenn nur ein einziges Kind pro Jahrgang durch die Teilnahme an der Untersuchung vor den schwerwiegenden Folgen einer ansonsten nicht oder zu spät diagnostizierten Erkrankung bewahrt werden kann, dann hat sich dieses Gesetz gelohnt und seine Kritiker sind beschämt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Zum Umwelt- und Klimaschutz: „Der Tagessspiegel“ berichtete gestern über die Klimastudie, die ein Londoner Institut im Auftrag von Siemens durchgeführt hat, in der Berlin auf Platz acht der europäischen Städte liegt. Bei der Gebäudedämmung, dem Wasser und der Abfallbeseitigung liegen wir sogar weiter vorn. Keine schlechte Position für diese Stadt und für eine Politik, eine Umweltpolitik, die Sie hier permanent schlechtreden! Ich weiß, alles könnte grüner und schöner sein,

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

ist es aber auch da nicht, wo Sie selbst mitregieren. Ökologie und Umweltbewusstsein werden als Querschnittsaufgabe von Rot-Rot sehr wohl gelebt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schäfer?

Dr. Wolfgang Albers

Ja, bitte, Herr Schäfer! – Zu später Stunde gern, Schäferstunde!

[Heiterkeit bei den Grünen]

Herr Schäfer, bitte schön!

Das Angebot eines Schäferstündchens lehne ich ab.

[Heiterkeit bei den Grünen]

Vielleicht sind Sie danach klüger.

Ich weiß ja nicht, was Sie beim Schäferstündchen machen, aber diskutieren doch eher nicht, oder?

[Heiterkeit bei den Grünen]

Wir werden zunächst diskutieren.

Herr Albers! Sie haben diesen Green-City-Index zitiert. In diesem Green-City-Index – wenn man sich den genau anguckt – kommt Berlin beim CO2-Ausstoß unter den 16 untersuchten westeuropäischen Städten auf den 13. Platz. Finden Sie wirklich, dass das zufriedenstellend ist?

Das ist nicht zufriedenstellend. Das hat auch niemand behauptet. Wir arbeiten daran, aber wir sind in anderen Bereichen mit führend, und es kommt eins zum anderen, und Sie können ja mithelfen, dass das letztlich besser wird.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Im Doppelhaushalt sichern wir unter anderem den Klimaschutzrat, dessen notwendige Kompetenz wir uns damit nachhaltig nutzbar machen. Wir fördern zum Beispiel die Energiesparberatung für Menschen mit geringen Einkommen über die Verbraucherschutzzentrale und den BUND, sichern diese finanziell ab. Kleine Schritte, sicher, aber wichtig und notwendig zur Verstetigung des umwelt- und energiebewussten Umgangs mit unseren Ressourcen!

Zum Schluss eine Bemerkung zum Umgang mit dem geplanten Klimaschutzgesetz: Eines ist doch klar, die notwendigen CO2-Reduzierungsziele erreichen wir nicht

allein über freiwillige Vereinbarungen. Eindeutige Rahmensetzungen sind notwendig. Wir haben den Referentenentwurf in voller Absicht frühzeitig zur Diskussion gestellt und die öffentliche Auseinandersetzung darüber bewusst und offensiv gesucht, zum einen, um den Entwurf durch die öffentliche Diskussion zu qualifizieren, zum anderen aber auch, um die Akzeptanz für ein entsprechendes Gesetz durch die öffentliche Diskussion zu erhöhen. Völlig verständlich ist die Kritik am Entwurf. Er wird sich inhaltlich ändern. Völlig unverständlich ist aber die Kritik an diesem Vorgehen, denn das war politisch gewollt. Eine breite öffentliche, auch kontroverse Diskussion kann dem Gesetz und seiner notwendigen gesellschaftlichen Akzeptanz nur guttun. – Vielen Dank!