Protocol of the Session on June 9, 2011

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Beschlussempfehlung StadtVerk Drs 16/4185 Antrag der Grünen Drs 16/3109

b) Beschlussempfehlung

Sicherer und alltagstauglicher Radverkehr (2): Bundesratsinitiative zur Aufhebung der Benutzungspflicht für Radwege ergreifen

Beschlussempfehlung StadtVerk Drs 16/4186 Antrag der Grünen Drs 16/3151

c) Beschlussempfehlung

Sicherer und alltagstauglicher Radverkehr (3): Radverkehr an Baustellen berücksichtigen

Beschlussempfehlung StadtVerk Drs 16/4187 Antrag der Grünen Drs 16/3134

Das ist die Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter Tagesordnungspunkt 24.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt Kollegin Hämmerling. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Radverkehr hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, aber der Platz für Radler nicht. Deshalb sind Fußgänger sauer, weil sie sich den Bürgersteig mit immer mehr Radlern teilen müssen. Radfahrer sind sauer, weil sie gezwungen sind, mit angezogener Handbremse in Schlangenlinien auf benutzungspflichtigen Radwegen herumzukurven. Und weil das Radfahren auf dem Bürgersteig so gefährlich ist, gibt es jetzt ein höchstrichterliches Urteil zur Abschaffung der Benutzungspflicht von Radwegen. Aber was macht die Berliner Verkehrslenkung? Na, was wohl? – Nichts! Wie immer! Frau Senatorin Junge-Reyer! Sie tun auch nichts. Sie sitzen das aus – genauso wie das S-Bahnchaos und die Mietsteigerungen –, und es ist höchste Zeit, dass das am 18. September aufhört.

[Beifall bei den Grünen]

Meine Damen und Herren von SPD und Die Linke! Sie müssen den klima- und energieeffizienten Radverkehr

konsequent fördern. Die schwachen Verkehrsteilnehmer müssen besser geschützt werden. Sie tun einfach zu wenig für Radfahrer und Fußgänger. Kamikaze-Radfahrer kommen in Berlin genauso gut voran wie rücksichtslose Autofahrer, weil sie kaum kontrolliert werden. Fahren auf der falschen Straßenseite, aber auch rücksichtsloses Falschparken auf Radspuren oder Raserei – Unfallursache Nr. 1 –, all das bleibt ohne Konsequenzen, und damit bestärken Sie die Rücksichtslosen. Das kann am Ende nicht gut gehen.

Der Verkehrsraum muss gerecht und fair aufgeteilt werden. Frau Senatorin Junge-Reyer! Warum lassen Sie zu, dass Straßen ohne eigene Radverkehrsanlagen entstehen? Warum lassen Sie zu, dass Baustellen gebaut werden, bei denen keine Rücksicht auf den Radverkehr genommen wird? – Das ist verantwortungslos, und wir haben den Spruch „Dafür sind wir nicht zuständig!“ satt.

[Beifall bei den Grünen]

Sie regieren, also schaffen Sie Zuständigkeiten, die funktionieren! Wenn Sie das nicht können, dann überlassen Sie das einfach anderen!

[Beifall bei den Grünen]

Drei Anträge von uns stehen heute zur Abstimmung. Es geht um bessere Rahmenbedingungen für den Radverkehr, um die Berücksichtigung des Radverkehrs an Baustellen und das Aufheben der Radwegebenutzungspflicht. Die Dagegen-Parteien hier im Hause haben diese Anträge abgelehnt. Warum eigentlich? Warum lehnen Sie die Anträge ab?

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Die Berliner und Berlinerinnen bemängeln viele gefährliche und schikanöse Stellen im Radverkehr. Wir haben deshalb den Radverkehrspreis „Verbogene Felge“ ausgelobt, und zwar für die schlechteste Infrastruktur im Land Berlin. Die Berlinerinnen und Berliner haben sich bei der Auswahl mit mehr als 200 Zuschriften beteiligt, und beim Umweltfestival am Rande der Sternfahrt wurde dann eine Auswahl getroffen. Die Berlinerinnen und Berliner haben abgestimmt. Preisträger ist die Leipziger Straße. Acht Fahrspuren, Parkplätze, aber nicht ein einziger Quadratmeter für den Radverkehr! Frau Senatorin Junge-Reyer! Diesen Fahrradpreis – unsere „Verbogene Felge“ – haben Sie sich redlich verdient. Hier ist sie. Ich gebe sie Ihnen gleich.

[Beifall bei den Grünen]

Frau Senatorin! Dabei ist Ihre Radverkehrsstrategie ja gut. Sie könnte von uns sein. Aber die Praxis ist Murks. Das hat ein wenig von Politik aus der Anstalt. Für den abnehmenden und klimaschädlichen Autoverkehr bauen Sie in der Innenstadt 7 000 Parkplätze und neue Straßen, und die A 100 wollen Sie dann bauen, damit der Autoverkehr von diesen neuen Straßen und den 7 000 Parkplätzen ferngehalten wird. Für den ständig zunehmenden Radverkehr haben Sie nur dann etwas übrig, wenn er den Autoverkehr nicht behindert und keine eigenen, zusätzlichen Flächen braucht. Die Radler unter den Berlinern und Berlinerinnen

fühlen sich nach zwei Legislaturperioden Rot-Rot noch immer als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse. Sie brauchen alltagstägliche Radanlagen und nicht nur die Fernwege Berlin-Usedom. Wir fordern Sie auf – und Sie haben die Gelegenheit zu zeigen, dass es alles nicht stimmt, was ich heute gesagt habe –: Stimmen Sie unseren Anträgen zu!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Hämmerling! Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben. – Für die SPD-Fraktion hat nun Kollege Gaebler das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

[Beifall bei den Grünen – Heiterkeit]

Genau! Frau Hämmerling werden jetzt erst einmal die Fahrradabstellanlagen am Abgeordnetenhaus vorgeführt, damit sie sieht, dass es auch hier durchaus Platz für Radfahrer gibt. Frau Hämmerling! Sie haben jetzt diese Felge übergeben, und das war ein schöner Showeffekt. Aber das ist typisch für die Grünen: An den Tatsachen vorbei ein bisschen Show machen, aber nicht mehr über das reden, um das es eigentlich geht! Der Radverkehr in Berlin ist nämlich eine Erfolgsgeschichte, und das sollten wir uns alle gemeinsam auch nicht kaputtreden lassen – weder von den Grünen noch den Schwarzen oder Gelben.

Wir haben in Berlin gute Voraussetzungen. Man muss von der Gewichtung her berücksichtigen, dass auf 1 000 Einwohner in der Stadt 324 Pkws, aber 721 Fahrräder vorhanden sind. Das macht auch deutlich, dass die Gewichtung, die manchmal dem Auto zugemessen wird, nicht ganz dem entspricht, wie der tatsächliche Bestand an Fahrzeugen in der Stadt verteilt ist. Insofern ist es richtig, dass wir dem Radverkehr heute mal etwas mehr Augenmerk widmen.

Der Verkehrsanteil des Radverkehrs ist von 1992 bis 2008 von 7 Prozent auf 13 Prozent gestiegen. Er hat sich also fast verdoppelt. An ausgewählten Punkten in Mitte und Kreuzberg ist er im Zuge der zwei Legislaturperioden unter Rot-Rot um 70 bis 80 Prozent gestiegen. So schlecht kann es also um den Fahrradverkehr und die Radanlagen in dieser Stadt nicht bestellt sein. Wir haben zeitgleich – das finde ich besonders bemerkenswert – einen Rückgang bei den Verkehrsunfallopfern bei Radfahrern. Das ist bei dem gestiegenen Verkehrsaufkommen nicht selbstverständlich. Das heißt also auch, dass sich die Verkehrssicherheitsmaßnahmen, die dieser Senat mit auf den Weg gebracht hat, hier auszahlen.

Mit Stand 2009 haben wir an Radverkehrsanlagen 650 Kilometer Radwege, 125 Kilometer Fahrradstreifen auf der Fahrbahn, 11 Fahrradstraßen, 250 Einbahnstraßen sind in Gegenrichtung für den Fahrradverkehr geöffnet.

Es gibt an Absperranlagen 18 800 Plätze an S-Bahnen, 7 800 Plätze an U-Bahnen.

[Claudia Hämmerling (Grüne): Das reicht nicht!]

Das Radroutenkonzept ist zu großen Teilen umgesetzt. Deswegen, Frau Hämmerling, kann man natürlich immer noch alles besser machen. Ich würde aber sagen, dass man hier nicht nur nicht meckern, sondern sagen kann, es ist doch schon einmal gar nicht so schlecht.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Dass Sie das als Grüne natürlich in Misskredit bringen müssen, weil Sie sonst Ihre Existenzberechtigung aufgeben würden, kann ich nachvollziehen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aber das, was Sie hier in Ihrem Antrag machen, ist natürlich ziemlich albern. Sie sagen, in enger Zusammenarbeit mit den Bezirken soll ein Fahrradstraßennetz entwickelt werden, dass dem Radverkehr attraktive Verkehrsverbindungen einräumt und die tangentialen Wegeverbindungen ermöglicht. Abgesehen davon, dass Sie inzwischen gemerkt haben, dass Sie nicht von einem Fahrradstraßen- sondern von einem Fahrradroutennetz reden und deswegen den Antrag noch einmal hektisch im Verkehrsausschuss ändern mussten, darf ich Sie auf die Internetseite der Stadtentwicklungsverwaltung verweisen. Vielleicht schauen Sie dort gelegentlich mal hinein. Dort gibt es einen sehr interessanten und auch kurzen, also lesbaren, Artikel über Fahrradrouten.

[Claudia Hämmerling (Grüne): Artikel, ja!]

Es gibt nämlich in dieser Stadt – hier ist auch die Grafik dazu – 12 radiale Fahrradrouten, 8 tangentiale Fahrradrouten, die die ganze Stadt abdecken und die auch in Zusammenarbeit mit den Fahrradverbänden und den Bezirken entwickelt wurden. Die Verbände haben selbst eine Karte herausgegeben, in der sie diese Routen darstellen. Liebe Frau Hämmerling! Wovon reden Sie eigentlich? Sie reden hier über ein Hirngespinst, es müsse ein Fahrradroutennetz entwickelt werden. Gehen Sie doch einmal in die Stadt hinaus. Das Fahrradroutennetz ist da. Es wird von den Berlinerinnen und Berlinern genutzt. Sie sind froh darüber. Auch das sollten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Natürlich sollen im Zusammenhang mit Umbaumaßnahmen und Straßensanierungsmaßnahmen grundsätzlich Radstreifen ausgewiesen werden. Das ist Praxis. Das sieht man im Moment auch überall in der Stadt. Es begeistert übrigens nicht jeden, vor allen Dingen Autofahrer nicht. Aber es gehört zu einer konsequenten Umsetzung dieser Strategie zu sagen: Wir wollen die Radfahrerinnen und Radfahrer auf der Straße im Blickfeld des Autofahrers verkehren lassen, auf einem Schutz- oder Sonderstreifen, je nachdem, was möglich ist, und nicht auf dem Gehweg oder im Gehwegbereich mit den Fußgängern um den knappen Raum dort kämpfen lassen. Das wird vom Senat Stück für Stück umgesetzt. Auch das können Sie auf den

Straßen live erleben. Gehen Sie einmal aus dem Abgeordnetenhaus heraus – ich weiß, Sie fahren Fahrrad –, aber vor allem draußen in Blankenburg, fahren Sie einmal hier in der Innenstadt Fahrrad, dann sehen Sie selbst, was es da an Fahrradspuren gibt. Ich mache das im Gegensatz zu Ihnen täglich. Ich kann nur sagen: So viel Fahrradspuren, wie in den letzten fünf Monaten entstanden sind, sind in den letzten 20 Jahren nicht entstanden. Insofern sind wir an diesem Punkt wesentlich vorangekommen.

Als Letztes: Die Abstellanlagen habe ich Ihnen vorgezählt. Auch da gibt es eine Menge Abstellanlagen. Wenn Sie jetzt in Ihrem Antrag sagen, das soll gleichberechtigt mit dem Autoverkehr gemacht werden, wäre es ein Rückschritt. Für Autos gibt es nahezu keine Abstellanlagen an Halteplätzen des öffentlichen Nahverkehrs, –

Herr Kollege Gaebler! Sie sind im Schlusssatz!

schon gar nicht bedarfsgerecht. Sie wollen offensichtlich die Fahrradabstellplätze rückbauen. Wir wollen sie weiter ausbauen. Wir haben ein gutes Netz. Das werden wir schrittweise weiter vorantreiben. Das lassen wir uns von Ihnen auch nicht kaputt reden. Die Fahrradstadt Berlin ist Realität und nicht Vision. – Vielen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Friederici.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich mit der Geschichte der Grünen beschäftigt, ist doch eines immer sehr klar: Priorität vor allem im Wahlkampf, weil es einer der ehemaligen Gründungspfeiler der Partei ist, hat der Radverkehr. Dass diese grüne Partei gerade mit Blick auf den 18. September wieder das Fahrrad entdeckt, ist auch wichtig zu erwähnen, gehören doch dieser Partei inzwischen sehr viele Autofahrer an. Sie brauchen nur einmal morgens oder nachmittags bei Parlamentssitzungen gegenüber auf dem Martin-Gropius-Parkplatz oder hier auf unseren Parkplatz im Berliner Abgeordnetenhaus zu schauen, Sie würden sehen, dass die Grünen massenweise selbst Auto fahren. Sie sollten nicht immer nur Wasser predigen und Wein trinken. Mehr Realität wünsche ich mir auch bei den Grünen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der FDP]