Protokoll der Sitzung vom 11.01.2018

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 20. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste, Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich. – Es wäre erst einmal sehr angenehm, wenn der Lautstärkepegel etwas zurückgefahren werden könnte. Das gilt auch für die Senatsbank. – Allen, denen ich das noch nicht persönlich sagen konnte, wünsche ich ein gesundes neues Jahr, alles Gute und auf gute Zusammenarbeit in 2018.

Bevor ich zum weiteren Verfahrensablauf komme, möchte ich Frau Anja Kofbinger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch!

[Allgemeiner Beifall]

Dann habe ich zwei Mandatsänderungen in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bekanntzugeben: Frau Canan Bayram und Herr Stefan Gelbhaar haben ihr Abgeordnetenmandat mit Ablauf des 31. Dezember 2017 niedergelegt.

[Kurt Wansner (CDU): Ein Glück!]

Frau Daniela Billig ist mit Wirkung vom 5. Januar 2018 für Frau Canan Bayram nachgerückt. – Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Frau Nicole Ludwig ist ebenfalls mit Wirkung vom 5. Januar 2018 für Herrn Stefan Gelbhaar nachgerückt. – Erneut herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Sie kennen das Geschäft hier schon und können nahtlos anschließen.

Ich habe nun noch Geschäftliches mitzuteilen: Am Montag sind folgende sechs Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Entwicklungen im Justizvollzug“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Tage der offenen Tür in der Berliner Justiz – Berlin fehlt auch ein Justizsenator“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Entwicklungen im Justizvollzug“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Entwicklungen im Justizvollzug“

− Antrag der AfD-Fraktion zum Thema: „Endlich Konsequenzen ziehen aus der Kriminalitätsstatistik. Ausländische Straftäter abschieben!“

− Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Eine Milliarde mehr für den BER, kaum Personal in der Justiz – Herr Müller, nutzen Sie Ihre Richtlinienkompetenz richtig!“

Die Fraktionen haben sich auf die Behandlung des Antrags der Fraktion der CDU – „Tage der offenen Tür in der Berliner Justiz – Berlin fehlt auch ein Justizsenator“ verständigt, sodass ich dieses Thema gleich für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufe. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich mitteilen, dass keine dringlichen Tagesordnungspunkte vorliegen. Ich darf aber auf die Ihnen vorliegende Konsensliste hinweisen – und stelle fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. Die Konsensliste ist damit so angenommen.

Für die heutige Sitzung sind Herr Senator Dr. KollatzAhnen ganztägig und Frau Senatorin Lompscher ab 17.30 Uhr wegen eines Grußwortes beim Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg e. V. entschuldigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Tage der offenen Tür in der Berliner Justiz – Berlin fehlt auch ein Justizsenator

(auf Antrag der Fraktion der CDU)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. In der Runde der Fraktionen beginnt die CDU. – Herr Kollege Rissmann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vier Fraktionen haben für die heutige Aktuelle Stunde die Geschehnisse in der JVA Plötzensee seit dem 28. Dezember des letzten Jahres angemeldet. Auch die Sitzung des Rechtsausschusses gestern hat die Notwendigkeit der Anmeldung dieses Themas bestätigt. Der hollywoodreife Ausbruch aus der JVA Plötzensee und die nachfolgenden Verwirrungen um weitere entwichene Strafgefangene haben Berlin wieder einmal deutschland-, ja offenbar sogar europaweit bekannt gemacht, aber nicht so, wie wir es uns wünschen würden, im Sinne eines positiven Marketings, sondern ganz auf der Linie der bekannten Peinlichkeiten liegend, vom BER bis zur Landespolizeischule.

[Beifall bei der CDU]

Und dann haben wir einen Justizsenator, der nicht etwa sofort handelt, informiert und vor allem den Menschen das sichere Gefühl gibt, das sichere Vertrauen gibt, dass der Staat funktioniert, sondern es braucht erst einmal einige Zeit, bis endgültig klar ist, wie viele Strafgefangene eigentlich nun verschwunden sind, und dann wird relativiert, es handele sich ja nur um Ersatzfreiheitsstrafe, es seien nur Gefangene, die sowieso bald entlassen werden oder im offenen Vollzug sind. Ich muss Ihnen sagen, außerhalb von Kreuzberger grünen Basisgruppen versteht diese Logik kein Mensch.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Denn welche Funktion haben unsere Gefängnisse, wenn da scheinbar vieles, womöglich alles möglich ist, vom Aufflexen von Betonwänden durch Strafgefangene bis hin zu SMS-Nachrichten von verurteilten Mördern an Anstaltsleiter, man komme dann heute einfach mal nicht zurück in die JVA? Das ist ein verheerender Eindruck. Berlin bräuchte einen Justizsenator, der klar und unmissverständlich für die Durchsetzung, für die Vollstreckung und für den Vollzug von Recht steht, und nicht jemanden, der den Eindruck von Staatsversagen noch befördert.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Um die zu erwartenden weiteren Relativierungen zu antizipieren, will ich ganz klar sagen: Wir sind uns alle einig, dass es bei einem rechtsstaatlichen Strafvollzug, für den wir alle stehen, nie ganz auszuschließen ist, dass es zu Entweichungen kommt. Das gab es immer, und das wird es wohl auch in Zukunft leider geben – nicht nur in Berlin.

[Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Ein Justizsenator steht aber dann zu Recht unter Druck und seine Eignung für das Amt wird dann zu Recht infrage gestellt, wenn er mit solchen Vorkommnissen nicht offen und transparent umgeht oder Zweifel daran bestehen, dass er das richtige Problembewusstsein hat und daraus ableitend eben auch die richtigen Schwerpunkte setzt. Über die Informationspolitik des Senators, die mehr Fragen als Antworten hinterlässt, haben wir gestern im Rechtsausschuss nahezu drei Stunden geredet, und wir haben das Thema nicht abschließen können.

Über die falsche Schwerpunktsetzung haben wir in der letzten Plenarsitzung im Rahmen der Haushaltsberatungen sprechen müssen. Es bleibt dabei und es zeigt sich, dass Schweinemastbetriebe, Unisextoiletten,

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Das war eure Idee, mein lieber Herr Rissmann! Du hast ja dafür gestimmt!]

die Aushebelung der staatlichen Neutralität an unseren Schulen durch das von Herrn Behrendt geplante Erlauben des Tragens des islamischen Kopftuchs durch Lehrerinnen, der personal- und kostenintensive Aufbau der grünen

Fantasiebehörde namens Antidiskriminierung eben nicht die richtigen Schwerpunkte eines Justizsenators sind.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Anja Kofbinger (GRÜNE): Das ist ja herrlich! Die CDU beschließt Unisextoiletten, und dann … ! Großartig!]

Da wird versucht – und die Aufregung hier zu meiner Linken zeigt, dass das wohl stimmt –, einem ganz kleinen Teil der Bevölkerung, der fundamental grün eingestellt ist, einen Gefallen zu tun, etwas Schönes zu tun. Das objektiv Notwendige und das sachlich Gebotene ist es jedenfalls nicht.

[Carola Bluhm (LINKE): Was für ein einschläfernder Ton!]

Dann kommt ein bemerkenswerter Umstand dazu, der noch deutlicher macht, dass Herr Behrendt nicht der richtige Justizsenator ist: Seine Verteidigungsstrategie ist, zu vermitteln, dass eigentlich andere verantwortlich seien, nämlich seine Vorgänger.

[Georg Pazderski (AfD): Tja! – Anja Kofbinger (GRÜNE): Tja, so ist das!]

Er sagt, mit 249 Stellen – so die Behauptung von Herrn Behrendt – im gesamten Justizbereich sei der größte Personalaufwuchs seit der Wende erfolgt, und das sei natürlich nicht von allein gekommen, sondern weil er die Notwendigkeiten gesehen habe.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Dass Sie das endlich mal einsehen!]

Zu den Tatsachen: Im Justizvollzug baut der rot-rot-grüne Senat Stellen ab, und das ist für jeden unmittelbar prüfbar und nachlesbar. Jeder kann es nachlesen.

[Zuruf von der CDU: Hört, hört!]

Hier habe ich die Stellenübersicht zum Haushaltsplan 2018/19 – Einzelplan 06, Seite 411. Wenn Sie dort die Anzahl der ausgewiesenen Vollzeitäquivalente addieren, also der Mitarbeiter in den einzelnen Haftanstalten vom Kapitel 0661 bis zum Kapitel 0672, dann ergibt sich folgendes Bild – 2011: 2 846,87 Vollzeitäquivalente, also Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten, der Jugendstrafanstalt und der Jugendarrestanstalt. Das ist der Haushalt, den Behrendt von der großen Koalition übernommen hat. Dann kommt 2018, der Haushalt des Justizsenators, der behauptet, die Probleme erkannt und für Stellenaufwuchs gesorgt zu haben. 2018: 2 840,27 Vollzeitäquivalente, also Mitarbeiter. Das sind mehr als sechs Mitarbeiter weniger im Haushalt von Herrn Behrendt, und im Jahr 2019 sind es 2 841,27 Vollzeitäquivalente, also mehr als fünf Mitarbeiter weniger im Vergleich zum Jahr 2017.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Mehr als fünf, also sechs!]