Protokoll der Sitzung vom 03.09.2020

[Sven Rissmann (CDU): Gelogen!]

Es ist so, dass in der Bildungsverwaltung – und zwar § 4 des Neutralitätsgesetzes, wie dort mal nachzulesen – seit 15 Jahren diese Regelung gilt. Die Regelung, die Sie nicht erlassen haben, weil die natürlich – formaljuristisch korrekt – der Präsident des Kammergerichts und der Präsident des GJPA erlassen hat, kommt relativ überraschend zu einem Zeitpunkt, der – was ich vorsichtig sage – unglücklich ist in Hinblick darauf, welche Verabredung Sie im Senat hatten.

[Paul Fresdorf (FDP): Böses Foulspiel!]

Und natürlich sagen Sie, Herr Senator: Ich war es ja nicht, es war des Präsident des Kammergerichts, und es war der Präsident des Gemeinsamen Justizprüfungsamts. Aber klar ist doch auch, lieber Herr Senator, wenn wir da mal konkreter nachfragen – aus Ihrem Hause gab es durchaus die Bestrebungen und den Wunsch, dass es da entsprechende Änderungen gibt. Sie wissen auch, dass der Gesamtpersonalrat und die Richterschaft sich sehr deutlich dazu geäußert haben, und zwar dahingehend, dass religiöse Symbole – ich möchte das losmachen vom Kopftuch, dazu zählen sämtliche religiöse Symbole – nach Auffassung der Richterschaft im Gerichtssaal nicht gewünscht sind.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wir sind alle politische Profis hier im Haus, und insofern kann ich mit dem Vorgang entsprechend umgehen. Den Justizsenator kenne ich auch schon vier Jahre in der Zusammenarbeit. Gleichwohl muss man sagen, dass es jedenfalls gegenüber den Senatskollegen und Senatskolleginnen zumindest respektlos ist, was hier passiert ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Zur Wahrheit zählt aber auch, dass wir die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts abwarten werden, und wir werden selbstverständlich in der Koaliti

on miteinander darüber reden, welche Änderungsbedarfe es beim Neutralitätsgesetz im Land Berlin vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Entscheidung und vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts geben wird. Das wird selbstverständlich in dieser Koalition passieren, und dazu haben wir noch ein Jahr Zeit. Wir kennen natürlich die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die gerichtliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kennen wir bisher nicht. Es war eigentlich ein guter Weg des Senats, das Urteil vom Bundesarbeitsgericht abzuwarten. Es ist schade, dass das vorschnell unterlaufen wird. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Für die AfD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Vallendar das Wort. Ich möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, dass Sie eine Restredezeit von 3:37 Minuten zur Verfügung haben.

Vielen herzlichen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts über das Tragen eines Kopftuchs im Schulbetrieb wird verkündet. Die Tinte auf dem Urteil ist noch nicht mal getrocknet, und die Urteilsgründe liegen noch nicht mal vor, schon tritt der grüne Justizsenator hervor und verkündet: Rechtsreferendarinnen im Land Berlin dürfen im Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft fortan Anklageschriften auch mit Kopftuch verlesen. Einzige Bedingung ist, dass der Ausbilder danebensitzen muss. – Damit stellt sich der Justizsenator gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2020. Das hat hier auch schon der Kollege Rissmann vorgetragen und zitiert. Der Leitsatz ist auch unmissverständlich, und über den Hintergrund für das Verhalten des Justizsenators kann nur gemutmaßt werden. Warum schwingt sich ein bunter und grüner Justizsenator zum Verteidiger einer fundamentalistischen Auslegung und frauenverachtenden Praxis einer mittelalterlichen Kriegerreligion auf, einer Religion, die in ihren heiligen Schriften die Todesstrafe für den Justizsenator verlangt?

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt werden Sie uns überzeugen!]

Wir wissen es nicht. Vielleicht hat er die Religion nicht studiert. Aber wir wissen, dass das Neutralitätsgebot gerade in Bezug auf Religion – und dabei meine ich jegliche Religion – im Staat wichtig ist, auch für unseren Staat und insbesondere natürlich wie vorliegend in der Justiz. Der einzige Lichtblick im Senat war auch ja auch sowieso Frau Senatorin Scheeres, die heute auch gezeigt hat, was der Innensenator immer gerne zeigen möchte, nämlich Haltung.

(Sven Kohlmeier)

[Beifall bei der AfD – Paul Fresdorf (FDP): Das hört sie nicht oft!]

Ich danke Frau Scheeres ausdrücklich, dass sie beabsichtigt, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, und auch dafür, wie sie anschließend die Probleme muslimischer Lehrerinnen beschrieben hat, die sich als Ungläubige beschimpfen lassen müssen, weil sie kein Kopftuch tragen. Die Zerrissenheit des Senats in dieser Frage ist wirklich beschämend, denn eines ist klar: Der politische Islam versucht, immer mehr Einfluss zu gewinnen, und wir sehen das auch bei der Kopftuchdebatte. Wir sehen das auch in Ländern wie der Türkei oder im Iran, vormals Persien, wo das Kopftuch lange Zeit aus staatlichen Institutionen bewusst herausgehalten wurde. Wohlgemerkt, das sind mehrheitlich muslimische Länder. Da wurde der Laizismus nach vorne getragen. Aber welche Entwicklung haben diese Länder genommen!

Es ist gefährlich. Es fängt jetzt an. Erst muss ein Ausbilder daneben sitzen, und irgendwann verzichtet man auf den Ausbilder, weil es übrigens auch keinen sachlichen Grund dafür gibt. Irgendwann sagt man: Ja, eigentlich kann auch eine Staatsanwältin das Kopftuch tragen. – Und dann haben Sie irgendwann den politischen Islam in der Berliner Justiz und in sämtlichen staatlichen Institutionen sitzen, und das lehnen wir als AfD-Fraktion ab.

[Beifall bei der AfD]

Wir hoffen, dass dieser Fehler des Justizsenators korrigiert wird. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Die Linke hat Herr Kollege Schlüsselburg das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Erstes zu dem einen Diskussionsgegenstand, zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Da nehme ich den geschätzten Kollegen Kohlmeier beim Wort. Wir werden das in der Koalition auswerten, sobald wir die Urteilsbegründung haben, und dann werden wir noch in dieser Wahlperiode darüber sprechen, welche gegebenenfalls auch gesetzgeberischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zum Regelungsgehalt des CDU-Antrags – denn das muss man auseinanderhalten, und das werde ich gleich mal tun –: Herr Kollege Rissmann! Sie haben gestern offensichtlich dem Justizsenator nicht genau zugehört. Das ist nicht so schlimm, das passiert manchmal.

[Heiko Melzer (CDU): Es war völlig verständlich!]

Der Justizsenator hat nämlich gesagt, dass er bzw. der Kammergerichtspräsident

[Heiko Melzer (CDU): Wer denn nun?]

die entsprechende Anordnung nicht aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts getätigt hat, sondern aufgrund des Referendarkopftuchurteils des Bundesverfassungsgerichts, das hier schon angesprochen wurde. Und wenn wir in dieses Urteil hineingucken, also in die Leitsätze, Herr Kollege Rissmann, sehen wir, dass es acht Leitsätze sind, und dann darf man nicht Rosinenpickerei betreiben, sondern dann muss man sich den ganzen Tenor angucken. Ich lese kurz den Punkt 7 vor – Zitat –:

Das normative Spannungsverhältnis zwischen den Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots aufzulösen, obliegt zuvörderst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu finden hat. Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Justizangehörige aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt er über eine Einschätzungsprärogative.

Jetzt gucken wir mal in § 4 Ihres heiß geliebten Neutralitätsgesetzes in der gültigen Fassung, und dann erkennen Sie, dass dieser Gesetzgeber genau das getan hat, er hat nämlich für Referendarinnen eine Kann-Regelung getroffen, in diesem Bereich von den §§ 1 und 2 des Gesetzes gegebenenfalls bereichsspezifisch abzuweichen. Im Lichte der Rechtsprechung, der von mir gerade zitierten Verfassungsgerichtsentscheidung, hat der Kammergerichtspräsident das gemacht, und ich finde, er hat eine sehr maßvolle Entscheidung getroffen, indem er gesagt hat, dass Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare in dem Moment, in dem sie Sitzungsvertretungen machen, ein religiöses Bekundungssymbol oder wie auch immer tragen dürfen, wenn und soweit neben ihnen die entsprechende Ausbildungsperson sitzt, sodass für jeden erkennbar ist, dass diese Person in einer Ausbildungssituation ist.

[Bernd Schlömer (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Schlüsselburg, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlömer zulassen.

Nein, danke! Ich bin auch gleich mit meiner Rede zu Ende. – Herr Kollege Rissmann! Insofern ist das hier ein Missverständnis, dass Sie benutzt haben, um einen Ballon

(Marc Vallendar)

aufzupusten, in dem sehr viel Luft, aber eben nur heiße Luft ist. Ich kann einfach nur empfehlen, an der Stelle dann, wenn Sie das Gerichtsurteil und den Tenor lesen, das vollständig zu machen und dann auch zu gucken, was dieser Gesetzgeber beschlossen hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Das ist nicht zu beanstanden. Und über das Bundesarbeitsgerichtsurteil werden wir in der Koalition in aller Ruhe reden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Carsten Ubbelohde (AfD): Hanebüchen!]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Kollege Fresdorf das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt passiert es mir das zweite Mal heute, dass ich sagen muss: Frau Scheeres, Sie machen da etwas vollkommen richtig! – Den Tag heute markiere ich mir im Kalender; ich glaube, das passiert nicht so oft wieder. Frau Scheeres hat aber die vollkommen richtige Haltung in dieser Situation: Die Neutralität des Staates ist jederzeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten – jederzeit, in der Schule und in der Justiz.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Der Staat hat einfach keine religiöse Position zu beziehen, wenn er seine hoheitsrechtlichen Aufgaben ausübt. – Herr Schlüsselburg! Sie haben gerade dem Kollegen Rissmann unterstellt, er hätte nicht richtig zugehört. Das hat er sehr wohl, und wir haben es alle gehört, dass dann dort die Rechtsreferendarin in Vertretung mit Kopftuch sitzt, die den Prozess für die Staatsanwaltschaft führt, und daneben sitzt der Ausbilder. Was ist das im Übrigen für ein Bild? – Lieber Kollege Schlüsselburg, ich glaube, Sie wissen, wie das funktioniert: Normalerweise sitzen die Referendare alleine dort.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Kommt drauf an!]

Das ist nämlich ihre Feuerprobe, wenn sie das erste Mal im Gericht sitzen und die Staatsanwaltschaft vertreten. Da sitzen sie alleine mit breiter Schulter und breiter Brust und können sich das erste Mal staatsanwaltschaftlich betätigen. Und Sie setzen diesen Frauen dann einen Ausbilder an die Seite, damit auch jeder sieht, dass Sie denen gar nichts zutrauen? Oder was ist da das Thema? Was ist denn das für ein Frauenbild, das da in der Justizverwaltung gelebt wird?

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Steffen Zillich (LINKE): Was für ein lustiger argumentativer Trick! Aber auch so durchsichtig!]

Herr Fresdorf! Ich darf Sie fragen, ob Sie zum einen eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Berg von der AfDFraktion und zum anderen eine Zwischenfrage des Kollegen Rissmann zulassen.

Dann fangen wir mit Herrn Dr. Berg an.

Haben Sie recht herzlichen Dank, Herr Präsident! – Herr Fresdorf! Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass Sie gegenüber dem Kollegen Schlüsselburg ein wenig unfair gewesen sind, weil Sie ihm ein Wissen unterstellt haben, das er nicht haben kann, denn Herr Schlüsselburg ist zwar Diplomjurist, aber hat nach Kenntnis aus dem Abgeordnetenhandbuch niemals eine Referendarausbildung absolviert?

[Heiterkeit und Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Beifall von Herbert Mohr (AfD) – Zuruf von der LINKEN: Ach Gott!]