Protokoll der Sitzung vom 05.03.2020

[Katalin Gennburg (LINKE): Ha, ha!]

Dennoch hat unsere Fraktion die Anliegen der Initiative sachorientiert und ideologiefrei ausgewertet und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dem Abgeordnetenhaus zu empfehlen, dieses Anliegen lediglich zur Kenntnis zu nehmen, ihm aber nicht zu folgen. Die Gründe lassen sich kurz aufzählen.

Erstens: Die gesamte Planungszeit für das Gebiet beläuft sich inzwischen auf knapp 30 Jahre, eine neuerliche Verzögerung ergibt keinen Sinn.

Zweitens: Für die geforderte Rückabwicklung der Kaufverträge und der Bauverpflichtungen müsste, nach Auskunft des Finanzsenators, mindestens ein zweistelliger Millionenbetrag gezahlt werden, auch das halten wir für schlichtweg nicht machbar.

Drittens: Der gerade – im Übrigen auch mit den Stimmen der Linken – beschlossene Bebauungsplan müsste aufgehoben werden, ein mehrjähriges neues Verfahren wäre die Folge.

Viertens: Erhebliche Entschädigungszahlungen an die derzeitigen Investoren wären notwendig. Bei jetziger Rechtslage kämen z. B. pro Quadratmeter Grünfläche mehrere Tausend Euro als Entschädigung in Betracht, wo üblicherweise Summen unter 100 Euro aufgerufen würden, eine Steuergeldverschwendung par excellence.

Und Fünftens: Die Ziele der Initiative laufen den Zielen der beschlossenen Entwicklungsmaßnahme und den geschlossenen Verträgen im Entwicklungsgebiet zuwider.

Die Ziele der Initiative rechtfertigen also in keiner Weise diesen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand, der eine Verzögerung in der Entwicklungsmaßnahme von mehreren Jahren bedingen würde – ganz im Gegenteil. Es besteht aktuell die konkrete Gefahr, dass sich die städtebaulich bereits problematische Situation vor Ort weiter verstetigen könnte, mit einer wilden, illegalen Zeltsiedlung, einem ausufernden Obdachlosencamp, der Ver

(Daniela Billig)

müllung der Umgebung und der zunehmenden Aggression und Gewalt auf dem Gelände. Erst kürzlich wurden Baumarbeiter mit Pyrotechnik vor Ort angegriffen, und die Gegend entwickelt sich mehr und mehr zum Drogenhotspot.

Aus der Idee der „Bucht für alle“ würde so eine städtebaulich verfestigte Problemlage, eine Bucht für wenige werden,

[Beifall bei der AfD]

nämlich nur für die, die das Gelände besetzt haben und die durch Gewalt und Aggressivität zunehmend andere Bürger, Anwohner und Gäste unserer Stadt von der Nutzung der Fläche ausschließen.

Aus sachlichen und finanziellen Gründen ist es schlicht nicht möglich, den Forderungen der Initiative näherzutreten, abgesehen von den unsachlichen Angriffen gegenüber meiner Fraktion.

Zum Schluss noch kurz zum vorliegenden Entschließungsantrag der Koalition. Offenbar haben Sie das bundesdeutsche Entwicklungsrecht nicht verstanden, ich erinnere an § 165ff. Baugesetzbuch. Wenn Sie hier tatsächlich fordern, die entwickelten Grundstücke auf Dauer behalten zu wollen, hieße das am Ende, dass wieder der Steuerzahler zahlt, denn bei der Schlussabrechnung des Trägers werden die Grundstücksverkäufe als Defizit dem Land in Rechnung gestellt. Das heißt, wir hätten am Ende eine Entwicklungsmaßnahme mit riesigen Schattenhaushalt, quasi einem Treuhandvermögen, der in der Endabrechnung zu enormen Haushaltsbelastungen führen würde, und genau das lehnen wir ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion der FDP hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Förster.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben wir es hier mit einer Fläche zu tun, wo seit den Neunzigerjahren zunächst Entwicklungsstillstand herrschte. Das hat auch damit zu tun, dass damals der Flächendruck, die Flächenkonkurrenz in der Stadt einfach noch nicht gegeben war, wir hatten ja auch im Wohnungsbereich massiven Leerstand; und insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Flächen langsamer entwickelt haben als das heute möglich wäre.

Am Ende muss man auch feststellen – und deswegen kommt die Volksinitiative damit auch deutlich zu spät–, dass es ein Bebauungsplanverfahren in Lichtenberg gab,

das sich ja nun wirklich über viele Jahre hingezogen hat. Im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens sind alle Schritte durchlaufen worden, die eben auch dazu gehören: frühzeitige Bürgerbeteiligung, Beteiligung Träger öffentlicher Belange, Bürgerbeteiligung zweite Runde – die ganzen Schleifen. Die Einwände wurden entsprechend abgewogen, die Bezirksverordnetenversammlung hat das souverän entschieden mit deutlicher Mehrheit von SPD bis zu den Linken, dass sie dieses Verfahren, inklusive Aquarium, so haben will, und da muss man am Ende auch mal sagen: Der Souverän, in dem Fall die BVV Lichtenberg, hat demokratisch entschieden, und wir nehmen diese demokratische Entscheidung auch so zur Kenntnis.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir können hier auch gerne die Diskussion über die zweistufige Verwaltung führen, aber bis jetzt ist es nun einmal so, dass die Bezirke den Bezirksverordnetenversammlungen als Hauptaufgaben überlassen haben: das Bezirksamt zu wählen, den Haushalt zu beschließen und die Bebauungspläne auch entsprechend zu beschließen, es sei denn, es gibt in wenigen Ausnahmen eine gesamtstädtische Bedeutung, die ich hier übrigens nicht erkennen kann. Hier geht es um ein Rummelsburger Buchtchen, nicht um die Kieler Bucht oder die Lübecker Bucht, die beplant werden soll, man muss auch einmal Dimensionen im Auge behalten, um hier die Realität auch entsprechend angemessen würdigen zu können.

[Beifall bei der FDP – Heiterkeit bei Paul Fresdorf (FDP) und bei Holger Krestel (FDP)]

Und wenn die BVV Lichtenberg sagt: Sie wünschen sich dieses Gesamtkonzept, inklusive Aquarium – meine Güte, Berlin hat ein erfolgreiches Aquarium am Zoo, wir werden auch noch ein zweites im Ostteil der Stadt vertragen können –, und wenn das privat finanziert werden soll – es soll ja nicht der Kultursenator oder der Wissenschaftssenator betreiben, es soll ja privat finanziert werden –, dann kann man auch sagen, dass das deren unternehmerische Entscheidung ist, wenn sie meinen, dass sich das an der Stelle rechnet. Und dann müssen wir nicht klugscheißerisch sagen: An der Stelle brauchen wir das nicht. Das ist auch mal anzumerken.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dann darf man auch noch einmal darauf hinweisen – und da bin ich sehr bei Kollegin Spranger und auch bei Kollegen Heinemann, der in der gemeinsamen Sitzung von Hauptausschuss und Stadtentwicklungsausschuss das Nötige dazu gesagt hat – eine städtebauliche Entwicklung vollzieht sich eben immer in Etappen und immer auf dem Stand der Dinge, die damals entsprechend vorgeherrscht haben. Das formale Verfahren ist vollkommen korrekt gelaufen. Hinterher das Verfahren anzufechten und etwas Neues darüberlegen zu wollen, ist dann auch nicht gerade

(Dr. Kristin Brinker)

der richtige Weg. Man kann in der Zukunft sicherlich einige Dinge anders machen und mit Grundstücken in öffentlicher Hand anders umgehen.

Ich will auf das eingehen, was die Kollegin Billig vorhin gesagt hat. Das Thema Bodenspekulation haben wir hier gerade nicht. Wir haben hier nicht ein Grundstück, das fünfzehnmal im Jahr weiterverkauft wurde, sondern der Investor hat es lange gehalten und will es jetzt bebauen. Demnach geht der Hinweis auf Bodenspekulation fehl. Hier waren keine Hedgefonds am Werk, die immer weiter verkauft haben. Das muss man auch mal ganz klar sagen.

[Beifall bei der FDP]

Gestern haben wir durchaus darüber gesprochen: Man kann Baugenehmigungen befristen – das tun wir auch schon in der geltenden Bauordnung –, auch noch stärker befristen, wenn man eine Lenkungswirkung erzielen möchte. Dagegen hat niemand etwas. Aber auch das ist hier nicht das Thema. Hier geht es nicht darum, dass die Baugenehmigung 20 Jahre verfallen wäre, sondern der Bebauungsplan wurde erst vor einer überschaubaren Zeit beschlossen, und die Baugenehmigung ist gerade am Beginn ihrer Laufzeit, und nicht am Ende oder im Zeitraum einer Verlängerung. Insofern geht dieser Hinweis auch fehl.

Frau Spranger hat zu Recht darauf hingewiesen: Es ist ja nicht so, dass für die öffentlichen Hand gar nichts übrig bleibt. Es entstehen preiswerte Wohnungen, soziale Infrastruktur. Das ist mehr als nichts, was dort entsteht. Insofern müssen wir feststellen, dass es alles in allem deutlich besser ist, als eine Brache, wie sie jetzt dort existiert, bestehen zu lassen.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen auch darauf hinweisen, dass wir beim Thema Zwischennutzung vorsichtig sein müssen; da bin ich auch bei Kollegin Spranger. In Berlin hat man immer so die Angewohnheit: Wenn man einmal eine Zwischennutzung zulässt, dann sind die Leute, die wissen, drei Jahre, und dann ist Schluss, immer sehr schnell dabei, zu sagen: Wir wollen dort für immer bleiben. – Mit der Zwischennutzung und klar geregelten Verträgen hat man es manchmal nicht so. Insofern muss man auch da aufpassen. Privaten Eigentümern vorzuschreiben, eine Zwischennutzung zuzulassen, und diese müssen nachher 15 Jahre lang Räumungsklagen durchzuführen – das kann auch keine geordnete Stadtentwicklung sein, um es an der Stelle deutlich zu sagen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Iris Spranger (SPD)]

Zur Grünanlage: Wenn man sich die Grünanlagen in den Bezirken anguckt, die dafür zuständig sind, wenn man jetzt noch den privaten Eigentümern die Grünanlage wegnimmt und sagt, die öffentliche Hand soll es machen: Der private Eigentümer kümmert sich wenigstens darum, dass seine Grünanlage nicht vergammelt. Das ist der

Unterschied zur öffentlichen Hand. Deswegen ist mir eine privat gepflegte Grünanlage lieber als eine vergammelte öffentliche, um das an der Stelle deutlich zu sagen.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Letzter Punkt: das richtige Instrument. Die Volksinitiative war bei der „Bucht für alle“ das falsche Instrument, denn die Planungshoheit liegt beim Bezirk Lichtenberg. Auch da hätte es basisdemokratische Möglichkeiten gegeben, etwa einen Einwohnerantrag oder – noch verbindlicher – einen Bürgerentscheid. Dann hätten die Bürgerinnen und Bürger im Bezirk Lichtenberg darüber entscheiden können, ob die Planungsziele des Bebauungsplan gewollt werden oder nicht. Ich unterstelle einmal, die Mehrheit hätte den Bebauungsplan so gewollt, wie er beschlossen worden ist. Auch eine lautstarke Minderheit ist nicht immer dafür qualifiziert, für die Mehrheit zu sprechen.

[Daniela Billig (GRÜNE): 84 000!]

Wenn ich die direkte Demokratie will, dann nehme ich doch die Instrumente dort in Anspruch, wo sie bestehen, in dem Fall im Bezirk Lichtenberg. Gerade das wollte die Initiative nicht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Gennburg?

Bitte schön – zum Geburtstag immer!

Danke, Herr Förster! – Die Initiative hat sich auch deshalb an das Abgeordnetenhaus gewendet, weil der Senat im Jahr 2003 einen Umsteuerungsbeschluss gefasst hat, nach dem der Ausverkauf insbesondere der Flächen bei den Entwicklungsvorhaben vorgenommen wurde. – Halten Sie es da nicht für angemessen, dass sich eine solche Volksinitiative genau aus diesem Grund natürlich auch an das Abgeordnetenhaus wenden muss, weil der Bezirk mit dem Umsteuerungsbeschluss, diesem Senatsbeschluss von 2003 offenbar nichts zu tun hat?

Na ja, nun wird der Bezirk von der Linken und der SPD regiert. Insofern muss man das vielleicht einmal intern auswerten. Ich nehme jedenfalls zur Kenntnis, dass die BVV als Souverän so beschlossen hat. Das genießt auch von mir als ehemaligem Bezirksverordnetem einen hohen Respekt, wenn entsprechend entschieden wird; dann nehme ich das auch so zu Kenntnis. Bei künftigen Verfahren kann man auch andere Regelungen anwenden. Aber hier reicht das weit zurück, auch weit vor diesen

Beschluss, als die Planungen begonnen haben. Wir haben hier nichts umzusteuern nach dem Beschluss, sondern die Grundlagen wurden schon vorher festgelegt. Da hat die BVV Lichtenberg gesagt, sie wolle sich an diesen Grundlagen orientieren. Das finde ich auch nicht falsch. Ich sage aber auch: Wenn man nach einem beschlossenen Bebauungsplan, der rechtsgültig ist, mit einer Volksinitiative kommt und dann sagt: „Ihr berücksichtigt das nicht mehr!“, muss man sagen: Guten Morgen! Dann müsst ihr eben früher herkommen! – Danke schön!

[Beifall bei der FDP]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Der Hauptausschuss empfiehlt einstimmig mit allen Fraktionen festzustellen, dass das Verfahren nach Art. 61 Abs. 1 der Verfassung von Berlin in Verbindung mit § 9 Abs. 2 des Abstimmungsgesetzes ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Die Koalitionsfraktionen beantragen die Annahme der Ihnen als Tischvorlage vorliegenden Entschließung auf Drucksache 18/2298-1. Wer diese Entschließung annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die FDP- und die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die CDU.

[Zuruf von der FDP: Hallo! Gucken! – Unruhe]

Entschuldigung! Vereinzelt gab es Gegenstimmen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dennoch ist festzustellen, dass die Entschließung damit angenommen ist.