Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 61. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich!
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, bitte ich Sie, sich zu erheben, denn ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen!
Wir trauern um unsere ehemalige Präsidentin, Bürgermeisterin, Senatorin und Stadtälteste von Berlin, Frau Dr. Hanna-Renate Laurien, die am 12. März 2010 im Alter von 81 Jahren gestorben ist. Mit Hanna-Renate Laurien verliert Berlin eine herausragende Persönlichkeit und Politikerin, die dem Abgeordnetenhaus von 1985 bis 1995 angehört hat. Über viele Jahre hat sie mit großem Mut, mit Entschlossenheit, mit Klugheit und mit Kompetenz maßgeblich das politische Leben in Berlin mitbestimmt.
Hanna-Renate Laurien wurde als Tochter eines Chemikers und einer Lehrerin am 15. April 1928 in Danzig geboren. Sie stammte aus einer wohlhabenden protestantischen Familie. Als 23-jährige Frau konvertierte sie zum Katholizismus und fühlte sich der Botschaft des Evangeliums und ihrer Kirche lebenslang verpflichtet.
Hanna-Renate Laurien besuchte das Gymnasium in Spremberg und in Berlin. 1944 meldete sie sich zum Arbeitsdienst. Nach dem Abitur im Jahr 1946 studierte sie an der Humboldt-Universität Germanistik, Anglistik und Philosophie. 1948 wechselte sie zur Freien Universität Berlin, die sie selbst mit begründet hatte, und legte 1951 ihr Staatsexamen ab. Anschließend promovierte sie zum Doktor der Philosophie.
Hanna-Renate Laurien war 1951 bis 1970 im höheren Schuldienst in Nordrhein-Westfalen tätig. Sie arbeitete 1957 bis 1963 im Kultusministerium in Düsseldorf und war von 1963 bis 1965 als Fachleiterin für Deutsch am Studienseminar tätig. Sie leitete von 1965 bis 1970 die Königin-Luise-Schule in Köln. Schon damals setzte sie sich dafür ein, dass schwangere Schülerinnen Abitur machen konnten. Das war damals in den Augen vieler Menschen ein unerhörter Vorgang, aber es nutzte den betroffenen Frauen. Frau Laurien hat es durchgesetzt, und das ausgerechnet in Köln.
Seit 1970 arbeitete Frau Laurien als Hauptabteilungsleiterin und seit 1971 als Staatssekretärin im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz unter dem damaligen Kultusminister Bernhard Vogel. Ihre nachhaltige Kritik an den damaligen hessischen Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht machte sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
1975 wurde Hanna-Renate Laurien in den rheinlandpfälzischen Landtag gewählt, und als Bernhard Vogel neuer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wurde, berief er Hanna-Renate Laurien im Dezember 1976 als Kultusministerin in sein Kabinett. Dieses Ressort behielt sie auch nach den Landtagswahlen vom März 1979. Als Kultusministerin setzte sich Hanna-Renate Laurien besonders für einen qualifizierten Ausbau der beruflichen Bildung ein.
1981 berief Richard von Weizsäcker Hanna-Renate Laurien als Senatorin für Schule, Jugend und Sport in den Berliner Senat. Aufsehen erregte ihre Auseinandersetzung mit der Lehrergewerkschaft GEW, die Lehrer und Schüler zu Aktionen für die Friedensbewegung in den Schulen aufgerufen hatte.
1983 war Frau Laurien Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters innerhalb der CDU. Der CDULandesausschuss nominierte allerdings nach einer spannenden Kandidatenrunde Eberhard Diepgen für dieses Amt. Frau Laurien kandidierte für das Abgeordnetenhaus erfolgreich im Wahlkreis Friedenau. Sie wurde 1985 als Schulsenatorin bestätigt. 1986 wurde Frau Laurien auch Bürgermeisterin von Berlin. Nach der Wahl von 1989 wurde Frau Laurien Vorsitzende des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses.
Bei der ersten Gesamtberliner Wahl am 2. Dezember 1990 gewann Frau Laurien wieder ihren Wahlkreis in Schöneberg. Am 11. Januar 1991 wurde sie als erste Frau zur Parlamentspräsidentin dieses Hauses gewählt. Sie selbst empfand ihr Amt, wie sie sagte, im vereinigten Berlin mit fünf Fraktionen als einen krönenden Schlussstein ihrer politischen Laufbahn.
Hanna-Renate Laurien war 1966 Mitglied der CDU geworden. 1967 bis 1970 war sie stellvertretende Kreisvorsitzende in Köln, und seit 1977 war sie im CDU Bundesvorstand bis 1996 vertreten.
Für ihre Verdienste in Politik, Kirche und Bildungswesen wurde Hanna-Renate Laurien mit unzähligen Auszeichnungen geehrt. Ich kann nur einige davon nennen: 1979 mit dem Hermann-Voß-Kulturpreis der Deutschen Orchester, 1981 erhielt sie das Große Bundesverdienstkreuz und die Leibniz-Medaille der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, 1988 wurde sie mit der Leo-Kestenberg-Medaille für Verdienste um die Musikerziehung ausgezeichnet. 1994 folgte der Theodor-HeussPreis, 1995 die Kardinal-Döpfner-Medaille und das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern, der Werner-SchererPreis und die Auszeichnung „Frau des Jahres“ vom Verband deutscher Staatsbürgerinnen. 1996 wurde Frau Laurien für ihre Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung mit dem Kommandeurskreuz des Verdienstordens der Republik Polen geehrt. Die Ehrendoktorwürde der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster wurde ihr 1996 zugesprochen. 1999 erhielt sie die Louise-Schroeder-Medaille für ihr Engagement in der
Hanna-Renate Laurien war von 1991 bis 2000 Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin. 2000 wurde sie in das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken gewählt. Gerade innerhalb ihrer Kirche machte sie oft genug mit lebensnahen, aber für die Kirche ungewöhnlichen Forderungen und Hinweisen auf Unzulänglichkeiten und Fehler aufmerksam. Sie forderte das Priesteramt auch für Frauen und setzte sich für die Anerkennung der Homosexualität und homosexueller Partnerschaften durch die Katholische Kirche ein.
Frau Laurien war eine ungewöhnlich couragierte Frau und eine unkonventionelle Denkerin. Mit großem Einsatz, mit Mut, mit Kompetenz und Beharrlichkeit hat sich HannaRenate Laurien in ihren Ämtern für den demokratischen Staat, für unser Gemeinwesen eingesetzt. Weit über alle parteipolitischen Grenzen hinweg hat sie hohes Ansehen erworben. Hanna-Renate Laurien war eine engagierte Christin und streitbare Demokratin, für die das Wohl ihrer Mitmenschen immer im Vordergrund stand.
Das Abgeordnetenhaus trauert um seine ehemalige Präsidentin und verneigt sich mit Dankbarkeit und Hochachtung vor einer großen Persönlichkeit.
Der bisher fraktionslose Abgeordnete Rainer Michael Lehmann ist nunmehr Mitglied der SPD-Fraktion geworden.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Transparenz und Kontrolle der Arbeit sozialer Unternehmen und Einrichtungen“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Die Charité in der Notaufnahme: die Berliner Universitätsmedizin braucht jetzt endlich einmal ein Machtwort von Wowereit für längst überfällige Investitionen statt endlose Streitereien zwischen Zöllner, Nußbaum und Lompscher“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Konsequenz statt Zögerlichkeit: gute Sozialpolitik braucht Transparenz und Kontrolle“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-Rot im politischen Stillstand: keine Entscheidung zur A 100, keine Perspektive für das Klimaschutzgesetz, Streit um Ladenöffnung im Hauptbahnhof, keine Ent
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort. Frau Radziwill spricht zur Begründung der Aktuellen Stunde. – Bitte schön, Frau Radziwill!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wer in bekannten Suchmaschinen im Internet nach dem Begriff „Treberhilfe“ sucht, findet rund 220 000 Artikel in dem Zeitraum von einem Monat. Wenn man nach „Treberhilfe gGmbH“ sucht, findet man immerhin über 400 Artikel im gleichen Zeitraum. Kaum ein anderes Thema hat die Öffentlichkeit so bewegt wie die Missstände bei der Treberhilfe e. V. und insbesondere bei der Treberhilfe gGmbH. Wir verurteilen die Machenschaften der Herren dort auf das Schärfste. Diese dreiste, teils auch persönliche Bereicherung auf Kosten des Steuerzahlers ist nicht hinnehmbar und ein zutiefst unsoziales Verhalten.
Was mit einem unverhältnismäßig teuren MaseratiDienstwagen und unverhältnismäßig hohen Gehältern der Geschäftsführer beim gemeinnützigen Sozialunternehmen begann, stellt nun die gesamte Sozialwirtschaft unter Generalverdacht. Der gesamte soziale Sektor fällt unter diesen Verdacht. Tausende Träger, Vereine und Verbände leisten in diesem sozialen Sektor gute Arbeit. Rund 100 000 Menschen sind hier beschäftigt. Sie leisten für das wichtige soziale Netz in unserer Millionenmetropole gute Arbeit, und an dieser Stelle sollten wir ihnen für ihren Einsatz danken.
Darauf sollten wir insbesondere in unseren Debatten achten, und das ist auch der Grund für die Koalition, das Haus in der Aktuellen Stunde heute mit dem Thema „Transparenz und Kontrolle der sozialen Einrichtungen und Unternehmen“ zu befassen. Dort, wo Missbrauch ist, muss effektiv aufgedeckt werden. Dort, wo Kontrollen nötig sind, müssen sie effektiv sein. Transparenz ist uns wichtig und muss sichergestellt werden. Doch Achtung! Wir dürfen dabei keine Kehrtwende in ein herkömmliches, fürsorgestaatliches Denken machen und dürfen unser Verständnis von moderner Sozialwirtschaft mit ihren Zielen der Problemlösungen für viele Menschen und zum Nutzen der Gesellschaft nicht aufgeben.
Darüber wollen wir mit Ihnen heute debattieren. Ich gehe davon aus, dass Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, es genauso sehen wie wir und unser Thema für die Aktuelle Stunde unterstützen. Vielen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion begründet nunmehr der Kollege Zimmer das Thema der Aktuellen Stunde. – Bitte schön, Herr Zimmer!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Vor gut vier Wochen haben wir hier in diesem Saal schon einmal über die Zukunft der Charité diskutiert. Die Politik ist bekanntlich schnelllebig, und deswegen möchte ich Ihnen erst einmal in Erinnerung rufen, dass Senator Zöllner sagte:
Die Charité braucht eine sichere Perspektive, und sie braucht nach meiner festen Überzeugung eine sichere Perspektive noch in der ersten Hälfte dieses Jahres.
Nun, richtig ist: Berlin braucht die Charité – und zwar an allen vier Standorten –, und die Charité braucht verbindliche Zusagen des Landes Berlin. Doch in der Zwischenzeit stellt sich heraus: nichts als Placebos und weiße Salbe, ausgeteilt von Prof. Zöllner und Kollegin Winde, um den Patienten Charité und die Öffentlichkeit ruhigzustellen. Mindestens ein Senator, nämlich Herr Dr. Nußbaum, marschiert mit der Knochensäge durch die Stadt und will Teile der Charité amputieren.
Die Charité werde von ihren Professoren in Geiselhaft genommen, so Nußbaum; nicht Qualität, sondern schiere Masse regiere die Uniklinik; die Charité solle einen ihrer drei Klinikstandorte aufgeben, am besten das Klinikum Benjamin Franklin in Steglitz. Solche Angriffe bleiben natürlich nicht ohne Folgen. Die zurecht aufgebrachten Professoren an der Charité schreiben an Wowereit. Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Prof. Einhäupl, wehrt sich öffentlich, und der Aufsichtsrat beschwert sich schriftlich über Senator Nußbaums Attacken. Die Zeitungen der letzten Tage sind voll mit Artikeln über die Zukunft der Charité. So kann es nicht weitergehen!
Jeder Tag, der weiter durch Streitereien der Senatoren und ohne Entscheidung ins Land geht, leistet dem Verfall der Infrastruktur an der Charité Vorschub und ruiniert die Reputation dieser Institution, die seit nunmehr 300 Jahren besteht, zwei Weltkriege und die DDR überlebt hat und nun ein Opfer des rot-roten Senats zu werden droht.
Um den Ernst der Lage deutlich zu machen: Prof. Einhäupl von der Charité berichtet von katastrophalen Zuständen. Mal explodiere dort ein Trafo, dann platze ein Heizkörper, und OP-Sälen drohe die Schließung. Die abschreckende Wirkung, die solche Zustände auf Spitzenmediziner und –forscher hat, ist nicht zu gering einzu
schätzen, und diese Rufschädigung kann auch negative Auswirkungen auf die jetzt anstehende nächste Runde der Exzellenz-Initiative haben, denn die Charité ist derzeit an vier Exzellenzprojekten beteiligt. Deswegen wollen wir heute eine klare Aussage des Regierenden Bürgermeisters Wowereit zur Zukunft der Charité. Herr Wowereit - derzeit nicht anwesend –: Warum lassen Sie es zu, dass Ihr Finanzsenator die Charité öffentlich demontiert? Warum hört man eigentlich nie etwas von Ihnen, wenn es wirklich wichtig wird? Man braucht wahrlich keine KietzSpaziergänge, Herr Wowereit, um zu wissen, was in dieser Stadt Priorität haben sollte. Aber wer eben einmal für 50 000 Euro nach Paris jettet, um eine Party bis zum Schluss feiern zu können, der verliert beim Abheben schnell den Bezug zur Realität.