Protocol of the Session on January 27, 2011

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Eines aber wissen wir in Berlin: Die zuständige Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Frau Lompscher, hat Anfang des Jahres erneut sehr heftig das eisige Klima zwischen Winterdienst und Verbrauchern zu spüren bekommen, war schon damals total überfordert und ist es wohl auch jetzt. Im Zuge des Dioxinskandals erklärt sie, dass man nicht wisse, ob – und wenn ja, wie viel – belastetes Futter durch die landwirtschaftliche Produktion beispielsweise in Geflügel- und Schweinefleisch auch nach Berlin transportiert worden sein könnte. Sie weiß es einfach nicht! Die nachfolgende Aktion, die Überprüfung des einzigen Legehennenbetriebs in Berlin, blieb zwar glücklicherweise erfolglos, kann aber nun wirklich nicht als Erfolg gewertet werden. Es reicht bei Weitem nicht aus, die Hände in den Schoß zu legen oder gar von vorläufiger Entwarnung auszugehen. Sie wissen nicht, was mit landwirtschaftlichen Produkten, beispielsweise Geflügel- und Schweinefleisch aus Betrieben, die unwissend verseuchtes Futtermittel eingesetzt haben und anschließend ihre Tierprodukte auf den Absatzmarkt Berlin transportiert haben, passiert ist. Rätselraten in Berlin!

Klar ist aber: Dieser Dioxinskandal ist durch eine wirksame Kontrolle in einem anderen Bundesland aufgedeckt worden. Dort haben Kontrollen funktioniert, dort hat das System funktioniert. Was an kriminellen Machenschaften vorhanden war, konnte anhand dieser Kontrollen tatsächlich aufgedeckt werden.

Ende 2006 hatten wir den Putenfleischskandal, und schon damals wurden Alarmrufe der Lebensmittelkontrolleure in den Bezirksämtern laut, die Personaldecke sei – vor allem nach den drastischen Einschnitten bei der Reform des Gesundheitsdienstes – viel zu dünn, um der notwendigen Wachsamkeit und Sachlichkeit Herr werden zu können.

Entschuldigung, Herr Goetze! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Isenberg?

Nein, die gestatte ich nicht! – Bis zum Jahr 2006, der Verabschiedung des ÖGD-Reformgesetzes, waren in Berlin bereits 1,2 Millionen Euro Einsparungen im Bereich Gesundheitsdienst realisiert worden. Hinzu kamen allgemeine Personaleinsparungen in den Gesundheitsämtern, die im Zeitraum 2004 bis 2010 – wie der Rat der Bürgermeister fraktionsübergreifend ermitteln ließ – insgesamt 550 Stellen betrugen. Ein erheblicher Aderlass auf Kosten der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger! Was ist heute, Jahre später? – Immer noch die gleiche Verantwortungslosigkeit! Die „Morgenpost“ titelt am 20. Januar 2011: „Keine schärferen Dioxinkontrollen in Berlin“ – so die Aussage der Senatorin. Die Sprecherin der Senatorin erklärt, flächendeckende Proben könne es nicht geben, der zeitliche und finanzielle Aufwand sei zu hoch. Das wird durch Ihre eigenen Statistiken belegt: Schauen Sie sich die Antwort einer Kleinen Anfrage zum Thema Lebensmittelkontrollen in Berlin an! Im Bezirk FriedrichshainKreuzberg werden pro Jahr die Hälfte der vorhandenen Betriebe kontrolliert, und bei diesen gibt es über 60 Prozent Beanstandungen! Da sieht man doch, dass die Kontrolldichte zu gering ist. Sie haben es geschafft, dass weniger als die Hälfte der Betriebe eines Bezirkes tatsächlich kontrolliert wird. Aber die Konsequenzen daraus werden nicht gezogen, denn 60 Prozent Beanstandungen sind ein starkes Stück, da kann man sich nicht einfach hinstellen und sagen: In Berlin ist alles in Ordnung, wir kümmern uns jetzt mal um die Bundesebene.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Michael Schäfer (Grüne) – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Die viel zu geringe Ausstattung bei den Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämtern besteht seit Jahren. Die Aufgaben wurden zwar an die Bezirke übertragen, finanziell und personell aber nicht untersetzt. Das sichert bestenfalls, dass die Menschen im Nachhinein von Ihnen erfahren, was sie gestern besser nicht hätten essen sollen, anstatt dass sie durch ein funktionierendes, schnelles und

zwischen den Ländern und im Zusammenspiel mit Bund und sogar der EU gespanntes Kontrollnetz im Vorhinein erfahren, was sie morgen besser nicht verzehren sollen.

Frau Senatorin! Sie sagen, dass berlinweit eine Erhöhung um allenfalls 23 Stellen auf 220 Stellen beschlossen sei – und das bis 2015. 23 zusätzliche Stellen bis 2015! Gott sei Dank haben Sie mit der Realisierung nichts mehr zu tun, weil Sie dann keine Verantwortung mehr tragen werden.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Deswegen wird es mehr Stellen geben müssen. Sie werden auch ausfinanziert sein, wie wir mit unseren Anträgen zum letzten Berliner Landeshaushalt deutlich gemacht haben.

[Beifall bei der CDU]

Beim Dioxinskandal sind Sie genauso unwissend, wie Sie es beim Gammelfleischskandal 2006 waren – die unwissend Getriebene, aber nicht Herrin des Verfahrens. Es genügt eben nicht, die Lebensmittelüberwachung einfach in Verbraucherschutzbehörde umzubenennen, solange die Rahmenbedingungen nicht angepasst, sondern sogar noch verschlechtert werden.

Es hilft auch nicht weiter, dass Sie die gleiche Strategie wie bei der Spielhallenproblematik verfolgen. Dazu haben wir heute drei Anträge, und sie machen deutlich, wie Sie sich Ihre Probleme vom Halse schaffen wollen, anstatt sie zu lösen: Erstens wird der Schwarze Peter an die Bezirke weitergegeben. Bei den Spielhallen sollen sie sich um Prävention kümmern. Hier sollen sie die wenigen Lebensmittelkontrollen verstärken, die noch ausfinanziert sind, aber der Senat hat damit nichts zu tun.

Das Nächste ist eine Bundesratsinitiative – immer schön die Verantwortung weggeben, diesmal auf die nächsthöhere Ebene. Vielleicht kommt demnächst noch eine EUInitiative für ein EU-Lebensmittelrecht. Das wäre auch etwas Neues. Aber Sie hier im Land Berlin machen absolut gar nichts. Sie sind abgetaucht. Die Rednerin der SPDFraktion hat es ja deutlich gezeigt: Kein Wort zu den Berliner Verhältnissen, obwohl hier die Hütte brennt.

[Beifall bei der CDU]

Denn kontrollieren, das müssen die Länder. Daran geht kein Weg vorbei. Die Rahmenbedingungen auf Bundesebene haben die entsprechenden Minister einvernehmlich auf den Weg gebracht, aber die Hauptverantwortung liegt hier in Berlin. Hier muss gehandelt werden. Deswegen hilft es auch nicht weiter, sich an dem festzuhalten, was angeblich nicht gefunden wurde. Auch hier wieder die gleiche Strategie, aber diesmal die Parallele zur Polizei: Wenn Sie bei der Polizei 1 000 Stellen einsparen, keine Kontrollen mehr in bestimmten Bereichen machen und deswegen dort auch null Feststellungen haben, kann man sich natürlich hinstellen und sagen: Die Welt ist in Ordnung. Wir haben hier nichts festgestellt. – Aber die Welt ist eben nicht in Ordnung. Dadurch, dass Sie zu wenig Personal einsetzen, können Sie nichts feststellen, und

deswegen ist es blauäugig, davon auszugehen, dass im Land Berlin alles in Ordnung sei.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Nehmen Sie den Handlungsauftrag, den Sie mit der Formulierung des Themas dieser Aktuellen Stunde gewählt haben, ernst, und vielleicht kann uns der Redner der Linken einmal sagen, was er denn nun in Berlin machen will,

[Martina Michels (Linksfraktion): Da müssen Sie einmal zuhören, das wollen Sie ja gar nicht!]

um hier eine Verbesserung der Situation herbeizuführen. – Ich höre gleich zu! Aber Sie werden – und davon können wir ausgehen – genauso wenig zu bieten haben wie Ihre Vorrednerin. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für eine Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Isenberg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Goetze! Das war eine spannende Ausführung von Ihnen, und ich nehme zur Kenntnis: Auch Sie sagen, dass wir den Staat dort brauchen, wo er Kontrollen durchführen muss. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie sich demnächst gemeinsam mit uns dafür einsetzen wollen, dass die Rückverfolgbarkeitsregeln ausgebaut statt abgebaut werden, wie es die Branchen der Lebensmittelwirtschaft normalerweise fordern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich darf Ihnen auch sagen: Ohne die Rückverfolgbarkeitssysteme, die wir haben und die Ihre Partei regelmäßig als überbürokratisch hinstellt, wäre es jetzt noch nicht einmal möglich, das zu rekonstruieren, was Sie angemahnt haben, nämlich das, wo die einzelnen Futtermittel verfüttert worden sind, wohin das Fleisch geliefert wurde, auf wessen Teller es, von welchem Supermarkt ausgehend, schließlich gelandet ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wenn Sie also hier dazugelernt haben, freuen wir uns und schauen mit Spannung auf Ihre künftigen Anträge, die Sie zum Meldesystem haben. Ich bin froh, hier eine Unterstützung für den Ausbau dessen zu haben, was wir in allen Ländern brauchen. Ich habe es eben schon gesagt: Baden-Württemberg und andere Länder sind hier unterinvestiv in dem, was Sie fordern. Dort sind die Lebensmittelkontrollen lückenhafter als hier. Hier sind sie gut, und Berlin ist hier Vorreiter. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Isenberg! – Möchten Sie antworten, Herr Goetze? Dann haben Sie die Gelegenheit dazu.

Lieber Kollege! Auch hier wieder das falsche Manuskript. Wir sind hier im Berliner Landesparlament; nochmals zum Mitschreiben.

[Beifall bei der CDU]

Vielleicht haben Sie sich vergeblich beworben für den Deutschen Bundestag und hatten schon ein paar Reden vorbereitet. Aber hier sind Sie im Landesparlament, und hier geht es um das, was von dieser Senatorin zu verantworten ist. Wenn Sie in Ihrem letzten Satz sagen, die Kontrollen in Berlin seien ausreichend, dann haben Sie nicht zugehört. In Friedrichshain-Kreuzberg wurde in einem Jahr nur die Hälfte der Betriebe kontrolliert, und es gab über 60 Prozent Beanstandungen. Hören Sie einmal hin: die Hälfte der Betriebe kontrolliert. In vielen relevanten Betrieben war nicht einmal einmal pro Jahr ein Lebensmittelkontrolleur. Das halten Sie für ausreichend? Meinen Sie, die Leute warten darauf, dass die Kontrolleure kommen, die Sie nicht finanziert haben, um denen dann das Gammelfleisch vorzulegen?

[Zurufe von der Linksfraktion]

Das ist doch eine Riesenlücke, die sich da auftut, und das wird von Ihnen völlig negiert!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Der entscheidende Punkt, der hier realisiert werden muss, ist ein dichtes Netz an Lebensmittel- und Veterinärkontrolleuren, und das gibt es nicht. Wenn Sie sich die Beratungen etwa des Unterausschusses Bezirke des Hauptausschusses ansehen, wo auch Stadträte Ihrer Fraktion auftreten und beklagen, dass die Lebensmittelkontrolle völlig unterbesetzt sei, sie zu den vorhandenen Konditionen kein Personal mehr bekämen und die Leistungen, die von ihnen abgefordert würden, nicht mehr erbringen könnten, dann erkennen Sie, dass das ein Hilferuf ist. Das hat nichts mit Schönreden und einer bundespolitischen Debatte zu tun, sondern damit, dass Sie hier Ihre Aufgaben auch nicht ansatzweise erfüllen. Da können Sie in die Bezirke gehen und sich von den Kollegen Ihrer Fraktionen dort erzählen lassen, was da wirklich los ist.

Das ist Ihre Aufgabe für die Berlinerinnen und Berliner, und Sie sollen nicht darüber philosophieren, ob irgendwelche EU-Richtlinien oder irgendwelche Details bei der Futtermittelkontrolle tatsächlich funktionieren. Das können Sie im Bundestag machen. Hier aber haben Sie Ihre Berliner Pflicht zu erfüllen, und das tun Sie nicht.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Goetze! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Holzheuer-Rothensteiner das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Goetze! Erst einmal möchte ich Sie daran erinnern, dass wir uns nicht mehr im alten West-Berlin befinden, sondern wir sind in der Bundesrepublik.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir haben ein föderales System, und Berlin ist ein Bundesland in diesem föderalen System.

Ich möchte Ihnen zweitens sagen, dass ich finde, dass Sie hier das Thema verwechselt haben. – Herr Goetze, hören Sie vielleicht bitte einmal zu? – Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Für die Lebensmittelsicherheit ist die Wirtschaft zuständig, und wenn bei den Lebensmittelkontrollen Verstöße festgestellt werden, dann liegt das nicht an den Kontrollen, sondern an der Wirtschaft.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Sie verstößt gegen die Regeln, und Sie können noch so viele Kontrollen einsetzen – dadurch werden die Verstöße nicht weniger.

Seit Wochen hält ein neuer Dioxinskandal die Republik in Atem. Zunächst waren Eier aus Betrieben in SchleswigHolstein betroffen, dann auch Schweinefleisch. Noch ist das ganze Ausmaß des Skandals nicht bekannt. Noch immer sind mehr als 500 Futtermittelbetriebe geschlossen. Klar ist aber jetzt schon: Das Verbrauchervertrauen wurde von der Lebensmittelwirtschaft einmal mehr missbraucht und die Gesundheit der Bevölkerung einmal mehr gefährdet.

Ein Gift wie Dioxin hat in Lebensmitteln Langzeitfolgen und muss bei der Produktion verhindert werden. Dafür ist die Wirtschaft zuständig und verantwortlich. Gleichzeitig ersetzt dies aber nicht Kontrollen. Wir brauchen endlich nachvollziehbare Produktionsketten mit staatlichen Kontrollsiegeln für die Transparenz vom Stall bis auf den Tisch der Verbraucherinnen und Verbraucher.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]