Protocol of the Session on December 9, 2010

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Von der CDU-Fraktion!

Ja, bitte schön!

Vielen Dank, Frau Kollegin! Ist Ihnen entgangen, dass wir nicht die Abschaffung, sondern die Freiwilligkeit von JÜL beantragt haben? Was sagen Sie zu der Tatsache, dass es im Wahlkreis Ihrer Kollegin Harant eine Grundschule gibt, die einmal ein hohes Ansehen genossen hat, gerade weil sie JÜL auf der Basis der Freiwilligkeit angeboten hat, und deren Ruf nun den Bach runtergeht, weil es nur noch JÜL gibt? Was halten sie davon?

Bitte schön, Frau Dr. Tesch! Was halten Sie davon?

Ich kenne diese Schule persönlich nicht. Deswegen kann ich zu diesem Einzelfall keine Stellung nehmen.

Natürlich ist mir bewusst, was Sie hier fordern mit Ihren markigen Worten, mit denen Sie immer die Sicht verdrehen. Sie wollen den Zwang abschaffen und die Schulen machen lassen, die es wollen. Aber es kann doch nicht welche geben, die es tun, und andere, die es nicht tun.

[Mieke Senftleben (FDP): Warum denn nicht?]

Es ist doch ein Prinzip, das immer auf großen Zuspruch gestoßen ist. Wir sind auf dem richtigen Weg, und es werden viele Hilfsmaßnahmen angeboten.

Noch ein Wort zu dem immer wieder von der CDU proklamierten Elternwillen. Das haben Sie zwar jetzt nicht erwähnt, aber an anderer Stelle wird das immer wieder angesprochen. Der Elternwille wird von der CDU in Reinickendorf mit Füßen getreten.

[Andreas Gram (CDU): Aha!]

Dort will die Hannah-Höch-Grundschule mit der Greenwich-Oberschule zu einer Gemeinschaftsschule fusionieren.

[Zurufe von der CDU]

Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. – Meine frühere Gegenspielerin hier im Hause, die jetzige zuständige Stadträtin in Reinickendorf,

[Andreas Gram (CDU): Eine exzellente Stadträtin!]

lässt die CDU-Fraktion im Bezirk, deren Vorsitzender übrigens ihr Mann ist, einen Antrag mit dem Titel „Keine Einheitsschule in Reinickendorf“ einbringen.

[Beifall bei der CDU]

Das finden Sie auch noch toll. Dass Sie jetzt klatschen, diskreditiert Sie völlig. – Die Hannah-Höch-Grundschule praktiziert seit Langem JÜL. Die Eltern, die Schüler und die Lehrer sind begeistert. Die Senatsverwaltung befürwortet den Antrag, Gemeinschaftsschule zu werden, und die CDU will das verhindern. Das ist die Doppelzüngigkeit der CDU.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Özcan Mutlu (Grüne)]

Frau Senftleben hat das Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen.

Bitte sehr!

Frau Dr. Tesch! Ich habe nach Ihrer bisherigen Rede den Eindruck, dass Sie konträr zum Senator stehen, dass Sie JÜL nicht freiwillig einführen, sondern bei der jetzigen Linie bleiben möchten. Stimmt das?

Bitte schön, Frau Dr. Tesch!

Das wäre sowieso mein nächster Punkt gewesen, Frau Senftleben. Der Senator hat kürzlich im Rahmen seines Qualitätspakets verkündet, dass diejenigen, die ein jahrgangsbezogenes Lernen beibehalten wollen, ein Konzept entwickeln müssen, wie sie ohne jahrgangsübergreifendes Lernen zu den gleichen Lernzielen kommen wollen. Das

ist nicht völlig meine Meinung. Das gebe ich hier offen zu.

[Andreas Gram (CDU): Spaltung!]

Da bin ich auch in meiner Partei nicht allein. Von einer – wie Sie in Ihrem Antrag schreiben – überparteilichen Einigung, JÜL nur noch freiwillig anzubieten, kann keine Rede sein. An der Stelle kann ich, glaube ich, auch meinen Kollegen Zillich anschauen, aber der wird ja hier noch reden. Aber auch der Senator – da sind wir nämlich nicht auseinander, liebe Frau Senftleben – hat bei der Vorstellung des Qualitätspakets überdeutlich klargemacht, dass JÜL Regelform bleibt. Deshalb bedarf es auch keiner Änderung des Gesetzes. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Mutlu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Bemerkung von Frau Tesch war besonders interessant. Ich habe mich dabei gefragt, über was wir hier eigentlich streiten. Der Senator hat in der Tat vor ungefähr einer Woche ein neues Qualitätspaket vorgestellt. Wir haben unsere Kritik geübt, weil es nicht personell und finanziell unterfüttert war. Aber er hat im Rahmen dieses Qualitätspakets etwas angesprochen, das seit geraumer Zeit hier im Haus diskutiert wird. Er hat den Zwang zu JÜL etwas gelockert. Er hat gesagt, Schulen die aus inhaltlichen oder anderen Gründen JÜL nicht praktizieren wollen, dürfen einen anderen weg gehen, wenn sie ein Konzept vorlegen, wie sie die Ziele von JÜL anders erreichen wollen. Worüber diskutieren wir also? – Im Gesetz steht nichts von JÜL. Sie haben JÜL jetzt ins Gesetz hineingeschrieben. In dem bestehenden Schulgesetz steht drin: Die Schulanfangsphase umfasst die Klassen 1 und 2. Von JÜL steht da nichts. Sie wollen jetzt mit Ihrem Zusatz JÜL ins Gesetz hineinschreiben und erzählen uns, das sei eine freiwillige Maßnahme, es würde Elternwünschen stattgegeben und so weiter und so fort. Das hat mit der Realität vor Ort nichts zu tun. 90 Prozent der Berliner Schulen machen JÜL. JÜL ist vom theoretischen Ansatz her richtig. Dass es in Berlin vielleicht in vielen Schulen nur unzureichend umgesetzt wird, ist ein Fakt. Das hat aber mit den Rahmenbedingungen zu tun. Wenn wir es ernst meinen, sollten wir an die Rahmenbedingungen herangehen und die Schulen dazu befähigen, JÜL umsetzen zu können. Das bedeutet mehr Personal, das heißt mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Erzieherinnen und Erzieher und vor allem Erzieherinnen und Erzieher und Lehrerinnen und Lehrer, die dieser Aufgabe auch gerecht werden können und sie nicht einfach oktroyiert bekommen. Das ist die Situation vor Ort. Alles andere, was Sie hier versuchen, Herr Steuer – ich werde Sie in der nächsten Legislatur vermissen! –, ist blinder Aktionismus oder purer Populismus. Wenn Sie uns das als eine Maßnahme verkaufen wollen, dass Eltern

das nicht wollen, frage ich, wie Frau Dr. Tesch es vorhin gemacht hat: Wo ist denn der Elternwille in Reinickendorf? Warum werden Sie dort dem Elternwillen nicht gerecht? – Alle Gremien haben beschlossen, die HannahHöch-Schule möchte Gemeinschaftsschule werden. Sie legen vor Ort Ihre ideologischen Scheuklappen nicht ab, Sie wollen auch mit einem BVV-Beschluss die Gremien-, die Elternbeschlüsse – beide sind dafür – ignorieren. Deshalb kann ich Ihnen das, was Sie hier sagen, nicht abnehmen. Ihr Ziel ist es, das Rad zurückzudrehen.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Habe ich doch gesagt!]

Wir wollen das Rad nicht zurückdrehen, sondern wir wollen dafür sorgen, dass das Rad läuft. Dafür muss JÜL stark gemacht werden, das heißt, JÜL von den Rahmenbedingungen her so auszustatten, dass es funktionieren kann.

Die Freiwilligkeit ist im Grund mit dieser Änderung, die der Senator angekündigt hat, ein Stück weit erfüllt. Ich finde es wichtig, dass Schulen, wenn sie sich von JÜL verabschieden, auf jeden Fall ein Konzept darlegen müssen, wie sie es anders machen und wie sie dieselben Ziele erreichen wollen. Alles andere wäre Beliebigkeit, und Beliebigkeit brauchen wir in der Berliner Schule nicht. Wir benötigen Konzepte, die fundiert sind, die den Kindern, gleich welcher Herkunft sie sind, eine gute Bildung geben. Wenn Sie es allein dem Willen von sonst wem überlassen, ohne dass Sie Kriterien an diese Maßnahmen setzen, dann werden wir dieses Ziel nicht erreichen. Deshalb finde ich es richtig, dass es Herr Senator mit der neuen Vorgabe an ein klares und zielgerichtetes Konzept bindet, ob ein Abschied von JÜL möglich ist oder nicht.

Deshalb sollten wir erst einmal abwarten, was im Januar vorgelegt wird. Dann können wir im Schulausschuss noch einmal darüber debattieren. Diese Änderung des Schulgesetzes, wie Sie es hier vorlegen, wird weder den Eltern noch den Schülerinnen und Schülern noch den Schulen gerecht. Aus dem Grund werden wir es ablehnen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu! – Das Wort für die Linksfraktion hat jetzt Kollege Zillich. – Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich muss man über JÜL reden, natürlich muss man über die Erfahrungen mit JÜL reden. Sie sind ganz unterschiedlich. Es gibt sehr gute Erfahrungen, übrigens auch an solchen Schulen, die sich gegen die Einführung mit Händen und Füßen gesträubt haben. Aber es gibt auch Erfahrungen mit Schulen, an denen es nicht so gut läuft. Deshalb müssen wir über Qualität reden und einen Erfahrungsbericht über JÜL hinbekommen, um daraus Konsequenzen ziehen zu können.

Das, was die CDU und Herr Steuer hier vorgelegt haben, das war nicht erst der zweite Antrag, den sie gestellt haben. Gefühlt war es der zwanzigste Antrag, den die CDU zu diesem Thema gestellt hat. Nun ist es also der einundzwanzigste Antrag. Er kommt nicht überraschend. Aber es ist doch etwas anderes, denn es ist ein Gesetzentwurf. Bei einem Gesetzentwurf ist es so, dass allgemeine Absichtserklärungen nicht ausreichen, sondern man muss einen konkreten Regelungsgehalt formulieren. Da sieht man meistens klarer – so auch hier.

Bisher habe ich die CDU immer so verstanden, dass sie gesagt hat: flexible Schuleingangsphase, also die Möglichkeit, die ersten beiden Schuljahre in unterschiedlicher Zeit, in ein, zwei oder drei Jahren zu durchlaufen, das Prinzip wird durch die CDU nicht infrage gestellt. Es wird nur gesagt: Die pädagogische Methode des jahrgangsübergreifenden Lernens soll nicht verpflichtend sein. Nun stellt sich heraus, dass die CDU diese Unterscheidung nicht mehr macht, denn in dem Gesetzentwurf wird das jahrgangsübergreifende Lernen verbindlich abgeschafft und nicht etwa die Altersmischung. Wir haben diese Unterscheidung nie so stark gemacht, weil unserer Auffassung nach aus der Schuleingangsphase und ihren Prinzipien einigermaßen folgerichtig die pädagogische Methode des jahrgangsübergreifenden Lernens folgt. Insofern überrascht uns diese Wende der CDU nicht. Aber es ist immerhin neu, dass sie von der CDU so formuliert wird. Deshalb ist es bemerkenswert.

Nun ist es so, dass es einen Anlass für den Antrag gibt, den die CDU stellt, und das sind die Debatten um das Qualitätspaket von Senator Zöllner. Da ist der Eindruck entstanden, der Senat würde von der verpflichtenden Einführung des jahrgangsübergreifenden Lernens in der Schuleingangsphase Abstand nehmen. Dass dieser Eindruck entstanden ist, ist misslich. Es ist ein falscher. Deshalb zur Klarstellung: Wir sind keineswegs der Auffassung, uns von der Schuleingangsphase verabschieden zu wollen. Auch das jahrgangsübergreifende Lernen bleibt verbindliche Vorgabe. Allerdings können Schulen ausnahmsweise von der verbindlichen Vorgabe des jahrgangsgemischten Lernens abweichen, wenn sie durch ein Konzept belegen, dass sie den pädagogischen Prinzipien der Schuleingangsphase gerecht werden. Was sind diese pädagogischen Prinzipien? –

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Diese pädagogischen Prinzipien sind erstens, dass die Schuleingangsphase davon ausgeht, dass Kinder sehr unterschiedlich sind und mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten in die Schule kommen und dass diesen Fähigkeiten durch individuelle Förderung entsprochen werden muss. Das zweite Prinzip ist, dass die SAPH eben in unterschiedlichem Tempo durchlaufen werden kann. Insofern ist es kein Scheitern in der Schuleingangsphase, wenn Kinder drei Jahre dafür brauchen, sondern es ist das Ausnutzen der Möglichkeiten, die wir in Kenntnis der unterschiedlichen Fähigkeiten von Kindern ausdrücklich bieten.

[Beifall von Martina Michels (Linksfraktion)]

Das dritte pädagogische Prinzip ist: Die Schuleingangsphase ist eine pädagogische Einheit. So sagt es auch das Gesetz. Hier gibt es kein Aufrücken von der ersten in die zweite Jahrgangsstufe, sondern es ist eine pädagogische Einheit. Ein längeres Verweilen in der Schuleingangsphase darf den Kindern nicht in irgendeiner Form zum Nachteil gereichen oder sie diskriminieren.

Diese pädagogischen Prämissen, denen man unserer Auffassung nach wohl am ehesten durch die Jahrgangsmischung gerecht wird, bleiben verbindlich, bleiben auch im Gesetz stehen. Dagegen wendet sich die CDU. Das können wir nicht mittragen, weil Kinder nun einmal unterschiedlich sind und weil die Notwendigkeit, dem durch individuelle Förderung und durch individuelles Lernen gerecht zu werden, für alle Schulen gilt und nicht nur für die Schulen, die das wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Kollege Zillich! – Jetzt hat für die Fraktion der FDP Frau Senftleben das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Senator! Eigentlich müssten Sie hier stehen und sagen, was Sie eigentlich wollen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es in der rot-roten Küche ziemlich qualmt und dass die grünen Köche ziemlich eifrig mitmischen. Die Bürger haben das Recht, Klarheit zu bekommen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]