Protocol of the Session on March 31, 2011

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Ist es nicht auch deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder zu gewaltfreien Mitgliedern unserer Gesellschaft werden? Sollten nicht alle am Erziehungsprozess Beteiligten zusammen an diesem Ziel arbeiten? – Nein, die sogenannte Familienpartei CDU nimmt die Eltern aus der Pflicht und drischt lieber auf die Lehrerinnen und Lehrer und die Berliner Schule ein, das ist auch viel einfacher.

[Beifall bei der SPD – Mieke Senftleben (FDP): Nicht zu fassen!]

Dieser Vorwurf greift aber zu kurz und stimmt schlicht und ergreifend nicht.

[Mieke Senftleben (FDP): Stimmt!]

Die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben eine gute und hohe Medienkompetenz, Frau Kollegin. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich Mitte der 1980er-Jahre als junge wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin die ersten Lehrerfortbildungsseminare in Sachen Medienkompetenz durchführte. Damals haben wir den Lehrenden noch vermittelt, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler vor den Gefahren des Internets warnen sollten, Stichwort:

Pornoseiten, Verbreitung von Rechtsextremismus. Heute muss man die Schüler vor sich selbst warnen. Im Übrigen müssen in diesem Zusammenhang auch die Lehrerinnen und Lehrer geschützt werden, die werden auch sehr oft Opfer im Internet.

Fortbildungsseminare gibt es, seit die Nutzung des Computers Einzug in die Klassenzimmer gefunden hat, und sie werden ständig ausgeweitet. Obwohl der gewaltfreie Umgang miteinander eher eine zwischenmenschliche Frage ist, ist das Land Berlin auch beim Medienkompetenztraining vorbildlich. So gibt es bereits seit 2005, das hat Herr Steuer schon erwähnt, den E-Education Berlin Masterplan für die Berliner Schulen.

[Mieke Senftleben (FDP): Der ist vorbildlich, ja?]

Dieser Masterplan wird in jedem Haushalt fortgeschrieben, und dafür nimmt das Land Berlin viel Geld in die Hand.

[Mieke Senftleben (FDP): Ja, aber was kommt dabei heraus?]

Weiterhin gibt es das Landesprogramm www.jugendnetzberlin.de und das Internetseepferdchen für die Kleinen.

[Mieke Senftleben (FDP): Ja, prima!]

Der Bildungsserver Berlin-Brandenburg als Service des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg beschäftigt sich ebenfalls mit Jugendmedienschutz. Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz, www.klicksave.de, hilft, Gefahren im Netz – wie Cybermobbing, mangelnden Datenschutz und Urheberrechtsverletzungen – zu begegnen. Angebote gibt es also reichlich, man kann nicht sagen, die Berliner Schule sei noch nicht im Informationszeitalter angekommen.

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wenn hier gesagt wurde, in der Grundschule müsse angefangen werden, so sage ich, eher in der Kita muss angefangen werden. Natürlich kann man das nicht so machen wie in der Schule, man muss das spielerisch machen, aber die Kinder werden immer früher reifer, und man muss sie bereits früh auf diese Gefahren hinweisen.

Herr Steuer! Es ist leider so, die meisten Server der Cybermobbing-Internetseiten liegen im Ausland, daher ist der Zugriff der Bildungsverwaltung und der Schulen faktisch verwehrt.

Es kommt leider immer wieder zu Zwischenfällen, die die Schulen sofort melden sollen. Im laufenden Schuljahr wurden 41 Vorfälle im Kontext gewaltdarstellender Medien gemeldet. Diese Meldungen schlossen unterschiedliche Vorfallsarten ein, z. B. Mobbing, Morddrohungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Amokdrohungen, die mittels unterschiedlicher Medien des Internets, aber auch per Handy und Video ausgeführt wurden. Gestern gab es ein Treffen der Senatsverwaltung mit der Polizei,

[Mieke Senftleben (FDP): Ja, gestern! Super!]

bei dem alle Betroffenen an einen Tisch geholt wurden.

Ich sagte bereits, dass es sich hierbei um ein sehr sensibles Thema handelt, das sich, ich wiederhole mich, meines Erachtens nach nicht als Wahlkampfthema eignet. Lassen Sie uns vielmehr alle an einem Strick ziehen und mit allen Betroffenen über diese Vorfälle diskutieren, um das Schulklima positiv zu beeinflussen!

[Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Information von Herrn Dr. Dix eingehen, der daran erinnert hat, dass er bereits in der 67. Sitzung in unserem Hause am 17. Juni 2010 in einem Beschluss auf Empfehlung des Unterausschusses Datenschutz und Informationsfreiheit den Senat aufgefordert hat, sicherzustellen, dass das Thema Datenschutz künftig verstärkt in den Schulunterricht integriert wird. Ich zitiere es wörtlich:

Der Schutz der Privatsphäre des Einzelnen ist eine schulische Bildungsaufgabe, die Eingang in die Lehrpläne finden muss.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Er begrüßt auch alle Anstrengungen, die die Schulverwaltung bereits unternommen hat,

[Mieke Senftleben (FDP): Findet er aber nicht ausreichend, glaube ich!]

und fordert, dass Medienkompetenz ein verpflichtender Bestandteil der Lehrpläne wird. Ich habe mit ihm darüber gesprochen; die Medienkompetenz steht bereits in den Lehrplänen, er möchte, dass das etwas konkreter formuliert wird. Dieses Anliegen unterstütze ich.

Frau Dr. Tesch! Entschuldigen Sie, dass ich Sie schon wieder unterbrechen muss, wir haben eine Zwischenfrage von Herrn Lux. Gestatten Sie die?

Ja, bitte schön!

Danke schön! – Frau Kollegin! Können Sie mir erklären, warum immer so erschreckende Vorfälle passieren müssen, bevor sich Parlamente ihrer Beschlüsse besinnen und dann den Senat konkret auffordern, Medienkompetenz zu einem Thema zu machen? Der Beschluss des Datenschutzausschusses ist über ein Jahr alt, seitdem, so haben wir es im Unterausschuss vernommen, ist nicht viel passiert. Jetzt gab es diese schrecklichen Vorfälle, und auf einmal besinnt man sich der Beschlüsse wieder. Warum muss das so sein? Kann man hier nicht mittelfristig, langfristig nachhaltig handeln?

[Mieke Senftleben (FDP): Schlau, vordenken!]

Das Eine schließt das Andere nicht aus, Herr Lux. Durch solche schrecklichen Vorfälle wird man daran erinnert, noch einmal kräftiger nachzuhaken, aber bereits vor dem Beschluss des Unterausschusses ist die Medienkompetenz in den Lehrplänen festgelegt worden. Das weiß ich ganz genau, denn auch an der Basis meiner Partei gab es Bestrebungen und ich wurde durch Beschlüsse der Kreisdelegiertenversammlung aufgefordert, mal nachzuschauen. Das habe ich getan, und es steht in sehr vielen Lehrplänen drin. Es ist – und vielleicht hat Herr Dr. Dix da ein bisschen recht – teilweise nicht so konkret formuliert, sodass sich Lehrerinnen und Lehrer nicht so ausdrücklich daran halten müssen. Da würde ich seinem Vorschlag folgen, dies genauer zu formulieren. Letztendlich ist es aber alles vorhanden. In diesem Anliegen – und das soll mein letzter Satz sein – würde ich Herrn Dr. Dix dann auch unterstützen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Tesch! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Herrmann das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „J. ist die größte Schlampe der Schule.“, „T. ist eine schwule Sau.“, „Die Mädchen der 10 b sind alle potthässlich.“ – diese Beiträge, die offen gesagt noch zu den harmloseren gehören, finden sich in vielen Berliner Schulklos an den Türen und Wänden und in der heutigen Zeit vermehrt im Internet. Mobbing ist Mobbing, ob online oder offline. Cybermobbing ist keine Kavaliersdelikt. Auch im Internet sind Verleumdungen oder Beleidigungen schlicht Straftaten, die konsequent verfolgt und bekämpft werden müssen.

Das Gefährliche oder Besondere an Cybermobbing ist, dass es nicht an der Schulklotür aufhört. Es verfolgt die Opfer überallhin – mittels Internet oder per Handy. Die Anonymität der Täter – es könnte die beste Freundin, der beste Freund sein – macht den Opfern noch mehr Angst. Einmal gepostete Beiträge, Fotos oder Videos verbreiten sich im Internet unkontrollierbar schnell und können die Opfer jederzeit und an jedem Ort erneut in der Öffentlichkeit verfolgen. Und man kann sich kaum wehren. Den Filzstift zum Überschreiben gibt es im Internet nicht. Dies alles erhöht die psychische Belastung ins Unerträgliche. Die Opfer leiden oft jahrelang. Erschreckend: 25 Prozent der Jugendlichen gibt an, dass das Internet dazu eingesetzt wurde, jemanden fertigzumachen.

Was mich ärgert: Nach den aktuellen und schrecklichen Ereignissen, die es in die Presse geschafft haben, tut insbesondere der zuständige Senator Herr Zöllner so, als sei das Phänomen ganz plötzlich vom Himmel gefallen. Mit

nichten! Cybermobbing gibt es nicht erst seit gestern, sondern Sie, Herr Zöller, haben es bisher nur ignoriert.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Zu meiner Anfrage vom November 2009 antwortete mir Ihre Staatssekretärin – ich zitiere –, es sei kein Trend bei der Verbreitung von Straftaten durch Kinder und Jugendliche zu „Happy-slapping“ oder Cybermobbing erkennbar. Und daher müssen Sie ja wohl dann auch nichts Ernsthaftes unternehmen, scheint Ihre Antwort zu sein. Jetzt, anderthalb Jahre später, rennt der Senator panisch herum, spricht von einem ganz neuen Phänomen und beruft hektisch Krisenrunden ein. Derweil verschicken Sie, Frau Tesch, Pressemitteilungen mit der Überschrift: „Opposition nutzt Cybermobbing für Wahlkampfgetöse – Berlin vorbildlich bei Medienkompetenztraining“.

[Özcan Mutlu (Grüne): Peinlich! – Weitere Zurufe von den Grünen Oh! von der CDU und der FDP]

Dazu kann man nur sagen: Herzlich willkommen im sozialdemokratischen Berliner Affenzirkus!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Herr Steuer! Sie haben vorhin in der Begründung gesagt, das Internet sei böse oder per se etwas Schlechtes.

[Sascha Steuer (CDU): Nein!]

Das stimmt so nicht. Ich glaube, die Gesellschaft muss sich darauf vorbereiten, dass es im Internet, das weltweit fungiert, auch Inhalte gibt, die uns nicht passen oder die sogar nicht mit unserem Gesetz in Verbindung zu bringen sind. Aber genau deshalb brauchen wir dringend mehr Medienbildung für alle – für Lehrkräfte, für Eltern, für Kinder und Jugendliche. In Brandenburg gibt es seit Langem Medienberater, in Berlin Fehlanzeige. In RheinlandPfalz übernehmen Schülerinnen und Schüler als Medienscouts selbst Verantwortung, in Berlin Fehlanzeige. In Frankfurt am Main hat ein Schulleiter bereits vor Wochen, als er von den Internetmobbingbeiträgen erfahren hat, die Problematik Cybermobbing in allen Klassen mit allen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern thematisiert.

Warum werden diese Positivbeispiele nicht durch die Senatsverwaltung an Berliner Schulen weitergetragen? Für Lehrkräfte gibt es kaum Weiterbildungsangebote in Sachen Medienkompetenz. Der Umgang mit den neuen Medien gehört endlich in den Schulunterricht. Die Jugendlichen müssen wissen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum und Cybermobbing eine Straftat ist. Sie müssen wissen, dass man im Internet nicht leichtfertig alle Daten über sich preisgibt und dass man immer Spuren hinterlässt, wenn man sich im Internet bewegt. Jetzt wird es 1 500 sogenannte Mobbing-Koffer geben. Aber wir brauchen nicht mehr und mehr Lehrmaterial, sondern wir brauchen die Menschen, die mit diesem Material umgehen können. Wenn die Schulen dabei Hilfe von externen Fachleuten brauchen, dann sollten sie diese bekommen.

Wir wollten unabhängige Ombudsstellen für Schulkonflikte schaffen, an die sich beispielsweise Opfer von Mobbing – egal, ob Schüler und Schülerinnen oder Lehrer und Lehrerinnen – wenden können. Das hat uns Rot-Rot abgelehnt. Wir sind mit diesen Vorschlägen nicht allein. Auch der Datenschutzbeauftragte erinnerte daran, dass Aufklärungs- und Medienkompetenzangebote des Senats nicht ausreichend sind. Der wichtigste Schutz ist ein von gegenseitiger Wertschätzung geprägtes Schulklima. Es darf nicht weiterhin weggeschaut werden, wenn gedemütigt oder gemobbt wird. Auch deshalb begrüßen wir die Eigeninitiative von Schülerinnen und Schülern, die Plattform mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sie stellen massenhaft bedeutungslose oder witzige Themenbeiträge ein. So überfluten sie Seiten, und dann bleibt eben kein Platz mehr für Lästereien.

[Beifall bei den Grünen]

Fazit der heutigen Debatte: Der zuständige Senator lebt in Sachen Medienkompetenz seit Jahren hinterm Mond. Herr Zöllner! Es bleibt zu hoffen, dass Sie, auch wenn das Thema nicht mehr dauerhaft im Fokus der Presseöffentlichkeit ist, Cybermobbing weiter ernst nehmen und dass Sie bei der Umsetzung in Sachen Medienkompetenz nicht die gleiche Unfähigkeit wie beim Bildungspaket an den Tag legen. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]