Protokoll der Sitzung vom 14.01.2016

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings auch von uns, dass wir jene Probleme lösen, die den Grünen, Linken und Piraten nicht als drängendste erscheinen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns zu Recht, dass wir eine verlässliche und langfristige Politik machen. Deshalb haben wir heute das Thema „Perspektiven für die BVG: Investitionen in den ÖPNV“ auf die Tagesordnung gesetzt. Es geht schlichtweg um nichts weniger als die Mobilität aller Menschen in unserer Stadt. Und auch diese Herausforderung gehen wir an.

Die BVG ist mit über 12 000 Mitarbeitern das größte landeseigene Unternehmen. Im letzten Jahr wurde der milliardste Fahrgast gezählt. Sie hat 10 U-Bahn-Linien, 22 Straßenbahnlinien, mehr als 150 Buslinien, dazu noch die Nachtbuslinien. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass sich die Aufgaben der BVG als Mammutaufgaben darstellen. Die BVG ist ein kommunales Unter

nehmen, das bundesweit seinesgleichen sucht, was Leistung und Dimension seines Angebots betrifft. Und gemessen am Betrieb und der Zuverlässigkeit muss ich feststellen, dass sie dieser Aufgabe gerecht wird. Trotz der Schwierigkeiten, die sich ergeben, bietet sie anerkannte zuverlässige Mobilität zu sozial verträglichen Preisen. Damit unterscheidet sie sich auch von der SBahn. Von einer BVG-Krise war weit und breit nichts zu hören.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Abwarten!]

Sie hat das vertraglich vereinbarte Niveau bei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit durchgehend eingehalten.

Ich glaube, ich spreche für die Kolleginnen und Kollegen, wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVG großen Dank ausspreche.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Die Beschäftigten haben eine hervorragende Arbeit gemacht. – Ohne Ihre Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der BVG, könnten wir keine leistungsstarke, kostengünstige, umweltfreundliche Mobilität in dieser Stadt anbieten.

Dennoch steht es mit der BVG – das sei nicht zu verhehlen – nicht zum Besten. Wie jedes Unternehmen braucht die BVG Investition. Sie konnten kürzlich die Zahlen lesen: die U-Bahn-Wagen im Kleinprofil sind 27 Jahre alt, im Großprofil sind sie 29 Jahre alt. Vorsichtig gesagt haben sie die beste Zeit schon hinter sich. Kaufmännisch: Sie sind wartungsintensiv und damit unwirtschaftlich.

[Joachim Esser (GRÜNE): Wie bei der S-Bahn!]

Wie wir wissen, geht es hier nicht nur um Investitionen, um Aufrechterhaltung des Bestands, sondern natürlich auch um die Herausforderung: Berlin wächst, und die wachsende Stadt hat in den letzten drei Jahren 175 000 Menschen aufgenommen. Wenn man über wachsende Stadt spricht, muss eines klar sein, dass es eben nicht nur um Wohnraum geht, es geht auch um ein mitwachsendes Mobilitätsangebot für unsere Stadt. Die Menschen kommen in unsere Stadt, nicht nur weil sie hier wohnen, sondern weil sie hier auch Arbeit finden und weil sie in der Metropole ein vielfältiges Mobilitätsangebot haben. Unternehmerisch gesprochen: Mobilität ist ein weicher Standortfaktor, und wir haben ein gutes Mobilitätsangebot.

Wenn wir den Bevölkerungsprognosen Glauben schenken dürfen, dann wird sich dieser Wachstumstrend weiterentwickeln. Mittelfristig rechnen wir mit 250 000 Menschen zusätzlich in dieser Stadt. Was folgt daraus für die BVG? – Erstens kann es nicht nur um die Erneuerung des Bestands gehen, sondern wir müssen auch eine Angebotserweiterung formulieren. Die U 5 wird verlängert, wir wollen das Straßenbahnnetz westwärts aufbauen, die Lücken im Osten schließen, wir wollen Taktverdichtung.

(Präsident Ralf Wieland)

Außerdem brauchen wir zur Hauptverkehrszeit mehr Wagen, denn die Berlinerinnen und Berliner wollen eine angenehme Fahrt haben, und wer die Zustände in den Hauptverkehrszeiten kennt, wird feststellen, es ist sehr beengt.

Als Verkehrspolitiker muss ich an dieser Stelle feststellen, was die Auslastung der Fahrzeuge betrifft, ist die BVG am Limit, und wir brauchen dringend neue Spielräume. Einerseits machen wir das mit SIWA – hier werden neue U-Bahn-Wagen angeschafft. Andererseits soll mit der Beschaffungsgesellschaft der Weg in die kontinuierliche Bestellung und Inbetriebnahme gegangen werden. Das ist Ausdruck einer umsichtigen Politik aus Konsolidieren und Investieren.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Und das alles vor dem Hintergrund der Schuldenbremse.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Senat und BVG wollen insgesamt – Herr Esser hören Sie zu! – 3 Milliarden Mark in die Neubeschaffung von Fahrzeugen investieren.

[Daniel Buchholz (SPD): Mark? – Euro! – Weitere Zurufe]

Entschuldigung! Euro!

[Allgemeine Heiterkeit – Steffen Zillich (LINKE): Ist gut, dann zahlen wir nur die Hälfte!]

Damit schaffen wir es, der wachsenden Stadt gerecht zu werden. So können wir den Berlinerinnen und Berlinern zuverlässige und gute Mobilität zur Verfügung stellen. Ich finde, das ist sehr wichtig, und sowohl der Haushaltsgesetzgeber als auch die BVG werden ihre Beiträge zur Finanzierung der Investitionen, aber auch zur Konsolidierung und zum Schuldenabbau beitragen. Von diesem Leistungsbeitrag der BVG muss klar sein: Das geht hauptsächlich über neue Fahrgäste, über mehr Fahrgäste.

Mit der Konstruktion der Tochtergesellschaft für Beschaffung stellen wir auch sicher, dass die dringend notwendigen Investitionen tatsächlich kommen und nicht durch die Schuldenbremse ausgebremst werden. Das ist eine politische Lösung, die ich richtig finde, und ich denke, das zweite Signal ist auch noch mal hervorzuheben: Der Verkehrsvertrag der BVG mit dem Land Berlin soll 2020 auslaufen. Ich denke, es ist klar, dass wir ihn verlängern wollen. Eine Privatisierung der BVG kommt mit uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht in Frage.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Hören Sie zu! – Vielmehr bieten sich zunehmend neue Optionen der Beteiligung der BVG an der Ausschreibung der S-Bahnteilnetze Nord-Süd und Stadtbahn – auch das

ist eine Option, die wir damit eröffnen. Die Senatoren Geisel und Kollatz-Ahnen haben mit einer Absichtserklärung die Verlängerung des Verkehrsvertrags in Aussicht gestellt, und damit bekennt sich auch der Senat dazu, dass er den Vertrag bis 2035 verlängern will. Das schafft für die BVG Handlungssicherheit; damit sichern wir bei den Kolleginnen und Kollegen Arbeitsplätze. Das ist ein gutes Signal für die BVG, und das muss man hier auch noch mal deutlich anerkennen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Schließlich will ich Ihnen fünf Herausforderungen benennen, die längerfristiger Natur sind; erstens die Umsetzung des inklusiven Gedankens: Das meint das zuverlässige Funktionieren von Rolltreppen, Aufzügen, das ZweiSinne-Prinzip bei Orientierungshilfen wie auch die konsequente Umsetzung beispielsweise des Pilotprojekts „Sprechender Bus“. Hier liegen uns Abgeordneten weder Ergebnis geschweige denn Konzeption dieses Feldversuchs vor, und an den letzten Feldversuch der BVG können wir uns ja alle noch erinnern: Das war das Kneeling.

Zweitens, die Beschleunigung von Bus und Bahn: Die ÖPNV wird neue Fahrgäste anziehen und attraktiv sein, wenn er zu Qualitätsvorteilen gegenüber anderen Verkehrsarten kommt. Die schnelle Verbindung von A nach B ist eines dieser Qualitätskriterien. Wir müssen Busse und Bahnen beschleunigen. Das liegt nicht ausschließlich in der Verantwortung der BVG; auch wir müssen hierfür bei der Verkehrslenkung die Rahmenbedingungen dazu setzen.

Drittens: Wir Sozialdemokraten wollen gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Unternehmen. Es darf im Unternehmen keine Kollegen zweiter Klasse geben – gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wie belastbar diese Zahlen des Letters of Intent sind, muss sich dann noch zeigen, wenn wir bei Arbeitnehmervertretungen höhere Lohnentwicklungen erkämpfen müssen.

Viertens: Wir brauchen eine Kostenstruktur bei der BVG, die es uns ermöglicht, einen preiswerten und sozialverträglichen ÖPNV anzubieten. Preistreibende Spielchen wie das Cross-Border-Leasing müssen ein für alle Mal der Vergangenheit angehören; das darf nie wieder passieren – eine Beschaffungsgesellschaft ist keine Risikokapitalgesellschaft. Die Fahrpreise müssen bezahlbar bleiben.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Fünftens: Die beschriebenen Leistungszuwächse von 8 Prozent müssen sich so verteilen, dass die Fahrgäste tatsächlich ein besseres Angebot haben. Es lohnt sich nicht, nachts leere U-Bahnen im Fünf-Minuten-Takt fah

ren zu lassen, sondern wir wollen die Leistungszuwächse in Form von Fahrzeugverlängerung, Streckenneubau, Taktverdichtung auch bei den Berlinerinnen und Berlinern erreichen; das muss tatsächlich dort ankommen. Einschränkungen, auch von Buslinien wie in der Vergangenheit, müssen vor diesem Hintergrund noch mal überprüft werden.

Sechstens, Innovation: Die BVG ist als größtes kommunales Verkehrsunternehmen auch Vorantreiber und Motor von Innovationen. Solche Dinge wie mit dem digitalen Fahrausweis, die wir in den letzten Wochen lesen mussten – dass dort entscheidende datenschutzrechtliche Bedingungen nicht eingehalten worden sind –, möchte ich tatsächlich nicht mehr erleben.

Sie sehen: Auch mit der neuen Strategie des Senats mit der BVG ist unsere parlamentarische Arbeit als Gesetzgeber, als Haushaltsgesetzgeber und als Kontrollorgan gefordert. Ich würde mir wünschen, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition sich dieser Aufgabe aufnehmen und nicht im Klein-Klein der Nörgelei, der üblichen Spielchen verharren. Das wäre ein Wunsch von mir an Sie. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Grünen jetzt der Kollege Gelbhaar. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Busse und Bahnen bringen Berlin zum Pulsieren. Der Nahverkehr ist ein Schlüssel für die Verkehrswende hin zu Fahrrad, Bus und Bahn. Als bündnisgrüne Partei stehen wir für die Verkehrswende, denn ohne die Verkehrswende werden wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Die Verkehrswende passiert aber nicht von selbst. Die Fragen „Wie kommen wir zu einem schnellen, verlässlichen ÖPNV?“, „Wie zu angemessenen Fahrpreisen?“, „Wie schaffen wir es, Bus und Bahn ökologisch weiterzuentwickeln?“ sind wichtig, und da erwarte ich heute vom Senat auch Antworten. Umsichtige Politik, Herr Kreins, sieht nämlich ganz anders aus. Beim Senat ist das Thema Busse und Bahnen im letzten Jahr nicht auf der Tagesordnung gewesen; Initiativen oder Ideen haben wir nicht wahrnehmen können. Das muss sich ändern, und deswegen ist es auch wichtig, die Zukunft des Nahverkehrs im Parlament zu thematisieren.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Aber – Herr Kreins hat es selbst schon angesprochen, und Herr Lenz von der CDU hat gestern im EuropaAusschuss eine brennende Rede dafür gehalten, was eigentlich das Thema heute hätte sein müssen: Dass sich SPD und CDU heute wegducken beim Thema Geflüchtete und LAGeSo, habe ich eigentlich schon erwartet. Sie trauen sich nicht mehr, das hier anzusprechen, denn Sie haben die Sorge, dass Ihnen hier bei diesem Thema live die Koalition auseinanderbricht. Trotzdem, das ist feige, denn das ist das Thema der Stadt aktuell.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dass SPD und CDU sich auch nicht trauen, dass Thema Bürgerämter anzusprechen, ist auch klar: Die Bilanz ist einfach zu schmählich. Aber dass Sie beim Thema Zukunft von Bussen und Bahnen das Thema S-Bahn ausblenden – Herr Kreins, liebe SPD, liebe CDU –, das ist schon ein dickes Ding. Herr Kreins hat im letzten Verkehrsausschuss einmal verschämt nachgefragt, was denn die S-Bahn nun künftig kostet. Ich hätte erwartet – nein, ich erwarte –, Herr Senator Geisel, dass Sie heute hier diesen Vertragsabschluss endlich verteidigen, den Sie unter Umgehung des Parlaments herbeigeführt haben, und dass Sie nun endlich erklären, warum und wie viel das alles so teurer wird! Ich finde, das sind Sie dem Parlament schuldig, hier endlich Transparenz herbeizuführen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und genauso erwarte ich, dass Sie endlich erklären, warum die S-Bahn immer noch mit Atomstrom und mit Kohlestrom fährt, wie endlich der Umstieg auf die erneuerbaren Energien erfolgen soll und wie wir in den nächsten acht Jahren ohne neue Züge auskommen sollen – dazu erwarte ich Antworten, Herr Senator!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]