Protokoll der Sitzung vom 13.01.2011

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Henkel! Ehe ich unser Abstimmungsverhalten benenne und begründe, möchte ich auf Ihre hier vorgetragene Position eingehen und mich zu Ihrer Entschließung positionieren.

Auch wir, die sozialdemokratische Fraktion, lehnen jede Position ab, die einen totalitären Anspruch begründet und auf die Errichtung einer Diktatur gerichtet ist.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Wir Sozialdemokraten werden nie vergessen, dass der Kommunismus millionenfaches Leid in vielen Ländern der Welt über die Menschen gebracht hat. Wir Sozialdemokraten haben unter den Kommunisten selbst einen hohen Blutzoll gezahlt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir haben auch nicht vergessen, dass der Kommunismus stalinistischer Prägung mit den Nationalsozialisten eine gemeinsame Menge an geistiger Übereinstimmung besaß.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP]

Wenn es galt, die parlamentarische Demokratie zu bekämpfen, fand man beide totalitäre Ideologien in der Vergangenheit oft Seite an Seite stehen. Wer ein Beispiel hierfür hören möchte, sei erinnert an den gemeinsamen Aufruf von NSDAP und KPD zum Streik der Berliner Verkehrsbetriebe im November 1932. Kein Volk dieser Erde hat die Staatsform des Kommunismus je selbst frei gewählt. Das Experiment des Kommunismus ist das Trauma vieler Völker. Der Kommunismus ist gescheitert. Allein in der Sowjetunion sind nach Schätzungen 20 Millionen Menschen diesem Experiment zum Opfer gefallen. In der Begründung Ihrer Entschließung und in Ihrer Rede, Herr Kollege Henkel, sind Sie darauf eingegangen. Oder um ein Beispiel aus der von vielen verklärt gesehenen DDR zu nennen: In dem kommunistischen Teil Deutschlands wurden 16-jährige Jugendliche wegen Buntmetalldiebstahls Ende der 40er-Jahre zum Tode verurteilt, weil sie – so der Vorwurf – den Aufbau des Sozialismus sabotierten. Wer heute über künftige Wege zum Kommunismus fabuliert, muss wissen, dass er sich in den Kontext dieser Verbrechen stellen lassen muss.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den Grünen und der FDP]

Das umso konsequenter, wenn kritische Reflektion zu den dunklen Seiten kommunistischer Gewaltherrschaft ausbleibt. Weil das so ist und weil wir ein waches Geschichtsverständnis haben, weisen wir alle Gedanken über kommunistische Wege als Alternative zu demokratischer Verfasstheit von Staaten zurück. Ich bin überzeugt, dass diese Sicht alle Fraktionen – übrigens auch die Linken – hier in unserem hohen Hause eint.

Ebenso sicher bin ich, dass Gewalt gegen Andersdenkende auf parteiübergreifende Ablehnung stößt. Wenn linksextreme Gewalttäter Menschen bedrängen, schlagen und verletzen, so wie aktuell geschehen und beschrieben, muss dies geahndet und bestraft werden. Diese Gewalttäter müssen die gleichen Konsequenzen unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen, wie rechte Gewalttäter.

[Allgemeiner Beifall]

So weit zum Grundsätzlichen Ihrer Entschließung, Herr Henkel.

Nun zum konkreten Anlass. Da schreibt nun eine linke Bundestagsabgeordnete,

[Andreas Gram (CDU): Vorsitzende der Linkspartei!]

die zugleich Bundesvorsitzende ist, einen Artikel für die Zeitung „Junge Welt“. Der Artikel trägt die Überschrift – das wurde schon zitiert – „Wege zum Kommunismus“. Sie teilt dort ihrer ergebenen Leserschaft mit, dass die Wege zum Kommunismus nur zu finden seien, wenn wir uns dazu auf den Weg machten, und so weiter und so fort. Am Ende des Weges wartet dann die große Verheißung. Ich möchte nicht mehr zitieren, ich habe den ganzen Artikel gelesen. Er ist geschichtsverloren und in einem Duktus gehalten, der mich an den obligatorischen Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR erinnert hat.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

In diesem Duktus wurde den DDR-Bürgern die Welt außerhalb der Mauer erklärt. Konsequenterweise sieht Frau Lötzsch in der Bundesrepublik Deutschland auch den Hort des Militarismus, den es zu bekämpfen gilt, fast so, als verlautbarte noch das ZK der SED die Sicht auf den Klassenfeind.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Das grenzt schon an Lächerlichkeit. Glaubt sie wirklich, dass sie – ausgenommen von ein paar Gläubigen – noch ernst genommen wird? Sieht sie nicht, dass bis auf Nordkorea die letzten kommunistischen Staaten der Welt den Rückwärtsgang eingelegt haben?

Sehr geehrter Herr Henkel! Von Frau Lötzsch’ Artikel geht eine Geisteshaltung aus, die eine Belastung für die Demokratie darstellt.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Sie ist auch deshalb gefährlich, weil von dieser Haltung Signale an das linksextreme Spektrum ausgehen. Frau Lötzsch ist ein Ärgernis für ihre eigene Partei und schadet der Linkspartei als demokratischer Partei außerordentlich. Sie macht sichtbar, was wir alle wissen.

Herr Hilse! Auch Ihre Redezeit ist leider beendet.

Ich muss jetzt leider zum Ende kommen. – Wir werden dennoch dieser Entschließung nicht zustimmen,

[Andreas Gram (CDU): Das ist jetzt überraschend! – Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Sie haben doch gerade gesagt, weshalb Sie zustimmen!]

weil wir – – Es gibt Äußerungen, die werden wir auch weiterhin aushalten müssen. Das ist in einer Demokratie so, und das soll auch so bleiben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der CDU: Nein!]

Wir können nicht bei jedem Unsinn, der gesagt wird, eine Entschließung verabschieden.

Sie müssen bitte zum Ende kommen!

Das ist der Grund. Inhaltlich kommen wir Ihnen sehr nahe. Wir haben eine eigene Entschließung vorgelegt,

[Ramona Pop (Grüne): Weshalb stimmen Sie unserer nicht zu?]

bzw. wir schließen uns der der Grünen mit einer kleinen Änderung an. Die Begründung hierfür wird Ihnen gleich vorgetragen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Kurt Wansner (CDU): Rede war gut, Begründung schlecht!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hilse! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Otto das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Hilse! Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Der wenigste Beifall kam während Ihrer Rede aus Ihrer eigenen, der SPD-Fraktion.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Christian Gaebler (SPD): Sie können nicht richtig gucken!]

Um es vorweg zu betonen: In diesem Land herrscht Meinungsfreiheit und Diskussionsfreiheit, und das ist ein sehr hohes Gut.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich bin sehr froh, seit 1989 nicht mehr eingemauert leben zu müssen – ohne Diskussionsfreiheit, ohne Pressefreiheit und ohne Wahlen. Das kann man gar nicht oft genug feststellen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jeder von uns kann darüber nachdenken, die Gesellschaft zu verändern. Wenn die Linken eine Kommunismusdebatte führen wollen, ist das zunächst einmal deren Sache. Selbst Parteivorsitzende haben das Recht, Unfug zu erzählen oder zu schreiben.

[Beifall bei den Grünen – Andreas Gram (CDU): Aber nicht umzusetzen!]

Was aber nicht geht, meine Damen und Herren von der Linken, dass ist Revisionismus zu betreiben und die Altkommunisten bedienen zu wollen, die sich die Diktatur zurückwünschen, und was nicht geht, ist, dass die Demokratie infrage gestellt wird.

[Beifall bei den Grünen, der SPD, der CDU der FDP]

Wenn Sie mit dem Begriff des Kommunismus spielen – und da fällt einem zuerst immer Walter Ulbricht ein: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles im Griff haben.

[Heiterkeit bei der CDU]

Die DDR war eine Diktatur auf dem Weg in den Kommunismus nach Marx und Lenin und das von Anfang an. Ich glaube, das weiß 20 Jahre nach 1989 jeder hier im Hause und jeder in diesem Land. Eine Gesellschaft mit Gerechtigkeit und Wohlstand für alle, das wünschen sich viele Menschen. Viele wünschen sich auch mehr Gleichheit. Aber was sich in diesem Land keine Mehrheit wünscht, ist eine kommunistische Diktatur, wo der einzelne Mensch nichts gilt und die Partei und das System über allem stehen. Denken Sie an Kuba! Kuba ist noch heute so ein Land, wo es keine Wahlen gibt und wo Menschen hohe Gefängnisstrafen erhalten, weil sie politisch unliebsam sind oder weil sie etwas Falsches am falschen Ort gesagt haben.

[Zurufe von der SPD]

Ich würde Ihnen am liebsten ein Kapitel aus der „Farm der Tiere“ vorlesen. Viele werden das Buch von George Orwell kennen. Das war in der DDR verboten, weil es zu dicht am System war, weil es die Wahrheit enthielt.

Der Anlass für die Diskussion heute ist Frau Lötzsch, die eine Veranstaltung besuchen wollte und vorher etwas geschrieben hat. Der Kollege Henkel hat schon darauf hingewiesen, da haben Menschen protestiert, da waren Mitglieder der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und sind tätlich angegriffen worden. Sie müssen sich das mal vorstellen! Wenn jemand in Hohenschönhausen oder Bautzen gesessen hat, weil er einfach den planmäßigen Aufbau des Kommunismus gestört hat, wenn dieser Mensch gegen eine solche Veranstaltung protestiert und dann verdroschen wird, das verurteilen wir.