Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 26. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste, die Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.

Ich komme zuerst zum Geschäftlichen: Hinsichtlich des am 28. Februar 2008 an den Ausschuss für Bau- und Wohnungswesen – federführend – und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz überwiesenen Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Klimaschutz beschleunigen (3) – öffentliche Beleuchtung energieeffizient und kostengünstig gestalten“ Drucksache 16/1191 wird die Überweisung wie folgt geändert: Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr federführend, Ausschuss für Bauen und Wohnen und Hauptausschuss. – Widerspruch höre ich dazu nicht, dann wird so verfahren.

Die Vorlage – zur Beschlussfassung – über förmliche Aufgabe gemäß § 7 Absatz 2 Sportförderungsgesetz der öffentlichen Sportanlage „Ernst-Thälmann-Stadion“ im Ortsteil Köpenick, Drucksache 16/0769, wird zur Beratung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr – federführend – und mitberatend an den Ausschuss für Sport und zusätzlich an den Hauptausschuss überwiesen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch, dann wird so verfahren.

Am Montag sind die folgenden vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen, und zwar

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Sprachlosigkeit im Tarifkonflikt bei der BVG überwinden“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „BVGStreik: Rot-Rot lässt Situation eskalieren und ignoriert immensen Schaden für Berlin!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Entwickelt sich das Spreedreieck zum neuen Berliner Millionengrab?“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Der rotrote Senat versagt vor der Streikfront!“.

Im Ältestenrat konnte man sich auf ein gemeinsames Thema noch nicht verständigen. Zur Begründung der Aktualität rufe ich nunmehr auf für die SPD Herrn Kollege Gaebler. – Bitte schön, Herr Gaebler, Sie haben das Wort zur Aktualität!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Neun Tage Streik bei der BVG, keine U-Bahn, keine Straßenbahn und nur wenige Busse in der Stadt – das ist

ein aktuelles Thema. Das haben vier Fraktionen in diesem Hause so gesehen und so beantragt. Insofern fragt man sich natürlich: Warum müssen wir hier eine Begründungsrunde absolvieren? – Das kann man schnell beantworten: Das liegt an der fünften Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen. Diese ist zwar in die Parlamente eingezogen, um die Rituale zu durchbrechen; hier und heute geht es aber offensichtlich darum, Rituale zu pflegen,

[Zurufe von den Grünen]

nämlich das Begründungsritual am Anfang der Aktuellen Stunde. Dafür vielen Dank an Bündnis 90/Die Grünen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Dass das Thema aktuell ist, gerade auch in unserer Formulierung, Sprachlosigkeit zu überwinden, zeigen die leichten Hoffnungsschimmer, die von den Gesprächen ausgehen, die gestern zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bei der BVG begonnen haben und heute um 16.00 Uhr fortgesetzt werden sollen. Es ist wichtig, dass Politik die Sorgen der Menschen ernst nimmt, dass wir uns äußern, Bilanz ziehen und auch Perspektiven bieten. Das sollten wir heute in der Aktuellen Stunde machen. Dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Meinung ist, dass brauchte man heute gar nicht zu thematisieren, weil man vor vier Wochen schon über die BVG gesprochen hat,

[Volker Ratzmann (Grüne): Genau!]

ist sachlich falsch. Wir haben vor vier Wochen auf Ihren Antrag über die Wettbewerbsfähigkeit der BVG gesprochen. Heute wollen wir über etwas reden, was die Menschen im Moment bewegt, nämlich neun Tage Streik, neun Tage Einschränkung der Mobilität, und das ist ein völlig anderes Thema, lieber Herr Ratzmann, als Sie es hier vorgaukeln wollen.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von den Grünen]

Insofern möchte ich die weitere Diskussion nicht vorwegnehmen. Wir sollten dieses Ritual auch nicht ausufern lassen. Lassen wir der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ihre fünf Minuten für Selbstdarstellung und Besserwisserei zum Thema Spreedreieck.

[Zurufe von den Grünen]

Wir wollen jedenfalls über das reden, was die Menschen bewegt, den BVG-Streik, und dafür wird es sicherlich eine Mehrheit in diesem Hause geben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Henkel das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel, zur Aktualität!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mehrere Fraktionen in unserem Haus den BVG-Streik zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde machen wollen, spricht das nicht nur für die Aktualität, sondern auch dafür, dass dieser Streik nun schon am neunten Tag das zentrale politische Thema in der Stadt ist. Wir alle erleben einen Streik, den Berlin so fast noch nie erlebt hat, einen Streik von Arbeitnehmern eines unserer städtischen Betriebe, die bisher immer ein stabilisierender Faktor in unserer Stadt gewesen sind. Dabei stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen? – Diese Frage ist leicht zu beantworten. Es konnte so weit kommen, weil dieser Senat sich seiner Verantwortung weitestgehend entzogen hat, denn es war Ihre fehlende Dialogbereitschaft, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich die Fronten verhärteten.

[Beifall bei der CDU]

Eine zentrale Frage von Politik war auch immer: Wie geht man mit den Menschen um, für die man politische Verantwortung trägt? – Da kann ich nur sagen: Sie gehen schlecht mit ihnen um. Erst die rotzigen Sprüche des Finanzsenators, dann die geringschätzige Sprache des Regierenden Bürgermeisters, die darin gipfelte, dass die BVGer „zur Besinnung kommen“ müssten. – Herr Regierender Bürgermeister! Sie tun gerade so, als ob es sich bei den Kollegen der BVG um außerordentlich wohlhabende Menschen handelt, die aus Jux und Tollerei streiken. Ich sage: Die BVGer haben nicht zuletzt, weil die Politik des rot-roten Senats arm macht, gute Gründe für ihren Arbeitskampf.

[Beifall bei der CDU]

Ich sage auch: Die Arbeitnehmer in unserer Stadt haben nicht zuletzt aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit Anspruch auf eine entsprechende Besoldung. Was am Ende dabei herauskommt, ist Sache der Tarifparteien. Und ja, an der Haushaltskonsolidierung in unserer Stadt führt kein Weg vorbei. Aber ja auch dazu, dass der Regierende Bürgermeister endlich seiner Verantwortung gerecht werden muss.

Herr Regierender Bürgermeister! Sie sind der erste Regierende Bürgermeister, der eine Richtlinienkompetenz hat. Deshalb ist mir Ihre Prioritätensetzung, die Sie auf dem Höhepunkt dieser Streikauseinandersetzung hatten, völlig unerklärlich. Erst klettern Sie fröhlich auf das Brandenburger Tor, dann lassen Sie sich medienwirksam als Wachsfigur vermessen, und bei den wichtigen Themen wie zum Beispiel diesem BVG-Streik tauchen Sie einfach ab. Vielleicht liegt das an der inneren Zerstrittenheit Ihrer Koalition. Die Linksfraktion kocht, wenn man die Interviews von Herrn Lederer liest, ihr eigenes Süppchen, Koalitionspolitiker gehen auf den Finanzsenator los, und bei Herrn Müller, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, weiß man überhaupt nicht, welchen SPD-Flügel er gerade bedient.

[Michael Müller (SPD): Alle!]

Ich sage Ihnen: Klären Sie das! Beenden Sie Ihre koalitionsinterne Auseinandersetzung! Die Lage in der Stadt ist insgesamt schon kompliziert genug. Da sollte man es vermeiden, soziale Konflikte auf die Spitze zu treiben.

[Beifall bei der CDU]

Mein Appell an Sie: Helfen Sie mit, bei den Verhandlungen Gerechtigkeit walten zu lassen und für faire Bedingungen zu sorgen! Den Gewerkschaften rufe ich zu, nicht zu überziehen und ihre Aktionen mit Augenmaß und vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Mit jedem Tag, der länger gestreikt wird, tragen Sie die Auseinandersetzung mehr und mehr auf dem Rücken der Menschen in unserer Stadt aus. Betroffene sind Alte, die nicht zum Arzt kommen, Kinder, die Probleme haben, zur Schule zu kommen, und Menschen, denen es zunehmend schwerer fällt, ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Auch wenn die Kioskbesitzer ein Angebot erhalten haben, bleibt der Streik auch für sie eine Belastung. Aufgabe aller Verantwortlichen bleibt es, den sozialen Frieden in der Stadt aufrecht zu erhalten und eine verantwortungsvolle Lösung zu finden. Alle, die Verantwortung tragen, sind aufgerufen, dazu beizutragen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Henkel! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Esser das Wort. – Bitte schön, Herr Esser!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Gaebler! Ich freue mich, dass Ihr Erinnerungsvermögen noch intakt ist; wir haben in der Tat vor vier Wochen – auf unseren Antrag hin – über das Thema BVG gesprochen. Das war sehr weise und vorausschauend – wir sahen den Streik kommen. Wir haben damals vom Senat ein Personalkonzept gefordert, das auf eine gerechtere Gehaltsstruktur im gesamten öffentlichen Dienst zielt – von der Bezirkskassiererin, die deutlich unterbezahlt ist, bis hin zum BVG-Altbeschäftigten, der vergleichsweise gut dasteht. Als Antwort gab es seitens der Regierung und gerade von Ihnen, Herr Gaebler, nichts als leere Phrasen und Ausflüchte.

[Beifall bei den Grünen]

Wir können das Thema heute erneut debattieren, aber wir Grüne werden das Gefühl nicht los, dass es inzwischen verschüttete Milch ist, mit Rot-Rot über eine klare personalpolitische Linie zu sprechen.

[Zuruf von Ralf Hillenberg (SPD)]

Deshalb schlagen wir Ihnen alternativ vor, über das Thema „Entwickelt sich das Spreedreieck zum neuen Berliner Millionengrab?“ zu diskutieren.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist ja eine Logik!]

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, wer von den Beschäftigten des Landes Rücksicht auf die angespannte Haushaltslage verlangt, muss seinerseits einen sorgsamen Umgang mit den ihm anvertrauten Steuergeldern nachweisen.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Immer auf der Höhe der Zeit!]

Beim Projekt Spreedreieck hat der rot-rote Senat auf der ganzen Linie versagt. Wenn ich morgens in der Zeitung lese, dass die verantwortlichen Politiker der Stadt links und rechts der Friedrichstraße rund 24 Millionen € verplempert haben, kann ich – z. B. als Busfahrer – leicht zu der Ansicht kommen, dass das schöne Geld besser in meinen Taschen aufgehoben wäre als in den Händen von Herrn Wowereit, Herrn Sarrazin, Herrn Wolf oder Frau Junge-Reyer.

[Beifall bei den Grünen]

In einer solchen Situation wäre es am besten, Sie würden reinen Tisch machen und ehrlich sagen, wie es dazu kommen konnte. Vielleicht erklärt uns der Finanzsenator, warum seine Verwaltung das Grundbuch nicht richtig lesen kann und am Spreedreieck ein Grundstück verkauft, das dem Land Berlin nicht gehört, sondern – wie jeder andere S-Bahneingang auch – der Deutschen Bahn.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wann war denn das?]

Vielleicht erklärt uns der Finanzsenator auch, wer auf die Idee gekommen ist, die dadurch ausgelösten Schadenersatzforderungen des Investors möglichst nicht mit Bargeld abzugelten, sondern durch zusätzliche Grundstücke und Baurechte. – Das waren Sie!

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Resultat dieses Fehlers: Der Investor hat heute ein Drittel mehr Fläche zum halben Preis,

[Uwe Doering (Linksfraktion): Rot-Grün!]