Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, die Zuhörer, die Vertreter der Presse ganz herzlich hier im Hause.
Zuerst geht es mit dem Geschäftlichen los. Der Änderung einer Ausschussüberweisung zur Drucksache 16/0436, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gesetz zur Normierung des Strafvollzugs, eingebracht in der 10. Sitzung am 26. April 2007 und überwiesen an den Ausschuss für Verfassung und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Hauptausschuss, wird zusätzlich auf Wunsch der Antrag stellenden Fraktion mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie überwiesen. – Die nachträgliche Zustimmung des Hauses dazu stelle ich fest.
Am Montag, den 21. Mai 2007 sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Schutz und Chancengleichheit für alle Kinder – eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Pleiten, Pech, Pannen – Maulkorb statt schonungsloser Problemanalyse in der Berliner Justiz?“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Justizsenatorin im ständigen Kleinkrieg mit der Justiz – dringend notwendige Reformen bleiben auf der Strecke!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-roter Senat macht Berlins Zukunft kaputt – 1 Milliarde Euro Sanierungsstau an Berlins Schulen!“.
Zur Begründung der Aktualität rufe ich die Redner auf. Frau Dr. Barth ist mir von der Linksfraktion benannt worden und hat das Wort zur Begründung der Aktualität. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Begründung unserer Aktuellen Stunde zum Thema „Schutz und Chancengleichheit für alle Kinder – eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft“ drei Aspekte anführen.
Erstens: Auch heute ist der Streit der Bundeskoalition um den Ausbau der Tagesförderung Schlagzeile in den Medien. Über diese Debatte kann man viel philosophieren. Für uns ist es Anlass, Ihnen vorzuschlagen, eine Debatte über Chancengleichheit für alle Kinder zu führen.
In Berlin setzen wir als rot-rote Koalition eindeutig Prioritäten. Uns geht es zuerst um die Anerkennung des Rechts jedes Kindes auf frühe Förderung seiner Entwicklung, und es geht uns um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wer dieses Recht anerkennt, wer vom Kind und seinen Bedürfnissen ausgeht, der streitet auch nicht um Betreuungsgelder, die das Zuhausebleiben finanziell belohnen, sondern um einen Rechtsanspruch auf vorschulische Förderung vom 1. Lebensjahr an in beitragsfreien Tageseinrichtungen.
Nur so gewährleisten wir echte Chancengleichheit bei möglichst frühem Zugang und beim Erwerb von Bildung und echte Wahlfreiheit, wenn Eltern unabhängig vom Geldbeutel entscheiden können, ob sie ihr Kind zu Hause betreuen wollen oder nicht. Es geht auch völlig am Problem vorbei, wenn nur auf den quantitativen Ausbau orientiert wird. Es geht vor allen Dingen um eine gute Qualität in der frühkindlichen Förderung, und diese Qualität ist nur mit gutem pädagogischen Personal und allgemein verbindlichen Qualitätsstandards zu erreichen.
Wir haben in Berlin viel erreicht, doch sind wir noch nicht da, wohin wir wollen. Bundesmittel wären hilfreich, beispielsweise könnten sie unsere Personalausstattung sehr unterstützen. Es versteht sich von selbst, dass wir uns als Land dafür einsetzen müssen, dass alle Bundesländer gleichermaßen an möglichen Bundesmitteln partizipieren und nicht diejenigen bestraft werden, die – wie wir in Berlin auch – unter schwierigen Haushaltsbedingungen Prioritäten für Kinder gesetzt haben und auch zukünftig setzen wollen.
Ein zweiter Aspekt: Die Aktualität unseres Themas ergibt sich auch angesichts der Tatsache, dass uns fast täglich Berichte über Kindeswohlgefährdungen erreichen und erschüttern. Immer wieder fragen wir uns: Wie konnte es passieren, und wie hätte es vermieden werden können? Wir stehen einer gesellschaftlichen Realität gegenüber, die uns zum Handeln zwingt. Wir müssen die Kinder schützen und die Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrags unterstützen. Es gibt keine schnellen Lösungen. Es gibt keine Rezepte dafür. Wer suggeriert, mit ein paar Millionen mehr und einigen zusätzlichen Sozialpädagoginnen sei das Problem zu lösen, greift zu kurz. Aber es ist auch klar: Kinderschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir brauchen eine ganzheitliche Sicht auf das Problem, und wir sind wieder beim Thema Chancengleichheit.
Es ist Fakt: Die Lebenslagen vieler Kinder und ihrer Familien haben sich in Berlin in den letzten Jahren verschlechtert. Immer mehr Kinder leben unter der Armutsgrenze und werden von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen die Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern verbessern. Wir müssen Benachteiligungen rechtzeitig erkennen und abbauen, und wir müssen Eltern, statt ihnen Schuld zuzuweisen, bei der Bewältigung des
oftmals schwierigen Lebensalltags unterstützen und so Überforderungen vorbeugen. Die beste Prävention ist zum Beispiel ein Kitaplatz. Unser Berliner Angebot ist vorbildlich, und wir arbeiten daran, dass noch mehr Kinder als bisher dieses Angebot auch nutzen.
Ich bin sicher, dass wir auch hier eine gute Lösung im Interesse aller Kinder dieser Stadt finden werden.
Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht die alleinige des Senats oder eines Jugendamtes. Auf Initiative der rot-roten Koalition hat der Senat ein Netzwerk Kinderschutz entwickelt, das – aufbauend auf dem vorhandenen – den neuen Herausforderungen gerecht wird. Dieses Konzept liegt seit Februar vor, und es ist an der Zeit zu prüfen, inwieweit die vorgesehenen Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden und werden.
Die Aktualität ergibt sich aber auch daraus, dass wir uns in Kürze in die Haushaltsverhandlungen begeben. In diesem Kontext wird auch über die Finanzierung des Kinder-, Jugend- und Familienbereichs zu sprechen sein. Als Koalition sehen wir erheblichen Handlungsbedarf, z. B. bei der Finanzierung von Hilfen zur Erziehung oder dem Einstellungskorridor für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Wir möchten diese Debatte auf der Basis von Fakten und mit der gebotenen Sachlichkeit führen, denn wir stehen gemeinsam zu der Verantwortung.
Wenn wir heute nicht darüber diskutieren können, weil auch andere Themen die Stadt bewegen, dann, so hoffe ich, tun wir das in einer der nächsten Sitzungen. – Danke!
Danke schön, Frau Barth! – Zur Begründung der Aktualität des Antrags der CDU-Fraktion hat Frau Seibeld das Wort. – Bitte schön, Frau Seibeld!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau 14 Tagen haben wir uns in diesem Hause bereits mit der katastrophalen Situation in der Berliner Justizverwaltung und im Strafvollzug befasst. Schon damals hat sich Frau von der Aue, statt konkrete Reformvorschläge zu unterbreiten, auf das Schönreden der Problematik beschränkt. Seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem in den Berliner Zeitungen nicht die Überbelegungssituation in den Justizvollzugsanstalten, die angespannte Personalsituation, der Medikamentenskandal thematisiert worden sind. Ausgerechnet die Justiz, die normalerweise die Medien und die Bevölkerung nur bei Aufsehen erregenden Verbrechen interessiert, kommt aus
den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Doch die Konsequenzen, die Frau von der Aue daraus zieht, sind immer die gleichen: schweigen und schönreden statt konsequente Problemanalyse und Ursachenbekämpfung.
[Beifall bei der CDU – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Schweigen und schönreden geht aber nicht!]
Die aktuellen Ereignisse überschlagen sich förmlich, und offenbar mangelt es der Senatorin zwischenzeitlich selbst am Rückhalt im eigenen Hause. Jüngst erregte das Interview des Oberstaatsanwalts Roman Reusch die Gemüter. Roman Reusch ist Leiter der 47. Abteilung der Staatsanwaltschaft, zuständig für jugendliche Intensivstraftäter – bisher eine Vorzeigeabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft, so zumindest die öffentliche Darstellung der Senatsverwaltung. Doch Roman Reusch zeichnet in seinem Interview ein anderes Bild: zu lange Verfahrenszeiten, zu wenig Personal und das Fehlen von Maßnahmen, die die jugendlichen Intensivstraftäter tatsächlich erreichen, kurz: die Hilflosigkeit von Staatsanwaltschaft und Gerichten, also des Staates, gegenüber jugendlichen Intensivstraftätern. Was die Senatorin bislang schuldig geblieben ist – nämlich eine schonungslose Problemanalyse –, lieferte nun ihr Oberstaatsanwalt. Anstatt sich jedoch hinter ihren Oberstaatsanwalt Roman Reusch zu stellen und Abhilfe zu schaffen, verpasste die Senatorin auch Roman Reusch einen Maulkorb. Öffentlich kündigte sie in den Medien Disziplinarmaßnahmen gegen ihn an.
Das Handeln der Senatorin hat Konzept. Der Rechtsausschuss dieses Hauses befasst sich zur Zeit mit dem Medikamentenskandal in der JVA Moabit. Neben dem ehemaligen Staatssekretär Flügge sollten auch dessen Gattin und weitere Beamte in leitenden Funktionen vor dem Ausschuss angehört werden, denn nach wie vor konnte nicht aufgeklärt werden, auf wessen Veranlassung und zu wessen Gunsten der – höflich ausgedrückt – zumindest sehr sorglose Umgang mit Medikamenten erfolgte. Doch statt zur Aufklärung beizutragen, entsteht der Eindruck, die Senatorin decke die Missstände bei der Medikamentenbestellung und -vergabe.
Statt sich um die Aussage ihrer Mitarbeiter zu bemühen und so zur Aufklärung beizutragen, handelte sie wieder nach dem Motto: Maulkorb statt Aufklärung.
Nach diesem Motto hat Frau von der Aue bereits ihre Amtszeit begonnen. Nach zahlreichen Suiziden in den Justizvollzugsanstalten waren die Reaktionen nicht Ursachenforschung und Problembekämpfung, sondern Suizide werden – entgegen der langjährigen Praxis der Senatsverwaltung – nicht mehr veröffentlicht, wieder frei nach dem Motto: Maulkorb statt Aufklärung.
Da Frau von der Aue untätig bleibt, ist das Parlament aufgefordert, die Missstände in der Berliner Justiz zu thematisieren und die längst fällige Debatte in Gang zu bringen. Die Senatorin hat schon zu viel Zeit tatenlos verstreichen lassen.
Die Aktualität der Problematik wird neben dem offenkundig bestehenden medialen und öffentlichen Interesse durch die Scharmützel deutlich, die sich die Senatorin derzeit mit Teilen ihrer Behörde liefert. Wann ist es schließlich vorgekommen, dass die Interessenvertretung der Berliner Staatsanwälte – wie vor einigen Tagen geschehen – durch einen offenen Brief in die Debatte eingreift und die Senatorin maßregelt? – Unabhängig davon, ob dies zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist, zeigt es ganz deutlich: Frau von der Aue hat in wenigen Monaten das Vertrauen der ihr untergeordneten Mitarbeiter verloren. Statt sich Kleinkriege in der eigenen Verwaltung und in der eigenen Partei zu liefern, sollten Sie, Frau von der Aue, endlich aktiv werden und die Missstände in der Berliner Justiz angehen!
Danke schön, Frau Kollegin Seibeld! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Lux das Wort. – Bitte schön!
Mein Präsident! Werte Damen und Herren! Wir haben das gleiche Thema beantragt, vielleicht mit einer anderen Begründung. Bei uns ist das so: Wenn ein Staatsanwalt, von dem die Rede war, der früher jugendliche Gewalttäter mit Klapperschlangen verglich, nun Untersuchungshaft zum Erziehungsmittel erklärt, dann ist für uns Bündnis-Grüne das erste Wort: Dieser Staatsanwalt hat unrecht, und er pflegt eine ganz üble Sprache!
Man kann aber doch nicht, so wie Frau von der Aue es tut, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, ihm öffentlich – öffentlich! – ein Disziplinarverfahren erklären, damit den Tod eines Beamten einläuten, weiterhin die Bediensteten gegen sich aufbringen und so wertvolle Zeit mit internen Pseudo-Aufräumarbeiten verbringen und die dringenden Reformen nicht angehen. So geht das nicht!
Frau Senatorin, Sie machen es alles nur schlimmer! In der Berliner Justiz bauen Sie eine märkische Mauer an die Spitze in der Salzburger Straße – Berlin, die Bediensteten und die Gefangenen haben Besseres verdient.