Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0581
In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Abgeordnete Schmidberger, Sie haben das Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Berlin profitiert von den vielen Gästen aus aller Welt: mehr Vielfalt, mehr Einnahmen, mehr Jobs. Tourismus bedeutet aber auch zerbrochene Flaschen, grölende Junggesellenabschiede, laute Partys in Ferienwohnungen. Längst sind die negativen Auswirkungen eines ungesteuerten Tourismus in einigen Kiezen und Stadtteilen täglich spürbar. Als Anwohnerin im Kreuzberger Wrangelkiez weiß ich, wovon ich spreche. Mittlerweile fühlen sich nach aktuellen Umfragen z. B. in Mitte über 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner davon gestört. Ein weiterer negativer Effekt, der für die ganze Stadt starke Folgen hat, ist: Immer öfter ist zu beobachten, dass die touristische Infrastruktur die vielfältigen, kleinteiligen Kiez- und Gewerbestrukturen verdrängt. Es gibt aber auch Kieze, z. B. in den Randlagen, die sich mehr Touristen wünschen. Sie würden gerne zeigen, dass das echte Berlin eben nicht nur in Mitte und Prenzlauer Berg zu finden ist, sondern auch in den Außenbezirken mit ihren
Dieses ganze große Spannungsfeld darf nicht weiter ignoriert werden. Es braucht endlich neue Konzepte und eine klare Steuerung, um die Probleme anzugehen, aber auch, um die Chancen zu nutzen. Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb ein stadtverträgliches und nachhaltiges Tourismuskonzept vereinbart. Bereits im Frühjahr hat die zuständige Wirtschaftssenatorin die Schritte eingeleitet, und mit unserem Antrag heute formulieren wir noch mal konkrete Ziele dafür.
Wichtigstes Ziel für uns: Die Vielfalt in den Kiezen muss erhalten bleiben, und es braucht einen Interessenausgleich zwischen den Anwohnern, Anwohnerinnen, Gewerbetreibenden und Besuchern dort, wo der Tourismus die Berlinerinnen und Berliner vor Herausforderungen stellt oder sie sogar belastet. Ich glaube, nur so können wir den steigenden Akzeptanzverlust stoppen. Auch deshalb werden wir einen Bürger/-innen/beirat ins Leben rufen, der eine stärkere und kontinuierliche Beteiligung der Bevölkerung ermöglicht, auch um gemeinsame Lösungen zu Problemen in den Kiezen zu finden und so eine Art Frühwarnsystem für Konflikte zu schaffen. Gleiches gilt hier auch für die Bürgerinnen und Bürger der Außenkieze, die sich einbringen wollen, um für ihren Bezirk stärker zu werben. Denn es ist doch so: Die Berlinerinnen und Berliner wissen meistens am besten, was in ihren Kiezen abläuft. Greifen wir also auf ihr Wissen zurück und binden sie ein.
Reinickendorf ist nicht Kreuzberg und Neukölln nicht Zehlendorf – was wohl, glaube ich, alle im Raum sofort unterschreiben würden. Das muss in Zukunft auch für die Tourismuspolitik gelten. Wir brauchen also eine räumlich differenzierte Betrachtung der Stadt. Die einen haben mit den Folgen zu kämpfen, die anderen wünschen sich mehr Gäste. Die Bezirke sollen daher zukünftig stärker selber entscheiden können, zu welchen Maßnahmen und Projekten sie Geld ausgeben wollen. Auch das gehört für uns zu einer neuen Tourismuspolitik. Die Grundlage dafür ist aber, zunächst einmal zu verstehen, wie sich Touristinnen und Touristen in unserer Stadt bewegen und verteilen. Dazu zählen auch sogenannte Binnentouristen, z. B. Spandauer, die am Wochenende nach Köpenick an den Müggelsee fahren. Das Wissen um Besucherströme und Bewegungsmuster ist für die Steuerung eines stadtverträglichen Tourismus unerlässlich, denn so können wir die Bezirke gezielt und nicht wie bisher nach dem Gießkannenprinzip unterstützen. Unser Antrag fordert daher die erstmalige Einführung eines solchen umfassenden Tourismusmonitorings – ich finde, ein kleiner Meilenstein für Berlin.
Sie kennen vielleicht die Zahlen. Anfang der 2000er zählte Berlin etwa elf Millionen Übernachtungen. Heute liegen wir bei über 31 Millionen. Im gleichen Zeitraum
hat sich die Anzahl der Betten auf rund 140 000 mehr als verdoppelt. Wo und in welchem Umfang sind dabei neue Hotels entstanden? – Das hat sich nicht am Bedarf ausgerichtet, es wurde einfach dem Markt überlassen. Und heute sehen wir ja, wohin das führt. Dabei ist eine stadtentwicklungspolitische Steuerung mehr als überfällig und in manchen Kiezen leider auch fast schon zu spät. Gerade größere Hostels haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihre Nachbarschaft, insbesondere wenn sie in Wohngegenden entstehen. Umliegende Geschäfte richten ihr Angebot auf die neue Kundschaft aus. Es gibt Souvenirs statt Obst und Gemüse, die Gewerbemieten steigen. Der An- und Abreiseverkehr nimmt zu. Diese Entwicklungen sind seit Jahren in den angesagten Kiezen unserer Stadt zu beobachten, und genau dort sollen in den nächsten Jahren weitere neue Bettenburgen entstehen. Deshalb ist es umso dringender, dass wir mit unserem Antrag heute die Erstellung eines stadtweiten Hotelentwicklungsplans auf den Weg bringen.
Ich persönlich, vielleicht geht es einigen so, liebe Berlin auch, weil es manchmal laut und dreckig sein darf. Aber umso mehr spielt auch das Thema saubere Stadt eine zentrale Rolle. Insbesondere die touristisch stark beanspruchten Bezirke sollten dabei mehr unterstützt werden und die BSR an Hotspots häufiger zum Einsatz kommen. Nicht zuletzt brauchen wir auch ein anderes Image der Stadt. Hier wird Berlin gefragt. Wir wollen die Neuausrichtung des touristischen Marketings. Denn Berlin ist so viel mehr als der Ballermann an der Spree, wo das Bier billig und scheinbar alles egal ist.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung zum ICC machen. Wir wollen das ICC als Messe- und Kongressstandort wiederbeleben, denn auch diese Art von Tourismus tut der Stadt gut. Allerdings – und da gucke ich in Richtung der CDU – nicht irgendwie und Hauptsache schnell, sondern auf Grundlage eines langfristig tragbaren Konzepts als Kongressstandort, denn Shoppingcenter haben wir in dieser Stadt genug.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fordern hier heute nicht weniger als eine umfassende Neuausrichtung des Stadttourismus. Dafür muss er endlich als Querschnittsaufgabe angepackt werden. Unser Antrag hier formuliert da wichtige Leitlinien. Entscheidend wird aber am Ende sein, eine neue Tourismuspolitik nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch umzusetzen. Dafür wird es höchste Zeit. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schmidberger! In der Tat glauben wir auch, dass es in einem Berliner Tourismuskonzept, auch wenn es den Senat im Moment offensichtlich nicht ganz so interessiert wie uns, darum gehen muss, auch in Teilen mit dem Tourismus in der Stadt anders umzugehen. Dennoch, wir haben das in der letzten Legislaturperiode schon begonnen, ich fand den Dialog übrigens sehr wohltuend, der insbesondere durch Herrn Bunde und die damalige Wirtschaftssenatorin gemeinsam initiiert wurde, mit den Bezirken, mit Visit Berlin darüber zu sprechen, wo Bedarf anderer Steuerung an der einen oder anderen Stelle ist. Das ist alles richtig.
Was ich dann allerdings umso bemerkenswerter finde an Ihrem Antrag – es sind ja sehr viele Punkte –, ist beispielsweise ein Punkt, der an den Anfang des Antrags gehört hätte: Die Entwicklung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor Berlins soll fortgeführt werden und die Position Berlins als internationales Reiseziel für Kongresstouristen und -touristinnen weiterentwickelt und ausgebaut werden. Das gehörte eigentlich an den Anfang gestellt, weil man möglicherweise bei dem Antrag den Eindruck gewinnen könnte, dass Sie das in Zukunft nicht mehr wollen. Dass aber gerade die Koalitionsfraktionen dann in der zweiten Lesung des Haushalts am Montag im Wirtschaftsausschuss die Frage der Sanierung des Internationalen Kongresszentrums infrage stellen, ist doch – ehrlich gesagt – unglaubwürdig. Insofern dient dieser Antrag ausschließlich als Schaufensterantrag dazu zu sagen: Es sollen weniger Menschen in die Stadt kommen. Sie wünschen sich ja auch, dass weniger Menschen herziehen. Ich hoffe jedenfalls im Sinne Berlins, dass es Ihnen nicht gelingen wird.
Und dann kommt noch ein bemerkenswerter Abschnitt, wo ich ehrlich sagen muss, Sie haben mit der Grundintention – ich wiederhole mich da auch gern – recht. Aber wenn gerade die Koalitionsfraktionen sagen, die touristische Infrastruktur und das Wegeleitsystem und Hotelleitsystem werden weiter stadtweit ausgebaut: Hierzu gehören unter anderem Toiletten und Sitzgelegenheiten. Dass Sie gerade das gut funktionierende System der werbefinanzierten Toilettenanlagen in Berlin abschaffen und Dixi-Toiletten hinstellen wollen, ist doch ein Witz, dass Sie das in dem Antrag auch noch erwähnen!
Hier gibt es schon viel Widerspruch, auch aus MarzahnHellersdorf. – Herr Gräff! Woher nehmen Sie die Unterstellung, dass wir Dixi-Toiletten aufstellen wollen?
Ich weiß gar nicht, wie Sie mit einem weiteren Kombinatsbetrieb innerhalb von einem Jahr sämtliche öffentlichen Toiletten aufstellen wollen, die andere gar nicht produzieren können. Ist doch Quatsch!
Insofern ja, über stadtverträglichen Tourismus sprechen sehr gerne. Ich glaube nicht, das zeigt ja auch die Teilnahme an dieser Diskussion vonseiten des Senats, dass das mit Ihrem Senat gelingen wird. Vielleicht versuchen wir es ja in anderer Konstellation. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie wir alle wissen, hat sich der Tourismus in Berlin in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten sehr gut entwickelt. Seinerzeit hatte Berlin gut drei Millionen Gäste jährlich. Im vergangenen Jahr waren es 12,7 Millionen. Die Schallmauer von 30 Millionen Übernachtungen wurde durchbrochen. Das ist eine Vervierfachung und zeigt die wirtschaftliche Bedeutung und das Wachstumspotenzial des Tourismus.
Allerdings hat diese Entwicklung nicht nur positive Folgen für die Wirtschaft, den Haushalt und die Entwicklung des Arbeitsmarkts. Vielmehr nehmen auch Klagen aus
der Bevölkerung zu – Klagen, die zu Recht Auswüchse beanstanden, die dem Lebensgefüge Berlins Schaden zufügen. Anwohnerinnen und Anwohner beklagen kontinuierliche Lärmbelastungen, die durch Partydauerstandorte im öffentlichen Raum entstehen. Das bekannteste Beispiel ist die Admiralbrücke in Kreuzberg. Aber auch die Zweckentfremdung von Wohnraum für private Ferienwohnungen muss zu solchen unerwünschten Begleiteffekten gezählt werden. Solche Entwicklungen werden in ihrer Summe zu einem Akzeptanzverlust des Tourismus unter den Berlinerinnen und Berlinern beitragen, ein Akzeptanzverlust, der einerseits die touristische Entwicklung selbst beschädigt und andererseits zu einer Entfremdung zwischen Bürgern und ihrer Stadt führt. In Barcelona etwa ist dies bereits der Fall. Deshalb halte ich es für wichtig, dass die stadträumliche Alltagserfahrung von einer positiven Grundstimmung durchzogen ist, dass die Berlinerinnen und Berliner stolz auf ihre Stadt sind und den Tourismus als eine Bereicherung empfinden.
Bereits 2004 hat das Abgeordnetenhaus auf Initiative der SPD-Fraktion den Senat aufgefordert, für die Hauptstadtregion Berlin ein Tourismuskonzept zu erstellen. Der Senat hat das seinerzeit umgesetzt und damit einen wesentlichen Beitrag zur der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich geleistet. Dieses Konzept muss auf eine neue Stufe gehoben werden, um die gute wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu gestalten, zu festigen und gleichzeitig die Förderung des Tourismus weiter voranzutreiben. Dazu ist es aber notwendig, die sichtbar werdenden tourismusindizierten Friktionen im Lebensgefühl der Berlinerinnen und Berliner ernst zu nehmen und ein sozial- und stadtraumverträgliches Gesamtkonzept vorzulegen. Ohne die Berlinerinnen und Berliner kann es keine nachhaltige touristische Entwicklung geben!
Daher soll das Konzept eine stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Anwohnerinnen und Anwohner vorsehen. An touristischen Schwerpunkten sollen Lärmemissionen insgesamt verringert werden. Der Zweckentfremdung von Wohnraum ist entgegenzutreten. Die Sicherung bezahlbaren Wohnraums darf keinem Tourismus um jeden Preis zum Opfer fallen!
Nicht nur Berlins Innenstadtbezirke haben viel zu bieten. Daher ist es wichtig, auch die Highlights in den Außenbezirken stärker zu bewerben. Notwendig hierfür ist ein umfassendes Tourismusmonitoring, das die Besucherströme erfasst und es so ermöglicht, steuernd einzugreifen. Die Steuerungsinstrumente reichen von einem stadtweiten Hotelentwicklungsplan über ein Konzept für tourismusindizierte Mobilität bis hin zu – ja, Herr Gräff – einem Ausbau von Toiletten und Sitzgelegenheiten sowie einem Wegeleitsystem. Die Bezirke sollen Tourismusbeauftragte einsetzen können, und bezirkliche Tourismusvereine sollen einbezogen werden.
Der Kerngedanke ist die Stadtverträglichkeit der weiteren touristischen Entwicklung, denn ohne eine Stadt, in der gelebt wird, gibt es auch keine Stadtkultur, an der viele Touristinnen und Touristen teilhaben möchten. Ich betone das, weil das offensichtlich nicht jedem einleuchtet. Der entsprechende Änderungsantrag der FDP-Fraktion steht ganz offensichtlich unter dem Leitgedanken eines totalen Tourismus ohne Rücksicht auf Verluste, eine reine Tonnenideologie.
mit dem täglichen Leben der Berliner in Berührung kommen und die wunderbare Vielfalt der Kieze... erleben.