Protokoll der Sitzung vom 18.10.2018

Besonders dramatisch ist die Situation der Gewerbetreibenden in der Kreuzberger Oranienstraße. Dort gehören immer mehr Häuser großen Immobilienkonzernen wie der Deutschen Wohnen. Das Bündnis Ora Nostra, ein Zusammenschluss von Gewerbetreibenden, berichtet von immer weiter steigenden Mieten, mittlerweile von fast 50 Euro pro Quadratmeter, kalt wohlgemerkt. Hinzu kommt, dass immer höhere Staffelungen verlangt werden, mitunter 10 bis zu 15 Prozent pro Jahr. Wer bitte hat denn solch eine jährliche Gewinnsteigerung? Das hat nichts mehr mit normaler Vermietung zu tun.

All diese Beispiele zeigen, der Markt regelt es nicht. Es betrifft uns alle, egal ob Kita, Handwerker oder Bäcker. Wenn die keinen Platz mehr im Kiez finden, dann stimmt doch was Grundsätzliches in unserer Stadt nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wer jetzt denkt, ach, das sind ja nur Einzelfälle, es betrifft auch nur die sogenannte Innenstadt, der täuscht sich, denn auch beim Wohnen hat es so angefangen, und nun haben wir in der ganzen Stadt eine Wohnungsnot. Ich finde, das darf nicht noch einmal passieren.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir als rot-rot-grüne Koalition haben deshalb einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, der das Problem auf allen Ebenen angeht. Wir brauchen endlich geeignete Schutzinstrumente für Gewerbemietverträge. Es darf nicht länger das Recht des Stärkeren und größeren Geldbeutels gelten. Bundesregierung und Bundesrat könnten hier Abhilfe durch einen Mietspiegel, eine Mietpreisbremse und die Ausweitung des Milieuschutzes für Gewerbe und soziale Einrichtungen schaffen. Wir wollen, dass Länder und Städte selbst entscheiden können, ob sie eine Mietpreisbremse für Gewerbe einführen oder eben nicht. Warum soll das bitte nur beim Wohnen möglich sein? Es gibt kein Recht auf unendliche Renditen. Es ist höchste Zeit, dass dieses „kein Recht auf unendliche Renditen“ auch auf Gewerbemieter ausgeweitet wird.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der FDP]

Eine erste Initiative für einen besseren Kündigungsschutz hat unser Justizsenator bereits in den Bundesrat eingebracht. Künftig soll den Gewerbemietern ein gesetzlicher Verlängerungsanspruch ihres Vertrages zustehen, und zwar so lange, bis ein Zeitraum von mindestens 10 Jahren erreicht ist. Ich finde, das ist ein erster richtig guter Baustein, und es wäre auch ein super Anfang, wenn wir das

(Paul Fresdorf)

im Bundesrat durchbekämen. Deshalb: Viel Erfolg unserem Justizsenator!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Mit unseren Anträgen schauen wir aber nicht nur Richtung Bund, sondern wir machen auch selber Vorschläge, was wir hier in Berlin konkret tun können. Ein Ziel ist es, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften noch gezielter Gewerberäume zu leistbaren Konditionen für soziale Aufgaben, kleinteilige Gewerbebetriebe und Kultur vermieten, und zwar insbesondere da, wo die Gewerbemieten besonders stark steigen. Ob Manufakturen oder Handwerker, immer mehr Betriebe suchen händeringend nach Räumen. Der Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG war ein Riesenfehler, der sich leider nun bitter rächt. Daher wollen wir als Koalition prüfen, ob und wie ein städtisches Unternehmen wieder die Schaffung und Vermietung von Gewerberäumen übernehmen kann. Angesichts der angespannten Lage ist es Zeit für eine neue GSG.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Iris Spranger (SPD) und Frank Zimmermann (SPD)]

Um die Situation von sozialen Trägern, Kinderläden oder Kitas zu verbessern, wollen wir ein Generalmietermodell entwickeln. Das bedeutet, dass das Land Berlin quasi als Generalmieter Räume anmietet und diese dann gezielt und vergünstigt für soziale Zwecke weitervermietet. Das ist ein ganz konkreter Beitrag zur Sicherung der sozialen Infrastruktur.

Ich weiß, die Opposition wird jetzt gleich wieder schreien und sagen: Oh, mein Gott! Skandal! Das ist doch Planwirtschaft! Der Sozialismus kommt!

[Beifall von Ronald Gläser (AfD)]

Dazu würde ich gerne etwas zu bedenken geben: In immer mehr Kiezen ist eine Erosion der sprichwörtlichen Berliner Mischung zu beobachten, eine Mischung, die nicht nur für Lebensqualität steht, sondern für eine funktionierende Gesellschaft. Wenn Gewerbemieten ins Unendliche steigen dürfen, dann bleiben am Ende nur noch die übrig, die am meisten zahlen können. Das sind oft große Ketten, gastronomische Monostrukturen oder gesichtslose Großkonzerne. In solchen Kiezen wollen wir doch alle nicht leben!

Letztendlich ist doch die Frage zentral: Wer gestaltet unsere Stadt und für wen? Für die Menschen vor Ort im Sinne des Gemeinwohls oder für die Investoren mit ihrem Renditewahn? Ich bin mir sicher: Wir als rot-rot-grüne Koalition wurden für Ersteres gewählt, und die Opposition muss sich eben jetzt entscheiden, auf welcher Seite sie steht. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Gräff das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Liebe Frau Kollegin Schmidberger! Aber niemals würden wir dem Senat unterstellen, dass er rekommunalisiert und den Sozialismus einführen will, in Berlin auf gar keinen Fall, selbstverständlich nicht!

Zum Antrag: Ich nenne mal das Negative zuerst – ich drehe es heute mal um:

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Gibt es doch gar nicht!]

Wenn ich Ihre Begründung durchlese, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was Sie hier gerade gesagt und vorgetragen haben, wirklich etwas mit Ihrem Antrag zu tun hat. Denn Sie sagen dort – explizit, und ich hoffe, dass Sie das nicht nur so meinen; das müssen Sie auch unbedingt noch mal klarstellen –:

Besonders negativ

und deswegen wollen Sie bestimmte Maßnahmen in Berlin vornehmen –

ist die Entwicklung für soziale Träger, Vereine, Kinderläden und Kitas. In immer mehr Kiezen müssen sie ihre oft seit Jahrzehnten genutzten Räume aufgrund immer weiter steigender Mieten verlassen. Insbesondere für soziale Träger und Projekte kommt das Problem hinzu, dass sie aufgrund der Abhängigkeit von Projektfinanzierungen mit oft kurzer Laufzeit keine langfristigen Mietverträge abschließen können …

Das ist alles richtig, und dass das ein Problem ist, ist auch richtig. Ich hoffe, Sie kommen auch dazu, wenn man das umstellt oder neue Fördermittelanträge stellt, dass man dafür eine Lösung findet. Aber das hat mit dem Problem, ehrlich gesagt, überhaupt nichts zu tun – gar nichts! Mit dem Problem, Gewerbestrukturen in Berlin in den Kiezen zu erhalten, hat es nichts zu tun.

[Gabriele Gottwald (LINKE): Sie blicken ja überhaupt nichts!]

Nein! Es geht um Unternehmerinnen und Unternehmer und kleine Selbstständige. Ich weiß, dass das gerade der Linken natürlich totales Teufelswerk ist. Ist mir völlig klar!

[Gabriele Gottwald (LINKE): Sie spinnen doch!!]

Ich spinne nicht, und diese Wortwahl verbitte ich mir von Ihnen auch. – Vielen Dank!

(Katrin Schmidberger)

[Beifall bei der FDP]

Zu Ihrem Antrag:

Es wird geprüft, inwieweit ein bezirkliches Gewerbeflächenmanagement eingerichtet werden

kann. Hierzu werden die Bezirke ermutigt, die Stelle einer/eines Gewerbeflächenbeauftragten in den Bezirksämtern zu schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wäre ich sofort dafür. Ich gehe mal davon aus, dass es das in allen 12 Bezirken gibt. Vielleicht machen Sie sich mal die Mühe und sprechen mit Ihren Kolleginnen und Kollegen Wirtschaftsstadträten, wie die Wirtschaftsförderung in den Bezirken aufgestellt ist.

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Ziemlich schlecht aufgestellt!]

Wenn Sie sagen, Sie wollen das bezirkliche Personal dort aufstocken, bekommen Sie auf jeden Fall von uns Unterstützung und übrigens nicht nur „ermutigen“, sondern: Dann machen Sie es doch! Stocken Sie das Personal auf, ermutigen Sie es nicht nur! Aber das ist die Kernaufgabe bezirklicher Wirtschaftsförderung, gerade kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, dass sie Gewerbeflächen finden – übrigens nicht erst seit anderthalb Jahren, sondern schon viel, viel länger!

Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und die berlinovo stellen Gewerberäume gezielt für soziale Aufgaben …

Da kommt es wieder durch! Es geht Ihnen nicht um den Handwerker, um den Tischlermeister, auch nicht um das kleine Einzelhandelsgeschäft.

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Doch!]

Und wenn es Ihnen darum geht, dann tun Sie mir einen Gefallen: Ändern Sie den Antrag – wir werden dazu natürlich eigene Vorschläge machen – und schreiben Sie das rein! Weiter heißt es:

… und spezifische Wohnformen, kleinteilige Gewerbebetriebe und Kultur zur Verfügung …

Deswegen sage ich an der Stelle noch mal: Es ist richtig, und ich bin im Übrigen dafür, dass wir uns eine Gesellschaft überlegen! Ich hoffe nicht, dass es die BIM ist – ich sage das an der Stelle ausdrücklich.

Frau Dr. Sudhof! Ich hoffe nicht, dass Sie sich da durchsetzen und dass es die BIM sein wird. Wenn man sich mal anschaut, wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aussieht, nachdem durch die BIM versucht wurde, das Gebäude nach 20 Jahren zu renovieren und zu sanieren: Da baut man einen Tunnel, damit die Fenster nicht runterfallen, und bis heute gelingt es der BIM nicht, das hinzukriegen. Da hoffe ich nicht, dass die BIM die staatliche Gewerbesiedlungsgesellschaft des Landes Berlin sein wird!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber uns darum Gedanken zu machen, wie wir Gewerberaum für kleine und mittelständische Unternehmen erhalten und neu entwickeln können: Da bin ich ja nahe bei Ihnen, weil heute – das ist vor fünf, sechs, sieben Jahren noch ganz anders gewesen – in bestimmten Lagen Wohnen eher Rendite bringt als Gewerbe. FriedrichshainKreuzberg ist nur ein Beispiel – nicht nur immer von Friedrichshain-Kreuzberg ausgehen. Da bin ich völlig bei Ihnen! Für kleine und mittlere Unternehmen, für Handwerker und viele, viele andere Gewerberaum zu entwickeln und es zu schaffen, preisgünstige Mieten zu erzielen, nicht nur – das sage ich ausdrücklich – für Start-upUnternehmen, die sich vielleicht eher 20 oder 25 Euro Gewerbemiete netto kalt leisten können, sondern zu sagen, wir wollen das für die kleinen und mittelständischen: sehr, sehr gerne!

Lassen Sie uns über die richtigen Konzepte sprechen, über die richtigen Branchen. Die haben Sie gar nicht genannt. Das Thema Einzelhandel ist ein völlig anderes als das Thema Gewerbetreibende beispielsweise, die auch Schmutz und Dreck machen – das gehört eben auch dazu –, die auch Lärm machen. Die kann ich in der Regel in Funktionsunterlagerungen nicht unterbringen. Darüber lassen Sie uns sehr, sehr gerne diskutieren.

Tun Sie mir einen Gefallen: Gehen Sie noch mal in den Antrag! Es geht nicht um soziale Träger. – Die haben ein Problem – das ist gar keine Frage. Wenn Sie etwas für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Stadt tun wollen, dann lassen Sie uns das gemeinsam tun! Ziehen Sie Ihren Antrag zurück oder ändern Sie ihn! Ich glaube, diese Anträge haben mit der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen nichts bis gar nichts zu tun. – Vielen Dank!