Clara Herrmann

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Rechnungshofpräsidentin Claßen-Beblo! Auch von uns, von der Grünen-Fraktion, möchte ich mich für die geleistete Arbeit bedanken. Bitte geben Sie diesen Dank auch an Ihr Team weiter! Danke!
Herr Thärichen! Ich habe mich doch ein bisschen gewundert über Ihre Einleitung zu dem gestern beratenen Bericht zum Thema Kita-Eigenbetriebe, denn im Hauptausschuss hörte sich das bei Ihrem Koalitionspartner, der diesen Bericht eingeleitet hat mit den Worten, das wussten wir alles schon, das hätten wir nicht mehr gebraucht, ein bisschen anders an. Aber scheinbar haben Sie sich da
in Ihrer Positionierung ein bisschen verändert. Das ist ja gut zu hören.
Nun möchte ich aber zum Jahresbericht 2011 des Rechnungshofs etwas sagen. Dieser Jahresbericht macht eines deutlich: Es sind zwar Einzelfälle, die in dem Bericht aufgezeigt werden und die eine Verschwendung von ca. 95 Millionen Euro aufzeigen. Aber diese Einzelfälle stehen für ein Sinnbild, für die strukturellen Organisationsdefizite von Rot-Rot, die Berlin wesentlich mehr kosten.
Das erste Beispiel ist das Thema Bauen. Da werden Aufträge nicht öffentlich ausgeschrieben, es wird schlecht oder gar nicht geplant. Sie brauchen ganze 19 Jahre, um die Sanierung eines Gerichtsgebäudes zu machen und verursachen dadurch Mehrausgaben von über 2 Millionen Euro. In 19 Jahren schafft es ein Mensch von der Geburt bis zum Abitur, Sie kriegen noch nicht mal das kleine Einmaleins der Gebäudesanierung auf die Reihe.
Es vergeht kaum eine Hauptausschusssitzung, in der wir keine Vorlage mit der Begründung „Einhaltung Brandschutz“ für Mehrkosten bei den Baumaßnahmen haben. Es ist ja überraschend, dass im Land Berlin bei den Gebäuden die Brandschutzvorgaben zu gelten scheinen.
Mein Lieblingsbeispiel ist aber die Planung einer Feuerwache. Da steht alles fest, und irgendwann bekommen wir einen Bericht in den Hauptausschuss, der Mehrkosten begründet. Warum? – Weil jemandem aufgefallen ist, dass die Garage der Feuerwache zu klein für die Feuerwehrautos ist. Das ist keine Bauplanung, das ist Fehlplanung.
Und diese Beispiele zeigen: Dahinter steckt ein Grundproblem der fehlenden Planung und Kontrolle von Baumaßnahmen. Das kostet uns viel Geld, das wir nicht haben.
Lieber Herr Nußbaum! Erklären Sie uns doch mal, warum Sie das als Finanzsenator eigentlich alles zulassen! Sie machen Rundschreiben, und dennoch werden ganz schnell die Ausnahmen zur Regel, sodass sie keine Verwaltung mehr ernst nimmt. Wie erklären Sie, Herr Nußbaum, eigentlich dem Stabilitätsrat in Zeiten drohender Haushaltsnotlage Ihr Nichthandeln und die folgende Verschwendung?
Ein weiteres Beispiel ist der Bereich IT. Auch hier zeigt der Rechnungshof die Kostengräber auf. Der Hauptgrund: Es gibt keine IT-Strategie, die wir auch schon seit sehr langer Zeit einfordern.
Mit einer Zusammenführung der bestehenden heterogenen Serverinfrastruktur ließen sich innerhalb von acht Jahren 25 Millionen Euro einsparen. Aber nicht nur das.
Auch die Großprojekte in Berlin werden schlecht gemacht. Da muss man sich nur mal die Integrierte Software Berliner Jugendhilfe anschauen. Zu Beginn des Projekts wird nicht klar gesagt, was man will; man macht kein Pflichtenheft. Und man setzt auf Referenzen des Landkreises Barnim. Schon nach zwei Jahren Herumgekrebse kommt man auf die Idee, mal im Barnim nachzufragen, wie das dort eigentlich funktioniert. Und die Antwort: Wegen erheblicher Mängel kann das System selbst im Barnim nicht so eingesetzt werden, wie es geplant war. Das nennt man dann gute Referenz für das Nichtgelingen. Aber derartige Entdeckungsreisen im IT-Bereich kennen wir ja schon von PROSOZ oder MODESTA.
Sie haben keinen Plan, Sie haben keine Fachkompetenz, und Sie haben kein Ziel. Daher scheitert bei Ihnen die Aufgabenkritik, und deshalb scheitern Sie mit dem Vorhaben, ein Personalkonzept vorzulegen.
Abschließend bleibt festzuhalten: Wir haben die drohende Haushaltsnotlage, der Schuldenberg wächst, und die Schuldenbremse zwingt Berlin, einen Konsolidierungskurs einzuschlagen. Eins ist klar: Rot-Rot, die an vielen Stellen Geld zum Fenster hinauswerfen, kann sich Berlin nicht mehr leisten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum ein anderer Vorgang in diesem Haus ist so bemerkenswert. Seit fast zwei Jahren begleitet uns das Thema Wahlalter 16. Was ist in dieser Zeit passiert? – Es hat eine Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie gegeben, in der sich alle Experten für das Wahlalter 16 ausgesprochen haben. Das Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner lautet, Sechzehn- und Siebzehnjährige seien nicht reif genug, eine Wahlentscheidung zu treffen. Professor Hurrelmann hat aus wissenschaftlicher Sicht sehr deutlich aufgezeigt, dass Sechzehn- und Siebzehnjährige diese nötige Reife besitzen.
Alle historischen Wahlrechtserweiterungen, das Frauenwahlrecht oder die Absenkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre, sind gegen das Argument mangelnder Befähigung durchgesetzt worden – zum Glück. Heute wird wohl niemand mehr behaupten, dass Frauen oder Achtzehnjährige zu dumm zum Wählen seien.
Fest steht: Sechzehn- und Siebzehnjährige wären in der Lage zu wählen.
Sie sind nahezu vollständig abhängig von politischen Entscheidungen anderer und gleichzeitig von der Frage der politischen Zukunftsgestaltung häufig am stärksten betroffen. Wer muss den Schuldenberg abbezahlen? Wer muss den Klimawandel ausbaden? Und wer erlebt die Bildungspolitik täglich am eigenen Leib? Es ist höchste Zeit, ihnen ein Wahlrecht nicht länger vorzuenthalten.
Das sieht auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle so. Ein breites Bündnis, Netzwerk Wahlalter 16, hat sich in Berlin gegründet und überparteilich für das Wahlalter 16 geworben. Das Jugendforum hat sich für das Wahlalter 16 ausgesprochen. Ein SPD-Parteitag hat mit fast 80-prozentiger Mehrheit für das Wahlalter 16 zu dieser Wahl im September gestimmt. Damit haben sowohl SPD als auch die Linke in Berlin eine klare und deutliche Position pro Wahlalter 16. In Bremen werden am Sonntag in einer Woche das erste Mal 16- und 17-Jährige auf Landesebene wählen dürfen, eingeführt durch Rot-Rot-Grün. In NRW steht das Wahlalter 16 im rot-grünen Koalitionsvertrag. In Hamburg stehen SPD und Linke der grünen Initiative nach einer Wahlaltersenkung positiv gegenüber. So sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion: Eine Senkung des Wahlalters kann damit auch eine höhere Identifikation mit der Hamburger Kommunal- und Landespolitik schaffen. – So viel zu Hamburg.
Und was passiert in Berlin? – Sie vertagen unsere Initiative über Monate hinweg. Sie hätten noch Beratungsbedarf. Am Ende kommen wir Ihnen auch noch entgegen, indem wir das Inkrafttreten auf den 1. Januar 2012 verschieben, da die Zeitspanne bis zur Wahl bei all dem Beratungsbedarf in der SPD sehr kurz geworden ist.
Und dann – nach vielen Beratungen – enthalten Sie sich trotz Parteitagsbeschluss in den Ausschüssen und überlassen es CDU und FDP, das Wahlalter 16 zu versenken. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wäre mit den Stimmen von SPD, Linken, uns und dem fraktionslosen Abgeordneten Ueckert vorhanden gewesen. Immerhin, die guten Absichten bleiben wohl. Im Wahlprogramm der Linken heißt es: Bislang können Jugendliche ab 16 nur die Bezirksverordnetenversammlungen mitwählen. Wichtige Entscheidungen für ihren Lebensweg fallen aber auf Landesebene. Deshalb wollen wir das Mindestalter auch für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus auf 16 Jahre absenken.
Die SPD spricht sich natürlich in ihrem Wahlprogrammentwurf auf Seite 38 für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre aus. Und der SPD-Landesvorstand beschließt im April im Leitantrag für das SPD-Wahlprogramm: Bis
zu den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus werden wir das Wahlalter auf 16 senken.
Viele Berlinerinnen und Berliner haben sich in den letzten Jahren für das Wahlalter 16 starkgemacht, ihre Zeit und ihr Engagement für die Sache eingesetzt. Jetzt ist die Zweidrittelmehrheit da, und Sie lassen diese Chance verstreichen. Es versteht niemand, warum Sie jetzt nicht zustimmen können, aber es eigentlich doch wollen. Das zeigt uns jetzt schon, die Wahlprogramme von SPD und Linkspartei sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.
Sie sorgen bei jungen Menschen nicht dafür, dass sie die politischen Mitbestimmungsrechte erhalten, sondern dass sie politikverdrossen werden.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin! – Wer sich so verhält wie Sie in der Frage des Wahlalters 16, der muss sich nicht beschweren, wenn Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „J. ist die größte Schlampe der Schule.“, „T. ist eine schwule Sau.“, „Die Mädchen der 10 b sind alle potthässlich.“ – diese Beiträge, die offen gesagt noch zu den harmloseren gehören, finden sich in vielen Berliner Schulklos an den Türen und Wänden und in der heutigen Zeit vermehrt im Internet. Mobbing ist Mobbing, ob online oder offline. Cybermobbing ist keine Kavaliersdelikt. Auch im Internet sind Verleumdungen oder Beleidigungen schlicht Straftaten, die konsequent verfolgt und bekämpft werden müssen.
Das Gefährliche oder Besondere an Cybermobbing ist, dass es nicht an der Schulklotür aufhört. Es verfolgt die Opfer überallhin – mittels Internet oder per Handy. Die Anonymität der Täter – es könnte die beste Freundin, der beste Freund sein – macht den Opfern noch mehr Angst. Einmal gepostete Beiträge, Fotos oder Videos verbreiten sich im Internet unkontrollierbar schnell und können die Opfer jederzeit und an jedem Ort erneut in der Öffentlichkeit verfolgen. Und man kann sich kaum wehren. Den Filzstift zum Überschreiben gibt es im Internet nicht. Dies alles erhöht die psychische Belastung ins Unerträgliche. Die Opfer leiden oft jahrelang. Erschreckend: 25 Prozent der Jugendlichen gibt an, dass das Internet dazu eingesetzt wurde, jemanden fertigzumachen.
Was mich ärgert: Nach den aktuellen und schrecklichen Ereignissen, die es in die Presse geschafft haben, tut insbesondere der zuständige Senator Herr Zöllner so, als sei das Phänomen ganz plötzlich vom Himmel gefallen. Mit
nichten! Cybermobbing gibt es nicht erst seit gestern, sondern Sie, Herr Zöller, haben es bisher nur ignoriert.
Zu meiner Anfrage vom November 2009 antwortete mir Ihre Staatssekretärin – ich zitiere –, es sei kein Trend bei der Verbreitung von Straftaten durch Kinder und Jugendliche zu „Happy-slapping“ oder Cybermobbing erkennbar. Und daher müssen Sie ja wohl dann auch nichts Ernsthaftes unternehmen, scheint Ihre Antwort zu sein. Jetzt, anderthalb Jahre später, rennt der Senator panisch herum, spricht von einem ganz neuen Phänomen und beruft hektisch Krisenrunden ein. Derweil verschicken Sie, Frau Tesch, Pressemitteilungen mit der Überschrift: „Opposition nutzt Cybermobbing für Wahlkampfgetöse – Berlin vorbildlich bei Medienkompetenztraining“.
Dazu kann man nur sagen: Herzlich willkommen im sozialdemokratischen Berliner Affenzirkus!
Herr Steuer! Sie haben vorhin in der Begründung gesagt, das Internet sei böse oder per se etwas Schlechtes.
Das stimmt so nicht. Ich glaube, die Gesellschaft muss sich darauf vorbereiten, dass es im Internet, das weltweit fungiert, auch Inhalte gibt, die uns nicht passen oder die sogar nicht mit unserem Gesetz in Verbindung zu bringen sind. Aber genau deshalb brauchen wir dringend mehr Medienbildung für alle – für Lehrkräfte, für Eltern, für Kinder und Jugendliche. In Brandenburg gibt es seit Langem Medienberater, in Berlin Fehlanzeige. In RheinlandPfalz übernehmen Schülerinnen und Schüler als Medienscouts selbst Verantwortung, in Berlin Fehlanzeige. In Frankfurt am Main hat ein Schulleiter bereits vor Wochen, als er von den Internetmobbingbeiträgen erfahren hat, die Problematik Cybermobbing in allen Klassen mit allen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern thematisiert.
Warum werden diese Positivbeispiele nicht durch die Senatsverwaltung an Berliner Schulen weitergetragen? Für Lehrkräfte gibt es kaum Weiterbildungsangebote in Sachen Medienkompetenz. Der Umgang mit den neuen Medien gehört endlich in den Schulunterricht. Die Jugendlichen müssen wissen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum und Cybermobbing eine Straftat ist. Sie müssen wissen, dass man im Internet nicht leichtfertig alle Daten über sich preisgibt und dass man immer Spuren hinterlässt, wenn man sich im Internet bewegt. Jetzt wird es 1 500 sogenannte Mobbing-Koffer geben. Aber wir brauchen nicht mehr und mehr Lehrmaterial, sondern wir brauchen die Menschen, die mit diesem Material umgehen können. Wenn die Schulen dabei Hilfe von externen Fachleuten brauchen, dann sollten sie diese bekommen.
Wir wollten unabhängige Ombudsstellen für Schulkonflikte schaffen, an die sich beispielsweise Opfer von Mobbing – egal, ob Schüler und Schülerinnen oder Lehrer und Lehrerinnen – wenden können. Das hat uns Rot-Rot abgelehnt. Wir sind mit diesen Vorschlägen nicht allein. Auch der Datenschutzbeauftragte erinnerte daran, dass Aufklärungs- und Medienkompetenzangebote des Senats nicht ausreichend sind. Der wichtigste Schutz ist ein von gegenseitiger Wertschätzung geprägtes Schulklima. Es darf nicht weiterhin weggeschaut werden, wenn gedemütigt oder gemobbt wird. Auch deshalb begrüßen wir die Eigeninitiative von Schülerinnen und Schülern, die Plattform mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sie stellen massenhaft bedeutungslose oder witzige Themenbeiträge ein. So überfluten sie Seiten, und dann bleibt eben kein Platz mehr für Lästereien.
Fazit der heutigen Debatte: Der zuständige Senator lebt in Sachen Medienkompetenz seit Jahren hinterm Mond. Herr Zöllner! Es bleibt zu hoffen, dass Sie, auch wenn das Thema nicht mehr dauerhaft im Fokus der Presseöffentlichkeit ist, Cybermobbing weiter ernst nehmen und dass Sie bei der Umsetzung in Sachen Medienkompetenz nicht die gleiche Unfähigkeit wie beim Bildungspaket an den Tag legen. – Danke!
Berlin ist spannend, kreativ und aufregend. Dazu trägt die Modebranche nicht unwesentlich bei. Berlin und ganz besonders der Regierende Bürgermeister schmücken sich damit. Was sich hinter den Laufstegen abspielt, bleibt den Modefreundinnen und -freunden jedoch verborgen. Models hungern sich an den Rand ihrer Existenz, um dem Schönheitsideal dünn, dünner, Knochengestell zu entsprechen. Eigentlich wären an dieser Stelle Fotos von abgemagerten Models wesentlich aussagekräftiger als alle Worte, aber ich überlasse es Ihrer Vorstellungskraft, wie junge Menschen aussehen, die nichts essen oder sich bestenfalls von in Orangensaft getränkten Wattebäuschchen ernähren und bei einer Körpergröße von 1,75 m nicht mal mehr 45 kg wiegen.
Auch in Berlin gibt es das. So berichten Beratungsstellen, dass die jungen Menschen, die bei ihnen wegen Magersucht oder Bulimie in Beratung sind, von Agenten auf der Straße angesprochen werden, ob sie nicht Model werden wollen. Viele Studien zeigen, dass ein ungesundes Schönheitsideal gesellschaftliche Auswirkungen hat. Jeder fünfte Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren weist heute Symptome von Essstörungen auf. Magersucht und Bulimie gehören zu den häufigsten chronischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. 8 Prozent der 6- bis 17jährigen Jungen und Mädchen wiegen zu wenig. 50 Prozent aller Mädchen unter 15 Jahren halten sich für zu dick – bei Normal- oder Untergewicht. 90 Prozent der weiblichen Teenager wollen abnehmen. Und der Magerwahn nimmt immer krassere Ausprägungen an. Im Internet gibt es Foren, in denen sich Menschen gegenseitig anstacheln, immer weniger zu essen. Fast jede/r Fünfte stirbt an seiner Magersucht. Dafür mitverantwortlich ist auch das in den allermeisten Fällen ungesunde Schönheitsideal, das über die Mode- und Werbebranche vermittelt wird.
In anderen Modemetropolen wurde bereits auf die zunehmende Gesundheitsgefahr, die von einem solchen Schönheitsideal ausgeht, mit Auflagen für die Veranstalter von Modemessen reagiert. In Spanien hat die „Pasarela Cibeles“ als erste Modenschau der Welt bereits 2006 ein Auftrittsverbot für zu dünne Models durchgesetzt. Die von der Madrider Regionalregierung mitfinanzierte Modenschau folgte damit einer Empfehlung des spanischen Parlaments, das einem ungesund mageren Schönheitsideal ein Ende bereiten will. Minimum für Models in Madrid ist ein Body-Mass-Index von 18. Das entspricht einem Gewicht von mindestens 56 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,75 Metern. Auch das würde wohl niemand hier als übergewichtig oder gar dick bezeichnen. Die Models in Mailand müssen ein ärztliches Attest vorlegen, das bestätigt, dass sie bei guter Gesundheit sind und an keiner Essstörung leiden. Außerdem dürften nur Models über 16 Jahren teilnehmen. Was den internationalen Modemetropolen Mailand und Madrid nicht schadet, kann auch für Berlin kein Fehler sein.
Der Senat zeigt sich bisher zurückhaltend und sieht anscheinend keinen Handlungsbedarf. Was geht es uns als Land Berlin an? – fragen sich einige. Deshalb möchte ich Sie daran erinnern, dass, wer zahlt, auch die Musik bestimmen darf: In Berlin fließen öffentliche Gelder in zahlreiche Projekte der Modebranche, darunter in die Kofinanzierung der Mercedes-Benz Fashion Week im letzten Jahr die nicht unbeträchtliche Summe von 200 000 Euro. Wir meinen, wenn sich Berlin mit seiner Modebranche schmückt, dann mit Verantwortungsbewusstsein. Daher fordern wir zum einen den Senat auf, für die Förderung von Präsentationen der Berliner Modebranche mit den Akteuren ein Anreizsystem zu entwickeln, welches zum Ziel hat, dass Gesundheitsstandards für die Models eingeführt werden. Zum anderen brauchen wir mehr Akteure, die sich selbst verpflichten, keine Werbeverträge mit untergewichtigen Models abzuschließen bzw. diese nicht in ihre Karteien aufzunehmen. Dabei sollen sie sich an den Kriterien der Nationalen Charta der deutschen Textil- und Modebranche orientieren. Diese wurden 2008 gemeinsam im Rahmen der Initiative „Leben hat Gewicht“ entwickelt. Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen bekennen sich zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, setzen sich für die Vermittlung eines gesunden Körperbildes ein und dafür, keine Magermodels auf Laufstegen oder bei Fotoshootings einzusetzen. Die Vorbildfunktion für junge Männer und Frauen ist nicht zu unterschätzen, und wir haben mit über diese Vorbildfunktion zu entscheiden. Andere Standorte großer Modemessen haben vorgelegt, und es wäre ein Armutszeugnis, wenn Berlin dahinter zurückbliebe. Der Senat darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Noch einmal: Es geht nicht um Zwang oder Überregulierung. Wir setzen auf Anreize und Selbstverpflichtung. Dass Armut nicht sexy ist, haben wir in zehn Jahren RotRot deutlich gesehen. Und auch Magersucht und Essstörungen sind alles andere als attraktiv oder gar sexy. Ich würde mir im Interesse der Kinder und Jugendlichen
wünschen, dass Sie sich unserem Antrag anschließen. Schönheit und Gesundheit dürfen kein Widerspruch sein.
Danke, Herr Präsident! – Ich frage den Innensenator: Wird auch dieses Jahr wieder eine jährliche Demonstration der Neonazis für ein nationales Jugendzentrum am ersten Samstag im Dezember in Berlin stattfinden? Wenn ja, welche Kenntnisse haben Sie darüber?
Ist Ihnen denn bekannt, ob diese Demonstration im Dezember, ähnlich wie es im letzten Jahr gelaufen ist, nicht in Berlin, sondern am Stadtrand stattfinden wird?
Danke, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:
1. Wie bewertet der Senat die Pläne der Bundesregierung, einen bundesweiten Freiwilligen Zivildienst einzuführen, in ihrer Auswirkung auf die bisherigen Programme von Freiwilligendiensten wie Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges Ökologisches Jahr sowie auf deren Träger und Einsatzstellen im Land Berlin?
2. Wird sich der Senat z. B. über eine eigene Bundesratsinitiative für einen massiven Ausbau der Freiwilligendienste einsetzen, bzw. wie wird er sich zu den Anträgen des Landes Rheinland-Pfalz und des Freistaates Bayern verhalten?
Vielen Dank, Herr Präsident! – Vom Grundsatz her teile ich Ihre Auffassung, Herr Senator Zöllner. Sie wissen
auch, dass es gerade verschiedene Gutachten seitens der Bundesregierung gibt. Ich nenne es einen Kompetenzstreit: Liegt die Kompetenz beim Bund, oder liegt sie beim Land? Davon abhängig ist die Finanzierungsstruktur. Mich interessiert, wie Sie dazu stehen. Wo sehen Sie die Kompetenzen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier von einer langweiligen Debatte zu sprechen, wie es die FDP getan hat, finde ich schon sehr zynisch.
Worum geht es hier? – Es geht hier um nichts anderes als um eine Spaltung der Gesellschaft, die durch die derzeitige Politik angetrieben wird.
Wissen Sie auch, warum? – Auf der einen Seite gibt es Geschenke für die Atomlobby und die Hotellobby, und auf der anderen Seite schüren Sie eine Neiddebatte um 5 Euro
und machen ein Gesundheitssystem für die privaten Krankenversicherungen. Das ist Entsolidarisierung, und das dürfen wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen,
denn ein Sozialstaat lebt davon, dass man füreinander einsteht – die Schwachen und die Starken, die Kranken und die Gesunden. Das machen Sie kaputt, und das ist höchstgefährlich.
Davon leben wir seit Jahrzehnten, und daran zu rühren, das ist unredlich. Das muss hier auch noch mal deutlich gesagt werden.
Nichtsdestotrotz muss man sagen: Frau Bluhm! Sie sitzen nicht auf der Oppositionsbank im Bundestag, sondern Sie regieren hier. Sie tragen in Berlin die Verantwortung.
Die Strategie nach dem Motto: „Jede schlechte Hartz-IVNachricht ist eine gute Nachricht für die Linke!“ wird ja jetzt scheinbar erweitert um das Motto: „Jede schlechte Schwarz-Gelb-Meldung ist eine gute Meldung!“ – Es ist unredlich, den politischen Meinungsstreit hier in Berlin auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen.
In Berlin wächst jedes dritte Kind in Armut auf. Ja, auch wir kritisieren das schwarz-gelbe Bildungspaket. Auch wir sagen, das Geld sollte nicht in Form von Gutscheinen vergeben werden, sondern es sollte vielmehr die Grundlage geschaffen werden, dass der Bund sich endlich an einer vernünftigen Bildungsfinanzierung beteiligt, denn gegen Kinderarmut und für gesellschaftliche Teilhabe ist eine gute Infrastruktur für Kinder und Jugendliche das beste Mittel.
Wir brauchen gute Kitas und Ganztagsschulen mit Mittagessen, mit Sozialarbeitern und mit Kooperationen mit Musikschulen, Sportvereinen und Kultureinrichtungen.
Daneben brauchen wir auch eine materielle Absicherung. Deshalb setzen wir uns im Bund für eine richtige Kindergrundsicherung ein. Mit diesem Schritt bekämpft man materielle und immaterielle Armut von Kindern und Jugendlichen.
Aber das alles wird es zum 1. Januar nicht geben, sondern das Bildungspaket. Jetzt können wir und Sie weiter jammern, aber davon geht es den Betroffenen nicht besser. Sie müssen das Beste für die Betroffenen hier in Berlin herausholen. Das Bildungspaket enthält einen Gutschein im Wert von 10 Euro. Dass man damit viel an Sport-, Musik- oder Freizeitaktivitäten – und das auch noch gleichzeitig – pro Monat finanzieren kann, wage ich zu bezweifeln. Aber es enthält einen Wert von 10 Euro. Es bezuschusst das Mittagessen, und bei Bedarf sollen Nachhilfegutscheine ausgestellt werden. Und was machen Sie auf der Senatsbank? – Frau Bluhm! Sie schimpfen auf die Bundesebene. Die Jobcenter werden ab 1. Januar 117 000 minderjährige Alg-II-Bezieher und -Bezieherinnen in Berlin mit dem Bildungspaket versorgen müssen. Sie werden jährlich ca. 1,2 Millionen Formulare mehr zu bearbeiten haben. Wie Sie das machen sollen, und wie Sie gar noch beraten können sollen, ist völlig unklar.
Und was macht Ihr Kollege, Herr Zöllner? – Der lässt seine Verwaltung rechnen, was er jetzt – wo er Mehreinnahmen erwartet – an anderer Stelle einsparen kann: beim Schulessen, bei der Lehrmittelbefreiung oder dem Ganztagsbetrieb. Haben Sie sich denn mal Gedanken darüber gemacht, wie Sie diese Entwicklung nutzen können, um das Ganztagsangebot insbesondere in den Brennpunkten zu verbessern und vernünftig auszufinanzieren? Haben Sie mit den Bezirken und den anderen Akteuren – z. B. den Schulen – mal eine Abfrage gestartet, welche Angebote im Ganztag, in der Jugendfreizeit, bei den Vereinen usw. bestehen, die für solche Gutscheine in Frage kommen? Haben Sie den Nachhilfedschungel mal durchforstet und damit eine Liste erstellt, die auch die Qualität des Angebots berücksichtigt?
Gibt es konkrete Informationsangebote, die die Jobcenter und die Betroffenen verwenden können, um zu sehen, wofür sie die Gutscheine einsetzen können, und dabei vielleicht auch noch zu sehen, welche Qualität die einzelnen Maßnahmen haben?
Lieber Herr Zöllner! Machen Sie denn außer Ihren Einsparberechnungen sonst noch was?
Zu tun gäbe es genug: Schließen Sie endlich die Ganztagsbetreuung in den Klassen 5 und 6! Verbessern Sie die Qualität des Schulessens! Stärken Sie die Kooperation von Schule mit Musikschule usw.! Das Fazit bleibt: Die Sozialsenatorin schimpft, der Bildungssenator betreibt Rechenspiele, und beide wursteln weiter wie bisher.
Die Jobcenter wissen nicht, wie sie mit der Bürokratie klarkommen sollen, und die Betroffenen stehen ab 1. Januar im Regen. Mit dieser Politik bestätigt der Senat ein weiteres Armutsrisiko der Stadt – nämlich sich selbst. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Senftleben! Ich schimpfe jetzt nicht über die FDP. Hier geht es um einen Antrag der CDU.
Aber ich glaube, Sie erledigen das mit dem Sich-insAbseits-Stellen von ganz allein. Da muss man zu Ihnen eigentlich gar nichts mehr sagen, sehr geehrte Frau Senftleben!
Aber nun zum Anliegen der CDU: Dieses Anliegen ist grundsätzlich richtig. Es gibt zu wenig Ausbildungsplätze in Berlin. Das betrifft allerdings nicht nur die sogenannten Altbewerber und -bewerberinnen. Hier ist nicht nur der Berliner Senat gefordert, sondern auch die Wirtschaft.
Nur 28 Prozent der Unternehmen in Berlin sind ausbildungsberechtigt. Schon das ist zu wenig. Aber davon bildet tatsächlich nur jeder zweite Betrieb aus, und das ist inakzeptabel.
Und es ist unerträglich, wenn der Senat – an der Spitze der jetzt nicht anwesende Regierende Bürgermeister – alljährlich verkündet, dass alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz haben wollen, auch einen bekommen – rein rechnerisch. Das reicht den Jugendlichen nicht. Die Jugendlichen wollen wissen, wie gewährleistet sein soll, dass sie einen wirklich existierenden Ausbildungsplatz bekommen – und nicht nur einen rein rechnerischen auf irgendeinem Papier.
Als weiteres Problem kommt hinzu, dass nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzt werden können, weil angeblich keine geeigneten Bewerber oder Bewerberinnen gefunden werden. Aktuell sind über 5 000 Ausbildungsplätze in Berlin nicht besetzt. Die Betriebe können aber nicht erwarten, dass ein Azubi zu Beginn seiner Ausbildung ein fertiger Mitarbeiter ist und gar nichts mehr lernen muss.
Die Verantwortung liegt jedoch nicht allein bei den Unternehmen, sondern in erster Linie beim Berliner Senat, und zwar konkret im Übergangssystem Schule – Beruf. Damit kommen wir zum eigentlichen Skandal, der leider in dem Antrag der CDU in keinster Weise berücksichtigt wird. Das sogenannte Altnachfragepotenzial wird in Berlin auf ca. 23 000 Personen geschätzt. Diese jungen Menschen werden oft mit schulischen Warteschleifen, Trainingsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs abgespeist, und ihnen wird keine langfristige Perspektive geboten. Alljährlich verschwinden so Zehntausende von jungen Menschen in einem intransparenten Übergangssystem, bei
dem selbst ausgewiesene Fachleute längst den Überblick verloren haben. Berlin leistet sich einen undurchdringlichen Dschungel von Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, Initiativen, Kooperationen, Internetportalen etc. Dies ist nicht nur unter finanziellen Aspekten unsinnig. Auch die Qualität und Sinnhaftigkeit einiger Maßnahmen ist fragwürdig.
Licht in das Dunkel bringen soll nun das Projekt RÜM. Schleppend gestartet soll es Transparenz bei den Angeboten im Übergang Schule – Beruf schaffen und das regionale Übergangsmanagement steuern. Wir werden allerdings erst 2012 einen Überblick bekommen, was im Berliner Übergangssystem Schule – Beruf läuft. Dabei ist jedoch eine qualifizierte Beurteilung dieser zahllosen am Markt befindlichen Angebote überhaupt nicht vorgesehen. Genau das wäre aber dringend notwendig.
Na ja! Dann machen Sie mal, Herr Czaja!
Ich kann Ihnen konkret dazu sagen – und ich glaube, das wissen Sie selber ganz genau –, dass viele Jugendliche in diesen Maßnahmen in Warteschleifen geschoben werden und dass es in vielen dieser Maßnahmen nicht zu irgendwelchen qualitativen Ergebnissen kommt. Diese Warteschleifen müssen abgeschafft werden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Maßnahmen nicht durch sinnvolle andere Maßnahmen, die nämlich wirklich zu einem qualitativen Job führen, ersetzt werden sollten.
Das ist auch das, worüber wir hier reden müssen. Insgesamt steckt unserer Ansicht nach genügend Geld im System, aber es wird teilweise verkehrt ausgegeben.
Wir müssen dazu kommen, dass jedem Jugendlichen auch ein tatsächlicher Ausbildungsplatz angeboten wird. Das ist nämlich die Crux bei der Geschichte.
Zum Schluss noch einmal zum Antrag der CDU: Es ist schon von Frau Müller angesprochen worden, dass wir uns im Hauptausschuss zumindest dahin gehend geeinigt haben, dass nicht verausgabte Ausbildungsmittel nicht mehr zurückgegeben, sondern wieder für Ausbildung eingesetzt werden. Frau Müller! Sie haben hier erzählt, was Herr Senator Nußbaum vor zwei Wochen erzählt hat. Sie haben aber verschwiegen, was Sie in den Haushaltsberatungen gemacht haben. Da haben Sie nämlich genau das, was dazu führt, eine Qualifikation, einen Schulabschluss nachzuholen – im Bereich Zusatzjob und Bildung –, gekürzt. Sie haben auch bei allen Ausbildungstiteln im Einzelplan massiv die Gelder heruntergefahren, um diese Gelder in den ÖBS zu schieben. Das kann nicht sein, und das kann nicht gehen.
Wir brauchen ein Begleitsystem wie Mentoring und sozialpädagogische Unterstützung, die mit den Angeboten der Berufsvorbereitung verzahnt sind. Nur so können wir verhindern, dass die jungen Menschen von heute zu einer Generation von Langzeiterwerbslosen von morgen heranwachsen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin Claßen-Beblo! Zunächst möchte auch ich mich für meine Fraktion ganz herzlich bei Ihnen und dem Team des Rechnungshofs für die geleistete Arbeit bedanken. Vielen Dank!
Mit dem Jahresbericht 2010 beanstanden Sie nicht nur die Verschwendung von insgesamt ca. 37 Millionen Euro durch den Senat, sondern viel mehr. Spree-Athen befindet sich in einer dramatischen Haushaltslage. Nach aktueller Finanzplanung wächst der Schuldenberg rasant bis 2013 auf 70 Milliarden Euro an. Die Situation ist nicht nur krisenbedingt, sondern auch hausgemacht. Seit Jahren mahnt der Rechnungshof Rot-Rot, eine strikte Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Erhört wird er nicht. Auch wenn Sie von Rot-Rot das nicht gerne hören, meine Kollegin Ramona Pop zeigte in der letzten Sitzung eindeutig mit ihrem Schaubild, dass die Ausgaben in der zweiten Legislaturperiode des rot-roten Senats nach oben schießen. Auch der Ergebnisbericht des Rechnungshofs 2009 macht eines deutlich – ich zitiere Seite 6 –: Überdurchschnittlich hohe Eigenanstrengungen sind erforderlich, um die finanzpolitische Handlungsfähigkeit wiedererlangen zu können. – Rot-Rot schimpft auf alle anderen. Herr Thärichen! Es ist ja richtig, dass auch die Bundesebene Verantwortung hat und dass da insbesondere die schwarzgelbe Bundesregierung gefragt ist, aber gestern im Hauptausschuss hat auch der Finanzsenator deutlich gemacht, dass die aktuellen Einbrüche der Steuereinnahmen vor allem von Entscheidungen der großen Koalition geprägt sind.
Das darf man bei der Wahrheit nicht vergessen. Aber jenseits davon, dass immer die anderen schuld sind, ist von konkreten Vorschlägen nichts zu hören. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Sie handeln doch nach dem Prinzip: Nach mir die Sintflut! – Ab 2011 dürfen sich dann andere mit der finanzpolitischen Handlungsunfähigkeit herumschlagen.
Zwar wünschen sich die Berlinerinnen und Berliner eine andere Regierung, aber mit der Aufschiebestrategie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot, dürfen Sie nicht durchkommen, und das sieht auch der Rechnungshof so.
Nun zu den heftigsten Versäumnissen, die im Jahresbericht des Rechnungshofs auftauchen: Eine besondere Situation finden wir im Sozialbereich vor. Das schamlose Verhalten eines Herrn Ehlert ist sicherlich ein extremer Fall. Aber auch in einem anderen Fall werden mittels überhöhter und nicht gerechtfertigter Umlagen auf Verwaltungskosten und Parkgärtnereien einfach so 4 Millionen Euro aus der öffentlichen Kasse gegriffen. Insgesamt werden rund 2 Milliarden Euro ohne ausreichende Kontrolle der Senatsverwaltung vergeben. Vordergründig geht es um die gute soziale Sache für den Obdachlosen oder für die Pflegebedürftige, aber dazwischen stehen Leistungserbringer, die eben auch Eigeninteressen verfolgen. Es muss endlich sichergestellt werden, dass die Gelder auch bei denen ankommen, für die sie gedacht sind, und nicht in Maserati-Autohäusern landen.
Die Sozialverwaltung schaut jahrelang wissentlich zu, vergibt 2009 einrichtungsindividuelle festgesetzte Vergütungen, deren Kalkulation aus dem Jahr 1996 und einer stichtagsbezogenen zufälligen Belegung vom 1. Juni 2000 beruhen. Sie verhandelt unvorbereitete Entgelte. So werden z. B. die öffentlichen Bilanzen nicht einbezogen. Da muss man sich über gar nichts mehr wundern.
Aber auch die Bildungsverwaltung steht dem in nichts nach. Das DIW erhält jährlich Zuwendungen von mehr als 13 Millionen Euro, und dieser Mitteleinsatz wurde jahrelang nicht geprüft. Begründet wird das mit Personalknappheit, aber das Personal ist da, wenn es um den Nachweis kleinerer Zuwendungsempfänger, um geringere Summen geht, nach dem Motto: Kleinvieh macht Mist, aber die Großen können schalten und walten, wie sie wollen. – Der Rechnungshof hat u. a. beanstandet, dass das DIW Büroräume in Washington angemeldet, ausgestattet und diese anschließend kostenlos der rechtlich selbstständigen Organisation DIW D. C. überlassen hat. Es häufen sich Vorfälle von In-sich-Geschäften und Vergabeverstößen, aber die Senatsverwaltung heißt dieses Verhalten weiterhin gut. Zu diesen Sachverhalten werden wir sicherlich im Unterausschuss eine interessante Debatte führen.
Herr Nußbaum, der leider nicht da ist, sollte sich einmal kurz vorstellen, wie es in seiner Firma aussehen würde, wenn dort gewirtschaftet werden würde wie in der Sozialverwaltung und in der Bildungsverwaltung.
Da hätte er spätestens nach zwei Jahren den Insolvenzverwalter vor der Tür stehen und den Betriebsprüfer schon lange auf dem Schoß hocken.
Skandale von HOWOGE über Treberhilfe bis hin zum DIW zeigen, wie unkontrolliert und intransparent in Berlin Geld am Parlament vorbeifließen kann. Fehlende Kontrolle, Intransparenz und Schattenhaushalte zeichnen die Haushaltspraxis dieses Senats aus. Der Rechnungshof ist die unabhängige Kontrollinstanz des Landes Berlin. Gemeinsam sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Prüfungsrechte des Rechnungshofs ausgeweitet werden. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „1. Mai nazifrei!“ – Dieser Spruch ist am vergangenen Wochenende nicht nur Wunschdenken geblieben, sondern wurde durch
die Berlinerinnen und Berliner dieser Stadt zur Wirklichkeit. Die Zivilgesellschaft hat ein starkes demokratisches Zeichen gesetzt, und die Rechtsextremisten mussten bei ihrem Zug durch Pankow nach wenigen Hundert Metern umkehren. Und das ist alles friedlich passiert. Das ist ein gutes Zeichen, und das war ein guter Tag in Prenzlauer Berg.
Rund 10 000 Menschen – eine breite, bunte Mischung aus Familien, aus Jung und Alt, Anwohnerinnen und Anwohnern, Berlinerinnen und Berlinern aus anderen Bezirken – zeigten entschlossen und ohne Gewalt: Wir wollen die Nazis nicht auf der Straße sehen, und wir werden ihnen auch diese Straße nicht überlassen!
Gewalt ging bei den rechten Aufmärschen am 1. Mai insbesondere von den ca. 300 Neonazis aus, die sich kurzerhand auf dem Ku’damm selbstständig gemacht hatten und die dafür auch wegen Landfriedensbruch verhaftet wurden. Die Gegenproteste waren bunt und gewaltfrei.
Angesichts dieser Tatsachen wirkt das Verhalten des Innensenators immer unverständlicher. Wegen 640 Nazis wird der halbe Prenzlauer Berg abgeriegelt. Es fahren keine U-Bahnen und Straßenbahnen. Gegenprotestlern wird teilweise der Weg zu angemeldeten Kundgebungen verweigert, geschweige denn, dass Kundgebungen in Hör- und Sichtweite zur rechtsextremen Demonstration zugelassen werden.
Herr Körting! Vor zwei Wochen haben Sie hier in der Plenarsitzung auf meine Frage noch geantwortet, dass es wichtig ist, Gegenproteste in Hör- und Sichtweite zuzulassen. Davon war am Samstag nichts zu sehen, im Gegenteil: kilometerweite Absperrungen.
Sie, Herr Körting, haben eine Geheimhaltungsstrategie bis zum Ende betrieben und die Route nie bekanntgegeben. Meinen Sie denn, damit deeskalierend zu handeln oder hemmen Sie nicht gerade dadurch die breite und bunte zivilgesellschaftlichen Proteste? Zum Glück haben sich die Zehntausende Menschen am Samstag davon nicht beirren lassen. Aber seien Sie sich sicher: Wir Grüne würden damit transparenter umgehen!
Die Doppelköpfigkeit des Innensenators wird auch hier wieder nur allzu deutlich. Der Berliner Bürger Körting, der diese friedlichen Proteste begrüßt, und der Innensenator Körting, der diesen friedlichen Widerstand in Hör- und Sichtweite den Berlinerinnen und Berlinern nicht zutraut und nicht ermöglichen will. Demokratiepolitisch sehr ärgerlich, Herr Körting, dass der Innensenator Körting sich am letzten Samstag über den Bürger Körting hinweggesetzt hat.
Die Demonstrationsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Und ob es uns passt oder nicht: Das gilt auch für Rechts
extremisten. Aber genauso wie es eine Demokratie zulassen muss, dass Feinde auf der Straße demonstrieren dürfen, muss auch Protest von der Gegenseite zugelassen werden.
Nicht zuletzt die Geschichte lehrt uns, dass Antidemokraten die Grundrechte schamlos nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und im schlimmsten Fall die demokratischen Rechte abzuschaffen. Das darf eine aktive Zivilgesellschaft nie zulassen.
Dagegen muss sie sich mit aller Kraft stellen, auch mittels des zivilen Ungehorsams. Auch wenn das absurd klingen mag: Der gewaltfreie Widerstand und die Sitzblockade schützen bzw. sichern unsere Demokratie. Das sieht auch die katholische Kirche in Berlin so und hat das in einem offenen Brief deutlich gemacht. Sie hat auch mit der evangelischen Kirche gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde und den zwei großen muslimischen Dachverbänden zum Widerstand gegen die Neonazis aufgerufen. Daher zeichnet sich die Zivilcourage auch durch das friedliche Blockieren von Nazi-Aufmärschen aus.
Liebe Querulanten von der SPD! Sie haben die Debatte um die Sitzblockade von Herrn Thierse bislang sehr hochgespielt. – Scheinbar gibt es nichts anderes zu besprechen. – Vielleicht sollte man die Sache mal aus einem anderen Blickwinkel sehen: Wenn sich an einem langen und anstrengenden Tag für Demokraten einige ältere Herren zwischendurch einmal hinsetzen müssen, dann sollte man darum kein großes Aufhebens machen, sondern es ihnen aus Respekt vor dem Alter ermöglichen.
Die friedlichen und erfolgreichen Proteste am 1. Mai in Berlin – aber auch in anderen Städten, beispielsweise in Erfurt, oder im Februar in Dresden – sind ein enorm wichtiges Signal für unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft. Hier haben die Menschen mit den richtigen Mitteln klargemacht, dass sie Nazis in der Mitte der Gesellschaft nicht dulden. Diese positive Stimmung und Atmosphäre sollten wir alle gemeinsam weitertragen. Am kommenden Samstag wird die NPD das historische Datum wieder missbrauchen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Wir rufen alle Berlinerinnen und Berliner auf, sich an den Gegenprotesten ab 11 Uhr in Neukölln zu beteiligen und erneut Gesicht gegen Rechts zu zeigen. Diese Stimmung sollten wir auch im Dezember nutzen bei der alljährlichen Demonstration, die die Rechten in Berlin veranstalten, um für ein nationales Jugendzentrum zu demonstrieren. Auch hier darf die Zivilgesellschaft den Neonazis nicht unwidersprochen die Straße überlassen.
Zum Schluss: Die zehntausend Leute, die stundenlang, von morgens bis abends ausgeharrt haben, ohne die Nazis überhaupt gesehen oder gehört zu haben, ohne zu wissen, ob ihr Engagement in diesem Moment funktioniert, sind die couragierten Heldinnen und Helden. Bei ihnen bedanken wir uns ganz herzlich. – Vielen Dank!
Ich frage den Senat:
1. In welchem Stadtteil mit welchen Routen bzw. Kundgebungsorten sind rechtsextreme Demonstrationen am 1. Mai in Berlin wann geplant?
2. Ist der Senat mit uns der Meinung, dass es auch für das positive Image der Stadt weltweit wahrnehmbare Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite der rechtsextremen Versammlungen geben muss?
Vielen Dank, Herr Innensenator, dass Sie sich zumindest bezüglich einem Standort klarer ausgedrückt haben! Wie wollen Sie bezüglich der konkreten Route mit der friedlichen Zivilgesellschaft, die sich gegen die rechtsextreme Versammlung wenden möchte, kooperieren? Geben Sie noch nähere Detail bekannt?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren haben Sie, Herr Senator, an die Kinder und Jugendlichen saure Mandarinen verteilt, und auch wenn wir es dieses Mal geschafft haben, uns an einigen Punkten anzunähern – Herr Mutlu hat schon vieles genannt –, steckt trotzdem nicht viel Besinnlichkeit in Ihrem Haushalt. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie es schaffen, in diesem Jahr ein Abkommen für die Jugend zu schließen und nicht ein einziges Mal in Ihrer Haushaltsrede das Wort Jugend in den Mund zu nehmen. Das finde ich erbärmlich!
Einer Ihrer mehreren Hundert Schwerpunkte ist die Kitaverbesserung. Dazu ist heute schon viel gesagt worden, von Frau Pop und auch Frau Jantzen. Ich möchte hier nur noch mal betonen, dass ich es erstaunlich finde, dass Sie von den Eltern in dieser Stadt und von Gerichten zum Jagen getragen werden mussten. Und das nun als Ihren Schwerpunkt zu verkaufen, ist erbärmlich! Das ist nämlich in erster Linie nicht Ihr Verdienst gewesen, sondern das der Eltern.
Ein weitere Schwerpunkt, den Sie uns immer verkaufen, ist das Rahmenkonzept Kulturelle Bildung. Ja, es ist positiv, dass TUSCH und TanzZeit im Einzelplan 10 abgesichert werden und auch das MACHmit! Museum nun in diesem Einzelplan verankert ist. Aber auf der anderen Seite – und ich finde, auch das gehört zur Wahrheit dazu – haben Sie zwar bei TUSCH und TanzZeit die Summen abgesichert, die vorher bei den kulturellen Projekten etatisiert waren, aber die Mittel, die TUSCH vorher aus dem Einzelplan 10 bekommen hat – das war immerhin ein Viertel –, fehlen jetzt.
Herr Müller! Ich freue mich, dass Sie sich in dem Hauptausschussberatungen unserem Antrag angenähert haben. Zwar ist von Ihnen nicht die komplette Summe von 300 000 Euro für die Jugendverbände und die Jugendbil
dungsstätten zugebilligt worden, aber wenigsten die Hälfte, und das finden wir gut. Aber das als einen von hundert Schwerpunkten zu bezeichnen – Entschuldigung –, das ist peinlich!
Nun zu einem der größten Risiken in Ihrem Haushalt, dazu ist heute noch wenig gesprochen worden: die Hilfen zur Erziehung. Im nächsten Jahr werden 360 Millionen Euro den Bezirken zugewiesen. Es ist jetzt schon absehbar, dass das nicht ausreichend ist. Angesichts dessen, dass es zwar für die Bezirke theoretisch möglich ist, das, was an Hilfen zur Erziehung übrig bleibt, in Prävention zu stecken, sie jedoch zu wenig Gelder in die Bezirke weisen, wird für die Prävention nichts übrigbleiben. Wir erleben doch jetzt schon, dass gerade die Prävention in den Bezirken leidet – Kinder- und Jugendarbeit und die Familienförderung. Da muss es eine Umsteuerung geben.
Genau deshalb schlagen wir vor, dass man einen Präventionstopf in Höhe von 5 Millionen Euro einrichten muss, denn nur so kann man eine wirkliche Umschichtung machen und in Zukunft HzE-Maßnahmen, die teuer sind, vermeiden. Das ist in der volkswirtschaftlichen Endabrechnung günstiger, und damit fällt uns das, was wir heute einsparen und morgen teurer ausgeben müssen, nicht auf die Füße. Wir reden nicht nur, sondern wir schlagen diese 5 Millionen Euro Präventionsmittel vor. Damit machen wir einen Anfang. Von Ihnen hören wir bisher leider nur viele nette Worte zum Jugendhilfebudget, aber es steckt leider nichts dahinter.
Danke, Frau Vorsitzende! – Ich finde es auch wichtig, dass man aus einer Jugendperspektive einen Gesamtblick auf den Haushalt wirft, und zwar insbesondere was die Nachhaltigkeit und was die Generationengerechtigkeit angeht. Da findet man leider wenig. Wer heute an Klimaschutz oder Umwelt spart, der verpestet die Umwelt. Das ist nicht generationengerecht. Und die Haushaltsgelder für Ausbildung werden in Höhe von 13 Millionen Euro gestrichen. Das ist nicht generationengerecht. Die Neuverschuldung steigt, und Sie schaffen es, diesen Bereich um rund 2 Millionen Euro im Doppelhaushalt zu senken. Damit verschieben Sie Haushaltslasten auf die junge Generation. Das ist nicht generationengerecht.
Frei nach Albert Schweitzer möchte ich zum Schluss sagen: Wer glaubt, mit diesem Haushalt ist ein großer Wurf für junge Berlinerinnen und Berliner gemacht wor
Steffen Zillich
den, der irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. – Danke schön!
Danke, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:
1. Wie viele junge Menschen haben in diesem Jahr ihre Ausbildung in den Bezirksämtern und Senatsverwaltungen beendet, und wie viele davon werden jeweils befristet bzw. unbefristet übernommen?
2. Wie viele Nachwuchskräfte haben in diesem Jahr eine Ausbildung in den Bezirksämtern und Senatsverwaltungen begonnen, und wie hoch ist die daraus resultierende Ausbildungsquote?
Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich bitte darum, dass auch die anderen Bestandteile der Fragen beantwortet werden, wenn es möglich ist und wenn es auch nur für die Hauptverwaltung gilt. Das betrifft zum einen das befristete und unbefristete Arbeitsverhältnis sowie die Ausbildungsquote. Vielleicht haben Sie die Zahl parat und können mir auch sagen, wie viele Leute ausgeschieden sind. Wenn
Bürgermeisterin Ingeborg Junge-Reyer
Sie die Zahlen nur für die Hauptverwaltung haben, würde es mir ausreichen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Recht zu allgemeinen, unmittelbaren, gleichen, freien und geheimen Wahlen ist ein Grundrecht; es wurde in den letzten Jahrhunderten von vielen Menschen errungen. Noch der Preußische Landtag wurde durch ein Dreiklassenwahlrecht bestimmt. Dabei wurden natürlich nur die Männer in die Klassen eingeteilt und nicht die Frauen. Schon in der Kaiserzeit galt dieses Wahlrecht allerdings als besonders rückständig, dennoch zeigt sich daran, dass das Wahlrecht nicht gottgegeben ist, sondern etwas, was sich Menschen seit mehreren Jahrhunderten errungen und erkämpft haben.
Auch heute gibt es noch Menschen, die in Berlin leben, die von den Entscheidungen, die in diesem Haus getroffen werden, betroffen sind, aber keine Möglichkeit haben, per Wahlzettel mitzubestimmen. Darunter fallen auch Jugendliche.
Junge Menschen sind besonders von politischen Beschlüssen und Richtungen betroffen, und sie werden am wenigsten einbezogen und ernst genommen. Am Ende zählt nur eins: das Wahlergebnis. Darauf haben 16- und 17-Jährige auf Berliner Landesebene leider keinen Einfluss. In der Bildungspolitik dreht es sich meist um Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer. Die Hauptpersonen, die Schülerinnen und Schüler, gehen häufig unter. Wer heute Schulden macht, wer heute Autobahnen baut, wer heute klimaschädliche Politik betreibt und sich an Bildungsreformen versucht, der trifft besonders die Jüngeren und die nachfolgenden Generationen – genau die, die am wenigsten mitbestimmen können. Daran wollen wir etwas ändern, und deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag, das Wahlalter zu senken, zuzustimmen, ihn ernst zu nehmen und ernsthaft zu debattieren.
Durch die mutigen Verfassungsänderungen von 2005 können 16- und 17-Jährige an der Wahl zur Bezirksver
ordnetenversammlung und an bezirklichen Bürgerentscheiden teilnehmen. Es ist nicht verständlich, warum ihnen entsprechende politische Entscheidungsmöglichkeiten auf Landesebene verwehrt bleiben. Es ist unlogisch, dass 16- bis 18-Jährige auf Landesebene an Volksinitiativen, nicht aber an Volksbegehren und Volksentscheiden teilnehmen können. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber als ich zum Thema „Pro Reli“ in der Stadt unterwegs war und mit vielen Schülerinnen und Schülern gesprochen habe, habe ich oft gehört: Das betrifft doch genau uns. Wir müssen in diesen Unterricht gehen, und wir dürfen hier nicht mitentscheiden, was wir eigentlich wollen. – Daran wollen wir etwas ändern!
In den meisten Debatten um das Wahlalter geht es um die Frage der politischen Reife – ich habe bereits mehrere Debatten miterlebt. Ich glaube, es gibt kein politisches Reifegen und schon gar keins, das sich zu Kommunalwahlen mit 16 Jahren und zu allen anderen Wahlen mit 18 Jahren anknipst. Verallgemeinerungen, dass die Jugend politikunfähig wäre und alle Erwachsenen politikfähig seien, teile ich nicht. Wer diese Argumentationskette der Politikreife ganz zu Ende denkt, der darf sich gar nicht für Wahlaltersgrenzen einsetzen, der müsste sich für einen Wahlführerschein für alle einsetzen. Das entspricht aber nicht unserem Demokratieverständnis.
Eine Analyse des Wahlverhaltens 16- bis 18-Jähriger bei den Wiener Landtagswahlen 2005 zeigt, dass die Wahlbeteiligung der unter 18-Jährigen nur knapp unter dem Durchschnitt lag, dass die Jugendlichen in Wien unterdurchschnittlich rechtsextreme Parteien gewählt haben und dass die Wahlaltersenkung das Interesse an Politik gesteigert hat. Hierzu möchte ich Ihnen einen Teil aus der Studie vorlesen:
Die Möglichkeit zur Mitbestimmung und das Wahlrecht für Jugendliche standen an erster Stelle der Motive für die Wahlteilnahme. Die Jugendlichen hatten das Gefühl, zum ersten Mal von der Politik ernst genommen zu werden.
Das möchten wir ihnen auch in Berlin ermöglichen, und ich hoffe, dass wir gemeinsam auf den richtigen Weg kommen. Denn auch Jugendliche sind Trägerinnen und Träger demokratischer Grundrechte. Die Möglichkeit, mitentscheiden zu können und durch ein frühes Wahlrecht ernst genommen zu werden, kann auch dazu beitragen, dass das Interesse für Politik wächst. Die Erweiterung des Wahlrechts für Berliner Jugendliche wäre demnach nicht nur ein Gewinn an Selbstbestimmung und Teilhabechancen, sondern trägt zudem zur Belebung der demokratischen Kultur bei.
Bremen hat im Oktober die Einführung des Wahlalters ab 16 Jahren zur Wahl der Bremischen Bürgerschaft beschlossen. Es wäre ein Signal für die Demokratie, wenn wir gemeinsam im ehemaligen Preußischen Landtag neben den Kinderrechten auch die Wahlaltersenkung be
Präsident Walter Momper
schließen könnten. Dann hätten wir nach rund 100 Jahren nach der Kaiserzeit mit dem Berliner Wahlrecht – nach dem Bremer Wahlrecht – eines der fortschrittlichsten und demokratischsten in Deutschland. Bitte helfen Sie mit! – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Stunde haben wir das Thema Berufsbildung. Frau Müller, ich glaube, wer im Glashaus sitzt, sollte zumindest nicht mit kleinen Steinen werfen. – So will ich einmal Ihre Rede bewerten. In den aktuellen Haushaltsberatungen kann man nicht erkennen, dass Ihre Prioritäten in diesem Bereich liegen. Sie kürzen vielmehr 16 Millionen Euro bei der Ausbildung. Sie sagen immer, daran sei der böse Bund schuld. Ja, der Bund kürzt da auch, aber eben nur 3 Millionen Euro. Der große Batzen, den Sie insbesondere für Ihren ÖBS benötigen klauen Sie der Jugend.
Sie kürzen auch bei den Qualifizierungsangeboten, wie Zusatzjob und Bildung. Manchmal fragt man sich, mit welchem Blick die SPD durch die Stadt geht, denn man kann wahrlich nicht übersehen, dass Berlin die Stadt der Jugenderwerbslosigkeit und der Schulabbrecher ist. Damit ist Berlin leider auch eine Stadt, die vielen jungen Erwachsenen keine bzw. eine unzureichende Perspektive bietet.
Wenn Sie das ernst nehmen, dann würden Ihre Prioritäten zumindest in diesen Haushaltsberatungen woanders liegen. Dass der Senat, wenn er denn muss, auch mehrere Millionen umschichten kann, haben wir jetzt gesehen.
Joachim Luchterhand
Aus unserer Perspektive sind da noch Spielräume vorhanden.
Ich möchte aber auch die CDU hierbei nicht aus der Verantwortung nehmen, denn man könnte meinen, dass Sie, als Sie Ihren Antrag geschrieben haben, noch nicht gewusst haben, was in der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung zu diesem Thema steht. Diese Koalitionsvereinbarung könnte man allgemein als ideenlos bezeichnen. Es steht nämlich nicht das drin, was eigentlich originäre Aufgabe des Bundes im Bereich der Bildung ist und wo der Bund noch Kompetenzen besitzt, nämlich mit mutigen Schritten in der Ausbildung und Weiterbildung voranzugehen. Da sind nur Phrasen zu lesen, und es ist nur Ideenlosigkeit zu erkennen. Strukturelle Reformen im Bereich der Beruflichen Bildung packt Schwarz-Gelb nicht an. Stattdessen soll der unzureichende nationale Ausbildungspakt fortgesetzt werden. Union und FDP bleiben damit die Antwort schuldig, wie neue Ausbildungsplätze geschaffen werden können, wie der Übergang von der Schule in den Beruf ohne Warteschleifen funktionieren soll und wie man das Ausbildungssystem generell konjunkturunabhängiger gestalten kann. Zu all dem ist nichts zu lesen. Auch zum Thema Weiterbildung ist dieser neuen Koalition nicht besonders viel eingefallen.
Wir fragen uns, wie die Berliner CDU angesichts dieser Rahmenbedingungen, die der Bund bestimmt – wo die CDU gemeinsam mit der FDP regiert –, in ihrem Antrag fordern kann, dass Berlin ernsthaft ein zukunftsorientiertes Berufsbildungssystem aufbauen bzw. weiterentwickeln soll. Wir werden sicherlich im Fachausschuss noch die Details Ihres Antrags ausführlich diskutieren.
Ich finde es seltsam, dass in Ihrem Antrag fast gar nichts zur Aufgabe der Wirtschaft zu lesen ist. Denn auch die Berliner Wirtschaft hat die Aufgabe, auszubilden, und kommt dieser Aufgabe nicht nach.
Im Ausschuss können wir uns die Zahlen vornehmen und uns darüber austauschen. Frau Senftleben! Das mache ich sehr gerne. Aber in einem Punkt stimme ich zu: Rot-Rot schiebt mit diesem Argument gern alles auf die Wirtschaft ab. – Damit machen Sie es sich zu einfach, denn mit diesem Argument könnte man die gesamte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik abschaffen. Das ist wohl nach Auffassung von uns allen – um es deutlich zu sagen – Blödsinn.
Ich möchte noch einmal klar sagen, dass man den Berliner Senat hierbei nicht aus der Verantwortung nehmen kann. Sicherlich müssen wir auch über das Schulsystem reden. Dazu haben Sie einzelnen Punkte in Ihrem Antrag formuliert. Aber wir können nicht mit dem Argument der Ausbildungsunfähigkeit die Berliner Wirtschaft aus der Verantwortung nehmen.
Ich komme zum Schluss und möchte nur Folgendes anmerken: Angesichts dieser schwarz-gelben Bundesregierung – wenig Ideen, viele Prüfaufträge – und dieses rotroten Senats – wenig Ideen, Abschieberei – muss man keine Wahrsagerin sein, um zu erkennen, dass bis zur Verwirklichung dessen, was wir alle gemeinsam als hehres Ziel anstreben, wohl noch viel Wasser die Spree hinunter fließen muss. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr von Lüdeke! Wie erklären Sie sich, dass zu diesem Thema nur die Justizsenatorin und der Wirtschaftssenator anwesend sind?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An diesem Thema merkt man, egal wie oft ein Kaugummi hier durchgekaut wird, es wird nicht besser. Aber ich werde jetzt versuchen, etwas mehr Schwung in diese Debatte zu bringen
und die grüne Position hier noch mal darzustellen.
Alkohol, das ist die gesellschaftlich anerkannte Volksdroge, und dieser Aussage stimmen wir hoffentlich alle zu. Die gesamte Gesellschaft hat ein Problem mit dem massiven Alkoholkonsum und nicht eine einzelne Generation, Frau Demirbüken-Wegner! Das belegen auch die Zahlen. Wenn Sie sich den Bericht der Drogenbeauftragten genau anschauen, dann sehen Sie da nämlich durchaus zwei Facetten. Viele Kinder und Jugendliche trinken gar nicht. Der Alkoholkonsum der 12- bis 17-Jährigen geht insgesamt zurück. Auch das sogenannte Komasaufen geht zurück.
Es ist aber auch richtig – lassen Sie mich ausreden! –, dass über acht Prozent dieser Altersgruppe einen riskanten oder gefährlichen Alkoholkonsum aufweisen und dass sich die Anzahl derer, die mit einer Alkoholvergiftung in Krankenhäuser eingeliefert werden, drastisch erhöht hat. Die Zahl ist nicht nur in Berlin, sondern auch im Bund sehr stark angestiegen, von 2000 bis 2007 von 9 500 auf über 23 000 Kinder und Jugendliche.
Das ist eine problematische Entwicklung, die darf man nicht kleinreden, und das tun wir auch nicht. Aber was macht die CDU? – Die CDU fordert in einem Antrag ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Das ist für uns keine Lösung; damit löst man die Probleme nicht, damit verlagert man sie lediglich.
Es ist doch so, dass in den Ländern, in denen strikte Regeln gelten, auch nicht weniger getrunken wird. Es ist notwendig, dass die Thematik Alkohol als gesellschaftliche Volksdroge in die Öffentlichkeit getragen wird, und wir stehen nicht für eine Politik nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.
Letztlich bewirkt man damit doch nur die Verdrängung der Jugendlichen von den öffentlichen Plätzen, und das ist einfach scheinheilig.
Zu dem anderen Antrag der CDU: In ihm ist viel Richtiges enthalten, aber Sie wollen die Ankündigungspolitik des Senats damit beenden, dass der Senat Aussagen trifft. Das ist ja noch weniger als Ankündigungen – dem können wir nicht zustimmen.
Ja, es passiert einiges in Berlin, das bestreiten wir nicht. Dieser Ansatz wird aber nicht systematisch genug verfolgt. Er muss sich daran richten, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und man ein Netzwerk aufbaut. Sie, Herr Kohlmeier, haben wieder die reaktiven Bausteine des Projektteils hervorgehoben – das ist auch gut. Man braucht aber nicht nur die reaktiven, man
braucht auch die pro-aktiven Bausteine, die auf eine Implementierung von Maßnahmen setzen, die auf unterschiedlichen Ebenen von Sportvereinen, Jugendclubs und Elternarbeit auf einen bewussten Umgang mit Alkohol, auf einen mündigen Konsum der gesamten Gesellschaft abzielen. Das brauchen wir auch in Berlin!
Nun zu dem Fonds, den Sie alle für so blödsinnig halten. Ich weiß, ich werde Sie nicht davon überzeugen können, ich möchte jedoch unsere Position noch einmal klarstellen.
Durch das Wirtschaften der Alkoholindustrie entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden, der von Expertinnen und Experten auf ein bis drei Prozent des Bruttosozialprodukts geschätzt wird. Ein Vorwurf, der uns im Ausschuss entgegengehalten wurde, lautete, dass wir es mit dem Fonds der Alkoholindustrie ermöglichen würden, sich freizukaufen. Das stimmt so nicht, da dieser Fonds unabhängig ist und die, die einzahlen, keinen Einfluss darauf haben, welche Maßnahmen oder Projekte – und wir zielen vor allem auf Präventionsprojekte – daraus finanziert werden sollen. In anderen Ländern und anderen Bereichen funktioniert dieses Prinzip gut. Wie wollen Sie denn die Verantwortung der Alkoholindustrie mehr hervorheben und die Industrie in die Verantwortung nehmen? Gar nicht? Alkohol komplett verbieten? Oder finden Sie das alles gar nicht so schlimm? – Dazu sagen Sie hier nichts. Es ist aber doch bekannt, dass über geschmackliche Anpassungen, alkoholische Getränke also möglichst süß zu machen, damit sie Kindern und Jugendlichen schmecken, diese Zielgruppe immer mehr angesprochen wird – da ist nämlich noch Geld abzuschöpfen. Zu dieser Entwicklung kann man doch nicht einfach sagen, das ist halt so. Werbung und Sponsoring der Alkoholindustrie vermitteln das Bild: Alkohol gehört zum Feiern, Alkohol gehört zum Sport machen, Alkohol gehört zum gut Aussehen, Alkohol gehört überhaupt dazu, erwachsen zu sein. Hier unterstützen wir Frau Lompscher in ihrer Forderung nach einem Verbot, aber wir sind nicht blauäugig: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung kämpfte noch vor einigen Jahren an vorderster Front und wurde nicht nur von der bayerischen Bier-CSU abgehalten, sondern auch von den eigenen Leuten zurückgepfiffen.
Die Botschaft aller Rednerinnen und Redner war ganz klar: Jugend sauf nicht so viel! Aber wer ist denn dieses Jahr Botschafterin des Biers? – Die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner.
Ja, ich komme zum Schluss. – Ilse Aigner von der CSU. Und wer war es letztes Jahr? – Der Außenminister, FrankWalter Steinmeier von der SPD. Na dann Prost! kann ich dazu nur sagen.
Vielen Dank! – Herr Innensenator! Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus seit vielen Jahren sehr gute Arbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie leistet und dabei insbesondere in den Bezirken auch mit CDUMitgliedern zusammenarbeitet?
Herr Gaebler! Ins Leere reden, das ist das eine. Aber wenn man dann bei letztlich ebenso wenig Anwesenden aus der eigenen Fraktion gar nichts sagt, möchte ich doch fragen, ob das eine bessere Leistung ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir besprechen hier ein sehr ernstes Thema, und wenn wir über das Thema Jugendgewalt in diesen Tagen reden, können wir das nicht tun, ohne über die neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zu reden, die für viel Aufruhr in der Bundesrepublik gesorgt hat. Die Studie zeigt erneut auf, dass es positive Trends gibt, dass das Ausmaß der Jugendgewalt rückläufig ist, dass sich durch steigende Anzeigebereitschaft das Dunkelfeld aufhellt, dass Gewalt als Lösung stärker geächtet wird und dass Gewalterfahrungen in der Familie zurückgehen.
Auf der anderen Seite wird nun mit Zahlen unterlegt, dass Rechtsextremismus ein reales Problem ist. Fast 5 Prozent der befragten 15-jährigen Jungen sind Mitglied einer rechten Gruppe oder Kameradschaft. Jeder fünfte Schüler stimmt rassistischen Aussagen zu. Auf einmal reagieren Politikerinnen und Politiker schockiert. Die braune Rattenfängermethode, gezielt junge Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen, scheint Fuß zu fassen, doch diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu. Auch an Berliner
Schulen werden CDs und Zeitungen verteilt, auch in Berlin werden Jugendliche mit Freibier-Feierangeboten gelockt – oder mit Zeltlagern oder anderen rechten Erlebniswelten wie denen der autonomen Nationalisten.
Alle Experten und Expertinnen sind nun der Meinung, dass der Staat nicht weiter an der Jugend sparen darf. Na, super! Wir sollen mehr investieren. Diese Tatsache ist nicht neu, es passiert aber dennoch nicht. Aber die aktuelle Debatte macht deutlich, dass die Prävention im Bereich Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus dringend ausgebaut werden muss, und zwar auch in Berlin. Die „ReachOut“-Zahlen zeigen 40 Prozent mehr, und diese Studie unterlegt das noch einmal. Wir müssen dringend der braunen, menschenverachtenden Ideologie eine weltoffene und demokratische Lebenseinstellung entgegenstellen. Das ist der Inhalt unseres Antrags, der gerade in der Beratung ist. Ich möchte auch aus aktuellen Gründen dringend empfehlen, diesen Antrag ernsthaft zu beraten und nicht einfach abzutun.
Nun zu den CDU-Anträgen: Dem Antrag „Jungen und junge Männer stark machen gegen Gewalt!“ werden wir zustimmen. Aus grüner Sicht geht es aber nicht darum, Interessen von Jungen und Interessen von Mädchen – oder auch anders herum – gegeneinander auszuspielen. Es geht vielmehr darum, eine geschlechtsdifferenzierte und geschlechtssensible Betrachtung einzubringen, denn auch die angeführte Studie zeigt wieder deutlich, dass Jungen und Mädchen einem unterschiedlichen Umgang mit Konflikten und unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollenverantwortungen unterliegen. Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass auch die spezifischen Belange von Jungen in die Präventionsarbeit integriert werden müssen. Diversionsmaßnahmen wie der Täter-Opfer-Ausgleich müssen in Berlin intensiver genutzt werden. Die Auseinandersetzung mit den Folgen der Straftat für das Opfer ist oft wirksamer als andere Sanktionsmaßnahmen.
Zum Antrag „Positive Vorbilder in die Schule!“ – hier werden wir uns der Stimme enthalten müssen. Es ist richtig und unumstritten, dass das Aufzeigen positiver Vorbilder eine wichtige Funktion in der Entwicklung junger Menschen hat. Aber die Forderungen, die dem CDUAntrag zu entnehmen sind, werden in Berlin bereits in dieser Form umgesetzt – beispielsweise mit dem Projekt „Stopp Tokat“. Deshalb können wir uns bei diesem Antrag nur enthalten.
Meine Fraktion hat ein Gesamtkonzept „Gemeinsam gegen Jugendgewalt“ erarbeitet. Unsere Strategie setzt vor allem auf Prävention zur Vermeidung von Jugendgewalt in all ihren Formen und Ausprägungen, aber auch auf einen angemessenen Umgang und schnelle Maßnahmen gegenüber jugendlichen Straftätern. Auf das Konzept des Senats warten wir immer noch. Aber bei einem Senat, der die angekündigten Zahlen, die er diese Woche vorstellen wollte, noch nicht planmäßig vorgelegt hat, müssen wir
uns nicht wundern, wenn auch in diesem Feld das Handeln derzeit ausbleibt.
Ich habe auch eine Frage an den Innensenator. – Herr Körting! Wir konnten in der Zeitung lesen, dass in den nächsten Wochen in Berlin Bundes- und Landesparteitage der NPD stattfinden. Können Sie zusagen, dass in unmittelbarer Nähe zivilgesellschaftlicher Protest ermöglicht wird?
Kann ich Ihren Hinweis auf den Abstand so interpretieren, dass in Sicht und Hörweite zivilgesellschaftlicher Protest zugelassen wird?
Gewaltbereitschaft macht leider nicht vor den Schultoren halt, sondern findet häufig innerhalb der Schulen, in den Räumen oder auf den Schulhöfen statt. Schaut man sich verschiedene Schüler- und Schülerinnenbefragungen an, wird deutlich, dass die Schule kein Ort des Wohlfühlens
und Lernens, sondern vielmehr ein Ort des Leistungsdrucks und Wettbewerbs sind.
Kinder und Jugendliche haben zeitweise Angstzustände, da auch in der Schule Mobbing auf der Tagesordnung steht und die Lehrer und Lehrerinnen davon nichts mitbekommen oder nichts mitbekommen wollen. Ein Konzept gegen Schulgewalt muss daher vor allem Bausteine enthalten, die das schulinterne Klima verbessert. Dabei ist nicht nur das Verhältnis von Schülern und Schülerinnen innen zu Lehrern und Lehrerinnen, sondern auch das Verhältnis der Gruppen untereinander und die Einbindung schulexterner Personen, insbesondere der Eltern von entscheidender Bedeutung. Unser Antrag zeigt hier dringend notwendige Maßnahmen wie die, Freiräume jenseits des formalen Unterrichts zu schaffen, oder die engere Einbindung der Jugendhilfe, des schulpsychologischen Dienstes und der Eltern auf.
Entscheidend ist die Öffnung der Schulen nach außen, eine Schule ist kein baulich abgewracktes und losgelöstes Gebilde irgendwo im Vakuum des Weltalls – sondern wesentlicher Bestandteil gesellschaftlichen Lebens. Hier sollte viel mehr noch die Einbeziehung externer Partner erfolgen. Das kann aber nicht einfach nach dem Motto „Wer kennt wen, und wir regeln das schon“ gemacht werden, sondern es bedarf einer wechselseitigen Auseinandersetzung und eines Festklopfens gemeinsamer Verhaltensregeln in Zielvereinbarungen.
Wir Grüne setzen auf ein umfassenden Ansatz, der sowohl Kinder und Jugendliche stärken will für gewaltfreie Auseinandersetzung, aber auch Erwachsene mit einbezieht. Wir wollen, dass Lehrer und Lehrerinnen wie auch Erzieher und Erzieherinnen verstärkt Kompetenzen zur Gewaltprävention erhalten. Dazu gehört auch, Ursachen, Hintergründe und frühzeitige Anzeichen gewalttätiger und delinquenter Kinder und Jugendlichen zu kennen und die richtigen verbindlichen und kontinuierlichen Hilfemaßnahmen einleiten zu können.
Im Antrag der CDU sind einige richtige Elemente, die auch wir stärken wollen, wie z. B. StreitschlichterProgramme enthalten. Dennoch können wir den Antrag nicht unterstützen, da er in vielen Punkten eine Systematik verfolgt, die von wissenschaftlicher Seite als nichthilfreich gekennzeichnet worden ist. Kinder und Jugendliche gezielt zu fördern und konsequent zu begleiten, die durch delinquentes oder auch Schuldistanz Verhalten auffallen, ist richtig. Aber dabei nach dem Motto zu verfahren, alle „Problemfälle“ in einen Topf schmeißen, dann kommen die anderen besser vorwärts, und die Probleme lösen sich im engen Austausch der Problemfälle, ist angesichts der Debatte um die Hauptschule oder das Versagen der Jugendstrafanstalt dabei, dem Resozialisierungsgrundsatz nachzukommen, zynisch und wird von uns nicht unterstützt.
Aber auch die SPD-Fraktion in diesem Haus ist schon sehr kreativ geworden bei diesem Thema. Dem Problem
der Schulverweigerung und -distanz mit der Schüler- und Schülerinnendatei oder einer Bußgeldstrafe von 5 000 Euro für die Eltern zu lösen, ist vielleicht zum Aufputzen des Hardlinerimages gegenüber der CDU geeignet, aber die Probleme löst man so nicht. Wie sollen denn Eltern dafür Sorge tragen, dass ihre Kinder am Unterricht teilnehmen? Morgens hinbringen geht bei einigen vielleicht noch, aber dann den Schultag über bewachend daneben sitzen? Also schlagen Sie sich das aus dem Kopf! Auch die Expertenanhörung im Ausschuss hat deutlich gezeigt, dass bei allen Maßnahmen der pädagogische Gehalt im Vordergrund stehen muss und gerade gewaltauffällige Kinder und Jugendliche Vertrauensverhältnisse aufbauen müssen, und das geht nur zu Personen, die über einen längeren Zeitraum die Jugendlichen begleiten und eben nicht mittels exorbitanten Geldstrafen.
Wir treten dafür ein, die Maßnahmen zur Gewaltprävention in Berlin auf die Betreuungskontinuität und Verlässlichkeit hin zu überprüfen, zu bündeln und damit erfolgreicher zu machen. Strafverschärfungen und Strafverfolgung lehnen wir als Mittel zur Prävention ab. Aus unserer Sicht reicht das Jugendstrafrecht aus. Alles, was in Berlin im Hinblick auf die Beschleunigung von Verfahren durch die Jugendrichter und Jugendrichterinnen angeregt wurde, begrüßen wir in der Umsetzung. Was dringend nötig ist, ist eine klarere Verschränkung der Maßnahmen zur Resozialisierung mit der Jugendsozialarbeit. Hier ist aus unserer Sicht die Debatte noch nicht zu Ende.
Aus all diesen Gründen kann ich Ihnen nur empfehlen, sich einen Ruck zu geben und unserem Antrag zuzustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die Prävention von Rechtsextremismus sprechen, dann können wir das nicht tun, ohne über die Ereignisse am vergangenen Samstag zu reden. Was war am vergangenen Samstag? – Zum einen fand hier in diesen Räumen das Jugendforum statt. Über 1 200 Jugendliche haben sich daran beteiligt. Der Tag hätte ein guter Tag für die Demokratie in diesem Land werden können. Aber auf der anderen Seite fand in Lichtenberg eine rechtsextremistische Demonstration statt. Der zivilgesellschaftliche Protest dagegen ist nicht zugelassen worden. Das macht diesen Tag zu einem traurigen Tag.
Herr Körting! Sie haben noch in der letzten Sitzung des Verfassungsschutzausschusses zugesagt, dass zivilgesellschaftlicher Protest gegen die jährliche Neonazi-Demo in Hör- und Sichtweite möglich sein wird wie in den vergangenen Jahren auch. Warum ist das nicht möglich gewesen? Wir erleben derzeit eine Debatte darüber, ob Rechtsextremen das Grundrecht eingeräumt werden muss, demonstrieren zu können.
Nach unserer Ansicht geht es vielmehr darum, ob es unser demokratischer Rechtsstaat der Zivilgesellschaft ermöglichen muss, dagegen zu demonstrieren und dagegen auf der Straße ein Gesicht zu zeigen.
Die FDP-Fraktion kann gleich noch reden. Vielleicht möchte Herr Lindner zu diesem Thema reden. Das würde mich freuen.
Wie sah der Polizeieinsatz vor Ort aus? – Es ist mit unglaublicher Härte vorgegangen worden. Bereits um 9.30 Uhr wurden Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zur Matinee zugelassen. Zweimal wurden Blockaden brutal geräumt, und das nicht nur von linken Chaoten, sondern da waren auch Bürgerinnen und Bürger, Anwohnerinnen und Anwohner und auch ältere Menschen beteiligt.
Im Nachhinein muss man von einem eher ungeordneten Polizeieinsatz mit harten Maßnahmen sprechen. Flaschen und andere Gegenstände sind geworfen worden, und es haben auch Straftaten aus der rechten Demo stattgefunden, wie Fotografieren, Hitlergruß zeigen und Rufe wie „Nie, nie wieder Israel!“. Es gab aber auch einiges Erfreuliches. So hat die Berliner Polizei, anders als im letzten Jahr, Festnahmen wegen des Singens verbotener Lieder durchgeführt.
Auch wir wollen in Zukunft keine Polizei, die auf dem rechten Auge blind ist. Aber der wahllose Einsatz von Wasserwerfern gegen abrückende, friedliche, zivilgesellschaftliche Protestler ist uns völlig unklar geblieben, und das können wir nicht tolerieren. Jeder, der dies nicht miterlebt hat, kann es auf „Spiegel-Online“ nachsehen. – Herr Körting! Lassen Sie es bitte nicht mehr zu, dass es in Zukunft in Berlin nicht möglich ist, Gesicht gegen braune Demonstrationen zu zeigen.
Die BVV in Marzahn-Hellersdorf macht Ihnen auch das zum Vorwurf, nämlich die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Ich denke, auch in diesem Haus würden wir hierfür eine Mehrheit finden.
Wer ist am Samstag marschiert? – Am Samstag ist der schwarze Block der Nazis marschiert. Die Rechten haben einen anderen Auftritt. Der rechte Look kennzeichnet sich durch „Ton, Steine, Scherben“, Che-Guevara-T-Shirts, Palästinenser-Tücher. All das gehört zum neuen rechten Look. Aber wer weiß das schon? Dies ist nur ein Baustein der rechtsextremen Strategie, die immer mehr gezielt junge Menschen anspricht. Braune Rattenfänger an Schulen verteilen CDs oder Zeitungen. An Freizeitorten, die bei jungen Menschen beliebt sind, wird Freibier verteilt, und die wenigsten wissen das. Hierüber muss aufgeklärt werden. Es muss mehr Aufklärung für Kinder und Jugendliche in den Bildungsinstitutionen stattfinden, aber auch für pädagogisches Personal.
Auch in Berlin gibt es z. B. gewachsene rechtsextreme Familienstrukturen, wo Kinder bei der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ in Freizeitlagern waren und dann in die Kita kommen und die Erzieherinnen mit dem Hitlergruß begrüßen. Was macht eine Erzieherin dann? Diese Menschen dürfen wir nicht allein lassen. Hier braucht es ein geordnetes Präventionsprogramm.
Auch die Jugendlichen im Jugendforum, die sich mit diesem Thema befasst haben, haben eindeutig angemahnt, dass es in der Schule zu wenig Aufklärung über den Neofaschismus, seine Symbole, Strategien und Inhalte gibt, und sie fordern diese dringend ein. Wir brauchen dieses gebündelte Präventionsprogramm, denn Kenntnis über Rechtsextremismus und Alternativen dazu sind das beste Mittel gegen Rechtsextremismus und dafür, einen breiten zivilgesellschaftlichen Protest gegen diese braune Ideologie zu ermöglichen und sich für demokratische Grundwerte einzusetzen. Deshalb bitten wir Sie alle um die Unterstützung für diesen Antrag. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie haben Ihren eigenen Antrag nicht richtig gelesen, Herr Luchterhand. Sie haben hier viele schöne Worte gesagt, aber nicht konkret zu Ihrem Antrag gesprochen.
Ich muss Ihnen leider sagen – und das ein bisschen deutlicher als Frau Müller –: Wir halten diesen Antrag für we