Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Wir alle erinnern uns noch an das Geschacher vor zwei Jahren, als die Linkspartei die Hälfte aller Plätze verlosen wollte und die Koalition sich am Ende – keiner weiß, warum – auf 30 Prozent geeinigt hat. Es war ein politischer Kompromiss ohne wissenschaftliche oder inhaltliche Begründung. Angeblich soll es den Schwächeren nun eine Chance geben – gibt sie ihnen aber nicht. Es ist letztlich der hilflose Versuch, an der Oberschule etwas zu reparieren, was an der Grundschule nicht geschafft wurde. Wenn SPD und Linke den schwächeren Schülern wirklich helfen wollten, dann müssten endlich Fachlehrer in den fünften und sechsten Klassen der Grundschule eingesetzt werden, die Schulen überhaupt mehr Lehrer bekommen und die Kitas zu echten Bildungseinrichtungen werden.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Özcan Mutlu (Grüne)]

In der Schule geht es darum, dass die Schüler besser werden, über sich hinauswachsen und aufsteigen wollen. Dafür ist die Anerkennung ihrer Leistung eine Grundvoraussetzung. Auch deshalb ist es falsch, ihnen durch das Losverfahren zu suggerieren, dass es nicht auf die Leistung ankommt, sondern dass es jeder mit ein bisschen Glück schaffen kann. Nie mehr im Leben wird es danach mit einem so hohen Zufallsfaktor zugehen, werden die Weichen so zufällig gestellt. Deshalb ist es auch für die Persönlichkeitsbildung eines Kindes schädlich, Schulplätze zu verlosen. Wir brauchen Leistungswillen, Ansporn, echte Aufstiegschancen für alle Schüler statt Losglück! Deshalb werden wir am 18. September die Losquote wieder abschaffen,

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

den Schulzugang an die Profilbildung der Schulen knüpfen, Leistungsbereitschaft wieder in den Mittelpunkt der Bildungspolitik stellen und dafür sorgen, dass Kinder nicht durch die halbe Stadt fahren müssen, um zu ihrer Schule zu gelangen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Mutlu das Wort. – Bitte, Herr Mutlu!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landeselternausschuss verschickt täglich rote Karten an den rotroten Senat. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir keine Briefe von Schulen, Lehrerinnen und Lehrern, Elternverbänden und so weiter bekommen. Mobbing, Gewalt, Verrohung, Respektlosigkeit – all das gehört zum Alltag der Berliner Schule. Aber Mobbing und Respektlosigkeit sind nicht die einzigen Probleme der Berliner Schule. Dazu kommen: eine unzureichende Personalausstattung, 1400 dauerkranke Lehrerinnen und Lehrer, ein immenser Sprachförderbedarf bei Schulanfängerinnen und -anfängern – unabhängig davon, ob es deutsche oder Kinder mit Migrationshintergrund sind –, schlechte Qualitätsergebnisse, niederschmetternde internationale Untersuchungsergebnisse wie bei PISA, IGLU oder VERA, fehlende Ganztagsbetreuung in den Klassen 5 und 6, ein Unterrichtsausfall von ca. 11 Prozent, ein riesiger Sanierungsbedarf von einer Milliarde Euro, fehlende Fachräume, unbenutzbare Sanitäranlagen – mancherorts wird sogar die Gesundheitsgefährdung der Schülerinnen und Schüler in Kauf genommen wie an der Poelchau-Oberschule. Ich sage: Damit muss Schluss sein!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Uwe Goetze (CDU)]

Nicht die Kitas, die Schulen oder die Lehrerinnen und Lehrer sind überfordert, sondern der rot-rote Senat. Er

wird weder seiner Verantwortung noch seiner Fürsorgepflicht im Bildungsbereich gerecht.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

15 Jahre und drei SPD-Bildungssenatorinnen und Bildungssenatoren später steht Berlin auf den hintersten Plätzen bei nationalen Bildungsuntersuchungen. Nirgendwo ist der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen dermaßen vom Geldbeutel abhängig wie bei uns in der Hauptstadt. Chancengleichheit und Teilhabe aller an guter Bildung ist demnach anscheinend kein wichtiges Thema für Rot-Rot. Wir sagen: So kann es und darf es nicht weitergehen!

[Beifall bei den Grünen]

Die Erfolge des Kitavolksentscheids, des Volksbegehrens für Ganztagsbetreuung und die Volksinitiative „Schule in Freiheit“ sprechen eine deutliche Sprache. Es ist unsere Pflicht als Parlament, den Klagen der Eltern und der Schülerinnen und Schüler zuzuhören, ihnen Gehör zu schenken und gemeinsam mit ihnen – nicht über ihre Köpfe hinweg – nach Lösungen zu suchen. Es ist unsere Pflicht, die Probleme ernst zu nehmen und endlich Konsequenzen aus den schlechten Ergebnissen der zahlreichen Bildungsstudien zu ziehen. Und es ist unsere Pflicht, Kitas und Schulen und ihr Personal auf dem Weg zu qualitativ besseren Bildungseinrichtungen zu unterstützen und sie personell, materiell und räumlich so zu stärken, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden und ihren Bildungsauftrag erfüllen können.

[Beifall bei den Grünen]

Wir Grüne sagen: In einer Stadt für alle muss gute Bildung für alle oberste Priorität sein; es muss die Regel sein. Ein Weiter-so! auf Kosten der Kinder und Jugendlichen darf es nicht geben. Deshalb fordern wir heute einen Schwerpunkt bei der Bildung und beantragen diese Aktuelle Stunde. Ich hoffe, dass Sie Ihre Vernunft walten lassen und unserem Begehren zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die Linksfraktion hat nunmehr die Kollegin Seelig das Wort zur Begründung. – Bitte schön, Frau Seelig!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Woche sind die Zahlen der jährlichen Polizeilichen Kriminalitätsstatistik veröffentlicht worden. Was ist passiert? – Die Kriminalität ist in vielen wichtigen Bereichen wieder ein Stück gesunken.

Was ist noch passiert? – Das wird von der Opposition und einigen Medien nicht zur Kenntnis genommen. Da wird über Dunkelziffern schwadroniert, über Demographie, über gefühlte Sicherheit und natürlich über zu wenig Polizistinnen und Polizisten. Auf die überaus fachliche

und lebensnahe Bemerkung des Innenexperten der CDU, Herrn Juhnke, erst wenn man null Polizisten in Berlin hätte, würde es auch null Kriminalität geben, kann ich nur sagen: Herr Juhnke! Dann würde, wenn es nach Ihrem Willen mehr Polizisten gäbe, im Umkehrschluss die Kriminalität ansteigen. Ist das nicht gefährlich?

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir wollen jedenfalls heute darüber reden, wie viel gute Arbeit der Polizeipräsident und die Berliner Polizistinnen und Polizisten geleistet haben, und zwar anhand von Fakten. Die Berliner Polizeistatistik ist in den letzten Jahren immer mehr qualifiziert worden, und sie verschweigt auch nichts. Sowohl die Tatsache, dass die Bevölkerung altert und insofern weniger junge Männer in unserer Stadt leben, für die bestimmte Deliktfelder typisch sind, wird genannt, wie auch die Tatsache, dass gerade die Fälle von Kindesmisshandlung angestiegen sind, weil sich das Anzeigeverhalten von Nachbarn, Ärzten und Kindereinrichtungen erhöht hat.

Wir haben es also nicht mit einer nackten Statistik zu tun, sondern die Beamtinnen und Beamten, die sie erstellt haben, haben nach Ursachen und Gründen gefragt. Man sollte sich die Mühe machen, dies auch zu lesen. Brutale Einzelfälle, von denen jeder einer zu viel ist, füllen die Schlagzeilen und machen den Menschen Angst. Sie fördern das subjektive Unsicherheitsgefühl und vermitteln ein falsches Bild über die Lebensqualität in unserer Stadt. Dieser Tendenz will die CDU mit einer Neuauflage der gescheiterten Freiwilligen Polizei-Reserve begegnen, und die Grünen wollen selbsternannte Kiez-Sheriffs losschicken.

[Thomas Birk (Grüne): Was? – Weitere Zurufe von den Grünen]

Subjektiven Ängsten, die man auch noch selbst fleißig schürt, kann man nicht mit solchen Placebos begegnen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Die Polizeiliche Kriminalstatistik klärt auf. Dafür wollen wir sie nutzen, und dafür ist die Aktuelle Stunde der geeignete Platz. Und sie ist auch der geeignete Platz, um den Abscheu der hier sitzenden Fraktionen über den feigen und brutalen Anschlag auf den Polizeiabschnitt Wedekindstraße auf das Schärfste zu verurteilen.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der FDP – Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

Lassen Sie uns in der Aktuellen Stunde über diese Themen reden – mit Vernunft und Augenmaß! – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Für die FDP-Fraktion hat nunmehr Kollege Meyer, der Fraktionsvorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Herr Meyer!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Am Wochenende haben wir wieder interessante Einblicke in das Innenleben dieser Koalition bekommen. Wir haben über Fischfabriken und das Führen von Fischfabriken einiges gehört,

[Andreas Gram (CDU): Über Fischhändler! – Uwe Doering (Linksfraktion): Etwas dazugelernt?]

Wir haben ein nochmaliges Eingeständnis von Teilen des Senats gehört, dass ein anderer Teil des Senats offensichtlich zumindest eine Mitverantwortung an den überhöhten Wasserpreisen in der Stadt trägt – offensichtlich vor allem der Senator, der in den letzten Monaten am lautesten dagegen krakeelt hat. Es kam zu Kandidatenaufstellungen, und ein Wahlprogramm wurde verkündet.

[Martina Michels (Linksfraktion): Zwei!]

Leider ist an diesem Wochenende der faule Kompromiss, den SPD und Linke in Bezug auf das wohl asozialste Förderprogramm dieses Senats geschlossen haben, etwas untergegangen. Deshalb wollen wir heute mit Ihnen über den ÖBS reden.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Davon haben Sie doch gar keine Ahnung!]

Wir hatten den Eindruck, dass zumindest Teile der SPD in den letzten Wochen verstanden haben: Selbst der Regierende Bürgermeister und der Finanzsenator gestehen ein, dass das Instrument des ÖBS zu teuer und nicht effektiv ist. Die Forderung nach einer Evaluation, wie sie von Teilen der SPD in den letzten zwei Wochen gestellt wurde, geht deswegen auch genau in die richtige Richtung. Wenn man dreistellige Millionenbeträge in den Haushalt einstellt, ist die Frage, ob das Geld im Ergebnis zu einer dauerhaften Verbesserung der Perspektiven der Empfänger führt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

Das gilt allerdings nicht für die Linken und Teile der SPD.

Frau Senatorin Bluhm! Sie haben Kenntnis davon, dass der ÖBS nicht zu einer besseren Vermittlungsfähigkeit der Teilnehmer führt. Sie wissen, dass der ÖBS nicht nachhaltig vor Armut schützt. Aber das ist Ihnen scheinbar egal. Es geht Ihnen eher um ein Klientelprojekt, das verteidigt werden soll, als dass es um die Menschen geht und darum, dass Sie etwas für die Menschen in dieser Stadt tun.

Der ÖBS ist mittlerweile eine Art „Hartz-IV de luxe“ für einen kleinen Teil – für 5 000 von 240 000 Erwerbs

losen –, die für drei Jahre bevorzugt werden. Für allerhöchstens drei Jahre geht es ihnen besser, aber nachhaltig werden die Perspektiven nicht verbessert. Selbst vor Armut schützt der ÖBS nicht. Spätestens in einer Mehrpersonenbedarfsgemeinschaft werden ergänzende Sozialleistungen fällig. Das ist die erbärmliche Bilanz Ihrer Sozialpolitik.

[Beifall bei der FDP]

Es ist bedauerlich, dass die SPD nicht die Kraft hatte, hier ihre Position durchzuhalten. Es sollen nun offensichtlich weiterhin 44 Millionen Euro an Landesmitteln pro Jahr – das sind insgesamt ungefähr 24 000 Euro pro Stelle – für dieses unnütze Programm ausgegeben werden. Der ÖBS wirkt nur in negativer Weise. Bei mindestens 20 Prozent dieser Stellen – das ist eine sehr vorsichtige Schätzung – werden Stellen des ersten Arbeitsmarktes gefährdet. Die Mitarbeiterin einer Wäscherei, die eine Ausschreibung gegen eine ÖBS-subventionierte Wäscherei verliert, wird arbeitslos und darf sich danach in einer ÖBS-Schlange anstellen, damit sie irgendwann, wenn sie Glück hat, gegebenenfalls in einer ÖBS-Wäscherei arbeiten darf. Das ist die gesamte arbeitsmarktpolitische Perversion dieses Programm, das Sie immer noch aufrechterhalten und verteidigen.

[Beifall bei der FDP]

Zu den Projekten, die hier gefördert werden, ein Beispiel: In der Programmbeschreibung zu einem Projekt, das das Erstellen von Metallskulpturen vorsieht, heißt es, 13 vorher langzeitarbeitslose Menschen bauen Objekte aus unbrauchbaren Elektroschrottteilen. Dabei beschäftigen sie sich erstmalig ernsthaft mit dem Thema Kunst und Kunsthandwerk. – Das ist der Inhalt Ihres ÖBS. Das muss abgeschafft und gestrichen werden.

[Beifall bei der FDP]

Statt sich um rot-rote Klientelprojekte zu kümmern, sollte gerade die Linke dafür sorgen, dass Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance haben. Dies gilt auch für den öffentlichen Dienst. Es ist schon erstaunlich, dass wir in dieser Woche erfahren mussten, dass 12 Millionen Euro an Ausbildungsmitteln in der Berliner Verwaltung einfach verfallen. Es ist umso erstaunlicher, dass ausgerechnet in der Senatsverwaltung, die für Arbeitsmarktpolitik zuständig ist, am meisten Mittel verfallen. Das liegt offensichtlich daran, dass Sie sich dort eher um Ihre Klientelprojekte kümmern, statt Ihre eigentlichen Aufgaben zu erledigen. Über dieses Unvermögen möchten wir heute mit Ihnen reden. Deswegen werben wir um Zustimmung für unser Thema für die Aktuelle Stunde. – Ich danke Ihnen!