Protokoll der Sitzung vom 22.03.2018

Viertes Gesetz zur Änderung der Bauordnung für Berlin

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wohnen vom 7. März 2018 Drucksache 18/0908

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/0011

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage und schlage vor, die Einzelberatungen der drei Artikel miteinander zu verbinden und höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 3, Drucksache 18/0011. In der Beratung beginnt die SPD-Fraktion. – Frau Kollegin Spranger! Bitte schön, Sie haben das Wort!

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der ursprüngliche, wesentliche Anlass für diese Novellierung war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2014 zum europäischen Bauproduktrecht. Daraus resultierte wiederum die Anpassung der Musterbauordnung, beschlossen auf der Bauministerkonferenz im Mai 2016, und nun folglich die Notwendigkeit der Anpassung der Berliner Bauordnung. Quasi im Vorgriff auf eine für die Zukunft angedachte größere Novelle hält die Koalition einige weitere Änderungen im Rahmen der jetzigen Novellierung für sinnvoll. Hierauf will ich ganz kurz eingehen.

Dazu gehört die Einführung eines Anzeigeverfahrens bzw. einer Genehmigungspflicht für die Beseitigung von Gebäuden mit Wohnraum. Hierdurch soll verhindert werden, dass Gebäude, insbesondere Wohnraum, abgerissen werden, ohne dass die zuständigen Behörden hiervon Kenntnis erlangen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Dazu gehört weiterhin die Verkürzung der Geltungsdauer von Baugenehmigungen. Eine Baugenehmigung erlischt, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren mit der Ausführung des Bauvorhabens begonnen wird – bisher sind es drei Jahre – oder das Bauvorhaben nicht nach Ablauf von sechs Jahren fertiggestellt ist – bisher waren es sieben Jahre.

Wir nehmen eine Verkürzung der Geltungsdauer von Vorbescheiden vor, nunmehr zwei Jahre, bisher drei Jahre, zudem nur noch zweimalige Verlängerungen um jeweils ein Jahr. Bisher gab es die unbegrenzte Verlängerung.

Wir gehen auch in die Förderung der Holzbauweise, denn Ziel ist die Förderung von Holzbauweisen unter Beachtung von – natürlich – brandschutzrechtlichen Anforderungen.

Und, wie vorhin schon gesagt, die Umsetzung der Seweso-III-Richtlinien, also der europarechtlichen Anpassungen, unter anderem die Klarstellung von Sicherheitsabständen zwischen den Gebäuden, die gefährliche Stoffe

(Andreas Wild)

beherbergen, und schutzwürdigen Gebäuden und Räumen. – Ich bedanke mich und bitte um Zustimmung!

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion Herr Kollege Gräff!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Änderung der Bauordnung – da muss man einmal grundsätzlich festhalten, wofür die Bauordnungen der Länder in Deutschland da sind. Da darf ich mal zitieren:

Ziel der Bauordnung ist es, Gefahr für Leib und Leben abzuwenden, Schäden an fremden Sachen zu vermeiden, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Qualitätsstandards zu setzen.

Ziel der Bauordnung ist es eben nicht, und das zeigt in diesem Fall, ehrlich gesagt, auch alleine das Verfahren, so viel wie möglich Politik in eine Bauordnung hineinzubringen. Das ist das Problem an Ihren Vorschlägen. Es ist einmalig und noch nicht vorgekommen, das mussten selbst die Koalitionsfraktionen bestätigen, dass die wesentlichen Verbände, die Unternehmen vertreten, die bauen sollen in dieser Stadt, zu dieser Bauordnung nicht angehört worden sind. Das ist ein einmaliger Vorgang.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Diejenigen, die bauen sollen in dieser Stadt, sagen, dass die Interpretationsspielräume – und da zitiere ich auch – zu „Kostenerhöhungen und einer hohen Unsicherheit in der Auslegung bei den bezirklichen Bauämtern“ führen werden. Schwarz auf weiß aufgeschrieben. Das sollte es Ihnen auf jeden Fall wert sein, noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie das wirklich hier so verabschieden wollen.

Die Senatorin hat sich gerade erst gestern im Ausschuss dafür feiern lassen, dass die Baugenehmigungszahlen in Berlin nur leicht gesunken sind, weil deutschlandweit die Baugenehmigungszahlen stark zurückgehen.

[Heiterkeit von Tim-Christopher Zeelen (CDU)]

Ja, das mag der Fall sein, aber gerade in den großen Städten und Metropolenräumen, und ich nehme mal das viel zitierte und bemühte Hamburg, steigen die Baugenehmigungszahlen, und zwar alleine in Hamburg auf über 8 Prozent mehr Baugenehmigungen 2017 zu 2016 – und die Senatorin feiert sich dafür, dass sie in Berlin leicht zurückgingen. Das ist die Realität – unfassbar.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Sie wollen tatsächlich eine Bauordnung beschließen, in der bei Ersatzneubau das bisherige Maß gewesen ist, dass man über den Vorgängerbau erhöhen kann. Das schließen Sie aus. In der Neuregelung für Baugenehmigungen bei Abriss, mit der selbst nach dem BBU, einem Verband, der Ihnen, zumindest in Teilen der SPD, sehr nahe steht, deutlich eine Überregulierung eingeführt wird, in der eben nicht nur die Seweso-Vorschriften einfach nur in Landesrecht umgesetzt werden, sondern Musterschwellenwerte für Neubau von 5 000 auf 2 500 Quadratmeter bei den Abstandsflächen eingeführt werden, völlig ohne Not, obwohl auch andere Stadtstaaten dieses anders regeln. Das gilt sowohl für die Genehmigungsfreistellung als auch für die Beteiligung der Nachbarn – lange Beteiligungsprozesse. Die Vorlage dieser Bauordnung ist ein Skandal.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Da kann man es sich am Ende des Tages ganz einfach machen und das Pressestatement der IHK Berlin, die Sie auch in vielen Teilen, in vielen Prozessen wohlwollend unterstützt, zitieren: „Neue Vorschriften“ – die Sie in der Bauordnung einführen – „bauen keine neuen Wohnungen“. Die Liste der Vorschriften und Verordnungen, die das Bauen in Berlin erschweren und unattraktiv machen, ist schon heute lang, vom eingeschränkten Dachgeschossausbau bis hin zu langwierigen, unsicheren Genehmigungs- und Beteiligungsprozessen. Aus Sicht der Berliner Wirtschaft und insbesondere der Bauwirtschaft ist es daher bei der anstehenden Beschlussfassung zur Novellierung der Berliner Bauordnung dringend geboten, Maß zu halten. Die Umsetzung von EU-Recht bei Baustoffen darf nicht zur weiteren Behinderung der dringenden notwendigen Bauaktivitäten in Berlin führen.

Brandenburg macht es Berlin vor, wie es geht: Dort steigt der Wohnungs- und Gewerbebau kräftig und zieht Investoren an. Es hat noch nie eine so politische Änderung der Bauordnung gegeben, wie Sie sie hier vorschlagen – obwohl Sie das Bauen beschleunigen wollen.

Der Regierende Bürgermeister ist gerade nicht im Raum. Ich zitiere den „Tagesspiegel“: Reißen Sie das Ruder an sich! Verhindern Sie, dass weniger gebaut wird in Berlin! Verhindern Sie diese Novellierung der Bauordnung, die Sie hier gerade vorschlagen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Herr Dr. Nelken das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

(Iris Spranger)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begeisterungswellen schlagen hoch, Herr Gräff, mit Ihrer Rede über den Skandal, was wir hier alles in der Bauordnung ändern – es entspricht nur nicht den Tatsachen. Außer der EU-Anpassung an diese Bauordnung, die 80, 85, vielleicht 90 Prozent der Änderung ausmachen, gibt es nur vier kleine Änderungen. Die sind von Frau Spranger dargestellt worden.

Wir pflügen also die Bauordnung nicht politisch um, wie Sie hier behaupten, sondern Sie machen ganz viel Wind, zitieren viele Zeitungen, setzen sich aber mit dem gar nicht auseinander, was hier geändert werden soll. Ich will jetzt nur auf zwei Punkte eingehen, weil wir ja die Fachdebatte im Ausschuss hatten. Da hatten ulkigerweise sowohl CDU als auch FDP, als es um die Verkürzung der Genehmigungsfristen ging, sogar Verständnis und sagten: Ja, dass mit Bauvorbescheiden und Baugenehmigungen spekuliert wird, ist nun auch nicht ganz so toll, weil ein Teil Ihrer Klientel aus der Bauwirtschaft auch davon geplagt ist und selbst Stellung dazu nimmt und sagt, dass Sie etwas gegen die Spekulation unternehmen sollen, weil bestimmte Bauwirtschafter überhaupt nicht mehr auf dem Baumarkt zum Zuge kommen. – Insofern haben Sie sich da etwas differenziert gezeigt.

Ich will nur noch auf einen Punkt eingehen, der mich jetzt wieder gewundert hat: Sie haben über etwas geredet, was so nicht in der Bauordnung steht und was so auch gar nicht geändert wird. Sie haben über den § 6 Abs. 9 geredet. Da wird ein kleiner Halbsatz an eine jetzige Regelung angehängt. Die jetzige Regelung besagt: Wenn Sie ein Gebäude abreißen und in der gleichen Kubatur neu bauen, dann ist das genehmigungsfähig, auch wenn die Abstandsflächen nicht eingehalten werden.

Das ist ein Ausnahmetatbestand. Normalerweise könnten Sie ein Gebäude in der Kubatur nicht bauen, aber es gibt eine Ausnahmeregelung, sozusagen so eine Art Bestandsschutz, und zwar einen sehr erweiterten Bestandsschutz, den es sonst nirgendwo gibt: Wenn etwas abgebaut wird, das nicht den Regeln entspricht, dann darf man es nicht neu bauen. In dem Fall darf man es, und es ist nur der Halbsatz herangehängt worden, dass nicht nur die Kubatur, sondern auch das Maß der Nutzung erhalten bleibt, so ein Bauwerk, was sonst nicht zu errichten ist.

Meine Damen und Herren von der CDU! Sagen Sie mir einmal: Warum soll man einen Bau ausnahmsweise in Abweichung von den normalen Regeln genehmigen, der nicht nur die Kubatur, sondern auch das Maß der Nutzung überschreitet? – Sagen Sie mir einen Grund dafür, warum man so mit einer Ausnahmegenehmigung umgehen soll! – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Gräff das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Nelken! Das ist ganz einfach: weil wir das Bauen dort, wo wir in Berlin können, einfacher und nicht komplizierter machen und mehr bauen müssen. Insofern ist die Bemerkung völlig einfach. Und wenn dort eine Wohneinheit oder mehrere Wohneinheiten gestanden haben, die dort hingepasst haben und genehmigt worden sind – Sie tun ja gerade so, als ob das Bauwerk nicht genehmigt worden ist; das ist mitnichten der Fall: Warum soll man es denn nicht in gleicher Kubatur wieder bauen können? – Das ist doch absurd, Ihre Argumentation, völlig absurd!

[Beifall bei der CDU]

Da Sie auf die anderen Punkte, die ich erwähnt habe, nicht eingegangen sind, gehe ich mal davon aus, dass die anderen Punkte stimmen. Sie haben aber noch einen hinzugefügt, das Thema Geltungsdauer. Da haben Sie in der Tat recht. Das ist eine Frage, über die man sehr, sehr intensiv und sicherlich auch mit großem Ernst diskutieren muss, weil uns alle in Berlin das Thema Spekulation umtreibt, und deswegen ist das, glaube ich, auch ein Punkt – das haben wir auch im Ausschuss deutlich gemacht –, dem wir zustimmen würden. Aber danke, dass Sie den Punkt noch einmal aufgeworfen haben!

Denn das bedingt ja auch etwas anderes: Wenn Sie das einführen und wir miteinander alle in diesem Punkt zumindest einig sind und das beschließen, bedingt das allerdings auch, dass die Geschwindigkeit beim Thema Baugenehmigung zunimmt, weil sonst in Berlin nämlich noch weniger gebaut wird. Und da bin ich mal sehr gespannt: Gestern haben Sie im Ausschuss gesagt, jetzt müssen wir erst einmal die bezirklichen Ämter – Hochbau, Facility-Management-Einheiten – untersuchen und das und dieses und jenes untersuchen. – Ich sehe nicht, dass Sie an einer einzigen Stelle in Berlin Bauen beschleunigen. Insofern ist auch die Verkürzung der Geltungsdauer eines Baubescheids und eines Bauvorbescheids ein Instrument, bei dem ich gespannt bin, welche Auswirkungen es auf die Baugenehmigungszahlen in Berlin haben wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Herr Dr. Nelken!

Sehr geehrter Herr Gräff! Wir haben gestern über die Organisationsänderung von Hochbauämtern gesprochen –

die genehmigen keinen Bau. Zweitens: Die Zahl der Baugenehmigungen stellt noch kein Haus her. Sie wissen genau – darüber wurde auch diskutiert: Es gibt ganz viele, viele Baugenehmigungen, aber viele werden nicht umgesetzt – nicht, weil irgendein böser Staat das verhindert, sondern weil derjenige, der einen Bauantrag stellt, sich mitunter die Sache anders überlegt.

Drittens: Was Sie gesagt haben, entspricht überhaupt nicht der Realität oder nicht mal dem Gesetz. – § 6 Abs. 9: Da geht es darum, dass Sie ein Haus – und zwar auf dem Ausnahmeweg – wiedererrichten können. Das ist ein Bestandsschutz für ein Haus, das wegfällt. – Das können Sie machen. Daran wird gar nichts geändert. Wo etwas geändert wird, ist, dass Sie diese Ausnahmegenehmigung missbrauchen, um an der gleichen Stelle ein neues Haus mit einem größeren Nutzungsmaß, nämlich in spekulativer Absicht, erstellen. Normalerweise dürften Sie da gar kein Haus hinstellen. – Das heißt, es heißt nur, einen Bestandsschutz dem Gesetz entsprechend auszugestalten und den Missbrauch des Gesetzes zu verhindern. Das ist das Eigentliche.

Und einen letzten Punkt sage ich Ihnen noch einmal, weil Sie das angesprochen haben, was hier gebaut wird: Wissen Sie, wie groß der Umsatz mit Immobilien in diesem Land ist? – Der Handelsumsatz ist irgendwie weit über 12 bis 15 Milliarden. Wissen Sie, für wie viel neu investiert wird? – In diesem Land dienen 80 Prozent des Volumens, das über den Markt abgewickelt wird, nicht dazu, Häuser zu bauen, sondern nur dazu, mit denen zu handeln.

[Christian Gräff (CDU): Das hat doch mit der Bauordnung nichts zu tun!]