Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Andy Jauch

Es kommt aber darauf an, den Brand zu löschen, und Gott sei Dank gibt es immer wieder Menschen, die nicht wegsehen wollen.

[Zuruf von der Linksfraktion: Tatütata!]

Sie fassen sich ein Herz und schlagen Alarm – in einem Brandbrief. Ihnen sollten wir zuhören, und ihnen müssen wir heute Antworten geben.

[Beifall bei der CDU]

2006 – Brandbrief Nummer eins. Die Lehrer der RütliSchule wollen ihre Schule aufgeben, wenn sich nicht radikal etwas ändert und die Schüler der Hauptschulen endlich wieder Perspektiven bekommen. Im letzten Halbjahr davor war der Krankenstand bei den Lehrern höher als bei den Schülern – eine Leistung bei 25 Prozent Schulschwänzern an den Hauptschulen. Nun bekommt der Standort ein neues Konzept, öffentlichkeitswirksam lässt sich der Senator neben Frau Rau fotografieren, zig Millionen Euro sollen fließen – eine Schule freut sich, die anderen Hauptschulen gehen leer aus.

2009 – Brandbrief Nummer zwei. Die Schulleiter aus Mitte warnen vor Gettoisierung und dem bildungspolitischen Aus. So könnten sie ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen; gute Schüler fliehen in Scharen aus dem Bezirk, viele wechseln auch an freie Schulen. Der Bildungssenator erklärt im Bildungsausschuss dazu trotzig, er habe nie einen Brief erhalten. Was ist seitdem passiert? – Vieles im Bereich der Oberschulen – die größte Reform der Geschichte wurde im Oberschulbereich mehr hastig als solide vorbereitet auf den Weg gebracht. Aber was hat der Senat tatsächlich gegen die Probleme getan, die die Schulleiter öffentlich gemacht haben? – Nichts! Er hat vor allem gar nichts für die Grundschulen gemacht, und da verwundert es nicht, dass ein Jahr später der nächste Brandbrief kommt.

2010 – Brandbrief Nummer drei. Nun ist es nicht mehr nur eine Schule, es sind nicht mehr die Schulleiter nur eines Bezirkes, sondern über 1 000 Lehrerinnen und Lehrer mehrerer Bezirke aus 50 Schulen.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Sie wissen sich nicht mehr anders zu helfen, sie schlagen Alarm so laut es geht. Den bevorstehenden Vergleichstest VERA nehmen sie nur als Aufhänger. Sie drohen damit, an VERA nicht mehr teilzunehmen. Tatsächlich geht es aber nicht mehr nur um VERA, es geht um Jürgen – Zöllner.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Er hat den Laden nicht im Griff. Er ist Wissenschaftssenator, Jugendsenator und zu einem Drittel Bildungssenator für immerhin 800 Schulen. Da reicht die Zeit nicht mehr, denn er hat viele Brandherde zu löschen, und er hat zu wenig Feuerwehrmänner.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Er hat doch Sie!]

Er schlittert von einem Problemfeld zum nächsten, und auch die sogenannte Lehrerfeuerwehr – wohl in weiser

Vorausahnung weiterer Brandbriefe so benannt – kann nicht helfen. Was als schnelle Eingreiftruppe geplant war, ist in Wirklichkeit unabkömmlicher Bestandteil des Regelbetriebs. Von 140 Lehrern aus der Lehrerfeuerwehr sind 134 seit dem ersten Schultag an ein und derselben Schule eingesetzt. Eine Feuerwehr also, die ihren ersten Einsatzort nicht verlassen darf – was für eine absurde Vorstellung und wie beispielhaft für die Schulpolitik dieses Senats!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir erwarten heute und hier Antworten. Soll es mit der Mangelverwaltung an den Schulen so weitergehen? Wollen Sie sich endlich um die Basis und die Rahmenbedingungen kümmern, statt sich nur in Strukturfragen zu ergehen? Wie viele Lehrer werden in dem Gebäude eigentlich unterrichten, an dem Sie gerade das Türschild austauschen, die in Zukunft nicht mehr Realschule, sondern Sekundarschule heißen wird? Wie sind die pädagogischen Konzepte? JÜL-Zwang, Lehrermangel, Sanierungsstau, Integrationsdefizite, Qualifizierungsmängel, veraltete Lernmittel – das sind die Fragen der Berliner Schulen im Jahr 2010. Geben Sie den Lehrern, Eltern und Schülern heute motivierende Antworten, es wird Zeit dazu!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Fraktionsvorsitzende Ratzmann das Wort. – Bitte schön, Herr Ratzmann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Jauch! Ich kann ja verstehen, dass die SPD nach den peinlichen Vorstellungen der letzen Wochen kein großes Interesse daran hat, im Abgeordnetenhaus darüber auch noch zu reden. Wir werden es Ihnen aber nicht ersparen können, und wir müssen auch darüber reden.

Wir haben alle mit großem Erstaunen den quälenden Prozess beobachtet, mit dem sich die SPD in den letzten Wochen bis zum letzten Montag zu einer Zustimmung zum Börsengang der GSW durchgerungen hat. Selten, sehr selten ist wohl die innere Zerrissenheit einer großen Regierungsfraktion so deutlich zelebriert worden. Da kann tatsächlich eine kleine Gruppe von Kreisfürsten mit Blick auf ihre Wiederwahl als Kreisfürst dem Finanzsenator 10 Millionen Euro abpressen, obwohl der Senat, wohl in Verkennung seiner eigenen Schwäche, das Geschäft vorher bereits ganz anders abgesegnet hat. Einfach mal so – ohne Sinn und Verstand und wahrscheinlich auch ohne, dass es irgendwelche Auswirkungen hat, ein reines Placebo. Der Staatssäckel zahlt, weil die Herren Kreisfürsten ein innerparteiliches Signal für ihre Wiederwahl brauchen. Die Stadt als Beute – das ist Berliner Sozialdemokratie 2010, und damit muss endlich Schluss sein!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Sascha Steuer

Im Gegensatz dazu dieses Mal die Linke: In der schnörkellosen Geradlinigkeit ihrer Angepasstheit, gleichsam in einem schizophrenen Zustand und ohne Rücksicht auf ihre sonstigen Parolen und die Parolen ihrer nordrheinwestfälischen Genossen – von denen ja Herr Gabriel vor kurzem gesagt hat, sie wollten alles verstaatlichen, was größer ist als eine Currywurstbude – haben sie mal ebenso im Vorbeigang den Mieterschutz im Börsengang verkauft. Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren von der Linken, sieht allerdings anders aus!

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Diese Regierung ist schwach, zu schwach für dieses Land. Das wird immer deutlicher. Diese Schwäche offenbart sich nicht zum ersten Mal: Die Wahl der Rechnungshofpräsidenten – eine Klatsche aus den eigenen Reihen –, Kunsthalle, Landesbibliothek, die Prestigeprojekte des Regierenden Bürgermeisters – die Fraktionen verweigern ihm das Geld –, und dann die Never-ending-Story A 100: Der Senat beschließt den Weiterbau, der SPDLandesverband sagt richtigerweise nein, und die Linkspartei wird jetzt am Wochenende beschließen, dem Weiterbau nicht zuzustimmen. Und der zuständigen Verkehrssenatorin fällt nichts anderes ein, als immer wieder zu sagen: „Ich will es aber, ich will es aber, ich will es aber.“ Das muss doch jeden verantwortungsbewussten Menschen zu der Frage treiben: Wie will diese Truppe eigentlich noch Politik betreiben in diesem Land?

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wie wollen Sie in dieser Konstellation noch Entscheidungen, schwierige Entscheidungen für dieses Land treffen? – Sie wollen nicht, Sie können nicht, und Sie werden auch nicht, weil Sie versuchen, alles bis zur Wahl auszusitzen. Aber das dürfen wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wir brauchen einige Entscheidungen, die unaufschiebbar sind. Wir brauchen endlich eine Entscheidung über die Zukunft von Charité und Vivantes. Das ist doch ein Trauerspiel, was da abläuft! Da fetzt sich der Finanzsenator – oder, wie mein Kollege Esser ihn liebevoll nennt, Alexander der Große – öffentlich mit dem Vorstandsvorsitzenden der Charité und verweigert jede konstruktive Debatte über notwendige Investitionen. Der Wissenschaftssenator wird zum Oberlobbyisten für die Professoren, und die Gesundheitssenatorin kommt – man muss wohl sagen, Gott sei Dank – gar nicht mehr vor in dieser Debatte. Aber es geht einfach nicht um Ihre persönlichen Eitelkeiten, es geht um die Gesundheitsversorgung der Stadt, um mehr als 23 000 Mitarbeiter und ihre Familien, es geht um einen der wesentlichen Bausteine der Wirtschaft dieser Stadt! Das verspielen Sie gerade, und das dürfen wir nicht zulassen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich sage Ihnen auch: Wir können es uns nicht leisten, ein weiteres Jahr zu verschenken. – Es ist Ihre Schwäche, lieber Herr Wowereit, die sich da offenbart. Wir fragen uns immer wieder: Wozu haben Sie eigentlich die Richt

linienkompetenz? Sie machen doch hier nichts anderes als Frau Merkel: Sie setzen sich hin, Sie sitzen die Probleme aus, anstatt selbst irgendetwas in die Hand zu nehmen!

[Zurufe von der CDU]

Ich sage Ihnen: Rot-Rot ist am Ende, Rot-Rot wird abgewählt werden und, lieber Herr Wowereit: Das wird dann gut so! – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Für die FDPFraktion hat nunmehr Frau Senftleben das Wort. – Bitte schön, Frau Senftleben!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vergleichsarbeiten und mündliche Leistungsfeststellungen ermöglichen es, Schülerinnen und Schüler an festgesetzten Standards zu messen, und zwar nicht nur im Vergleich zwischen Klassen und Schulen, berlinweit und transparent für alle. Lehrkräfte entwickeln daraus Unterrichtseinheiten, Eltern erfahren mehr über den Leistungsstand der Kinder, und die Bildungsverwaltung erhält weitere Grundlagen für Qualitätsentwicklungsmaßnahmen.

Das ist ein Zitat aus der Internetseite der Bildungsverwaltung. – Wenn sich über 1 000 Pädagogen dieser Zielsetzung des Bildungssenators verweigern und Vergleichsarbeiten boykottieren wollen, muss sich der Bildungssenator in einer Aktuellen Stunde stellen, denn das ist, insbesondere für ihn, eine schallende Ohrfeige.

[Beifall bei der FDP]

Von 2004 bis 2006 wurden die Vergleichsarbeiten in sieben Bundesländern zu Beginn der vierten Klasse geschrieben. Dazu gehörte auch das Land Berlin. Das haben wir damals sehr unterstützt, denn wir fanden es richtig. Nach Umstellung der Vergleichsarbeiten auf das Ende der dritten Klassenstufe im Jahr 2007 beteiligten sich alle 16 Bundesländer – das müssen wir uns einmal vorstellen: Alle 16 Bundesländer waren dabei!

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Das hatten wir der KMK zu verdanken, die nach jahrelangem Stillstand endlich reagiert und einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat, nämlich den Leistungsstand der Drittklässler mithilfe der Vergleichsarbeiten bundesweit darzustellen. Für Berlin liegen die Ergebnisse also seit 2004 vor. Sie hatten also sechs lange Jahre Zeit, die Ergebnisrückmeldungen zu nutzen.

VERA muss sein, und ich will begründen, warum. Erstens: Die Vergleichsarbeiten sollen fachliche, fachdidaktische und pädagogisch-psychologische Impulse für Schule und Unterrichtsentwicklung bieten. Zweitens: Die Be

Volker Ratzmann

teiligung an der Durchführung und Auswertung soll zu schulinterner Kooperation und Diskussion, zum Beispiel über Standards anregen. Drittens dient VERA dazu, den Lehrern eine Verbesserung ihrer eigenen Diagnosegenauigkeit zu ermöglichen, denn sie werden bereits vor dem Test um Einschätzung der zu erwartenden Ergebnisse ihrer Schüler gebeten.

Das ist keine Senftleben-Interpretation. Das sind die Ziele, die die KMK definiert hat, und diese Ziele haben 16 Bundesländer beschlossen. Diese Ziele waren und sind nach wie vor richtig und wichtig.

[Beifall bei der FDP]

VERA zielt also in allererster Linie darauf ab, die Qualität des Unterrichts zu überprüfen. VERA richtet sich direkt an die Schule mit ihren Lehrkräften. Neudeutsch ausgedrückt: Die Schule erhält durch VERA ein Feedback.