Protocol of the Session on September 3, 2020

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Unwürdig und schändlich ist auch, dass die Senatsverwaltung für Finanzen weiter an der Einrede der Verjährung festhalten will. Das Gutachten des Wissenschaftliches Dienstes ist zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen:

Die Verwaltung ist nicht zwingend verpflichtet, die Einrede der Verjährung zu erheben.

Die Vorsitzende Richterin am Kammergericht teilte mit, dass sie keine Verjährung sieht. Jedes weitere Festhalten an der Einrede der Verjährung, Herr Kollatz, ist deshalb perfide. Es offenbart nur eines: Der Senat betreibt ein doppeltes Spiel gegenüber den Opfern.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich fordere Sie deshalb abschließend auf, die Missbrauchsopfer endlich ernst zu nehmen und deren Leiden nicht durch unsägliche juristische Taktiererei zu verlängern. – Danke schön!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Frau Abgeordnete Kühnemann-Grunow.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach wie vor ist es sehr schwer zu ertragen, dass es in den Siebzigerjahren in Berlin möglich war, dass obdachlose Jugendliche mit Duldung des Jugendamts bei pädophilen Männern untergebracht wurden. Nicht nur aus heutiger Sicht, auch bereits in damaliger Zeit war es ein Verbrechen im Rahmen eines pädagogischen Modellprojekts, obdachlose Jugendliche gezielt in die Obhut von pädophilen Pflegevätern zu geben. Dass es Sexualkontakte und Missbrauch zwischen den Kindern und den Erwachsenen gab, wurde von Helmut Kentler, Professor für

(Thorsten Weiß)

Sozialpädagogik und damaliger Abteilungsleiter des Pädagogischen Zentrums Berlin, bewusst in Kauf genommen.

Wichtig ist aber: Dieses Haus und auch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie haben ein großes Interesse daran, Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe aufzuarbeiten. Das zeigt auch der Abschlussbericht von Herrn Prof. Dr. Schröer und Frau Prof. Dr. Baader von der Stiftungsuniversität Hildesheim. Seit Juni liegt der Abschlussbericht vor. Wir sehen genau, wie hier gewirkt wurde.

Mein besonderer Dank gilt den Betroffenen, die sich entgegen der Behauptung der AfD an der Aufarbeitung beteiligt haben. Der neue Ergebnisbericht liefert ein klares, umfassendes Bild von den Vorgängen. Er fordert neue Erkenntnisse zu Kentlers Rolle, zu den Strukturen und Verfahren der damaligen Zeit und von den Verantwortlichkeiten heute. Und er entlarvt Kentlers Rede von einem Experiment der Erziehungs- und Bildungsreform als beschönigende Darstellung des sexuellen Missbrauchs von Pflegekindern.

Die Geschehnisse liegen weit zurück, dennoch, entgegen der Ausführungen der AfD, übernimmt da Land Berlin selbstverständlich die Verantwortung für das Leid der Schutzbefohlenen, das ihnen in öffentlicher Verantwortung angetan wurde.

Auch wir als jugendpolitische Sprecherinnen der Koalition kümmern uns. Niemand, wirklich niemand, nennt die Betroffenen hier „Lügner“.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Dafür spricht, dass es sowohl von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie als auch von uns Angebote für Gespräche gab, und diese auch mit den Betroffenen geführt wurden. Allen zuvorderst möchte ich hier Marianne Burkert-Eulitz nennen, die sich sehr stark eingesetzt hat, in Kontakt mit den Betroffenen zu treten.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Außerdem wurde eine finanzielle Anerkennung ihres Leids angeboten, unabhängig von der Verjährung. Juristische Spielchen kann man hier sicherlich treiben, aber das tut man dann auch auf dem Rücken der Betroffenen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das Land Berlin wird sich selbstverständlich für eine weitere Aufarbeitung einsetzen, insbesondere mit Blick auf die Jugendämter in den Bezirken und auch die deutlichen Hinweise auf bundesweite Zusammenhänge. Hier dürfen wir, das ist richtig, nicht lockerlassen.

Wichtig ist auch, dass Kinderschutz heute komplett anders aufgestellt ist. Sie haben im Übrigen nicht zu Ihrem Antrag gesprochen. Sie fordern hier Punkte zum Kinderschutz. Ich freue mich darauf im Ausschuss; da können wir sehr detailliert darüber sprechen, was die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie inzwischen für Kinderschutzmaßnahmen unternimmt.

Wichtig ist mir aber an dieser Stelle: Wir haben die Pflicht aufzuklären und die Betroffenen ernst zu nehmen und zu entschädigen. In einem Fall ist dies womöglich schon geschehen. Ich kann Sie allerdings nur warnen – instrumentalisieren Sie die Opfer nicht. Dies würde bedeuten, dass Sie sie für Ihre eigenen Zwecke erneut missbrauchen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Simon jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute diskutieren wir den Antrag „Die Opfer des Berliner Päderastieskandals ernst nehmen und ihren berechtigten Anliegen entsprechen: ZehnPunkte-Katalog gegen Kindesmissbrauch“. Die Antragsteller haben ein interessantes Vorgehen gewählt: Sie übernehmen einen Zehn-Punkte-Katalog und den kompletten inhaltlichen Teil der Begründung von Betroffenen. – Auf der einen Seite finde ich gut, dass Sie den Betroffenen hiermit eine Stimme geben, zu einer Stimme verhelfen; auf der anderen Seite, finde ich, machen Sie es sich auch ein bisschen einfach.

Zu den einzelnen Punkten Ihres Antrages: Bei den Punkten 1 bis 4 laufen Sie bei der CDU-Fraktion offene Türen ein. Bei diesen vier Punkten geht es um Schlüsse, die gezogen werden sollen; Schlüsse, die gezogen werden müssen aus der staatlich – von der Berliner Senatsjugendverwaltung und einigen Bezirksverwaltungen – beförderten, geduldeten und protegierten Unterbringung von Kindern und Jugendlichen bei Pädophilen, bei zum Teil vorbestraften Pädophilen, die sich ihre künftigen Pflegekinder und damit auch zukünftigen Opfer zum Teil selbst in Kinderheimen aussuchen durften. Staatliche Kontrolle war auch damals vorgeschrieben, sie fand aber nicht statt. Sie erfolgte nicht. Das war rechtswidrig, schon damals. Angesichts der kleinen Kinder, die Opfer dieses Missbrauchs wurden, ist das sogenannte KentlerExperiment ein riesengroßer Skandal.

[Beifall von Heiko Melzer (CDU)]

Den Punkt 5 finden wir zu allgemein formuliert. Wir sind da eher für konkrete Vorschläge, denn es gibt ja eine

(Melanie Kühnemann-Grunow)

Vielzahl von Landesgesetzen und landesgesetzlichen Verordnungen. Klar, das macht Arbeit, aber das ist Teil des parlamentarischen Geschäfts. So ist parlamentarische Demokratie.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kerker?

Bitte!

Vielen Dank, lieber Kollege Simon! Sie haben es schon angesprochen, Sie haben auch am 1. Juni 2015 in der „Morgenpost“ gefordert, dass die Folgeschäden durch einen Hilfsfonds wenigstens abzumildern sind. Jetzt frage ich mich dann doch: Warum stimmt die CDU dem Antrag der AfD nicht zu? – Jetzt haben Sie einen Punkt vorgebracht, den sie nicht so gut finden. Warum kommt denn dann nicht zumindest ein Änderungsantrag? – Das wäre doch sehr wünschenswert an der Stelle, damit wir den Opfern helfen.

[Heiko Melzer (CDU): Nicht in der ersten Lesung!]

Herzlichen Dank für die Zwischenfrage, Herr Kollege! Ich habe ja zu den Punkten 1 bis 4 gerade ausgeführt, dass Sie da bei uns sozusagen offene Türen einrennen, inhaltlich, und zu Punkt 5, dass wir da einen konkreteren Ansatz verfolgen. Wir befinden uns heute ja in der ersten Lesung des Antrages. Natürlich wäre es möglich, dass die CDU heute schon einen Änderungsantrag vorlegt, es ist aber genauso möglich, dass wir das in den Beratungen der Ausschüsse tun oder auch später bei der zweiten Lesung. Das ist unsere Sache, und darüber werden wir befinden, wenn es an dem Punkt angekommen ist, wenn wir meinen, dass es sinnvoll ist, hier darüber zu diskutieren.

Zurück zu Punkt 5: Unser Ansatz ist deshalb konkreter, weil wir meinen, es ist sinnvoll, hier konkrete Lösungsvorschläge einzubringen. Wir haben am 14. Mai 2020 einen solchen konkreten Lösungsvorschlag eingebracht mit einem Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes. Das Gesetz zur Einführung verpflichtender Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt und gegen Mobbing an Berliner Schulen haben wir ins Parlament eingebracht. Was tut der rot-rot-grüne Senat? – Ich zitiere aus der Stellungnahme des Senats mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin! – Die

Stellungnahme ist Anfang August dem Parlament zugegangen: Der Antrag der CDU ist daher nicht zielführend. – Das gibt es doch nicht.

Die schwarz-gelbe Landesregierung in NordrheinWestfalen macht Ihnen vor, wie es geht. Zum 1. Juli wurde dort eine Einsatzgruppe in der Zentral- und Ansprechstelle Netzkriminalität Nordrhein-Westfalen eingerichtet. Nun ist man allein im Zusammenhang mit dem Ermittlungskomplex Bergisch Gladbach 30 000 bislang unbekannten Tatverdächtigen auf der Spur. Und was tut Rot-Rot-Grün? – Dass die innere Sicherheit bei Ihnen nicht in guten Händen ist, wissen die Berlinerinnen und Berliner, aber Sie schaffen es ja nicht einmal, eine sinnvolle Ergänzung des Schulgesetzes vorzunehmen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Carsten Ubbelohde (AfD)]

Was muss eigentlich noch passieren, damit Sie für die Zukunft Konsequenzen aus dem sogenannten KentlerExperiment ziehen? Auch beim vor einigen Monaten verabschiedeten Jugendfördergesetz, in das Sie hineingeschrieben haben, dass alle sexuellen Lebensweisen – alle, also auch Pädophilie – gefördert werden sollen, beweisen Sie, meine Damen und Herren von Rot-Rot-Grün, dass Sie eben keine Konsequenzen ziehen wollen.

[Ronald Gläser (AfD): Skandal!]

Sie erklären hier im Haus – meine Vorrednerin hat es gerade getan –, dass Sie das Kentler-Experiment auch für einen Skandal halten und dass Sie eine Entschädigung der Opfer befürworten. Nur Sie tun ja nichts. Sie reden seit Jahren, Sie regieren auch seit Jahren. Aber reden hilft in diesem Fall nicht weiter – handeln Sie, meine Damen und Herren von Rot-Rot-Grün. Entschädigen Sie endlich die Opfer.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP]

Schaffen Sie endlich Ermittlungsdruck und Ermittlungserfolge gegen kriminelle Kinderschänder und ziehen Sie endlich bei aktuellen und bei künftigen Gesetzesvorhaben Konsequenzen aus der Vergangenheit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat die Kollegin Seidel das Wort. – Wenn die SPD eine Zwischenbemerkung anmelden möchte, müsste das ein PGF oder ein Fraktionsvorsitzender machen.

[Raed Saleh (SPD): Ich möchte eine Zwischenbemerkung anmelden!]

Dann hat die Kollegin Kühnemann-Grunow jetzt das Wort zur Zwischenbemerkung. – Bitte schön!

(Roman Simon)