Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

2 000 in Auslosung stehende Stipendien ein Signal – worüber die freie Szene schon lang mit uns diskutiert hat –, das unbedingt über die Coronazeit hinaus andauern sollte. Um die explosionsartig steigenden Gewerbemieten und die daraus folgende Verdrängung, auch von Kultureinrichtungen, zu stoppen, muss sich Berlin auf Bundesebene für einen Gewerbemietendeckel einsetzen.

[Zuruf von der AfD: Nein!]

Oh, doch! Das ist dringend nötig, auch für soziale und Kultureinrichtungen in dieser Stadt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir suchen immer ein bisschen nach dem Positiven und der Chance der Coronakrise, und die finden wir oft spartenübergreifend in der Digitalisierung, so auch im Kulturbereich, wo künstlerische Projekte ins Digitale abgewandert sind. Deswegen hat auch die Digitalisierung im Kulturbereich einen enormen Schub erfahren. Wenn aber verstärkt digitale Formate angeboten werden, müssen wir auch überlegen, wie und wo das passieren soll. Wollen Künstlerinnen, Künstler und Kultureinrichtungen ihre digitalen Angebote bei kommerziellen Drittanbietern zur Verfügung stellen, sie auf den eigenen Seiten zum Download oder Streamen anbieten, oder kann man vielleicht eine gemeinwohlorientierte, nicht kommerzielle Kulturplattform etablieren, zum Beispiel in Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Sendern? Was kann kostenfrei angeboten werden? Wofür brauchen wir Bezahlformate? Das alles sind Fragen, die wir mit den Künstlerinnen und Künstlern diskutieren sollten, die bereits Erfahrungen im digitalen Raum haben, wie zum Beispiel machina eX, auf die wir im Oktober gespannt sein dürfen, oder den Leuten von kulturBdigital, mit denen wir künftig darüber sprechen werden.

Zum Abschluss möchte ich mich selbstverständlich für die unglaubliche Solidarität bedanken. Statt um das Wenige zu kämpfen, gab es in der Kulturszene Berlins von den großen geförderten Häusern bis zur freien Szene ein Miteinander und die Bereitschaft, gemeinsam diese Krise zu bewältigen, kreative Lösungen zu finden und mit uns, mit Klaus Lederer, mit der Verwaltung zusammenzuarbeiten. – Herzlichen Dank an euch alle! Haltet durch! Berlin braucht euch!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Jetzt kommt die AfD-Fraktion mit Herrn Kollegen Trefzer. Keine Zwischenfragen, hat der Kollege gesagt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Matthias Goerne, einer der weltweit führenden Baritonsänger, hat

am vergangenen Wochenende in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ einen erschütternden Ausblick auf das kulturelle Leben in Deutschland nach Corona gegeben: Deutschland stehe vor einer Welle des Bühnensterbens, viele Künstler seien kurz vor dem Absprung, und der Nachwuchs werde über Jahre vergrault, prognostiziert Goerne – und mehr noch: Die deutsche Kulturlandschaft insgesamt sei durch die Coronamaßnahmen in ihrer Substanz bedroht. „Die Kultur steht vor dem Bankrott“, so Goerne wörtlich. Das besonders Frappierende an dieser Analyse ist aus der Sicht des Baritons dabei nicht etwa die Unausweichlichkeit dieses Szenarios, nein, ihn empört gerade, dass wir sehenden Auges auf dieses Desaster zusteuern, sozusagen ein Schiffbruch mit Ansage, der obendrein absolut grundlos sei.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Denn während in anderen Ländern die Kultur mit innovativen Konzepten wieder hochgefahren worden ist und auch hierzulande das allgemeine Wirtschaftsleben längst wieder Tritt gefasst hat, halten die Verantwortlichen in Deutschland die Kultur schlicht für nicht relevant genug, um sich für sie in die Bresche zu werfen – so Goerne.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Es hätte sich in der Krise gezeigt, dass die Sonntagsreden der Politiker über die Bedeutung der Kultur nicht ernst gemeint gewesen seien. Anders sei nicht zu verstehen, dass das, was im öffentlichen Verkehr und im Dienstleistungssektor längst wieder gang und gäbe ist, im Kultur- und Veranstaltungssektor nicht möglich sein soll. Dabei geht es Goerne nicht etwa darum, an der einen oder anderen Zuschussschraube noch einmal nachzujustieren. Nein, Goerne geht es darum, dass kulturelle Veranstaltungen überhaupt wieder Publikum anziehen und freie Veranstalter wieder etwas verdienen können, statt sich selbst abwickeln zu müssen.

Die Postulate von Matthias Goerne decken sich mit den Forderungen der Verbände der Veranstaltungswirtschaft, wie sie sie auf ihrer Großdemonstration am 9. September 2020 unter dem Motto: „Alarmstufe Rot – Rettet die Veranstaltungsbranche!“ gestellt haben. Es ist in der Tat keinem Künstler mehr zu vermitteln, dass Flugzeugfliegen und Bahnfahren bei Tragen einer Maske mittlerweile wieder problemlos möglich sind, während gut belüftete Konzertsäle unverändert leer stehen – auch in Berlin.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) – Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Das ist purer Hohn, denn die ohne Not aufrechterhaltenen Abstandsregeln werden die meisten Häuser früher oder später zum Aufgeben zwingen. Anhaltende Zuschauerbeschränkungen haben auf den Kultur- und Veranstaltungsbetrieb verheerende Auswirkungen. Weil das so ist,

(Anne Helm)

unterstützen wir als AfD-Fraktion die Forderungen von Matthias Goerne und „Alarmstufe Rot“ und waren selbstverständlich auch bei der Demo dabei.

[Anne Helm (LINKE): Die wollten Sie aber nicht da haben! Die wollten Sie explizit nicht da haben! Das haben Sie nicht respektiert!]

Nun kommen wir aber zum Senat. Was macht der Senat in dieser Situation? Was macht der Kultursenator? – Wie nicht anders zu erwarten: Er steckt den Kopf in den Sand und bewegt sich keinen Millimeter mehr als er muss, statt sich in der Stunde der Not mit unkonventionellen Maßnahmen für alle Bereiche der Kultur in die Bresche zu werfen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Wo sind denn in Berlin die kreativen Lösungen, die bei den Salzburger Festspielen vorgemacht wurden? – Fehlanzeige. Wo ist denn die zentrale Anlaufstelle für den Kultur- und Veranstaltungssektor, die der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Entertainment AG, Herr

Prof. Schwenkow, in der letzten Ausschusssitzung dringend gefordert hat? – Natürlich Fehlanzeige bei diesem Senat. Statt den Vorschlag aufzugreifen, haben Sie die Nase gerümpft, weil Herr Prof. Schwenkow die kommerzielle Event- und Veranstaltungsbranche vertritt.

[Zuruf von der CDU: Das ist ja auch richtig so!]

Die zeichnet aber nun einmal für 70 Prozent der Umsätze im Kultursektor und Hunderttausende von Mitarbeitern verantwortlich. Sie ist Ihnen aber scheinbar egal. – Was Ihnen vorschwebt, Herr Lederer, ist kein Geheimnis. Es ist im Grunde das Gleiche, was Sie auch im Bausektor praktizieren: einzelne staatliche Akteure, die Ihr Wohlwollen genießen, über Wasser zu halten, aber private Akteure immer mehr in Abhängigkeit der öffentlichen Hand zu bringen oder im Zweifel über den Jordan gehen zu lassen.

[Anne Helm (LINKE): Ja, was denn nun? Soll man fördern oder nicht?]

So sind die Coronamaßnahmen auf verdeckte Weise auch im Kulturbereich nichts anderes als ein Programm zur Verstaatlichung der Kulturbranche.

[Bravo! und Beifall bei der AfD –

Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und

Andreas Wild (fraktionslos) –

Lachen von Torsten Schneider (SPD) –

Ja, genau deswegen

haben wir die Krise erfunden! –

Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Ausgewählte Kultureinrichtungen werden bei Wohlverhalten an den staatlichen Tröpfen über Wasser gehalten, aber die privatwirtschaftliche Kulturbranche blutet derweil aus. Das ist Ihre Strategie – so vorhersehbar wie durchschaubar.

Wie der Kultursenator tickt, hat nicht zuletzt seine Reaktion auf den Vorschlag von Herrn Prof. Stefan Willich, einem führenden Virologen der Charité, gezeigt.

[Torsten Schneider (SPD): Den Vortrag können Sie in der „Distel“ halten!]

Die Charité-Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie – hören Sie doch einmal zu, Herr Schneider – sowie für Hygiene und Umweltmedizin haben in einem Papier empfohlen, unter Einhaltung von Hygienevorschriften in Klassikveranstaltungen wieder jeden Platz zu besetzen. Ein voller Saal sei möglich, wenn sich Besucher an das Hygienekonzept halten. Der zentrale Punkt in dieser Argumentation liegt im Verhalten des Publikums. In klassischen Konzerten oder in Opern wird während der Veranstaltung nämlich weder geredet noch getanzt. Niemand bewegt sich hektisch umher. Das Publikum ist diszipliniert. Es wird nicht gesprochen, und niemand sitzt sich gegenüber. Ein klassisches Konzert ist damit genauso sicher wie ein Einkauf im Supermarkt oder die Fahrt in einer U-Bahn.

[Bravo! und Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos) – Torsten Schneider (SPD): Rückt mal wieder zusammen!]

Trotzdem haben Sie, Herr Dr. Lederer, als der Vorschlag zum ersten Mal im Kulturausschuss zur Sprache kam, diesen Vorschlag rundheraus abgelehnt und die Qualifikation von Herrn Prof. Willich infrage gestellt, statt seine Einschätzung als Chance zu begreifen, den Kulturstandort Berlin zu retten. Umso wichtiger war es, dass wir Herrn Prof. Willich beim letzten Mal im Ausschuss angehört haben, und man kann nur hoffen, dass jetzt auch bei Ihnen ein Umdenkprozess einsetzt, denn jetzt müssen schnelle und umsetzbare Lösungen zur Wiederaufnahme des Kulturbetriebs her und kein Verantwortungs-PingPong wie bisher. Wir brauchen Konzepte, die es ermöglichen, dass Kultur vorübergehend trotz Corona und mit Corona stattfinden kann. Das muss die Quintessenz jeder Lösung sein: Kultur trotz und mit Corona, sonst wird es nach Corona keine Kultur mehr geben, jedenfalls nicht mehr so, wie wir sie kennen.

Wir als AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus haben schon vor Monaten dazu Vorschläge gemacht und bereits im April ein Konzept gefordert, wie Kulturbetriebe unter Einhaltung von Hygieneregeln wiedereröffnet werden können. Leider sind wir damit aber auf taube Ohren gestoßen, und leider sitzt niemand im Senat, der konsequent im Sinne der Kultur handelt.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Denn jetzt wäre eigentlich die Gelegenheit für den obersten Kulturverwalter Berlins, sich für die viel gelobte Breite und Vielfalt der Berliner Kulturlandschaft einzusetzen. Doch was fordern der Kultursenator und seine

(Martin Trefzer)

Partei, Die Linke, im Angesicht von Corona? – Richtig! Sie fordern Coronabonds. Darauf muss man erst einmal kommen. Herr Dr. Lederer! Sie und Ihre Partei nutzen die Coronakrise nicht etwa, um da die Abwehrkräfte zu stärken, wo Sie Verantwortung tragen, und das starkzumachen, was im elementaren Sinne naheliegt und was in der Krise Halt gibt. Nein, Sie fordern unter dem Vorwand von Corona die europäische Schulden- und Transferunion. Das ist eigentlich unfassbar.

Aber auch auf diesem Feld hat die Coronazeit vielen Menschen die Augen geöffnet. Anstatt unter dem Vorwand von Corona alle Fiskalregeln außer Kraft zu setzen, Europa zu unifizieren und den Weg in die Schulden- und Transferunion immer weiter voranzutreiben, haben die Bürger erkannt, dass es gerade in der Krise darauf ankommt, das zu stärken, was uns wirklich wichtig ist.

[Anne Helm (LINKE): Von Berlin aus?]

Wirklich wichtig, das hat Corona gezeigt, ist neben unseren Familien nicht zuletzt die Vielfalt unseres kulturellen Erbes und unseres kulturellen Angebots an Chören, Musik und Theater in jeder Stilrichtung.

[Anne Helm (LINKE): Aber ohne Geld!]

Wirklich wichtig ist, um es etwas pathetischer auszudrücken, unsere Kultur in all ihrer Breite. Das ist unsere Heimat. Das sind unsere europäische Nationen.