Protocol of the Session on September 27, 2018

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(Thorsten Weiß)

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Simon das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag „Folgeprojekt zum Gutachten ‚Die Unterstützung pädophiler bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung‘: Vom Land Berlin unterstützten sexuellen Missbrauch endlich aufklären!“ Der Antrag trägt das Datum 18. Juli 2018. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat mit Pressemitteilung vom 17. September 2018 mitgeteilt, es sei ein Folgegutachten beauftragt worden. Da könnte man eigentlich sagen: Alles gut,

[Thorsten Weiß (AfD): Nein, eben nicht! – Zuruf von Melanie Kühnemann-Grunow (SPD)]

der Senat hat, wenn auch spät, endlich gehandelt! – Aber ich sage Ihnen: Er hat zu spät gehandelt, und es sieht schon so aus, als ob leider nur deshalb Schwung in die Arbeit des Senats gekommen ist, da die Presse keine Ruhe gegeben hat, Abgeordnete hier penetrant nachgefragt haben und nun auch ein Antrag ins Parlament eingebracht worden ist. Ich finde das beschämend!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Wie wenig Empathie haben die heute Handelnden, die heute Verantwortlichen! Wie wenig Stellenwert messen sie diesen unglaublichen Geschehnissen in der schon in den Sechziger- und Siebzigerjahre SPD-geführten Senatsverwaltung bei!

Am 2. Dezember 2016 schreibt der „Tagesspiegel“ unter anderem – ich zitiere, wenn ich darf –:

Die Senatorin wurde sehr deutlich. „Es war ein Verbrechen, Menschen in diese Obhut zu geben“, sagte Sandra Scheeres (SPD), verantwortlich für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Und: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass so etwas unter staatlicher Obhut passieren konnte.“

2. Dezember 2016! Deutliche Worte – Sie haben es in Ihrer Rede ja auch herausgestellt –, die gefallen sind, die angemessen und richtig sind. Am 17. September 2018, also fast zwei Jahre später, wurde endlich eine Konsequenz gezogen, wurde ein Auftrag erteilt. Ich erinnere mich noch an den Comic-Helden Lucky Luke, der Mann, der schneller schießt als sein Schatten. Die SPD-geführte Senatsverwaltung ist so langsam bei diesem Thema, dass der Schatten der Handelnden schon lange wieder weg ist, und bevor gehandelt worden ist, ist die Sonne schon über

600 Mal zwischen Aussage der Senatorin und Beauftragung der Universität Hildesheim untergegangen.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Gut ist aus Sicht der CDU-Fraktion das, was auch meine Vorrednerin herausgestellt hat, dass der Auftrag des Landes Berlin an die Universität Hildesheim – jedenfalls nach der Pressemitteilung des Senats – auch umfasst, Konsequenzen für die heutige Situation aufzuzeigen; auch eine Sache, die wir in dem Zusammenhang nicht vergessen dürfen.

Lassen Sie uns auch durch parlamentarische Diskussion, auch durch Kontrolle der Verwaltung, auch durch Herstellen von Öffentlichkeit gemeinsam verhindern, dass es jemals wieder zu staatlich organisiertem oder toleriertem und finanziertem Kindesmissbrauch kommen kann! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Kollegin Seidel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Simon! Bei dem, was Sie zuletzt gesagt haben, nehmen wir Sie beim Wort; das werden wir sicherlich alle miteinander so vorantreiben. Darüber gibt es in diesem Haus wohl keine zweite Meinung.

Weil Sie die Dauer angesprochen haben, bis es zur Beauftragung des Gutachtens damals kam: Es müssen Ausschreibungen gemacht werden, und wenn man seriöse wissenschaftliche Arbeit bei einem so sensiblen Thema beauftragen will, nimmt man nicht den Erstbesten. Da muss man erst einmal gucken, wie die Gemengelage ist. Ich finde es in Ordnung, dass da in Ruhe begutachtet wurde,

[Karsten Woldeit (AfD): Zwei Jahre!]

wen man wofür beauftragt. – Ja, das ist manchmal so!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Karsten Woldeit (AfD): Da fehlte der politische Wille, Frau Kollegin!]

Und gleich vorneweg zum Antrag der AfD: Wir werden ihn natürlich ablehnen, weil wir – erstens – die von der Überschrift bis zur Begründung enthaltene Unterstellung, der Senat verzögere hier Aufklärung, entschieden zurückweisen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir haben bereits in der Anhörung zu Ihrem früheren und mittlerweile abgelehnten Antrag deutlich gemacht, dass Senat und Koalitionsfraktionen alles unternehmen, um eines der schwersten Kapitel der Berliner Kinder- und Jugendhilfe restlos aufzuklären, und dass wir die damaligen Entscheidungen, Kinder und Jugendliche bei pädophilen Pflegevätern unterzubringen, zutiefst verurteilen und dem mit allen Konsequenzen nachgehen werden – mehrfach!

Wir haben auch mit Respekt zur Kenntnis genommen, dass Senatorin Scheeres Verantwortung übernommen und sich bei den Betroffenen entschuldigt hat. Der Senat hat mehrfach öffentlich gebeten, dass sich Betroffene melden. Dies war mittlerweile auch erfolgreich, auch wenn da noch etwas Luft nach oben ist, es sind nur sehr wenige Personen bisher. Ein Strafantrag ist gestellt, Hilfe und Unterstützung organisiert, ein Hilfesystem eingerichtet, man ist und bleibt im Gespräch.

Zweitens: Der Senat hat besagtes Gutachten 2016 in Auftrag gegeben, um herauszufinden, inwieweit damaliges Senatshandeln diese Vorgänge unterstützt hat. Mit diesem Gutachten, das auf der Webseite der Senatsjugendverwaltung öffentlich zugänglich ist, haben wir uns hier und in anderen Gremien wie dem Landesjugendhilfeausschuss mehrfach und ausführlich befasst. Da waren Ihre Leute auch dabei. Die Schlussfolgerungen sind öffentlich gemacht worden. Zu den Ergebnissen gehört auch ein Folgegutachten. Das ist, wie wir hörten, in Auftrag gegeben worden, und Sie wissen auch, Herr Weiß, dass zwischenzeitlich das Göttinger Institut, das die erste Studie gemacht hat, gar nicht mehr existiert. Ein neues Forscherteam ist sozusagen beauftragt, die Aufgabenstellung ist klar, Finanzierung steht auch, der Antrag ist damit gegenstandslos. Aber was ich noch schlimmer finde: Er ist leider auch noch total kontraproduktiv. Dass Sie hier suggerieren, der Senat wolle nicht handeln und helfen, unterstützt die Suche nach weiteren Betroffenen sicherlich nicht.

Unstrittig ist: Es gibt noch viel zu tun, um lückenlos aufzuklären, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, Betroffenen zu helfen, aber wir versprechen uns ebenso neue Erkenntnisse, um unser gegenwärtiges System der Hilfen zur Erziehung und des Pflegekinderwesens weiter zu qualifizieren und Kinder und Jugendliche früher und besser vor Missbrauch zu schützen. Es gibt bereits eine Vielzahl von Projekten, die ich unmöglich alle aufzählen kann. Ich nenne nur beispielhaft die Projekte der Charité „Kein Täter werden“ und „Du träumst von ihnen“ für Erwachsene und für Jugendliche, eventuelle zukünftige Täter, die sehr erfolgreich arbeiten. Gerade gestern ist die Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ gestartet, mit der schulische Schutzkonzepte entwickelt und umgesetzt werden sollen.

Ja, es gibt viel zu tun, wir sind bei der Arbeit, der Senat arbeitet auch. Dieser Antrag ist leider keine Unterstützung dafür.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Fresdorf das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mal, wenn wir in diesem Haus über das KentlerExperiment sprechen, werde ich erst sprachlos, dann fassungslos, wütend und traurig. Ich denke, so etwas darf nicht passieren, dass ein Staat Kinder pädophilen Tätern als Opfer vorwirft.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir haben in diesem Haus am 6. April 2017 über einen Antrag der AfD-Fraktion gesprochen, in dem es darum ging, dass die Akten besser ausgewertet werden sollen. 140 laufende Meter Akten zu diesem Experiment warten darauf, ausgewertet zu werden. Ich denke, wir sind es den Opfern dieser verwerflichen Taten schuldig, dass dies schnell und umgehend passiert.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Frau Scheeres! Am 6. April 2017 habe ich etwas gemacht, was mir sonst nicht so leicht über die Lippen kommt, ich habe Sie gelobt für Ihre Arbeit. Ich habe Ihnen gedankt, ich habe gesagt, dass Sie bisher mit Fingerspitzengefühl gewirkt haben, dass Sie die gute Idee hatten, eine Hotline für die Opfer einzurichten. Ich habe Ihnen dafür gedankt, und das tue ich auch heute noch.

Ich bin allerdings enttäuscht, dass es so lange gedauert hat, dass das Thema weiter vorangetrieben wird. Nach heutigem Stand muss ich das Lob zum Teil zurücknehmen. Ich hätte erwartet, dass Sie sofort mit dem Tempo weitermachen, dass Sie die Aufklärung vorantreiben, weil ich das Gefühl habe, dass das Thema Ihnen wichtig ist. Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben. Wir haben eine Kitakrise, wir haben eine Bildungskrise, wir haben einen Scherbenhaufen von 22 Jahren sozialdemokratischer Bildungspolitik in dieser Stadt, aber dennoch hatte ich den Eindruck, das Thema sei Ihnen wichtig. Das haben Sie leider durch Ihr Handeln nicht untermauert. Ich wünsche mir, dass wir heute noch einmal starten und dass Sie ab jetzt richtig Tempo bei diesem Thema vorlegen und die Aufklärung vorantreiben. Ich denke, das haben die Opfer verdient. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD - Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

(Katrin Seidel)

Für die Grünen hat jetzt Frau Burkert-Eulitz das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

[Sebastian Czaja (FDP): Vielleicht redet ja die Senatorin dazu!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Verbrechen ist ein Verbrechen und bleibt ein Verbrechen. Das wird es auch nach 50 oder 100 Jahren sein. Aber was die AfD versucht, dieses Verbrechen für sich zu instrumentalisieren, das geht nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Karsten Woldeit (AfD): Das ist Quatsch! Das wissen Sie auch!]

Sie sind auch nicht die Ersten, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben. Ich habe in der letzten Legislaturperiode Anfragen zu dem Thema gestellt.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Mehrere!]

Wir haben das intensiv debattiert, und dann ist gehandelt worden. Man kann immer sagen, das eine geht schneller oder auch nicht. Was nützt es uns, ganz schnell zu sein, wenn wir nicht gute Leute finden, die entsprechend forschen können? Das wissen Sie auch, dass Anfang dieses Jahres, als die Verträge schon fast fertig waren, die Ausschreibung stattgefunden hatte, dass sich da in Göttingen das Institut und die Universität gestritten haben und das Institut dann abgewickelt worden ist.

[Karsten Woldeit (AfD): Es sind immer die anderen schuld!]

Das haben Sie im Kulturausschuss live erlebt, den Streit zwischen Universität und Institut. Es ist nicht der Senatorin zuzurechnen, dass es da Schwierigkeiten gab, sondern dem Forschungsinstitut, dass sie sich nicht einigen konnten. Die Verträge waren schon fast fertig, sie waren unterschrieben vonseiten der Senatsverwaltung, die andere Seite hat sie nicht unterschrieben. Dann wieder gute Leute zu diesem Forschungsthema zu finden, war nicht so einfach. Ich weiß, dass Herr Rörig da behilflich war.

Wenn Sie sich einmal angucken, zu welchen Themen Frau Prof. Baader und Herr Prof. Schröer forschen, dann sind das genau diejenigen, die wir brauchen, um das aufzuarbeiten. Die forschen genau zu den Themen: „Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen“, „Schutzkonzepte in Theorie und Praxis“ hat Prof. Schröer 2017 und 2018 veröffentlicht. Frau Prof. Baader hat sich genau mit dem Feld „Zur Forschung zwischen Enttabuisierung kindlicher Sexualität und der Entgrenzung kindlicher und erwachsener Sexualität“ „Zur Rekonstruktion des Zusammenhangs von sexueller Liberalisierung, liberalisierte Erziehung und Pädophiliebewegung, Erziehungs- und Sozialwissenschaften der 1960er- – 1990er-Jahre“ be

schäftigt. Ich bin der Senatsverwaltung und Frau Scheeres sehr dankbar dafür, dass sie diese Menschen gewonnen hat, um weiter aufzuarbeiten. Das wissen Sie, das werden wir jetzt tun. Es gibt am 31. Oktober den ersten Workshop. Meine Kolleginnen haben Ihnen genau dargestellt, was passiert. Dieser Antrag hat sich spätestens mit der Presseerklärung der Senatsverwaltung vom