Berlin steht zum Neutralitätsgebot – keine religiösen und weltanschaulichen Symbole in den öffentlichen Schulen
Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. – In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. Der Kollege Dregger steht schon bereit. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der Präambel unseres Berliner Neutralitätsgesetzes genießen alle Beschäftigten des Landes Berlin Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Zugleich müssen sie sich innerhalb ihres Dienstes in ihrem religiösen Bekenntnis zurückhalten, denn sie sollen die religiöse Neutralität des Staates wahren, als dessen Vertreter sie dem Bürger gegenübertreten. Das wollen wir auch weiterhin.
Die heutige Fragestunde hat gezeigt, warum es wichtig ist, dass die CDU-Fraktion dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat. Nur äußerer Anlass ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar. Wirklicher Anlass ist der Umstand, dass der Berliner Senat offenbar keine Haltung zum Neutralitätsgebot hat. Er weiß nicht nur nicht, wie er mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts umgehen soll, es gibt auch Stimmen – nicht nur aus der Linksfraktion –, die das Gesetz in Gänze kippen wollen. Das wollen wir verhindern.
Warum ist die weltanschaulich-religiöse Neutralität unseres Staates wichtig? Warum ist es wichtig, dass Beamte der Polizei, der Justiz und Lehrkräfte an öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen Symbole und Kleidungsstücke tragen? – Zunächst: Gerade wir, die Christlich Demokratische Union Deutschlands, wertschätzen religiöse Bekenntnisse und ihre Vielfalt in unserer Stadt. Sie zählen zu unseren eigenen Wurzeln. Aber wir wissen auch, dass die Zur-Schau-Stellung religiöser Bekenntnisse von manchem als selbstgewählte Abgrenzung wahrgenommen wird und dass unterschiedliche religiöse Bekenntnisse mitunter auch in unserer Stadt zu konkreten Konflikten führen können. Das muss man ohne Zweifel in einer Metropole wie Berlin mit Menschen aus über 190 Herkunftsstaaten auch aushalten können. Aber unser demokratischer Rechtsstaat hat kein Interesse daran, dass Partei derartiger Konflikte zukünftig auch seine Polizeibeamten, seine Beamten des Justizvollzuges und der Rechtspflege und seine Lehrer an öffentlichen Schulen sein werden. Wir wollen nicht, dass zukünftig zum Beispiel Schüler muslimischen Glaubens eine schlechte Schulnote auf die Kippa ihres jüdischen Lehrers zurückführen oder der christliche Schüler auf das Kopftuch seiner Lehrerein. Derartige Konflikte brauchen wir schlicht nicht. Wir wissen von der Situation so mancher Berliner Schule, dass diese Konflikte nicht fingiert, sondern real sind.
Wir brauchen diese Konflikte auch aus einem anderen Grund nicht. Sie beeinträchtigen die Autorität unseres demokratischen Rechtsstaats. Der demokratische Rechtsstaat muss doch den im Ergebnis unberechtigten Anschein und Eindruck vermeiden, dass seine Beamten, die für ihn entscheiden, über die Anliegen der Bürger aus anderen Gründen und mit anderen Entscheidungsgrundlagen entscheiden als nach Recht und Gesetz. Halten wir uns vor Augen, dass der Bürger bei seinem Anliegen den ihm gegenüberstehenden Beamten mit unserem Rechtsstaat identifiziert. Daher würde der im Ergebnis unberechtigte Anschein, religiöse oder politische Präferenzen würden die Entscheidung beeinflussen, die Autorität des Rechtsstaats beeinträchtigen. Das wollen wir nicht.
Eins ist mir besonders wichtig: Es geht hier nicht um die Bewertung einer bestimmten Religion, insbesondere nicht singulär darum, Muslima das Tragen des Kopftuchs zu verbieten. Das Neutralitätsgesetz ist kein Lex Islam,
sondern es ist in dieser Debatte wichtig, deutlich zu machen, dass sich das gesetzliche Neutralitätsgebot an die Angehörigen aller Religionen im Staatsdienst richtet. Keine Religion soll diskriminiert werden. Für alle gilt das Neutralitätsgebot.
Da der Justizsenator heute Morgen und auch in den letzten Tagen und auch Abgeordnete der Linksfraktion das Urteil des Landesarbeitsgerichts als Anfang vom Ende des Berliner Neutralitätsgesetzes angesehen haben, und auch die Stellungnahme des Kultursenators heute Morgen in der Fragestunde diese Zweifel bestärkt haben, halten wir es für notwendig, dass der Senat gegen das Urteil Revision einlegt und wir der Linkskoalition in den weiteren Beratungen in den Ausschüssen Gelegenheit geben, eine Haltung zum Erhalt des gesetzlichen Neutralitätsgebotes zu entwickeln. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht den Eindruck, und zwar weder bezogen auf den Senat noch auf die Koalition, dass es uns in dieser schwierigen Abgrenzungsfrage an Haltung mangelt.
Wir haben eine völlig klare Haltung. Wir haben ein geltendes Gesetz. Wir wollen, dass sich der Staat allen Religionen gegenüber neutral verhält, und wir werden in Ruhe und Sachlichkeit bewerten, wie sich die Entwicklung in der Rechtsprechung auf dieses Gesetz, das sich in Berlin über Jahre bewährt hat, auswirken könnte. Das ist eine andere Haltung als das, was Sie mit dem Platzhalter und Schnellschuss hier in das Haus tragen.
Ich möchte daran erinnern, wie gerade Sie als CDUFraktion sich im Januar 2005 verhalten haben. Der Abgeordnete Henkel hat hier Ihre Haltung, von der Sie – das hat die Fragestunde für mich gezeigt – nicht abgerückt sind, deutlich gemacht. Die CDU vertritt nämlich die Auffassung – die durch alle Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht mehrfach verworfen worden ist –, dass es ein Privilegierungsgrund und -gebot – das sagte der Kollege Henkel im Jahr 2005 – zugunsten einer Religion gibt und deshalb zulasten einer anderen Religion ein hohes Maß an Neutralität angezeigt ist. Diese Haltung vertritt die Koalition mitnichten.
Zu Ihrem Antrag: Im Begründungsteil wird signifikant, dass Sie auf ein Symbol abzielen. Das wundert nicht, denn das Urteil aus dem Jahr 2003 wird Kopftuchurteil genannt. Ein Argument finde ich allerdings schwierig. Es trägt auch nicht die Überlegungen der Koalition und des Senats. Es geht darum zu sagen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr ist zu einem anderen Vorgang erlassen und deshalb für uns nicht Denkgrundlage. Es ist dem Gericht gegenüber zweifelhaft, ob es angemessen ist. Auch 2003 war der Ausgangspunkt für unser Neutralitätsgesetz eine Rechtsprechung zu einem konkreten Fall in Baden-Württemberg.
Ich erinnere aber an Folgendes: Es gibt nur eine Instanz, die eine juristische Verwerfungskompetenz hat, insbesondere zu einem Gesetz, das wir als bewährt ansehen, und das ist das Bundesverfassungsgericht. Wir müssen also mit dem Vorgang umgehen, dass wir drei grundsätzlich verschiedene Meinungen in der Jurisprudenz vorfinden. Ein Fachgericht hält das Berliner Neutralitätsgesetz für verfassungskonform. Ein weiteres Fachgericht, nämlich das Landesarbeitsgericht, hält es für verfassungskonform auslegbar, und dann gibt es juristisch perpetuierte Meinungen, die ihm auch diese Auslegungsfähigkeit absprechen. Wir sind aufgerufen, mit diesen Meinungen seriös und in Ruhe umzugehen, und das wird der Senat auch tun, und zwar unter dem Aspekt, ob wir eine juristische Veranlassung haben, das von uns für politisch gut und bewährt gehaltene Gesetz inhaltlich aufzugreifen.
Ein weiterer Punkt zu Ihrem Antrag: Sie fordern den Senat auf, Revision einzulegen. Heute Morgen hat der Kollege Melzer schon an diverse Fristen erinnert usw. Ich wollte das eigentlich vermeiden, sehe es aber unter zwei Gesichtspunkten als problematisch an: erstens unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung, und zweitens sehe ich das Fristenthema gar nicht. Da sind Sie etwas vorschnell. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 beträgt die Revisionsfrist einen Monat, die Revisionsbegründungsfrist zwei Monate, und zwar gemäß Satz 2 dieser Norm, nach dem das vollständig abgefasste Urteil zugestellt ist, spätestens aber fünf Monate.
Wir sind also überhaupt nicht veranlasst, hier irgendeinen Schnellschuss abzugeben. Wie in den Jahren 2003 und 2004 sind die von mir genannten Aspekte in eine seriöse, politische Gewichtung zu bringen. So werden wir das auch handhaben. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Das staatliche Neutralitätsgebot ist eindeutig und verpflichtend. Nach dem Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts stellt sich damit zunächst einmal die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage das Gericht überhaupt sein Urteil gefällt hat. Die seinerzeitige Ablehnung der Bewerberin wegen ihrer Weigerung, im Dienst das Kopftuch abzulegen, erfolgte auf Basis des Berliner Neutralitätsgesetzes. Dieses Gesetz gilt. Es gilt noch immer. Keineswegs darf sich ein Gericht zu einer Praxis inspirieren lassen, mal eben gesetzliche Regelungen nicht mehr zu beachten oder für obsolet zu erklären,
wie das unter Missachtung der Rechtslage zur DublinVerordnung ein deutsches Regierungsmitglied tut. Die bekannte Herrschaft des Unrechts!
Das Gericht hat auch nicht etwa mitgeteilt, es hege Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes. Nach geltender Rechtslage hätte somit zugunsten des Landes Berlin entschieden werden müssen. Doch wie versteht eigentlich ein Gericht seinen gesetzlichen Auftrag, wenn es sein eigenes Urteil schlicht als Ausnahme deklariert und hiermit zugleich wohlwissentlich einen Präzedenzfall anbietet?
Viel schwerer wiegt jedoch die politische Aussage, die mit diesem Urteil gemacht wird. Das Kopftuch ist kein religiöses Symbol, wie namhafte Islamwissenschaftler bestätigen, die ihm diese Bedeutung absprechen. In jedem Fall ist es aber ein politisches Symbol, mit dem sich die Trägerin bewusst von der deutschen Gesellschaft abgrenzt. Politische Symbole haben jedoch, ebenso wie religiöse Symbole, im Staatsdienst nichts zu suchen – und in Schulen schon gar nicht.
Die AfD kritisiert die Tatenlosigkeit des Berliner Senats nach diesem fragwürdigen Urteil. Berlins Schulleiter diskutieren jetzt öffentlich über die Frage, welche Konsequenzen man aus dem Kopftuchurteil ziehen sollte. Doch der rot-rot-grüne Senat scheint sich in dieser Frage nicht ganz grün zu sein und langsam eher rot zu sehen. Er scheint in dieser Frage heillos zerstritten. Statt die verunsicherten Schulleiter zu unterstützen, entzieht sich die verantwortliche Senatorin jeder Kommentierung und – lässt prüfen. Das kann vieles heißen und lange dauern.
Verantwortliche Schulpolitik ist das nicht. Die AfD fordert, das Berliner Neutralitätsgesetz ohne Abstriche beizubehalten.
Mit diesem Urteil, das die in Berlin geltende Gesetzeslage auf den Kopf stellt, gibt das Landesarbeitsgericht in
Denn Religionsausübung ist das Tragen des Kopftuchs keineswegs, vielmehr ursprünglich ein archaischkulturelles Symbol der Unterdrückung der freien Entfaltung der Frau und damit auch Zeichen eines Herrschaftsanspruchs über sie.
das neuerdings inflationär von jungen Frauen als quasi umgekehrte Emanzipation kultiviert wird – als Emanzipation von der hiesigen Gesellschaft.