Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat Frau Breitenbach das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen legen uns heute eine schöne Farbmelange vor: schwarz-gelbe Tricksereien bei den Regelsätzen – dem stimme ich zu – und rot-rotes Chaos bei den Jobcentern – das sehe ich anders. Schwarz-gelb, rot-rot – da fehlt doch etwas. Es fehlt die Farbe Grün.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass auch Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, in Regierungsverantwortung waren. Auch Sie haben die HartzGesetze mitentwickelt. Auch Sie haben die Regelsätze mit festgesetzt und die Kinder als Miniaturerwachsene betrachtet, ohne den spezifischen Kinderbedarf festzustellen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der FDP – Beifall von Marion Kroll (CDU)]

Was Sie hier heute beklagen, war auch Ihr Versagen, meine Damen und Herren von den Grünen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Anstatt immer mit dem Finger auf andere zu zeigen, wäre es vielleicht einmal an der Zeit, zu den eigenen politischen Entscheidungen zu stehen

[Zuruf von den Grünen: Das war ein guter Witz!]

und dafür Verantwortung zu übernehmen. Trotzdem, meine Damen und Herren von den Grünen, kann man natürlich heute für Verbesserungen eintreten. Wenn Sie das tun, dann ist das sehr gut.

Es ist bekannt, dass meine Fraktion immer eine andere Position zu den Hartz-Gesetzen hatte als andere Parteien. Darüber haben wir ewig geredet. Wenn sich auch viele unserer Kritikpunkte bewahrheitet haben, ist das wenig Grund zur Freude, denn zu groß sind die sozialen Verwerfungen, zu groß sind das Armutsrisiko und die Perspektivlosigkeit, die diese Gesetze mit sich gebracht haben.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuberechnung der Regelsätze gab die Chance, die Fehler aus der langen Nacht im Dezember des Jahres 2004 auszuräumen, als im Vermittlungsausschuss das Hartz-IVGesetz dank der CDU noch verschlechtert wurde. Schwarz-Gelb hätte die Chance gehabt, Regelsätze existenzsichernd auszugestalten und eine transparente Berechnung vorzulegen. Schwarz-Gelb wollte das nicht und hat alles gründlich vergeigt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Schwarz-Gelb hat – das haben meine Vorredner großenteils gesagt – keine transparente Berechnung der Regelsätze vorgelegt und hat auch nicht die spezifischen Bedarfe von Kindern berücksichtigt. Wir bezweifeln auch, dass das Existenzminimum – einschließlich der sozialen und kulturellen Teilhabe – abgesichert wurde. Das wurde von Bundesverfassungsgericht als Grundrecht bezeichnet. Das wiegt übrigens auch schwerer als das sogenannte Lohnabstandsgebot, auf dem die Bundesregierung jetzt immer wieder herumreitet.

Grundlage für die vorliegenden Berechnungen, Frau Kroll, waren prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Niedriglöhne. Wer vom Lohnabstandsgebot redet, der muss Löhne zur Grundlage machen, von denen man leben kann. Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Was die schwarz-gelbe Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, setzt die Spirale nach unten fort, denn sie hat eben nicht, Frau Kroll, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, alle Haushalte, deren Einkommen zur Deckung des Existenzminimums nicht ausreicht, aus der Berechnungsgrundlage herausgenommen. Stattdessen finden sich in den Referenzgruppen Aufstocker, die ergänzende Leistungen beziehen, weil sie nicht von ihrer Arbeit leben können, und auch die sogenannten versteckten Armen, deren Einkommen unter den Arbeitslosengeld-II-Sätzen

liegt. Dann verwundert es nicht, wenn das errechnete Existenzminimum so niedrig ausfällt wie jetzt. Da haben die Grünen recht: Hier wurde getrickst.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Ergebnis dieses Theaters ist, dass die Regelsätze um 5 Euro erhöht worden sind. Die Regelsätze für Kinder, die nach Feststellung der Bundesregierung zu hoch sind, sollen aber nicht gekürzt werden. Wie großzügig! Das ist nicht nur eine Verhöhnung der Arbeitslosen, sondern das wird die Gesellschaft weiter spalten.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb haben wir eine Entschließung vorgelegt, die den Senat auffordert, den neuen Regelsätzen und den Änderungen im II. und XII. Sozialgesetzbuch in der derzeitigen Form nicht zuzustimmen. Die geplanten Kürzungen im Bereich der Renten, des Elterngeldes und bei der aktiven Arbeitsförderung müssen abgelehnt werden, denn auch sie treiben die gesellschaftliche Spaltung und Ausgrenzung weiter voran.

Zum vorliegenden Antrag der Grünen: Wir brauchen heute keinen Beschluss, der lautet „Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen: 1. Das Abgeordnetenhaus stellt fest, dass das Bundesverfassungsgericht beschlossen hat …“ Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen. Da müssen wir nichts mehr feststellen. Wir müssen uns allerdings überlegen, wie wir mit dem Ergebnis umgehen, das die Bundesregierung vorgelegt hat. Dem sollte man nicht zustimmen. Hierzu sollten wir uns alle positionieren. Wir würden uns freuen, wenn die Grünen unserem Antrag zustimmen würden.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Noch einige Worte zu dem angeblichen rot-roten Chaos bei den Jobcentern, das die Grünen jetzt ausgemacht haben: Ihre Fragen, Frau Pop, haben mich überrascht. Vielleicht sollten Sie mehr im Ausschuss bleiben und zuhören und weniger herausrennen. Vor fast drei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die Konstruktion der ARGEn als Mischverwaltung für verfassungswidrig erklärt. Fast genauso lange hat es gedauert, bis die Bundesregierung endlich ein Gesetz zur Neuordnung vorgelegt hat, dank dem Chaos, das die Union vor der Bundestagswahl veranstaltet hat.

Jetzt mussten wir entscheiden, ob wir optieren wollten, also alles in die kommunale Hand legen, wie die Grünen es fordern – die zwischendrin auch einen Positionswechsel vorgenommen haben –, oder ob wir in Berlin eine oder zwölf gemeinsame Einrichtungen schaffen wollen. Wir wollen keine Optionskommune werden, das hat die Koalition schon vor langer Zeit und schon mehrfach erklärt. Optionskommune bedeutet Kommunalisierung von Arbeitslosigkeit. Das bringt ganz viele Probleme mit sich, wie viele Untersuchungen zeigen. Wir haben uns für das Modell zwölf gemeinsame Einrichtungen in Berlin entschieden, denn dieses Modell berücksichtigt als einziges

den zweigliedrigen Aufbau in Berlin – Land und Bezirke. Das Land kann so seine landesweiten Steuerungsmöglichkeiten erhöhen. Dafür hat Frau Grosse schon eine ganze Reihe von Beispielen genannt, die brauche ich nicht zu wiederholen. Gleichzeitig brauchen wir die Kompetenz der Bezirke zum Beispiel bei den kommunalen Leistungen. Wir wollen auch die Mitgestaltung der Bezirke erhalten. Das alles bedeutet in einem viel höherem Maß als bisher Koordination und Kooperation zwischen Bezirken und Land. Das alles wird auch konfliktreicher als bisher vonstatten gehen. Das zeigt sich bereits jetzt.

Letztlich geht es um die Arbeitslosen. Unser Anliegen war: Wir wollen keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen. Dies wird nur gelingen, wenn die Kompetenzen von Senatsverwaltungen und Bezirken zusammengeführt werden. Deshalb war die Entscheidung für eine gemeinsame Einrichtung pro Bezirk richtig und hat mit Chaos nichts zu tun. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Senftleben.

[Carl Wechselberg (SPD): Die millionärspolitische Sprecherin!]

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Pop! Liebe Frau Grosse! Meine Mutter hat mir beigebracht: Zeige nicht mit dem Finger auf andere, denn dann zeigen gleich drei Finger auf dich zurück.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Nur drei?]

Ja, das ist so! – Deshalb schauen wir, worum es heute geht. „Sozialen Zusammenhalt stärken statt schwarzgelber Trickserei bei Regelsätzen und rot-rotem Chaos um die Jobcenter“. Beginnen wir mit der angeblichen Trickserei. Warum mussten die Regelsätze überhaupt neu bewertet werden? Weshalb muss Schwarz-Gelb heute den Scherbenhaufen zusammenkehren, den Rot-Grün angerichtet hat?

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Wir erinnern uns: Im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebungsreform wurden die Regelsätze der Grundsicherung – –

[Ramona Pop (Grüne): Weil Sie es im Bundesrat verbockt haben!]

Liebe Frau Pop! Einfach zuhören! – Im Rahmen der Hartz-IV-Reform wurden die Regelsätze der Grundsicherung für Erwachsene und Kinder von der rot-grünen Bundesregierung Schröder-Fischer festgelegt, grundgesetzwidrig, wie Karlsruhe festgestellt hat.

[Björn Jotzo (FDP): Ein Skandal! – Volker Ratzmann (Grüne): Vermittlungsausschuss!]

Karlsruhe hat nämlich moniert, dass die seinerzeitigen Regelsätze Pi mal Daumen geschätzt worden sind. Verehrte Grüne! Sie haben mit Ihrem eigenen Verfassungsbruch unter Punkt 1 Ihres dringlichen Antrags genau das exakt beschrieben. Wir hätten es nicht besser formulieren können.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Clara Herrmann (Grüne)]

Fazit: Nicht die neue Bundesregierung hat getrickst, getrickst haben seinerzeit SPD und Grüne.

[Beifall bei der FDP]

Die damals richtige Arbeitsmarktreform haben Sie durch handwerkliche Mängel und Willkür in der Regelsatzbemessung verbockt. Verkaufen Sie die Menschen heute nicht für dumm.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Sehr geehrte Kollegen von Rot-Grün! Nun schieben Sie der schwarz-gelben Regierung die Schuld in die Schuhe, für das, was Sie verbockt haben. Damit musste SchwarzGelb rechnen. Damit haben wir auch gerechnet. Nur, die Dreistigkeit, mit der Sie das tun ist populistisch und schäbig.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Marion Kroll (FDP)]

Schwarz-Gelb räumt nun ihren Scherbenhaufen weg. Sie stehen daneben, eher lässig, haben die Hände in den Hosentaschen, pöbeln herum und schreiben vor, wie groß die Schippe sein soll. Das ist völlig unangebracht.

[Beifall bei der FDP]

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