Wir Berliner, so behauptet dieses Blatt, lungern neun Stunden am Tag herum, auch am Arbeitsplatz, Bundesdurchschnitt seien 7,2 Stunden. Das ist kein Wunder, die anderen haben mehr Feiertage und müssen nicht während der Arbeitszeit abhängen.
[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Sehr gut!]
Selbst Spitze-auf-Knopf-rechnende Sozialhistoriker kommen auf mindestens 100 Nicht-Arbeitstage. Praktisch gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um 1500 die Fünftagearbeitswoche, tolle Sache!
Kein Wunder, dass sich das aufstrebende städtische Bürgertum der Thesen eines rabiat gewordenen Wittenberger Theologieprofessors bemächtigte,
Alle Reformatoren gingen im Prinzip davon aus, dass der – jetzt im Ernst – mündige Christ sich nicht sklavisch an von der Obrigkeit gesetzte Festzeiten halten müsse, wenn er denn sein gesamtes Leben, Kollegin Seibeld, als Gottesdienst begreife. Dem Feiertagswesen stand die Reformation durchaus ablehnend gegenüber.
Luther stellte 1590 fest, dass der liederliche Müßiggang, der die Feiertage präge, mehr Sünde als Gottesdienst sei.
Und jetzt kommen Sie hier an und wollen zur Jubelfeier eben dieses genuinen Feiertagsgegners einen arbeitsfreien Feiertag installieren,
Um Gottes willen! Das wirft natürlich die Frage auf, ob wir nun bei allen bedeutenden Jubiläen mit einem einma
ligen freien Tag rechnen dürfen. Ein Rat an Sie, Bürgermeister Henkel: Planen Sie bitte für den Berliner öffentlichen Dienst in zwei Jahren einen zusätzlichen Brückentag ein. Der Reformationstag fällt auf einen Dienstag,
und wir wollen die Zeit zum liederlichen Müßiggang doch nicht verschenken! Obwohl: Ich bin mir sicher, die Lobbyisten des Einzelhandelsverbandes reiben sich jetzt schon Daumen und Zeigefinger, denn unter Garantie wird der 29. Oktober 2017 ein verkaufsoffener Sonntag!
[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Zurufe von Daniel Buchholz (SPD) und Christopher Lauer (PIRATEN]
Da ignoriert man natürlich gerne, dass Martin Luther es vor 500 Jahren mit der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel verdammt ernst meinte.
Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit, dass ich als Linker die Bedeutung der Reformation beschädige – mitnichten!
Sagte wer? – Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl. Reformation und nicht antirömisch – sind wir im falschen Film? Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Calvin betrieben die Sache dezidiert als antirömisches Projekt, nichts anderes. Rom hatte es verstanden, und das Trienter Konzil in der Folge dann auch.
Gut! Aber: Bei Bischof Bohl findet sich ein leicht jesuitischer Haken. Wenn der Reformationstag nicht seines historischen Kernes entledigt wird – jetzt wird es sehr ernst! –, steht natürlich auch in Berlin die Frage nach dem katholischen Allerheiligen am ersten November.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Ganz genau! Richtig!]
Ich sehe schon einen Endlosstreit von Theologen und Rechtsgelehrten auf uns zukommen – Sie müssen es dann ausbaden – mit Eskalationsgefahren. Religionskriege entzündeten sich oft an Banalitäten.
Wir wollen doch nicht, dass unser Regierender Fürst – jetzt ist er nicht da – und sein Stadtvogt aus dem Fenster gestürzt werden.
Daher unser Vorschlag, und das meine ich jetzt sehr ernst: Lassen wir diese Albernheit mit dem einmaligen Reformationstag. Führen wir ihn auch in Berlin als dauerhaften arbeitsfreien gesetzlichen Feiertag ein, das wäre konsequent,
[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von den PIRATEN]
Damit hätten wir immer noch zwei Feiertage weniger als in Süddeutschland, und wir wären wieder bei Luther, der von seiner sturen Feiertagsfeindlichkeit am Ende seines Lebens abwich.