Insgesamt hat sich die Zahl dieser Anzeigen in den letzten zwei Jahren auf 2 900 fast verdoppelt. Lieber Kollege Mutlu! Da sollten Sie die Zahlen noch mal genau nachlesen.
Für diese notorischen Schwänzer und für ihre Eltern stehen den Schul- und Jugendämtern im nächsten Schritt Sanktionsmaßnahmen zur Verfügung, aber auch die werden von den Bezirken unterschiedlich konsequent durchgezogen. Während im letzten Jahr in Neukölln in über 300 Fällen ein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht gegen Eltern eingeleitet worden ist, sah Friedrichshain-Kreuzberg diese Notwendigkeit nur in einem Fall. Aber dass die Bezirke nicht gleich konsequent gegen Schulschwänzen vorgehen, darf eigentlich nicht sein, denn bereits 2006 hat der Senat ein einheitliches Vorgehen locker für alle Bezirke festgelegt. Das funktioniert anscheinend nicht.
Offensichtlich gibt es Bezirke, die gegen Falschparken konsequenter vorgehen als gegen Schulschwänzen, aber das kann nicht wahr sein.
Denn Schulschwänzen ist kein Kavaliersdelikt – Kollege Oberg hat darauf hingewiesen –, es gilt auch als Symptom von sozialem Fehlverhalten, da die Kinder und Jugendlichen zeigen, dass sie nicht bereit sind, sich an gesellschaftliche Regeln zu halten.
Nein! Kollege Mutlu kann nach mir sprechen und dann seine Sicht der Welt in seinen rosa Wolken darlegen.
Doch was heute mit Schulschwänzen beginnt, endet nicht selten bei viel gravierenderen Regelverletzungen, die für die Gesellschaft und letztendlich auch für das Kind gravierende Folgen haben. Nicht jeder Schwänzer wird kriminell, aber alle Berliner Intensivstraftäter haben ihre kriminelle Karriere als Schulschwänzer begonnen, das ist
leider die Realität. Wir wissen alle, dass Kinder und Jugendliche unterschiedlich häufig und aus unterschiedlichen Gründen blau machen, beispielsweise, weil sie nicht mit sechs Stunden Frontalunterricht zurechtkommen, weil sie von Klassenkameraden gemobbt werden, weil es cooler ist, mit Freunden vormittags shoppen zu gehen, weil sich ihre Eltern gerade scheiden lassen oder weil sie nicht die notwendige Unterstützung im Elternhaus bekommen.
Ein wichtiger Indikator dafür, dass immer mehr Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, was auch zu Schulschwänzen führen kann, sind die Hilfen zur Erziehung. Sie explodieren seit Jahren und machen deutlich, dass die Schule immer mehr zu einem Reparaturbetrieb wird. Auch das dürfen Sie gern zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege.
Deshalb ist es für uns als Sozialdemokraten unsere Aufgabe, uns um jedes Kind zu kümmern, wenn Eltern dazu nicht in der Lage sind. Das setzt voraus, dass Kinder und Jugendliche in die Schule gehen und sich ihre Zukunft nicht selbst verbauen. Berlin hat deshalb erkannt, dass gehandelt werden muss. Frau Senatorin hat darauf hingewiesen: Seit Februar werden Eltern direkt am ersten und nicht erst nach dem dritten unentschuldigten Fehltag darüber informiert, dass ihre Kinder nicht in der Schule sitzen. Das elektronische Klassenbuch wird künftig helfen, die Eltern einfach und schnell zu informieren. Die zentrale Schülerdatei ist nächstes Jahr voll einsatzbereit und hilft der Polizei, Schwänzer unverzüglich ihren Schulen zuzuordnen und hinzubringen.
Die Präventionsprogramme in Berlin – Frau Senatorin Scheeres hat die Sozialarbeit in Schulen, das Programm „Die zweite Chance“, die aufsuchende Sozialarbeit in den Familien und die Schulstationen näher erklärt –, zeigen, dass Berlin gute präventive Ansätze verfolgt, um Schülern auf ihrem Weg zurück in die Schule zu helfen. Das kann aber nicht das Ende der Fahnenstange sein, denn leider helfen die Präventionsprogramme nicht den notorischen Schwänzern, die Hilfe am nötigsten haben. Hier müssen wir ihre Eltern noch mehr in die Pflicht nehmen – darauf kommt es an! –, denn die Eltern tragen in erster Linie die Verantwortung für ihre Kinder. Wenn sie nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder in die Schule gehen, dann gefährden sie das Wohl der Kinder. Dann muss der Staat eingreifen, dann muss das Verhalten der Eltern bestraft werden.
Wir können uns vor diesem Hintergrund keine Tabus leisten, wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht. Deshalb ist es erstens
sinnvoll, die Lehrerinnen und Lehrer noch kontinuierlicher im Umgang mit Schwänzern weiterzubilden, damit sie erste Anzeichen frühzeitig erkennen und der Sache auf den Grund gehen. Denn Lehrer zu sein endet nicht mit reiner Wissensvermittlung und Notenvergabe,
Zweitens: Es ist sinnvoll die Sozial- und Elternarbeit an Schulen weiter auszubauen. Wir haben sie ausgebaut, feine Sache, alles tutti, aber es kann natürlich noch weitergehen. Die Schulstationen in Neukölln sind ein gutes Beispiel dafür, wie das funktionieren kann.
Drittens: Es ist sinnvoll, das Duale Lernen weiter zu stärken, damit die Schüler sehen, dass das, was sie in der Schule lernen, später im Berufsleben von ihnen gebraucht wird, und dadurch ihre Motivation für den Schulbesuch steigt.
Viertens: Die eine Hand muss wissen, was die andere tut. Deshalb ist einer der wichtigsten Bausteine die gezielte und bessere Vernetzung der beteiligten Akteure – darauf hat Frau Senatorin Scheeres ebenfalls absolut zurecht hingewiesen. Es darf nicht sein, dass wichtige Informationen über potenzielle und notorische Schwänzer an Grenzen der Zuständigkeit einzelner Behörden verlorengehen.
Fünftens: Wir sollten darüber nachdenken, die Schulversäumnisanzeigen zu beschleunigen, dass die Schulen sie bereits nach fünf und nicht erst nach zehn unentschuldigten Fehltagen stellen. Das hätte zur Folge, dass notwendige Maßnahmen schneller im Interesse der Kinder und Jugendlichen eingeleitet werden.
Nach dem ersten unentschuldigten Fehltag, Herr Kollege Mutlu, macht es keinen Sinn, da werden erst einmal die Eltern über das Fehlen informiert. Das war eine richtige Initiative von Frau Senatorin.
Sechstens: Wir sollten darüber nachdenken, verbindlich festzulegen, nach wie vielen Fehltagen die Zuführung von Schwänzern durch die Polizei erfolgen muss.
Siebtens: Wir sollten darüber nachdenken, das Bußgeldverfahren zu verbessern, also verbindlich festzulegen, nach wie vielen Fehltagen ein Verfahren gegen Eltern anzudrohen und einzuleiten ist, wenn sie gegen die Schulpflicht verstoßen und keine Bereitschaft zur Mitwirkung zeigen. Denn diese Eltern entziehen sich der Verantwortung für ihre Kinder. Und die Bereitschaft etwas an seinem Verhalten zu ändern, ist dann am größten, wenn es an das Geld geht. Was bei der Durchsetzung von Verkehrsregeln klappt, klappt auch bei der Durchsetzung der Schulpflicht.
Achtens: Wir sollten darüber nachdenken, die Zuständigkeit zur Abwicklung von Bußgeldverfahren von den Verkehrs- auf die Jugend- oder Familiendezernate der Gerichte zu übertragen. Wenn das Amtsgericht Tiergarten das kann, dann können das die anderen Amtsgerichte auch, denn die Jugend- und Familienrichter können die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen in bereits gerichtsbekannten Familien und damit die Notwendigkeit einer frühen Intervention wesentlich besser einschätzen.
Neuntens: Es ist sinnvoll, dass wir die Schulpflicht mit klaren und einheitlichen Regeln, die für alle Bezirke verbindlich gelten, konsequent und schnell durchsetzen, denn unsere Kinder sind in allen Bezirken gleich viel wert.
[Beifall bei der SPD und der CDU – Wolfgang Brauer (LINKE): Das hat noch nicht einmal Margot Honecker gesagt!]
Das muss ich mir von Ihnen nicht bieten lassen, liebe ehemalige PDS! Das ist eine bodenlose Frechheit!
[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von Dr. Wolfgang Albers (LINKE), Wolfgang Brauer (LINKE) und Dr. Klaus Lederer (LINKE)]
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die bestehenden Präventionsprogramme gegen Schulschwänzen weiter auszubauen, zu verbessern und die Schulpflicht konsequent durchzusetzen. Letzter Satz: Dabei müssen wir notwendige Sanktionen bei notorischen Schwänzern als Hilfe verstehen, denn diese Hilfe dient vor allem ihrem Wohl und ihrer eigenen Zukunft, und um nichts anders geht es. – Vielen Dank!
[Dr. Gabriele Hiller (LINKE): Es kann nur besser werden! – Wolfgang Brauer (LINKE): Schade, dass es in Berlin keine CSU gibt!]