wenn Sie und Ihre Koalition die Chance auf einen Neuanfang wirklich ergreifen würden. Die Ära Wowereit ist vorbei, nun ist Zeit für Neues. Doch der Neue ist gar nicht so neu. Michael Müller trägt bereits seit 13 Jahren Regierungsverantwortung. Seine rot-schwarze Koalition sieht bereits nach dreijährigem Bestehen schon richtig alt aus. Dem Regierenden Bürgermeister bleiben gerade einmal anderthalb Jahre Zeit, um daran etwas zu ändern.
Heute ist aber deutlich geworden, dass der Regierende gar nicht auf einen Kurswechsel setzt. Er setzt auf Kontinuität.
Kontinuität, da haben Sie recht, ist auch etwas Gutes, wenn in der Vergangenheit auch alles gut lief. In diesem rot-schwarzen Senat haben aber vor allem die schlechten Dinge Kontinuität. Verlässlich sind in dieser Koalition vor allem die Streitereien und die Angst vor klaren Entscheidungen.
Kontinuität heißt bei diesem Senat: weiter so! Weiter so mit dem Zaudern und Zoffen. Die alte Garde bleibt am Ruder, die alten Zöpfe wachsen weiter. Rot-schwarze Kontinuität ist leider das Gegenteil von Aufbruch, Neuanfang, neuen Ideen und Impulsen.
Dabei gäbe es viel zu tun. Berlin, da gebe ich Ihnen recht, Herr Müller, ist auch heute noch genauso wild und schön wie zu Zeiten von Klaus Wowereit. Dafür wird Berlin geliebt, deshalb ziehen viele Leute hierher. Der Erfolg dieser Stadt ist aber kein Selbstläufer. Berlin braucht die richtigen politischen Rahmenbedingungen, und Berlin braucht vor allem einen Willen zur politischen Gestaltung.
Dabei geht es nicht nur um die berühmt-berüchtigten Großbaustellen wie den BER oder die Staatsoper, das ICC, die S-Bahn oder eine Olympiabewerbung. Nein, es geht um gute Bildung für alle, es geht um Wohnungen, die sich jeder in dieser Stadt leisten kann, um eine funktionierende Infrastruktur und auch um ein Wirtschaftswachstum, von dem alle profitieren. Sprich: Es geht um die Zukunftsfähigkeit dieser Stadt. Deshalb darf Berlin nicht länger per Autopilot gefahren werden.
Das können wir uns auch gar nicht leisten, denn Berlin entwickelt sich. Es kommen viele neue Berlinerinnen und Berliner mit neuen Ideen, neuen Unternehmen und neuen Bedürfnissen und Erwartungen in die Stadt. Berlin verändert sich, muss aber zugleich auch das Anliegen derjenigen, die bereits hier wohnen, im Auge behalten. Das bedeutet noch einmal mehr Anforderungen an die Verwaltung und an die städtische Infrastruktur, vor allem aber noch einmal mehr politischer Interessenausgleich. Wenn der Senat dieser Entwicklung weiterhin nur hinterherläuft, sind die Konflikte leider vorprogrammiert.
Der Berliner Senat spricht oft und gerne von der wachsenden Stadt. Die alleinige Benennung eines Phänomens reicht aber leider nicht. Sie dürfen nicht zugleich den Verfall der Stadt sehenden Auges in Kauf nehmen. Die wachsende Stadt erfordert mehr als Großprojekte und die immer gleiche alte Beton-Politik. Es muss ja nicht immer gleich alles neu und schick sein – man sieht ja an der Staatsoper, dass das auch mächtig nach hinten losgehen kann. Allerdings ist es notwendig, dass die Dinge funktionieren. Deshalb fordern wir Sie klar auf: Sanieren Sie doch bitte endlich die Brücken, die Straßen, die Fahrradwege, die Schulen und Krankenhäuser und alles, was die Stadt zum Funktionieren benötigt!
Auch die Verwaltung braucht die Unterstützung beim Umgang mit einer wachsenden Stadt. Viele Neuberlinerinnen und -berliner bekommen bei ihrer Ankunft nicht einmal mehr eine Meldebestätigung, geschweige
Eine wachsende Stadt bedeutet in erster Linie mehr Menschen. Mehr Menschen bedeuten, dass wir mehr Service brauchen. Doch nicht nur die Situation in den Bürgerämtern zeichnet das gegenteilige Bild. Immer weniger Personal in der Verwaltung muss immer mehr Aufgaben bewältigen. Deshalb brauchen wir, lieber Senat, endlich ein Personalentwicklungskonzept.
Wenn Berlin wächst und deshalb immer mehr gebaut werden soll, wenn Flüchtlinge angemessen in Empfang genommen werden sollen und wenn der Verkehr besser fließen soll, dann brauchen wir eine effektivere Verwaltung und auch mehr Personal.
Berlin ist keine Stadt der normalen Antworten. Berlin ist einzigartig. Die Besonderheit, das außergewöhnliche Flair, die besondere Mischung der Bevölkerung und – auch heute noch – der soziale Zusammenhalt, all das droht verlorenzugehen, wenn man immer wieder mit den gleichen Nullachtfünfzehn-Antworten kommt. Deshalb, lieber Senat, brauchen wir nicht nur Standardantworten. Wir brauchen endlich einmal eine Vision für diese Stadt, und vor allem, lieber Herr Müller, brauchen wir Mut zu Innovation.
[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Carsten Schatz (LINKE) – Torsten Schneider (SPD): Das war eine Phrase!]
Was passiert, wenn man Probleme nur aussitzt oder mit zu wenig Elan angeht, sieht man in der Wohnungspolitik. Durch den steigenden Zuzug und auch durch Immobilienspekulationen werden in Berlin seit mindestens zehn Jahren die Mieten angeheizt. Und das, lieber Herr Schneider, ist keine Phrase, das ist leider traurige Realität. Und sie ist die Folge Ihres jahrzehntelangen Nichtstuns und einer verpatzten Wohnungspolitik.
Mittlerweile müssen Menschen mit kleinem Portemonnaie mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Eine knappe Million Menschen in Berlin ist aber arm oder armutsgefährdet. Gerade für diese Menschen fehlen heute schon mindestens 50 000 bezahlbare Wohnungen.
Warum müssen denn so viele Leute hier umziehen? – Ich sage es Ihnen: Weil in den letzten zehn Jahren die Mieten in Berlin um fast 50 Prozent gestiegen sind. – Lieber Herr Bausenator! Dank Ihrer Mietspiegelankündigung wird
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Das war doch eure grüne Wärmedämmung!]
Neubau bringt aber nichts für genau die Menschen mit dem kleinen Portemonnaie, wenn die Durchschnittsmieten bei 10 Euro pro Quadratmeter oder mehr liegen.
Genau das ist aber leider die Realität in dieser Stadt. Immer dann, wenn sich Widerstand regt, sind die bösen Bürgerinitiativen, die armen kleinen Leute vor Ort schuld. Die Tatsache, dass Sie gerade mal 1 000 Wohnungen für die gesamte Stadt im Jahr fördern wollen und deshalb nicht auf die von Ihnen angegebenen und gewünschten Stückzahlen kommen, verschweigen Sie an dieser Stelle. Nehmen Sie endlich mehr Geld in die Hand, um eine soziale Wohnraumförderung so zu gestalten, dass sich auch wieder mehr Menschen in dieser Stadt das Wohnen leisten können! Das wäre ein echter Beitrag.
Ich gebe an dieser Stelle Klaus Wowereit recht. Sie müssen Ihr soziales Profil wieder stärken. Und die Wohnungsfrage ist die soziale Frage in dieser Stadt.
Auch die Herausforderungen an Sie als neuer Kultursenator, Herr Müller, sind groß. Ähnlich wie bei den Mietern
ist auch die Existenz zahlreicher Ateliers, Proberäume und Aufführungsorte durch Mietsteigerung in Gefahr. Klaus Wowereit hat Ihnen, Herr Müller, einen Flickenteppich an Baustellen hinterlassen. Die werden Sie sicherlich alle fleißig angehen, aber darüber hinaus – das sagen nicht nur wir, sondern auch alle Kulturschaffenden – brauchen wir endlich mal eine kulturpolitische Gesamtstrategie, die die Potenziale dieser Stadt so berücksichtigt, dass wir auf den Standortfaktor Kulturmetropole aufbauen können und nicht nur immer wieder die gleichen einzelnen Leuchtturmprojekte hier und da fördern.
Das bedeutet auch, dass wir endlich mehr Mittel für die freie Szene zur Verfügung stellen müssen, denn sonst bricht uns der kulturelle Humus für das Image Berlins weg, auf dem gerade die Kulturmetropole gebaut ist, und die ist nicht nur für uns, sondern auch für die Millionen Besucherinnen und Besucher, die jährlich in diese Stadt strömen, so wichtig.