Protokoll der Sitzung vom 25.06.2015

Dann ist es keine Zwischenfrage mehr. Also Anschlussfragen kriegen wir nicht. Das gibt es nicht.

Kurzinterventionen sind ja viel unterhaltsamer.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Damit Sie noch drei Minuten Zeug reden können!]

Okay! – Dann nicht.

Wenn wir also davon ausgehen, dass Ihr Besuch in Tempelhof gefruchtet hat, dann werden wir, so denke ich, in den nächsten Monaten das, wofür jetzt der Startschuss endlich fällt, nämlich die Diskussion über die Profilbildung für das Tempelhofer Flughafengebäude öffentlich und auch politisch zu führen, mit Ihnen Seite an Seite und sehr konstruktiv tun können.

(Wolfgang Brauer)

Ihr Antrag ist sicherlich ein Debattenbeitrag dazu. Er enthält ja auch den einen oder anderen interessanten Impuls, auch wenn er – ich komme nicht umhin, Sie darauf hinzuweisen – genau den Gemischtwarenladen beschreibt, den Sie am Anfang ausschließen. Das muss aber nicht falsch sein. Es ist eines der größten Gebäude Kontinentaleuropas, und es bietet Raum für ganz vielfältige Nutzungen. Richtig ist auch der Anspruch, nach einer Leitidee zu suchen. Ob wir die als Parlament in Form eines Antrags vorgeben sollten, sei mal dahingestellt. Ich glaube es nicht.

Ich halte den Ansatz, den wir jetzt verfolgen und den auch der zukünftige Geschäftsführer der Tempelhof Projekt verfolgt, nämlich in ein Verfahren der Profilbildung zu gehen – gemeinsam mit uns, gemeinsam mit Stakeholdern, mit Anwohnern und möglichen Nutzerinnen und Nutzern –, für genau den richtigen. Er ist überfällig und hätte längst stattfinden müssen. Das ist der Punkt, an dem Sie den Finger in die richtige Wunde legen. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir uns jetzt diesem Prozess stellen – warum auch immer das nicht früher stattgefunden hat. Es hätte schon zu einem Masterplanprozess für das Tempelhofer Feld gehört, auch die Frage nach der Nutzung des Flughafengebäudes beantworten zu können. Aber besser spät als nie. Insofern freue ich mich darauf, wenn wir nicht nur in den Ausschüssen, sondern vor allem in dem Prozess, den die Tempelhof Projekt jetzt anstößt, miteinander um die bestmögliche Nutzung des Flughafens und das bestmögliche Profil ringen werden. Und da werden sicherlich Ihre Vorschläge auch eine Rolle spielen.

Eins sei allerdings an dieser Stelle auch klar gesagt: So richtig es ist, dass wir jetzt in Tempelhof klare Prioritäten setzen, so richtig ist es – und das werden Sie auch schon im Senatsentwurf wiederfinden –, jetzt auch finanzielle Prioritäten für die Sanierung des Tempelhofer Flughafengebäudes und seine anschließende Nutzung zu schaffen. Richtig ist auch, dass wir nicht der Versuchung erliegen dürfen, zwei Konzepte gegeneinander auszuspielen, nämlich das für die Nachnutzung von Tegel auf der einen und das für die Nachnutzung von Tempelhof auf der anderen Seite. Beides muss miteinander funktionieren. Beides – das ist bekannt – hätten wir deshalb am liebsten aus einer Hand entwickelt gesehen. Denn es wäre schön, wenn das Vorausdenken für die Nachnutzung von Tempelhof so früh begonnen hätte, wie es in Tegel der Fall ist. Dort sehen wir, wie es gemacht werden muss. Dort haben wir ein Erfolgsbeispiel. Es lohnt sich, davon zu lernen. Das wird auch in der bisherigen Struktur der Tempelhof Projekt gelingen können. Andere Möglichkeiten wären denkbar und dem einen oder anderen auch lieber gewesen, aber auch so ist es möglich.

Diese klare Ansage, dass wir hier zwei Flughäfen haben, die in bester Harmonie miteinander ihre Nachnutzung finden müssen und die jeweils ihren klaren Fokus auf einer wirtschaftlichen Nachnutzung finden werden –

jenseits aller kulturellen Aspekte, die in Tempelhof unstreitig eine Rolle spielen werden –, sollte uns miteinander einen, und das sollte auch den Nachnutzungsdiskurs über Tempelhof in den nächsten Monaten bestimmen. Dann werden wir uns häufiger hoffentlich an einem Tisch wiederfinden, und zwar nicht erst und nicht nur in den Ausschüssen dieses Hauses, sondern dann, wenn die Tempelhof Projekt das anstößt, was längst fällig ist, nämlich die Profilbildung für Tempelhof auf den Weg zu bringen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Kollege Evers! – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Kollege Magalski. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Abgeordnete und Gäste! Da steht er nun, der Tempelhofer Flughafen, und bietet neben einer der größten städtischen Freiflächen nebenan auch einen der größten Gebäudekomplexe. Dass da bei dem einen oder anderen die Euro-Zeichen im Auge flackern, ist mehr als verständlich.

Um bei dem Antrag der Grünen zu bleiben: Damit haben wir einen Rundumschlag, der aus dem Flughafengebäude nun auch wirklich alles machen will, was wir irgendwie in einen Topf werfen können – mit den großen Buzzwords der Kreativkulturszene. Mir kam es so vor, als hätte da jemand ein wenig Richard Florida gelesen. Das ist der US-Ökonom, der als Politikberater mit der kreativen Klasse vom „Guardian“ für den Rückgang von Großbritanniens Industriesektor um 30 Prozent mitverantwortlich gemacht wurde. Aber vielleicht hat sich der Antragsteller in dem Moment auch gedacht: Wir bauen das mal alles in einen Antrag ein und helfen damit der kreativen Stadt noch einmal auf die Sprünge! – Das ist ja grundsätzlich kein schlechtes Ansinnen.

Uns kam parallel zu diesem Antrag der Sachstandsbericht des Runden Tisches „Historische Markierung Tempelhofer Feld“ – Drucksache 17/2354 – zur Kenntnis. Vielleicht baut der Antrag ja auch auf den Ergebnissen des Runden Tisches auf. Das müsste man noch mal vergleichen, und das werden wir auch im Ausschuss noch mal genau zu besprechen haben. Aber obwohl sich die Grünen sonst immer zu Recht skeptisch gegenüber stadtentwicklungspolitischen Großprojekten äußern, bauen sie im vorliegenden Antrag genau die Bausteine ein, die sie sonst immer bei der Koalition kritisieren.

[Torsten Schneider (SPD): Aha!]

Wenn ich in einem einzigen Satz zu den Nutzungsmöglichkeiten lese: Räume für Kulturproduktion, Museen und temporäre Ausstellungsflächen, Künstlerateliers, Angebote kultureller Bildung, Film- und Tonstudios, Start-ups

(Stefan Evers)

oder Forschungseinrichtungen –, dann klingt das alles ganz toll. Es klingt auch nach Synergien oder aber nach Buzzword-Bingo, denn es soll ja auch noch Urban Gardening und einen hoffentlich presserelevanten Titel mit den „Hängenden Gärten von Tempelhof“ geben, und es soll natürlich auch noch alles energetisch saniert werden. Koste es, was es wolle! Aber daran hat der Antrag nicht gedacht. Warum soll jetzt in einem Großprojekt eine so subsidiär aufgebaute Struktur, die von Nischen, Netzwerken und einer nicht planbaren Dynamik lebt, zentralisiert werden?

Dann zum Ablauf: Auch hier soll das alles irgendwie passieren. Natürlich will der Antrag die Nutzung auf „irgendwie kreativ“ ummünzen, wobei Events nicht dazugehören. Es soll auch alles umgebaut, saniert und infrastrukturell ausgestattet werden. Aber unter welcher weiteren Nutzung von Events, die irgendwie Geld einbringen, soll das geschehen, wobei die Eventnutzung nur als notwendiges Übel betrachtet wird? Natürlich sollen private Akteure und Akteurinnen eingebunden werden, gleichzeitig aber alles möglichst in öffentlicher Hand bleiben.

Mein größtes Problem mit dem Antrag ist aber etwas anderes: Liebe Grüne! Ihre schreibt auch hier wieder etwas von einem partizipativen Verfahren, in dem am Flughafen alles stattfinden soll. Bürger und Bürgerinnen sollen möglichst in jeden Schritt eingebunden werden. Aber – das finde ich jetzt ein bisschen typisch Grün – jeder Schritt, wie alles ablaufen soll und wo es hinführen soll, ist im Antrag schon vorgegeben. Das ist natürlich keine offene Diskussionskultur, wie wir Piraten sie uns vorstellen. Wir wollen Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung. Eigentlich wissen es die Grünen jetzt schon besser, was die Bürger und Bürgerinnen wollen. Ich finde das schade. Das geht aus unserer Sicht so nicht.

Dabei bringt der Antrag an einigen Punkten durchaus richtige Argumente. Natürlich gehört das Gebäude in die öffentliche Hand und sollte nicht für private Investoren zum Abschuss freigegeben werden, sonst steht da am Ende wieder eine Shoppingmall. Natürlich gehört zu diesem Gebäude auch fiskale Transparenz und gehören Unterhalts- und Instandsetzungskosten komplett offengelegt. Natürlich ist das Gebäude von besonderer architektonischer und kultureller Wertigkeit. Aber so, wie es der Antrag jetzt aufgreift, bin ich mir noch nicht so sicher, ob es lediglich dem Aufzählen von Buzzwords dient, um hier ein wohlig warmes Gefühl zu vermitteln oder – wie der Kollege Brauer vermutet – um in TempelhofSchöneberg schön dazustehen. Das will ich hier einmal dahingestellt sein lassen.

[Antje Kapek (GRÜNE): Der Bezirk hat mit dem Gebäude gar nicht zu tun!]

Dass Bürgerbeteiligung wichtig genommen wird, wenn ganz heimlich vielleicht längst schon feststeht, dass alles genau geplant ist, wie es im Antrag steht, sehe ich hier nicht. – Danke!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Kollege Magalski! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Zu dem Antrag Drucksache 17/2343 wird die Überweisung federführend an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten und mitberatend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, an den Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so

[Wolfgang Brauer (LINKE): Ja, gern!]

mit dem Einverständnis des Kollegen Brauer! – Danke!

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Fraktion Die Linke

Vom organisatorischen Chaos ins finanzielle Desaster? – Transparenz über den wirtschaftlichen Schaden für das Land Berlin durch Vergabepraxis des LAGeSo herstellen

Dringlicher Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/2362

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Es beginnt in der Beratung die Fraktion Die Linke. Frau Kollegin Breitenbach hat das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der externen Wirtschaftsprüfer, die das Verwaltungshandeln bei der Unterbringung von Flüchtlingen untersucht haben, liegen nun vor. Sie sind erschreckend. Wir reden seit Oktober 2012 über die desaströse Lage bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Es ging und geht dabei um Intransparenz, um fehlende Wirtschaftlichkeit, um horrende Kosten und um fehlendes Controlling.

Nicht nur die Oppositionsfraktionen haben dies angesprochen, sondern es wurde sehr konkret von dem Flüchtlingsrat und den verschiedenen Unterstützergruppen untermauert. Viele dieser Hinweise tauchen jetzt in diesem Bericht auf. Sie haben sich nicht nur bewahrheitet, es ist noch viel schlimmer als gedacht.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es gab keine Vergabeverfahren, unübersichtliche und lückenhafte Aktenführung, fehlende Verträge, Doppelzahlungen, ominöse Zuschüsse an ominöse Betreiber und

(Philipp Magalski)

keine Kontrolle, auch keine Kontrollen der Fachaufsicht, was Herr Czaja vorhin ganz anders gesehen hat.

Dieser Senat und diese Koalition haben die ganze Misere von Anfang an laufen lassen. Sie haben keine Vorsorge getroffen, obwohl alle in dieser Welt wussten, dass die Anzahl der Flüchtlinge zunimmt. Nur Sie haben von nichts gewusst. Jetzt steht es genau in diesem Bericht. Es wird Ihnen attestiert, dass Sie versagt haben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Mit diesem Zuschauen, mit diesem Nichthandeln waren Sie es letztlich, lieber Herr Czaja und liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die dieses lukrative Geschäftsmodell vorangetrieben haben, mit dem sich aus der Not der Menschen viel Geld machen lässt. Sie haben damit im Übrigen die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung hochgetrieben. Auch das zeigt der Bericht.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

In all Ihrer Tatenlosigkeit haben wir heute im Ergebnis immer noch keine Unterkünfte und Wohnungen für Flüchtlinge – also nicht ausreichend –, dafür sind aber unkontrolliert einmal wieder Millionen Euro in diesem Land geflossen, dieses Mal in Unternehmenstaschen. So stellt sich jetzt die Frage nicht mehr, ob ein wirtschaftlicher Schaden entstanden, sondern es stellt sich die Frage, wie hoch dieser Schaden ist.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Auf diese Fragen, Herr Czaja, möchten wir Antworten. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. Wir fordern den Senat auf, eine detaillierte Auflistung der finanziellen Schäden für das Land vorzulegen. Dabei wollen wir, dass Sie aufzeigen, in welcher Frist Sie von welchem Betreiber welche Summe warum zurückfordern.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

In vielen Fällen lässt sich der Schaden schon jetzt beziffern, nämlich dort, wo Überzahlungen nicht zurückgefordert wurden, wo überteuerte Leistungen wissentlich gezahlt wurden, wo Doppelzahlungen nicht korrigiert, wo Rückforderungen gar nicht erst erhoben oder Verträge angepasst wurden. Das ist aber noch nicht alles. Es gab – das hatte ich schon gesagt – in keinem Fall eine Ausschreibung. Auch dadurch ist vermutlich wirtschaftlicher Schaden entstanden. Den Schaden könnte man schätzen, indem man retroperspektiv Alternativangebote simuliert. Wer den Bericht und die Anlagen gelesen hat, weiß, dass genau dies notwendig ist. Dazu, Herr Czaja, möchten wir von Ihnen etwas hören. Wir möchten sogar, dass Sie diese Untersuchung durchführen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]