Protokoll der Sitzung vom 28.11.2019

Meine Damen und Herren! Die politische Haltung der SPD-Fraktion und des SPD-Landesverbands zur Vergesellschaftungsdebatte im konkreten Fall hat der Regierende Bürgermeister heute deutlich gemacht, und dem habe ich gar nichts hinzuzufügen.

[Zuruf Heiko Melzer (CDU)]

Warum ich mich hier melde, Herr Kollege Melzer, ist die Unerhörtheit aus den Wortbeiträgen der FDP, aber auch der CDU, die ich nicht mehr ertragen kann.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Artikel 15 steht im Grundgesetz, und es gibt nur eine Institution – wenn es keine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat gibt –, die eine Verwerfungskompetenz hat, und das ist das Bundesverfassungsgericht.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und wenn Sie sich hier hinstellen und irgendetwas anderes erzählen, dann erschreckt mich das, weil das Ihr Verhältnis zur Gewaltenteilung und zu den Grundfesten unseres Grundgesetzes hinterfragt.

[Zuruf Marcel Luthe (FDP)]

Das ist hochgradig peinlich und erschreckend; dafür müssen Sie sich eigentlich tatsächlich entschuldigen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Da hilft auch kein Kommentar. Da mag vielleicht drinstehen, Herr Kollege Evers, dass der Artikel 15 bisher nicht zur Anwendung kam, und vielleicht steht da auch, er ist funktionslos. Aber kein ernstzunehmender Jurist versteigt sich und erklärt, er sei verfassungswidrig.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Das würde ein ernstzunehmender Jurist niemals in irgendeinem Kommentar schreiben. Das gilt auch für die Verwerfungskompetenz von Parteien: Sie können das gern nachlesen im § 13 Bundesverfassungsgerichtsgesetz und im § 31 und Artikel 100 Grundgesetz.

Jetzt will ich etwas wiederholen, was ich schon gesagt habe – mir wird ja immer nicht zugehört: Ausgerechnet

(Stefan Förster)

die FDP – Sie haben ein großes Brett gelegt, damit das möglicherweise sogar in Berlin Anwendung findet. Am 6. Mai 1949, als Sie beantragt haben, dass der Artikel 15 ausschließlich in Bundeskompetenz zur Anwendung kommt, hat das keine Mehrheit gefunden; es wurde abgelehnt. Wir haben eine positive Entscheidung des Bundestags, dass Artikel 15 unmittelbar geltendes Recht in den Ländern ist, und das ist Ihr Verdienst. – So viel zur Verfassung.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Dann hat zur Erwiderung der Kollege Förster das Wort. – Bitte schön!

Lieber Kollege Schneider! Das war zwar ein rechtsgeschichtliches Seminar, aber das ging haarscharf am Kern der Debatte vorbei. Wir haben ja nicht bestritten – weder CDU noch FDP –, dass es ein Grundgesetz und Artikel gibt, die mehr oder weniger über Jahrzehnte nicht zur Anwendung kommen oder auch einmal überprüft werden können. Wir haben hier festgestellt, dass es vor allen Dingen ein Problem der Linkskoalition in dieser Stadt ist, dass sie systematisch Gesetze vorbereitet – das fängt beim Mietendeckel an und geht beim Enteignungsvolksbegehren weiter –, die rechtlich unsicher sind. Dass Sie das schon vorher wissen und trotzdem durchführen, ist das Problem, dass diese Achse systematisch verschoben wird.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Insofern braucht man nur dahin gucken, was andere Bundesländer auch dort machen, wo Sozialdemokraten regieren: Das wird ja in keiner Stadt so verschärft wie hier in Berlin durchgeführt. Sie geben mittlerweile auch ein schlechtes Beispiel für andere Städte, die sich daran orientieren wollen. Aber prinzipiell sind Sie hier die Ersten, die diese Wege beschreiten und die sie auch im vollen Wissen um die Konsequenzen beschreiten, und genau darum geht es.

[Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]

Darauf hat Kollege Evers hingewiesen, und darauf weise auch ich noch einmal hin: Sie wollen sehenden Auges gegen die Verfassung Politik machen. Das werden Sie auch in das Stammbuch geschrieben bekommen. Aber da dürfen wir sehr deutlich sagen: Mit uns nicht!

[Beifall bei der FDP und der CDU – Anja Kofbinger (GRÜNE): Was für ein Unsinn! – Gabriele Gottwald (LINKE): Dass es dagegen keine Tabletten gibt! – Steffen Zillich (LINKE): Die Verfassung ist das, was die FDP dafür hält!]

Vielen Dank! – Nun ist tatsächlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Schmidberger an der Reihe. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Opposition! Wenn ich mir die Debatte hier angucke, muss ich sagen, dass Sie gern gegen das Volksbegehren sein können. Man kann ja gern den Artikel 15 Grundgesetz irgendwie ablehnen. Sie scheinen sich aber eher an uns abarbeiten zu wollen, statt mal zu überlegen, warum das eigentlich passiert – warum also nicht Rot-Rot-Grün allein, sondern 77 001 Menschen fordern, dass es dieses Volksbegehren gibt und dass Artikel 15 angewandt wird. Wir machen das nicht aus Spaß, und wir führen den Mietendeckel auch nicht aus Spaß ein. Wir machen es nicht mal, um Sie zu ärgern, obwohl es sich dafür auch schon lohnen würde,

[Heiterkeit und vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

sondern wir machen es, um die Menschen akut vor Verdrängung zu schützen. Entschuldigung, Herr Evers! Sie haben vorhin gesagt, so von wegen: Wenn der Mietendeckel erst mal kommt, wenn das Volksbegehren erst mal kommt, dann werden wir die Leute in eine Rechtsunsicherheit stürzen und in ein Unglück, und dann verlieren sie vielleicht ihre Wohnung. – Ich glaube, Sie haben den Schuss in der Stadt nicht gehört.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es gibt ganz viele Mieterinnen und Mieter, denen geht es heute schon so. Nicht immer Ursache und Wirkung verwechseln, Herr Evers! Es kann ja sein, dass Sie den politischen Mut nicht haben, mal etwas durchzusetzen, wo man nicht hundertprozentig eine Garantie dafür hat, dass es klappt oder nicht. Wir haben ihn, und die Berlinerinnen und Berliner geben uns auch recht, dass es richtig so ist.

[Frank-Christian Hansel (AfD) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Im Übrigen finde ich es dreist, dass gerade die CDU, wenn es darum geht, in der Innenpolitik die Grenze nach rechts zu verschieben, wo diverse CDU-Bundesinnenminister jahrelang gegen Verfassungen verstoßen haben, wenn es um bestimmte Sicherheitsgesetze geht, die Freiheitsrechte abgebaut haben – – Da war es dann in Ordnung, Herr Evers, oder was? Sie müssen da schon stringent bleiben.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Stefan Evers (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

(Torsten Schneider)

Frau Kollegin, gestatten Sie Zwischenfragen des Kollegen Evers und des Abgeordneten Hansel?

Nein, vielen Dank, heute mal nicht. – Kommen wir wieder zu Ihrem Antrag. Die Überschrift lautet: Klare Kante gegen Enteignungen, keinen Verfassungsbruch zulassen! – Es ist völlig absurd, wie Sie hier argumentieren. Es grenzt schon an Volksverdummung, was Sie machen.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Im Artikel 15 Grundgesetz steht Folgendes – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

Es muss Ihnen ja, wie gesagt, nicht gefallen, dass das im Artikel 15 Grundgesetz steht, aber zu behaupten, wir würden damit einen Verfassungsbruch begehen, wenn wir einfordern, dass der Artikel 15 ausgefüllt wird, sorry, also so blöd können doch nicht mal –

[Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN: Doch! – AfD und der FDP: Na? – Frank-Christian Hansel (AfD): Aha!]

ich sage es lieber nicht – sein.

Ich möchte noch etwas zitieren. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst stellt in seinem Gutachten vom 21. August 2019 zum Artikel-15-Volksbegehren als Ergebnis Folgendes fest – ich zitiere wieder mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Eine Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes von Immobilienunternehmen in Berlin mit mindestens 3000 Wohnungen wäre auf der Grundlage von Art. 15 GG möglich. Die Zuständigkeit des Landes Berlin zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes ist insbesondere im Hinblick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG zu bejahen. Das Gesetz könnte die Sozialisierung von Grund und Boden mit den darauf befindlichen Gebäuden zum Inhalt haben.

Und weiter heißt es dort:

Trotz gewisser Bedenken kann auch die Verhältnismäßigkeit des hier in Rede stehenden Vergesellschaftungsgesetzes bejaht werden, wobei das weite politische Ermessen des Parlaments, das bei der Entscheidung über die Verabschiedung eines Sozialisierungsgesetzes im Sinne von Art. 15 GG ausgeübt wird, maßgeblich ins Gewicht fällt.

Deswegen: Sie müssen sich mit dem Thema beschäftigen. Kommen Sie mal auf den Boden des Grundgesetzes zurück, kommen Sie mal klar, beschäftigen Sie sich mal mit der Materie, bevor sie hier herumklugscheißern!

[Oh! von der CDU, der AfD und der FDP]

Ja, entschuldigen Sie mal bitte, aber wer so austeilt, der muss auch einstecken können.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Jörg Stroedter (SPD)]