Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Sie nehmen uns das Geld weg, das wir nicht haben.

Ich möchte mich auch von meiner Seite an dieser Stelle bei allen bedanken, die uns auf diesem langen Weg in diesen Haushaltsberatungen begleitet haben, und auch meinen Mitarbeitern ein Dankeschön sagen, den Haushaltspolitikern ein Dankeschön sagen, Ihnen ein Dankeschön sagen, auch den Mitarbeitern dieses Haus, auch denen, die uns immer gut mit Speis’ und Trank versorgt haben. Alle haben dazu beigetragen, dass wir dieses Werk heute Abend hier beschließen können. Vielen Dank!

Wenn ich nachdenke, stelle ich fest, dass dieser Haushalt nicht nur ein Weg mit tausend Papierseiten und unzäh

ligen Zahlen ist, sondern er repräsentiert die Politik, für die wir alle Verantwortung tragen. Er ist ein formales Regelwerk. Es geht aber doch um Inhalte. Sie als Abgeordnete müssen Ihren Wählerinnen und Wählern Antwort stehen für das, was passiert, und für das, was auch nicht passiert. Sie haben diesen Haushalt in Ihren unterschiedlichen Rollen mitgestaltet, als Regierungs- oder Oppositionsabgeordneter. Menschen, die mit Politik sonst wenig zu tun haben, werfen uns häufig vor, Politiker redeten doch bloß. Ja, das stimmt; sie reden. Aber unsere Tätigkeit besteht auch zum Teil aus Reden. Durch dieses Reden verändert sich jedes Mal doch etwas. Das ist keine Frage von Regierung und Opposition, von links und rechts. Man geht aus einer Diskussion anders heraus, als man hinein gegangen ist. Das geht mir so, das geht Ihnen so. Jede Argumentation, jeder Diskurs verändert bei allen Beteiligten etwas. Jeder einzelne Beitrag hat deshalb diese Beratung vorangebracht. Deshalb danke ich noch einmal ganz herzlich allen Beteiligten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Bei all den Zahlen, dem Ringen um den richtigen Saldo, hat man manchmal den Eindruck man arbeite nicht beim Staat, sondern bei einer Bank. Es kommt hier jedoch nicht auf einen Gewinn an. Es geht nicht um einen Überschuss, einen Fehlbetrag, es geht auch nicht um Dividenden. In einem Unternehmen oder generell in der Wirtschaft lässt sich alles auf eine Zahl reduzieren, den Preis oder die Gewinn- und Verlustrechnung. Aber gute Politik lässt sich nicht auf eine Zahl bringen. Gute Politik ist keine Frage des Preises und keine Frage von Minderheiten oder Mehrheiten. Gute Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der Lage ist, Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, dafür zu streiten, dass das Morgen besser wird als das Heute, dass man sich nicht dem ergeben darf, was man vorfindet, und man das Schicksal in die eigenen Hände nimmt und gestaltet. Dazu gehört es auch, Widerstände zu überwinden.

Heute leben wir in einer Welt, in der angeblich alle Menschen gleich sind. Aber sie sind es nicht wirklich. Die tatsächliche Freiheit des Einzelnen hängt im Wesentlichen davon ab, ob jemand Geld hat oder nicht. Die Frage, ob jemand Geld hat oder keines, ist nicht einfach eine des persönlichen Könnens oder Scheiterns. Deswegen meine ich, dass man als Politiker oder jemand, der Verantwortung trägt, für die Partei ergreifen muss, die rackern können, so viel sie wollen, aber nie zum Ziel kommen. Es geht mir um die Solidarität, um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. Dieser Haushalt ist der Versuch, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Eine Schlüsselrolle kommt der Bildungspolitik zu. Sie wird künftig noch stärker darauf ausgerichtet, dass jeder Einzelne zum Ziel kommt. Es geht nicht einfach um mehr Kenntnisse für wenige, sondern es geht um bessere Bildung für alle. Es gibt zu viele Menschen, die schon früh erkennen, dass sie kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn sie erwachsen sind, unabhängig da

von, wie stark sie sich in der Schule engagieren. Ich meine, damit dürfen wir uns nicht abfinden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Chancengleichheit heißt das Ziel. Dahinter steht unser gemeinsames Engagement für bessere Schulen, bessere Universitäten und ganz einfach bessere Bildungschancen für viele Menschen.

Chancengleichheit darf aber nicht heißen, dass nur die Chance gleichmäßiger verteilt wird, arbeitslos zu werden. Es geht auch um die Schaffung hochwertiger neuer Arbeitsplätze, nicht im Billigsektor, sondern im Hochlohnbereich. Deshalb brauchen wir Wertschöpfungsketten, beginnend in unserer hervorragenden Wissenschaftslandschaft über die industrielle Produktion bis hin zu modernen, wirtschaftsnahen Dienstleistungen wie Vermarktung, Finanzierung, Beratung und anderem mehr. Wir können das als Staat nur unterstützen, in die Hand nehmen, etwas unternehmen müssen die Menschen selbst. Für diese Unterstützung haben wir mit diesem Haushalt die nötigen Mittel bereitgestellt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich will hier nicht jeden einzelnen Politikbereich durchgehen, das ist heute schon in aller Breite geschehen. Aber wichtig ist mir, dass jede Maßnahme in diesem Haushalt darauf ausgerichtet ist, den sozialen Zusammenhalt, die Solidarität in unserer Stadt auszubauen und alle Menschen, egal aus welcher sozialen Schicht sie kommen, zu befähigen, die selbstgesteckten Lebensziele zu erreichen.

Die Stadt, die Kommune, das ist eine gestaltbare Plattform für die Menschen in Berlin. Sie eröffnet Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten zu erweitern, die bestehenden zu hegen und zu pflegen, ist Ziel der nachhaltigen Politik dieses Senats.

Dass der Zugang zu privaten Produktionsmitteln begrenzt ist, ist Teil der bürgerlichen Eigentumsordnung. Was aber jedem Einzelnen zur Verfügung steht, ist die öffentliche Infrastruktur. Es geht sowohl bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber auch insgesamt bei jeder öffentlichen Infrastruktur um die Frage nach Teilhabe, nach Gestaltbarkeit. Das heißt, dass wir sehr sorgfältig abwägen müssen, was wir an bislang öffentlicher Infrastruktur künftig privat organisieren und was auf der anderen Seite unverzichtbar ist für das demokratische Zusammenleben in dieser Stadt.

[Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Sind Sie Wirtschaftssenator?]

Die Rekommunalisierungsdebatte hat ihren Ursprung darin, dass durch die Privatisierungen in der Vergangenheit Bürgerinnen und Bürger sich von ihren Einrichtungen zum Teil entfremdet haben.

[Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Den Quatsch können sie woanders erzählen!]

Der nun vorliegende Doppelhaushalt enthält keine Privatisierungen. Er enthält aber auch keine Gelder dafür, das

Senator Ulrich Nußbaum

Rad der Geschichte zurückzudrehen oder mögliche Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen, und zwar deshalb, weil dies unsere Möglichkeiten übersteigt. Aber die Einwohnerinnen und Einwohner von Berlin können sich sicher sein, dass der Senat alle Möglichkeiten ergreifen wird zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen die inhaltliche Kontrolle, die inhaltliche Gestaltung über das, was für unsere Stadtgemeinschaft wertvoll ist, zurückzuerlangen oder auszubauen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Botschaft dieser Haushaltspolitik lautet, dass die Menge, das Volumen des Geldes, das für eine Aufgabe zur Verfügung steht, nicht das allein Entscheidende ist. Wir werden in Zukunft nur noch begrenzte Wachstumspotenziale in öffentlichen Haushalten haben. Deshalb lauten für mich die entscheidenden Fragen: Wie kann ich aus Gleichem oder Wenigem mehr machen? Wie kann ich statt Quantität Qualität herstellen? Wie kann ich Prozesse und Abläufe besser organisieren? Wie kann ich mehr Effizienzen schaffen? Wie kann ich es schlichtweg mit weniger Geld besser machen? Es ist klar, dass wir in Zukunft keine großen Einkommenszuwächse verteilen können, nicht nur wegen des Schuldenabbaus, sondern auch wegen der Schuldenbremse. Ich sage ganz deutlich: Es ist für mich keine lästige Pflicht, dass wir nicht mehr verteilen können, sondern ich bin der festen Überzeugung, dass das auch aus Gerechtigkeitsgründen nötig ist.

Der Staat nimmt Kredite vom Markt auf. Der Markt ist selbst Teil der Volkswirtschaft. Übermäßige Staatsverschuldung hat überall in der Welt dazu geführt, dass Geld entwertet worden ist. Sie haben es alle in dieser Woche lesen können. Das Menetekel Griechenland zeigt, dass Staatsverschuldung etwas Reales ist, dass Staatsverschuldung unmittelbar wirkt und es Nachteile für die betroffenen Menschen gibt. Deutschland ist in der Tat noch weit davon entfernt, aber es ist auch nicht unmöglich, dass es passiert. Die Inflationsgefahr, die durch die staatliche Verschuldung im Zusammenhang mit der Banken- und Wirtschaftskrise entstanden ist, ist keinesfalls gebannt.

[Beifall von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Inflation betrifft die sogenannten kleinen Leute, die kleinen Leute, die sich dem nicht entziehen können. Denn wer ein Unternehmen, wer Grundbesitz, ein Haus im Ausland hat, der kann sich gegen Inflation ziemlich gut absichern. Aber was sofort weg ist, sind die Ersparnisse, die Renten, die Transferzahlungen. Deshalb sind die Menschen auf eine seriöse Finanzpolitik angewiesen. Das ist kein Widerspruch zwischen einer Sozialpolitik und einer Politik der Haushaltskonsolidierung.

[Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Deshalb muss es sie ja auch geben!]

Den Haushalt zu konsolidieren ist meines Erachtens in Wahrheit die soziale Tat, weil das der Kampf gegen die große Umverteilung von unten nach oben ist, die sich Inflation nennt und der die meisten Menschen leider nicht entkommen können. Es gibt meines Erachtens keinen

Gegensatz zwischen Haushaltskonsolidierung und der Handlungsfähigkeit des Staates.

[Beifall von Christoph Meyer (FDP)]

Wir wollen konsolidieren, damit die Handlungsfähigkeit erhalten und gesichert wird. Sie wissen, die Zinsen steigen mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit als die anderen, unmittelbar den Bürgern zugute kommenden Ausgaben. Weil wir in Berlin deutlich höhere Schulden haben als Baden-Württemberg oder Bayern – natürlich geschuldet der Vergangenheit –, müssen wir mehr Zinsen zahlen. Damit sind unsere Spielräume deutlich kleiner als in diesen Ländern.

Wir legen jetzt trotz der Krise die Grundlagen für das Einhalten der Schuldengrenze ab 2020. Ab diesem Zeitraum werden auch andere Regeln für den Länderfinanzausgleich gelten als heute. Ich sehe eindeutig die Gefahr, dass sich die Länder entsolidarisieren, insbesondere die Südländer stehlen sich raus aus der Solidarität. Sie haben eine andere Vorstellung von Föderalismus, sie haben eine Vorstellung nach dem Modell Norditalien – Süditalien, nur eben geografisch umgekehrt. Diese Auseinandersetzungen müssen in aller Schärfe und Härte geführt werden. Sie können aber nur dann geführt werden, wenn wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen und gezeigt haben, dass wir die Solidarität der anderen beanspruchen können. Wir haben es selbst in der Hand, durch unsere Politik die notwendigen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Berlin weiterhin eine handlungsfähige, eine solidarische, eine lebenswerte Stadt bleibt.

[Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Haben Sie leider versäumt!]

Der Haushalt 2010/2011 bildet dafür eine gute Grundlage. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Haushalt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Senator! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Esser für zweieinhalb Minuten.

Herr Präsident! Werter Herr Nußbaum! Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten diese Rede heute früher am Tag gehalten.

[Beifall bei den Grünen]

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in der Haushaltsaufstellung – da waren Sie zum Teil noch nicht da – und in den Haushaltsberatungen mehr getan und mehr geschafft beim Abbau der Verschuldung.

[Beifall bei den Grünen]

Ich sage Ihnen auch noch einmal kurz, warum. Die nächste Regierung wird weiter in Bildung und, anders als heute,

Senator Ulrich Nußbaum

kräftig in den ökologischen Umbau investieren müssen. Und sie wird den sozialen Zusammenhalt in der Stadt wieder herstellen müssen, der in acht Jahren Rot-Rot verlorengegangen ist.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das gibt es nicht umsonst, und unter anderem deswegen habe ich versucht, heute Morgen herzuleiten: Es wird bei den 250 Millionen Euro struktureller Einsparung, um einen Haushaltsausgleich 2020 hinzubekommen, nicht bleiben können. Ich habe versucht herzuleiten, wer nicht mit einem Sparprogramm von einer halben Milliarde Euro im Gepäck zur nächsten Wahl antritt, der braucht gar nicht erst anzutreten. Und um den Vorsitzenden Herrn Wieland von heute Morgen noch einmal aufzunehmen: Nun los, der Wettbewerb ist eröffnet. Wir wollen diese Sparpakete sehen, von allen Fraktionen hier im Haus.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Fangen Sie mal an!]

Und daran wird man Sie und uns erkennen können.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Esser! – Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Kollege Meyer.