Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

[Anja Kofbinger (Grüne): Dann stimmen Sie zu!]

Doch die Aufforderung der Grünen an den Senat, zusammen mit den bezirklichen Jugendämtern in allen Bezirken entsprechende Projekte zu gründen, geht an den rechtlichen Besonderheiten der bezirklichen Selbstverwaltung und an den finanziellen Möglichkeiten der Bezirke vorbei.

In Neukölln sind nach Angaben von Herrn Erdogan ca. 20 bis 30 Männer in dem Gesprächskreis. Es werden auch nur Männer erreicht, die für das Gewaltthema bereits offen sind. Was ist mit den uneinsichtigen Tätern

[Anja Kofbinger (Grüne): Da gibt es andere Projekte!]

angesichts von 16 285 Fällen häuslicher Gewalt?

Meine Damen und Herren von den Grünen! Frau Kofbinger! Mit Ihrem Antrag sind Sie wirklich zu kurz gesprungen.

[Anja Kofbinger (Grüne): Dann machen Sie einen längeren Sprung!]

Wichtiger ist es, was wir schon längst auf den Weg gebracht haben. Erstens: Die Volkssolidarität LV Berlin e. V. – Beratung für Männer gegen Gewalt führt Trainingskurse durch, die für häusliche Gewalttäter konzipiert sind und an denen nur Täter mit einer solchen Problematik teilnehmen und die explizit wegen häuslicher Gewalttaten gegenüber ihrer jetzigen oder ehemaligen Partnerin weggewiesen worden sind.

Zweitens: Das Berliner Zentrum für Gewaltprävention bietet in der Regel gemischte Gruppen an. Das heißt, dass sowohl häusliche Gewalttäter als auch Gewalttäter aus anderen Zusammenhängen in dem Programm betreut werden. Das Stichwort hierzu ist: täterorientierte Intervention. Ein Berliner Programm dazu ist längst auf dem Weg. Es bezieht Männer und Väter mit Migrationshintergrund explizit mit ein.

Der Antrag der Grünen stellt demgegenüber keinen weiteren Fortschritt dar. Soweit das Projekt jedoch die präventive Arbeit inhaltlich nach der Herkunft der Männer differenzieren will, ist es irreführend und trägt kaum zur Lösung der Probleme bei – eher im Gegenteil.

Frau Kofbinger! Noch einmal: Entlarvend ist in der Begründung des Antrags der Grünen der Satz:

Die präventive Arbeit mit den möglichen Tätern ist dafür notwendig.

Ich frage Sie nun: Gehen Sie wirklich davon aus, dass alle Männer potenzielle Täter sind? Es handelt sich hier wieder einmal um einen Schaufensterantrag, den wir nicht unterstützten. Ich bitte, den Antrag deshalb abzulehnen! – Danke!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Frau Kofbinger.

Das kann nicht unwidersprochen hingenommen werden! Ich fange mit dem Anfang von Frau Neumanns Rede an: Ja! Es ist in der Tat wahr: Je mehr man Frauen stärkt – und das ist leider statistisch erwiesen, ich finde es eine sehr bedauerliche Tendenz, aber sie gehört nun mal zu den Wahrheiten dieser Gesellschaft – und diese Frauen sich auch aus den früheren Rollen, die sie eingenommen haben, verabschieden, desto mehr haben sie mit einer Gewaltproblematik zu kämpfen und werden damit auch konfrontiert, weil sich ihr Gegenüber – ihr Ehemann, ihr Freund, ihr Vater, wer auch immer – damit nicht abfinden will. Das ist leider so! Deshalb sagen wir stets: Häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen hat zwei Seiten. Das ist die eine, die wir sehr intensiv betrachten. Was wir bis jetzt vernachlässigt haben und wo wir einfach noch besser werden müssen, das sind die verschiedenen Stufen der Prävention, denn das Beste ist, Gewalt sofort zu verhindern, bevor sie eintritt.

[Beifall von Thomas Birk (Grüne)]

Da sind wir uns doch alle einig. Was Kazim Erdogan in Neukölln mit einer niedrigschwelligen Arbeit gemacht hat, die sich kiezorientiert bewegt, finde ich beispielhaft. Er sagt: Hier habt ihr einen Gesprächskreis, hier werdet ihr aufgenommen, hier könnt ihr mit mir reden, wenn ihr Probleme in der Familie habt, auch schon, bevor es zu Gewalttaten kommt.

[Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion): Es geht um Bildung und Erziehung, nicht um Gewalt!]

Das ist das Besondere daran, dass sie dort einen Ansprechpartner haben, der das versteht, der das aufnimmt und eventuell bereits dort präventiv arbeiten kann. Alle anderen Angebote, die wir in der Stadt haben – und das ist durchaus ein gutes –, richten sich an die Täter. Sie werden teilweise vom Gericht zu einem Training dorthin geschickt, weil sie bereits gewalttätig geworden sind. Das ist der besondere Teil. Sie haben ihn eben zitiert, Frau Neumann, aber Sie haben ihn nicht richtig verstanden! Das finde ich in der Sache sehr bedauerlich! – Bitte, stimmen Sie zu!

[Beifall von Thomas Birk (Grüne)]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der CDU hat nun die Kollegin Görsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, liebe Grüne, ist ein wenig problematisch. Gewalt gegen Frauen ist häufig häusliche Gewalt, da haben Sie recht. Aber es ist auch gleichzeitig ein Problem in der öffentlichen Gesundheit und nicht nur Privatsache.

Es gibt nicht nur Gewalt gegen Frauen. Um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und um langfristige gesellschaftliche Veränderungsprozesse einleiten zu können, ist es wichtig, mit Aufklärung und Information bereits frühzeitig zu beginnen und bei den Tätern und Täterinnen anzusetzen, siehe auch Aktionsplan II der Bundesregierung.

[Beifall bei der CDU]

Gewalt, die wir meinen, will beherrschen, beeinflussen, verändern und schädigen. Sie ist eine Quelle der Macht. Prävention ist eine wichtige Voraussetzung, um der Gewalt entgegentreten zu können. Der Mensch oder der Mann – wer hat denn die Gewalt erfunden? – Hier wird nur von Gewalt, die von Männern ausgeht, gesprochen. Das kann wohl nicht ganz richtig sein. Häusliche Gewalt bezeichnet Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem Haushalt zusammenleben. Es ist deshalb nicht nur Gewalt unter Paaren, sondern auch Gewalt gegen Kinder, Gewalt von Kindern gegenüber ihren Eltern, Gewalt zwischen Geschwistern und Gewalt gegen im Haushalt lebende ältere Menschen. Wir finden sie vor allem in der Familie oder in Lebensgemeinschaften, dort partiell vom Staat geduldet. Wir finden sie auch am Arbeitsplatz, beim Frauenhandel, bei der Zwangsprostitution und so weiter. Dieser Antrag ist für uns zu einseitig, vielleicht auch bereits dem Wahlkampf der Grünen geschuldet.

Punkt 1: Die Forderung nach einem Konzept für konkrete Maßnahmen zur Gewaltprävention befürworten wir ausdrücklich. Doch diese Forderung haben wir bereits öfter gestellt, leider ohne Erfolg. Die Gewalttaten in Berlin nehmen weiter zu, aber nicht nur für Männer. Wir fordern auch ein Konzept, das besonders die Prävention gegen Gewalt gegen jeden Menschen beinhaltet. Wir haben alle das Recht, gewaltfrei zu leben. Es fehlen Konzepte, konkrete Maßnahmen bzw. endlich eine Koordinierungsstelle, die Koordinierung von ressortübergreifenden Maßnahmen gegen häusliche Gewalt, abgestimmtes, effizientes Vorgehen aller Beteiligten und konsequente Rechtsanwendung – das verstehen wir unter Prävention.

Punkt 2: Die Forderung nach Gesprächskreisen für Männer in den Bezirken als präventives Angebot ist zu wenig und zu einseitig. Die Verantwortung liegt hier bei den Bezirken und wird auch teilweise bereits praktiziert. Darum beantragen wir, dass der Antrag in zwei Teilen zur

Abstimmung kommt, denn dieses Thema ist uns sehr wichtig.

Gewalt geht uns alle an, denn häusliche Gewalt ist keine Privatsache. Die zunehmenden Auseinandersetzungen mit der Gewalt gegen Frauen und gegen Kinder in unserer Gesellschaft darf nicht dazu führen, dass wir unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf misshandelte Personen oder ihre Opfer richten und dabei die Formen der Gewalt innerhalb der Gesellschaft aus dem Auge verlieren.

Aber es gibt auch Gewalt gegen Männer – wie gesagt. Wir sind uns im Abgeordnetenhaus alle einig, Gewalt an wem auch immer, ist keine Lösung.

[Beifall bei der CDU]

Gewalt hat vielschichtige Ursachen und ist in gesellschaftliche Verhältnisse eingebunden. Die Häufung von Einschränkungen und Belastungen in der jeweiligen Lebenssituation von sozial Benachteiligten, von materieller Armut und psychischem Elend ist eine häufig übersehene Ursache für Gewalt. Aber, wie bereits gesagt, Gewalt ist ein Problem öffentlicher Gesundheit. Denn jeder Mensch sollte gewaltfrei leben. Interventions- und Präventionskonzepte müssen her! Aber nicht nur sie, es muss endlich ein Gesamtkonzept für Berlin erarbeitet werden! Maßnahmen zur Gewaltprävention sind Verhinderung von Gewalt im Sinn von Opfer sein und Täter werden, und zwar primär, sekundär und tertiär präventiv. – Danke!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Görsch! – Das Wort für die Linksfraktion hat nun die Kollegin Baba-Sommer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sie geht uns alle an. Eine nachhaltige Antigewaltarbeit benötigt auch Prävention, das ist richtig. Genau das ist die Kernaussage unseres Aktionsplans gegen häusliche Gewalt. Sie wurde in den letzten Jahren zielstrebig verfolgt und fanden Eingang in das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm. Die Arbeit mit den Tätern gehört natürlich dazu.

Liebe Frau Kofbinger! Wir haben es Ihnen schon im Ausschuss gesagt,

[Zuruf von Anja Kofbinger (Grüne)]

das wissen Sie: Ihr Antrag beinhaltet eine unerhörte Verallgemeinerung. Er suggeriert, dass Väter mit Migrationshintergrund generell potenzielle Gewalttäter sind. Das habe ich Ihnen schon einmal gesagt! Sie haben sich ganz offensichtlich – das sage ich auch gern noch einmal – nicht ausreichend über das Konzept von Herrn Erdogan informiert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kofbinger?

Nein, sie stellt mir keine Frage! – Es handelt sich dabei um ein Gesprächsangebot für Väter – ich mache es ganz langsam – und nicht um ein Beratungsangebot für Täter von häuslicher Gewalt. Das müssen Sie inzwischen begreifen und sich noch einmal informieren. Das Projekt „Väter- und Männergruppe“ dient der Sensibilisierung von Männern mit türkischem Migrationshintergrund für Fragen der Bildung und Erziehung. Das ist der Gesprächskreis, den Herr Erdogan durchführt und was er bezweckt. Das müssen Sie endlich einmal begreifen! Das hat er ja auch selbst gesagt, dass er das macht. Ich verstehe nicht, warum hier Sie ständig etwas anderes erzählen!

Sie müssten eigentlich inzwischen wissen, dass wir in Berlin über ein gesamtstädtisches Präventions- und Interventionsangebot verfügen, das in den Bezirken auch verankert ist. Es funktioniert ressortübergreifend und unter Einbeziehung von Wissenschafts- und Gesundheitseinrichtungen sowie freier Träger. Darüber hinaus setzt sich der Berliner Senat – auch das müsste Ihnen inzwischen bekannt sein! – seit Langem dafür ein, ein Angebot „Täterorientierte Intervention“ umzusetzen. Das dient der Prävention weiterer Gewalttaten. Die Umsetzung dieses Programms liegt in der Verantwortung der BIGKoordinierung. Der Senat stellt seit Januar 2008 die für die Koordinierung „Täterorientierte Intervention“ erforderlichen Mittel zusätzlich zur Verfügung.

Frau Kofbinger! Es liegt ein Rahmenkonzept mit dem Arbeitstitel „Berliner Programm beendet häusliche Gewalt“ vor. Seine Ziele sind explizit die Beendigung von gewalttätigem Verhalten von Tätern und das Erlernen von gewaltfreien Verhaltensweisen. Dieses Programm soll auf die Zielgruppe „Männer mit Migrationshintergrund und Väter als Täter“ ausgeweitet werden. Sie sehen, der Senat arbeitet bereits seit mehreren Jahren intensiv an der Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Diese Arbeit beschränkt sich nicht, wie Sie hier vorschlagen, auf Gesprächskreise, sondern stützt sich auf eine umfassende, hoch professionell arbeitende Struktur.

Sehr geehrte Damen und Herren von der GrünenFraktion! Haben Sie wirklich nichts Besseres zu tun, als Anträge mit Forderungen zu stellen, die wir bereits umsetzen und umsetzen werden?

[Christoph Meyer (FDP): Nach dem September setzen Sie hier gar nichts mehr um!]

Ihr Antrag ist überflüssig. Es ist ein Schaufensterantrag. Deshalb werden wir ihn auch heute wie im Ausschuss ablehnen. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Frau Kofbinger hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte!

Wer hätte das gedacht: Von Kohlmeier lernen, heißt siegen lernen! – Frau Baba-Sommer! Ich weiß nicht, warum Sie mich nicht verstehen wollen.

[Evrim Baba-Sommer (Linksfraktion): Sie verstehen das nicht!]

Niemand bezweifelt, dass der Senat sehr aktiv etwas gegen häusliche Gewalt unternimmt, dass er Pläne und Konzepte geschrieben und auch umgesetzt hat. Es gibt aber einige Lücken – größere und kleinere Lücken. Es ist unsere Aufgabe als Opposition, auf diese Lücken hinzuweisen.